Auch bundesdeutsche Stellen sind in den Putsch involviert gewesen.
Der Bundesnachrichtendienst (BND) ist 1965 stark in den mörderischen Putsch in Indonesien, dem diesjährigen Gastland der Frankfurter Buchmesse, involviert gewesen. Dies belegen Geheimdokumente aus dem Deutschen Bundestag. Wie es in einem Vortragsmanuskript des damaligen BND-Präsidenten Gerhard Wessel aus einer Sitzung des Bundestags-„Vertrauensgremiums“ vom Juni 1968 heißt, habe der BND nicht nur die indonesischen Militärs bei der blutigen „Zerschlagung der KPI“ (Kommunistische Partei Indonesiens), die den Mord an Hunderttausenden, eventuell gar Millionen Menschen umfasste, mit Beratern, Ausrüstung und Geld unterstützt. Der spätere Staatschef Suharto habe dem BND sogar einen „große[n] Anteil … am Erfolg“ der Operation zugeschrieben.
Bekannt war bislang vor allem die Putschbeihilfe US-amerikanischer Stellen. Der Umsturz und die folgende mehr als 30-jährige Diktatur, die ebenfalls zuverlässig von der Bundesrepublik gefördert wurde, sind ein wichtiges Thema in den Arbeiten zahlreicher indonesischer Schriftsteller, die auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse vertreten sind. Die Bundesregierung verweigert die Aufklärung der BND-Unterstützung für den Putsch und die Gewaltexzesse der indonesischen Militärs bis heute.
Hunderttausende Tote
Der Putsch in Indonesien, der den bis 1998 diktatorisch herrschenden Generalmajor Suharto in Jakarta an die Macht brachte, begann im Oktober 1965 in Reaktion auf einen Umsturzversuch, in dessen Verlauf am 30. September mehrere Offiziere ermordet worden waren. Der Umsturzversuch wurde fälschlich der Kommunistischen Partei Indonesiens (KPI) in die Schuhe geschoben; anschließend gingen die Militärs mit exzessiver Gewalt gegen tatsächliche oder angebliche KPI-Mitglieder und -Anhänger vor. Hunderttausende, womöglich sogar Millionen wurden ermordet; Millionen wurden interniert. Ihre genaue Zahl ist bis heute unbekannt. Die damaligen Verbrechen der Militärs sind immer noch nicht wirklich aufgeklärt.
50 bis 100 Opfer pro Nacht
Nicht wirklich aufgeklärt ist auch die Unterstützung der westlichen Mächte für den Suharto-Putsch. In Teilen bekannt ist die Beihilfe der Vereinigten Staaten, die beste Beziehungen zu den indonesischen Streitkräfte unterhielten – so waren laut Experten bis 1965 etwa 4.000 indonesische Offiziere in US-Militäreinrichtungen geschult worden, auch hatten Elite-Institute der indonesischen Armee höhere Offiziere auf der Grundlage von US-Handbüchern für die Aufstandsbekämpfung trainiert.[1] Am 2. Dezember 1965 stimmte der US-Botschafter in Jakarta der Vergabe von Finanzmitteln an die „Kap-Gestapu“-Bewegung zu, eine – so seine Formulierung – „von der Armee inspirierte, doch aus Zivilisten gebildete Aktionsgruppe“, die „die Bürde der andauernden repressiven Maßnahmen gegen die KPI trägt“.[2] Dem Botschafter muss klar gewesen sein, was dies bedeutete; seine Mitarbeiter hatten am 13. November Informationen der indonesischen Polizei weitergeleitet, denen zufolge „jede Nacht zwischen 50 und 100 KPI-Mitglieder in Ost- und Zentraljava getötet“ wurden. Am 15. April räumte die Botschaft ein, man wisse „nicht genau, ob die tatsächliche Zahl“ der ermordeten KPI-Aktivisten „näher bei 100.000 oder bei 1.000.000 liegt“. Ungeachtet des Massenmords berichtete der US-Botschafter in Jakarta am 10. August 1966 nach Washington, man habe den Behörden in Jakarta eine Liste führender PKI-Mitglieder weitergereicht.[3]
„Bewährte Freunde Deutschlands“
Auch bundesdeutsche Stellen sind in den Putsch involviert gewesen. Der BND habe „Indonesiens militärischen Nachrichtendienst 1965 mit Maschinenpistolen, Funkgeräten und Geld (Gesamtwert: 300.000 Mark) bei der Niederwerfung eines Links-Putsches in Djakarta“ unterstützt, berichtete im März 1971 „Der Spiegel“.[4] Zwölf Wochen später ergänzte das Blatt, „ein Kommando von BND-Männern“ habe „in Indonesien militärische Geheimdienstler aus[gebildet]“ und „die von der antiamerikanischen Propaganda hart bedrängten Kollegen von der CIA ab[gelöst]“.[5] Mit der „Lieferung sowjetischer Gewehre und finnischer Munition“ hätten „die BND-Ausbilder“ faktisch sogar in den „Bürgerkrieg“ interveniert. Glaubt man dem BND-Gründer Reinhard Gehlen, dann hatte Bonn damals beste Kontakte zu führenden Militärs. So hätten sich unter den am 30. September ermordeten indonesischen Offizieren „zwei bewährte Freunde Deutschlands befunden“, darunter „der langjährige und hochgeschätzte Militärattaché in Bonn, Brigadegeneral Pandjaitan“, hielt Gehlen in seinen 1971 publizierten „Erinnerungen“ fest. Der BND sei während des Putschs „in der glücklichen Lage“ gewesen, „der Bundesregierung aus hervorragenden Quellen … rechtzeitig und eingehend über den Ablauf der für Indonesien so entscheidenden Tage berichten zu können“.[6]
Ein exzellenter Resident
Weitere Hinweise haben der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom und der Politikwissenschaftler Matthias Ritzi recherchiert. Demnach lässt sich für die Zeit vor dem Putsch eine enge Abstimmung des BND mit der CIA belegen. Pullach habe dem US-Geheimdienst im April 1961 mitgeteilt, man verfüge „über einen exzellenten Residenten“ in Jakarta, berichtet Schmidt-Eenboom. Die CIA habe angenommen, es handle sich bei ihm um Rudolf Oebsger-Röder, einen ehemaligen SS-Standartenführer im Reichssicherheitshauptamt, der 1948 in die Organisation Gehlen eingetreten und später in Indonesien als Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung und die Neue Zürcher Zeitung tätig geworden sei.[7] Oebsger-Röder wurde bis Mitte der 1960er Jahre vom BND als Mitarbeiter geführt. Mitte Januar 1964 habe ein hochrangiger CIA-Vertreter Gehlen aufgesucht und ihn über den bundesdeutschen Umgang mit der Entwicklung in Indonesien befragt, berichten Schmidt-Eenboom und Ritzi weiter. Gehlen antwortete damals, er halte Bonn auf dem Laufenden, wisse aber noch nicht, wie das Kanzleramt vorzugehen gedenke.
„Großer Anteil BND“
Weitere Einzelheiten lassen sich dem Entwurf für einen Vortrag entnehmen, den der damalige BND-Präsident Gerhard Wessel am 21. Juni 1968 vor dem Vertrauensgremium des Bundestags hielt. Wessel habe darin „stichpunktartig“ über „die Details der BND-Aktivitäten“ zugunsten des indonesischen Partnerdienstes berichtet, schreiben Schmidt-Eenboom und Ritzi. In dem Papier heißt es wörtlich: „Im Oktober 1965 bereits bestehende enge Verbindungen zum indonesischen strategischen ND [Nachrichtendienst] ermöglichten Unterstützung (Berater, Geräte, Geld) des indonesischen ND und militärischer Sonderorgane bei Zerschlagung der KPI (und Entmachtung Sukarnos – Steuerung und Unterstützung von Demonstrationen).“[8] Die „Zerschlagung der KPI“ beinhaltete den Mord an hunderttausenden, womöglich Millionen tatsächlichen oder angeblichen Mitgliedern oder Anhängern der indonesischen KP. BND-Präsident Wessel fuhr in seinem Vortrag vor dem Vertrauensgremium dem Manuskript zufolge fort: „Nach Ansicht indonesischer Politiker und Militärs (Suharto, Nasution, Sultan) großer Anteil BND am Erfolg.“
Lob aus Pullach
BND-Gründer Gehlen lobte die Verbrechen im Rückblick fast überschwänglich. „Der Erfolg der indonesischen Armee, die … die Ausschaltung der gesamten kommunistischen Partei mit Konsequenz und Härte verfolgte“, schrieb er 1971 in seinen „Erinnerungen“, „kann nach meiner Überzeugung in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.“[9]
Berliner Prioritäten
Die Bundesregierung verweigert die Aufklärung der deutschen Beteiligung an den Verbrechen bis heute. Auf eine Anfrage im Bundestag, welche Erkenntnisse sie „über die direkte oder indirekte Unterstützung der Massaker durch ausländische Regierungen, Geheimdienste oder andere Organisationen“ habe, antwortete sie im Mai 2014: „Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass eine Beantwortung nicht offen erfolgen kann.“ Die „erbetenen Auskünfte“ seien „geheimhaltungsbedürftig“; „der Quellenschutz“ aber stelle „für die Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste einen überragend wichtigen Grundsatz dar“.[10] Das Bedürfnis der indonesischen Zivilgesellschaft nach Aufklärung ausländischer Beihilfe für den Massenmord an zahllosen Menschen steht für Berlin hinter dem deutschen Staatsbedürfnis nach „Quellenschutz“ klar zurück.
Noten
[1] Rainer Werning: Putsch nach „Pütschchen“. junge Welt 01.10.2015.
[2], [3] Rainer Werning: Der Archipel Suharto. In: Konflikte auf Dauer? Osnabrücker Jahrbuch Frieden und Wissenschaft, herausgegeben vom Oberbürgermeister der Stadt Osnabrück und dem Präsidenten der Universität Osnabrück. Osnabrück 2008, S. 183–199.
[4] Hermann Zolling, Heinz Höhne: Pullach intern. Der Spiegel 11/1971.
[5] Hermann Zolling, Heinz Höhne: Pullach intern. Der Spiegel 23/1971.
[6] Reinhard Gehlen: Der Dienst. Erinnerungen 1942-1971. Mainz/Wiesbaden 1971.
[7], [8] Matthias Ritzi, Erich Schmidt-Eenboom: Im Schatten des Dritten Reiches. Der BND und sein Agent Richard Christmann. Berlin 2011. S. dazu Rezension: Im Schatten des Dritten Reiches.
[9] Reinhard Gehlen: Der Dienst. Erinnerungen 1942-1971. Mainz/Wiesbaden 1971.
[10] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko, Jan van Aken, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Deutscher Bundestag Drucksache 18/1554, 27.05.2014.
Danke German-Foreign-Policy.com
Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59225
Erscheinungsdatum des Originalartikels: 15/10/2015
Artikel in Tlaxcala veröffentlicht: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=16236