Die Trump-Show als Reaktion auf das angebliche Giftgasmassaker von Khan Sheikhun am 4. April 2017 ist ein weltweiter Propagandaerfolg der Weißhelme.
von Günter Meyer
87 Menschen sollen am 4. April 2017 bei einem Angriff der syrischen Luftwaffe in Khan Sheikhun, in der von islamistischen Extremisten kontrollierten Provinz Idlib, durch das Nervengas Sarin getötet worden sein. Dieses Giftgasmassaker führte zur jüngsten Wende im syrischen Stellvertreterkrieg. Präsident Trump hatte noch kurz zuvor erklären lassen, für seine Regierung wäre der Kampf gegen IS und die Terroristen des Al-Kaida-Netzwerks das Wichtigste. Assad könne im Amt bleiben bis das syrische Volk durch Wahlen über die Zukunft des Präsidenten entscheide. Unter Verweis auf die entsetzlichen Bilder sterbender Babys befiehlt Trump dann jedoch einen Angriff mit 59 Marschflugkörpern auf die syrische Luftwaffenbasis, von der angeblich der Chemiewaffeneinsatz durchgeführt wurde. Die USA, die übrigen G7-Staaten und alle anderen Gegner des syrischen Regimes sind sich einig: Assad muss weg. Die Beziehungen zwischen Washington und Moskau erreichen einen Tiefpunkt, wie es ihn seit dem Kalten Krieg nicht mehr gegeben hat.
Von Anfang an bestanden jedoch Zweifel an der
Schuldzuweisung für dieses brutale Kriegsverbrechen. Wie bei jedem Verbrechen sollte auch hier als erstes die Frage gestellt werden: „Wem nützt es?“ Sicherlich nicht Assad! Die Truppen des Regimes und seiner Verbündeten waren an allen Fronten mit konventioneller Waffen auf dem Vormarsch. Warum sollte Assad, dessen Zukunft dank Trump gesichert schien, in dieser Situation durch einen Giftgaseinsatz politischen Selbstmord begehen?
In Damaskus wird ebenso wie in Moskau jeglicher Einsatz von Giftgas bestritten. Vielmehr sei ein Waffenlager der Djihadisten bombardiert worden. Dabei seien offenbar chemische Kampfstoffe freigesetzt worden. Westliche Experten weisen die Darstellung zurück, weil es aus technischen Gründen nicht zu einer Ausbreitung von Sarin mit so hohen Opferzahlen kommen könne. Dazu sei ein gezielter Luftangriff mit Giftgas-Bomben erforderlich. Dies bestätigt auch ein Geheimdienstbericht aus dem Weißen Haus vom 11. April, der allerdings erhebliche Mängel [aufweist]. Der französische Geheimdienst recherchiert gründlicher und belegt am 24. April „eindeutig, dass die syrische Armee die Stadt Khan Sheikhun mit dem Nervengas Sarin angegriffen hat“.
Dagegen wurden wichtige Hinweise von 27 ehemalige Mitarbeiter des US-Geheimdienstes, die das Leitungskomitee der Organisation „Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS)“ bilden, in den Medien weitgehend ignoriert. Sie forderten Präsident Trump auf, seine Anschuldigungen gegen das Assad-Regime wegen des Einsatzes von Chemiewaffen zurückzunehmen. Dabei beriefen sie sich auf Aussagen von US-Militärangehörigen in der Region, von denen die syrische und russische Version des Angriffs auf ein Waffenlager der islamistischen Extremisten bestätigt wird.
Die Hintergründe des angeblichen Giftgasangriff und der anschließenden US-Bombardierung der Luftwaffenbasis Shayrat hat jetzt Seymour Hersh veröffentlicht. Der bekannte Enthüllungsjournalist konnte in der Vergangenheit mit Hilfe bester Kontakte in Washington immer wieder Skandale in der US-Führung aufdecken. In seinem jüngsten Beitrag vom 25. Juni weist er im Detail nach, wie weit die offizielle Regierungsdarstellung von den realen Geschehnissen abweicht.
Nach den Informationen, die Hersh erhalten hatte, war die US-Militärführung in Doha bereits Tage zuvor von russischer Seite über den bevorstehenden Angriff in Khan Sheikhun informiert worden.
Das Ziel war ein Gebäude, das als Treffpunkt für Dschihadisten diente. Zum Einsatz kam eine konventionelle Bombe mit hoher Sprengkraft, die der syrischen Luftwaffe eigens für diesen Angriff von den Russen zur Verfügung gestellt wurde. Da in dem getroffenen Gebäude neben Waffen auch chemischer Dünger und Desinfektionsmittel gelagert wurden, führte die Bombenexplosion zur Freisetzung von einem Gemisch giftiger Gase. Dadurch traten bei den Opfern Symptome auf, wie sie ähnlich auch beim Einsatz des Nervengases Sarin festzustellen sind.
Die Bilder qualvoll sterbender Kinder, die innerhalb kürzester Zeit den internationalen Nachrichtenagenturen vorlagen, veranlassten Donald Trump umgehend dazu, zur Vergeltung für den angeblichen syrischen Giftgasangriff einen militärischen Einsatz gegen das Assad-Regime anzuordnen. Dabei war sowohl dem Militärischen Geheimdienst als auch der CIA bekannt, dass es sich in Khan Sheikhun um einen konventionellen Angriff gehandelt hatte.
Der Präsident ließ sich jedoch diese Chance nicht entgehen, seine angeschlagene Popularität zu verbessern. Unter dem Vorwand eines syrischen Kriegsverbrechens, das mit russischer Unterstützung begangen worden sei, befahl er mit den Einsatz der Marschflugkörper als Vergeltung eine Show militärischer Stärke: Ein harmloses „Feuerwerk“, wie es Insider bezeichneten, das nach rechtzeitige Vorwarnung auf der Luftwaffenbasis Shayrat nur minimalen Schaden anrichtete. Ungleich größer waren dagegen die politischen Folgen, die zu einer Kehrtwendung der US-Politik gegen das Assad-Regime und seine Verbündeten führte.
Daran schließt sich die Frage an, wie es möglich war, dass sich innerhalb kürzester Zeit in den meisten Teilen der Welt die Schuld des Assad-Regimes an dem Giftgasmassaker in der öffentlichen Meinung festsetzen konnte. Hier spielen die „Weißhelme“ eine Schlüsselrolle. Als „Syrischer Zivilschutz“ gelangten sie zu Weltruhm für ihre heldenhaften Rettungseinsätze beim Kampf um das von islamistischen Extremisten kontrollierte Ost-Aleppo. Sie wurden sogar mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Ein Film über diese Organisation erhielt einen Oscar für den besten Dokumentar-Kurzfilm.
Kritiker werfen den „Weißhelmen“ vor, dass sie eng mit den Djihadisten der Nusra-Front zusammenarbeiten, also einem Ableger von Al-Kaida. Nur mit Unterstützung der Terroristen können sie vor allem Propagandafilme produzieren, die den Kampf gegen das Assad-Regime rechtfertigen sollen. Dafür werden sie in erster Linie von den Regierungen in England und den USA mit weit über 100 Millionen US-Dollas finanziert.
Es gibt zahlreiche Beispiele für propagandistische Inszenierungen, falsche Zuordnungen und das Recycling von Filmen von Rettungsaktionen. Sie vermitteln immer wieder die gleiche Botschaft: Tapfere „Weißhelme“ retten vor allem Kinder nach Fassbombenangriffen des menschenverachtenden Assad-Regimes. Dabei kommt es dann schon vor, dass das Video der Rettungsaktion desselben kleinen Mädchens gleich dreimal zur Dokumentation von Bombenangriffen in Abständen von einem Monat eingesetzt wird. In anderen Fällen wurden frühere Aufnahmen der Zerstörung in Homs und sogar eines Stadtteils von Gaza, der von der israelische Luftwaffe bombardierte worden war, als Beleg für das Ausmaß der Zerstörung durch Fassbomben in Ost-Aleppo herangezogen.
Immer wieder weist die offensichtliche Verwendung von roter Farbe als Blutersatz bei angeblich verletzten Kindern auf Inszenierungen hin. In einem Fall musste sich CNN sogar weltweit für die Ausstrahlung eines Videos über die „Weißhelme“ entschuldigen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass die dort gezeigte Rettungsaktion von professionellen Schauspielern darstellt wurde.
Auch in Khan Sheikhun waren die „Weißhelme“ offensichtlich rechtzeitig über den bevorstehenden Militärschlag informiert. Sie übernahmen die entscheidende Rolle, für die weltweite mediale Verbreitung des Entsetzens über das Giftgasmassaker zu sorgen. Zu diesem Zweck wurden auch Videos gedreht, die zeigen sollen, wie sich die „Weißhelme“ mit medizinischen Eingriffen um die Rettung von kleinen Kindern bemühen.
Ärzte der Organisation „Swedish Doctors for Human Rights“ kommen nach der Analyse des Filmmaterials zu dem Ergebnis, dass die angeblich lebensrettenden Maßnahmen in völlig inkompetenter Weise offensichtlich von Nichtmedizinern an bereits toten Kindern durchgeführt wurden – eine reine Inszenierung für die Kamera.
Das jüngste angebliche Giftgasmassaker fügt sich ein in eine Reihe von anderen Propagandaaktionen, die nur dazu dienten, die USA zum Angriff auf das syrische Regime zu veranlassen. 2012 hatte Präsident Obama erklärt, dass die US-Regierung das Überschreiten der „roten Linie“ durch einen Giftgasangriff der Streitkräfte mit einem militärischen Einsatz gegen das Regime beantworten würde. Bereits wenige Wochen später tauchten in arabischen Medien die ersten Berichte über die Planung von Chemiewaffen-Einsätzen auf, für die Assad die Schuld bekommen sollte. Im März 2013 erfolgte dann der erste Raketenangriff mit Giftgas auf den Ort Khan al-Assal im Norden des Landes. Mehr als 20 Menschen wurden getötet, darunter auch Soldaten des Regimes. Deshalb erschien es höchst zweifelhaft, dass Assad diesen Angriff befohlen haben sollte. Eine UN-Kommission wurde eingesetzt, die aber auf Druck der USA nur untersuchen durfte, ob überhaupt Chemiewaffen eingesetzt wurden, nicht jedoch wer für den Angriff verantwortlich war.
Nach massiven Bemühungen von Russland entsandte der Sicherheitsrat schließlich eine UN-Kommission, die auch die Verantwortlichkeit für Giftgaseinsätze feststellen sollte. Kaum war diese in der Hauptstadt eingetroffen, schlugen Raketen mit chemischen Kampfstoffen in Gebieten der Ghouta von Damaskus ein, die von Assad-Gegnern kontrolliert wurden. Die Angaben über die Zahl der Giftgasopfer schwankten zwischen 300 und 1.500. Ein großangelegter Angriff unter US-Führung zur Zerstörung der militärischen Infrastruktur in Syrien konnte nur durch die Vernichtung sämtlicher chemischen Kampfstoffe der syrischen Streitkräfte abgewendet werden.
Aufgrund von detaillierten Informationen aus Regierungskreisen in Washington kam Seymour Hersh schon bald zu dem Ergebnis, dass es sich hier um einen Giftgasangriff „unter falscher Flagge“ gehandelt hatte. Bestätigt wurde dies durch eine weitere Studie des Massachusetts Institut of Technology (MIT).
Sie weist nach, dass die Giftgasraketen entgegen den offiziellen Angaben der US-Regierung nicht von einer Militärbasis oberhalb der Stadt abgefeuert wurden. Die eingesetzten Raketen hatten nur eine Reichweise von maximal 2 km und müssen deshalb aus den von Assad-Gegnern kontrollierten Gebieten abgefeuert worden sein.
Vor diesem Hintergrund ist es angesichts der Unberechenbarkeit von Donald Trump und seiner Verbreitung von Fake News wichtiger denn je, gerade hinsichtlich der weiteren Entwicklung in Syrien alle Stellungnahmen aus dem Weißen Haus noch kritischer als bisher zu hinterfragen.
Prof. Dr. Günter Meyer leitet das Zentrum für Forschung zur Arabischen Welt (ZEFAW) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Quelle: Rubikon