Warum die Türkei der Evolutionstheorie nicht auskommt
In der Türkei sollen Schüler zukünftig nichts mehr über die Evolutionstheorie lernen. Türkische Politiker fordern stattdessen, islamische Gelehrte des Mittelalters auf den Lehrplan zu setzen. Doch deren Theorien waren Darwins Lehren von Mutation und Selektion nicht unähnlich.
Sie sei „zu fragwürdig, zu kontrovers und zu kompliziert für Schüler“: Als das türkische Bildungsministerium vergangene Woche ankündigte, die Evolutionstheorie aus den Schulbüchern zu entfernen, konnten aufgeklärte Beobachter den Kopf nur schütteln. Schließlich galt die Theorie aus Charles Darwins „On the Origin of Species“ bisher als unumstrittene Erklärung über die Entwicklung des Lebens auf unserer Erde. Diesseits des Bosporus zumindest.
Als eine „archaische Theorie“, die kaum belegt sei, bezeichnete hingegen der türkische Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmuş die Evolutionslehre Anfang dieses Jahres und setzte damit eine Debatte in Gang, die nun in der Verbannung Darwins aus den Schulbüchern der 9. Klasse gipfelte.
Ab dem Jahr 2019 sollen türkische Schüler nun frühestens in der Universität etwas über die Prinzipien von Mutation und Selektion erfahren, gab der Vorsitzende des Bildungsausschusses im türkischen Bildungsministerium, Alpaslan Durmuş, in einer Videobotschaft bekannt. Stattdessen wolle man den „eurozentrischen“ Unterricht durch die Lehren muslimischer und türkischer Wissenschaftler ersetzen.
Das kann allerdings nur bedeuten, dass die Mächtigen in Ankara in der Schule selbst nicht so gut aufgepasst haben. Sonst wüssten sie, dass islamische Gelehrte über Jahrhunderte zu Erkenntnissen kamen, die den Lehren Darwins nicht unähnlich waren.
Tausend Jahre vor Darwin stellte ein islamischer Forscher eine Theorie der natürlichen Selektion auf
Einer von ihnen ist Abu Uthman Amr ibn Bahr al-Kinani al-Basri, besser bekannt als Al-Jahiz. Schon im 9. Jahrhundert und damit rund 1000 Jahre vor Darwin erstellte der arabisch-afrikanische Schriftsteller in seiner sieben-bändigen Enzyklopädie „Kitab al-Hayawan“ (Buch der Tiere) eine Systematik von 350 Tierarten. In dem Buch beschreibt Al-Jahiz nicht nur tierische Nahrungsketten, er entwickelte auch eine Theorie des tierischen Überlebenskampfes, die an Darwins Lehre von der natürlichen Selektion erinnert:
Tiere befinden sich in einem Kampf um die Existenz; um Ressourcen, um zu vermeiden, gefressen zu werden, um Fortpflanzung. Umwelteinflüsse beeinflussen den Organismus, sodass neue Eigenschaften entwickeln werden, die das Überleben sichern, mit dem Ergebnis, dass neue Arten entstehen.
Al-Jahiz
Nur wenige Jahrzehnte später kam ein Religionslehrer in Zentralasien zu ähnlichen Ergebnissen. Muhammad al-Nakhshabi beschrieb damals, wie sich das Leben seiner Vorstellung nach kontinuierlich fortentwickle:
Während der Mensch von empfindsamen Kreaturen abstammt [gemeint sind Tiere], stammen diese von pflanzlichen Wesen ab und diese wiederum von kombinierten Stoffen und diese von elementaren Eigenschaften und diese von himmlischen Wesen.
Muhammad al-Nakhshabi
Seine Theorie mag aus heutiger Sicht banal klingen und ist freilich noch weit entfernt von der komplexen Lehre Darwins, aber zur Erinnerung: Im christlichen Europa war man zu jener Zeit der Überzeugung, die Anzahl der Arten auf der Welt sei lediglich durch die göttliche Schöpfung und den Platz auf Noahs Arche determiniert.
Teil 1: Darwins islamische Vorfahren
Teil 2: Im 13. Jahrhundert erkannte ein persischer Philosoph die Verwandtschaft von Mensch und Affe