Das wahre Gesicht einer Gesellschaft zeigt sich darin, wie sie mit ihren alten Menschen umgeht…
Stellen Sie sich vor, Sie wohnen seit dreißig Jahren mit ihrem Partner in einer Mietwohnung. Dreißig Jahre in derselben Umgebung, bekannte Nachbarn und gegenseitige Hilfe; vertraute Ladenbesitzer, mit denen man gern mal ein paar Worte schnackt und der Park um die Ecke, in dem Sie jeden Nachmittag spazieren gehen, auf einer Bank sitzen, den spielenden Kindern zusehen und sich mit deren Eltern, die Sie schon kannten, als die noch Kinder waren, unterhalten.
Möglicherweise erscheint es Ihnen monoton, immer dieselben Dinge zu tun. Aber im fortgeschrittenen Alter ist es ist so. Man ist zufrieden mit dem was man hat.
Nur kann sich das schlagartig ändern. Wenn der Partner stirbt und man am unteren Ende der Rentenbezüge steht oder Hartz 4-Empfänger ist, dann läuft nun, ohne Rücksicht auf den trauernden Menschen, die bürokratische Maschine an. Alles wird anders, zu dem Verlust des geliebten Menschen, kommen finanzielle und soziale Verluste. Wenn Ihre Rente/Ihr Einkommen eher niedrig ist und davon sind viele Menschen betroffen, dann sehen Sie einer ungewissen Zukunft entgegen, dann müssen Sie sich neben Ihrer Trauer mit einer existentiellen Bedrohung durch die Behörden auseinandersetzen.
Ist Ihre Wohnung für eine Person zu groß, dann werden Sie von der Behörde gedrängt in eine kleinere Wohnung zu ziehen. Als ob tausende kleiner Wohnungen in Ihrem Viertel für Sie bereitstehen. Die Mietzuschüsse sind so niedrig berechnet, dass fast alle Menschen mit kleinen Einkommen/Renten ihre Wohnungen aufgeben müssen. In einem Randbezirk, weit weg vom gewohnten sozialen Umfeld, bekommt man vielleicht eine kleine, bezahlbare Wohnung.
Die meisten, von Altersarmut betroffenen, Rentner können sich nicht zur Wehr setzen. Sie kennen weder ihre Rechte, noch haben sie die finanziellen Möglichkeiten.(1) Ihnen fehlt die Kraft sich zu wehren. Sie trauen sich nicht zum Amt zu gehen. Und sie schämen sich…
Vermieter wie Behörden wissen das und nutzen es schamlos aus bzw. helfen den Menschen nicht.
Es ist klar, dass Vermieter in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem ausschließlich an der Maximierung ihrer Gewinne interessiert sind. Aber wie ist es mit den Behörden? Sollen die, in einem demokratischen Staatssystem, nicht für die Belange der Menschen da sein…? Eigentlich ja, aber es werden immer mehr Sozialberatungsstellen abgebaut. Ist es die Aufgabe des Staates sich um das Wohlergehen der Menschen zu kümmern oder ist es die Aufgabe des Staates sich für die Gewinnmaximierung der Kapitalisten einzusetzen? Und wer bestimmt in unserer „Demokratie“ eigentlich was die Regierung, die Politiker tun – wir, die Wähler/das Volk oder die Lobbyisten der Wirtschaft/des Kapitals? Nun, diese Frage ist einfach zu beantworten. Aber die ausgehöhlte, nicht vorhandene Demokratie soll nicht Thema dieses Artikels sein.
Kommen wir zurück zu den ärmeren Bevölkerungsschichten und zu den von Altersarmut betroffenen Rentnern, die das Pech haben in einer Altbauwohnung in einem „angesagten“ Viertel alt geworden zu sein. Insbesondere in zentral gelegenen „Gentrifizierungs“-Stadtteilen – früher Arbeiterviertel, dann Heimat von Studenten und Künstlern, heute Szenetreffpunkt mit schicken Cafés, Bars, Restaurants & Boutiquen und luxussanierten Wohnungen für die Reichen – kommt es zu horrenden Auswüchsen bei der „Beseitigung“ von alten/armen Menschen aus ihren Wohnungen. Mittlerweile sind die Schikanen der Vermieter teilweise so raffiniert, dass man sich auch juristisch kaum dagegen wehren kann. Einige Beispiel: Sie wohnen im 6. Stock und der Fahrstuhl wird aus „technischen Gründen“ für mehrere Monate außer Betrieb gesetzt. Oder das Wasser wird aufgrund von „Reparaturarbeiten“ abgestellt. Am Schlimmsten ist es, wenn die Abwasserleitungen dicht gemacht werden. Der Vermieter stellt Ihnen einfach einen Eimer vor die Tür, das war’s!
Hier will jetzt die zahlungskräftige Schickeria wohnen – also weg mit denen, die nicht genug Geld haben. Raus mit den Armen und den Alten, die hier Jahrzehnte oder sogar ihr Leben lang gewohnt haben.
Aber manchmal geht’s nicht so einfach. Die städtischen Wohnungsgesellschaften können die „Spielregeln“ der privaten Wohnungsunternehmen nicht komplett übernehmen. Folgender Fall in Hamburg zeigt die unsinnige Vorgehensweise einer staatlichen Wohnungsgesellschaft:
Der Ehemann von Frau M.R. stirbt und ihre Sozialwohnung ist nach den Hartz-Gesetzen für eine einzelne Person nun zu groß. Frau M.R. setzt sich zur Wehr, lässt sich nicht einschüchtern und schließlich entscheidet das Amt, in Absprache mit der Wohnungsgesellschaft, eines der Zimmer für Frau M.R. unzugänglich zu machen. Die Tür eines Raums wird abgeschlossen und Frau M.R. darf diesen nicht mehr betreten. Die Quadratmeterzahl dieses Zimmers wird von der Gesamtwohnfläche der Wohnung abgezogen und, basierend auf der nun geringeren Wohnungsfläche, die Miete neu berechnet.(2) Wie wunderbar, nun entsprechen Quadratmeterfläche und Miethöhe wieder den Hartz 4-Sätzen. Vermieter glücklich, ARGE glücklich, Frau M.R. nicht glücklich. Ihr Mann ist tot, sie musste ein Zimmer leer räumen, sich von vielen ihr liebgewordenen Gegenständen trennen und die ihr wichtigsten Dinge irgendwie in den verbleibenden Räumen unterbringen. Und doch geht es Frau M.R. besser als vielen anderen alleinstehenden Rentner/innen und Hartz 4- Empfänger/innen, denn sie muss ihre Wohnung nicht verlassen, bleibt in ihrer gewohnten Umgebung.
Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt. Zustände, wie oben beschrieben, sind beschämend. Während Milliarden an Subventionen in Projekten versenkt werden, die sich später als unsinnig erweisen, werden die heutigen Rentner, die diesen Reichtum überhaupt erst ermöglicht haben, miserabel behandelt.
Das wahre Gesicht einer Gesellschaft zeigt sich darin, wie sie ihre alten Menschen behandelt….
(1) Prozesskostenhilfe gibt es nur, wenn ein Fall vor das Gericht geht und der Richter diese bewilligt. Bis dahin muss jeder die Kosten des Verfahrens selbst aufbringen.
(2) In Hamburg beträgt der Regelsatz für die Kaltmiete z.Zt. EUR 373,50 für eine Wohnung mit einer Größe von max. 50 qm.
Safo Can für Freiesicht.org