Erdogan tendiert zum offenen Faschismus, um die Krise der Konter-Guerilla zu überwinden. Aber für eine offene, indirekte Regierung der Konter-Guerilla braucht der Faschismus eine politisch geeinte Konter-Guerilla (A. d. Ü. Tiefer Staat)[1].
„Dieses Land hat eine Menge unter den Koalitionen gelitten“, „Die Teilung der exekutiven Befugnisse zwischen dem Premierminister und dem Staatspräsidenten führt zur Doppelköpfigkeit“. Als Erdogan sich mit diesen Begründungen rechtfertigte, um die letzten Überbleibsel der „Gewaltenteilung “ loszuwerden und alle Kräfte in eigener Person zu bündeln, hatte die AKP seit 10 Jahren die Mehrheit im Parlament und Staatspräsident sowie Premierminister stammten von derselben Partei. Erdogan war aber „glaubwürdig“, weil in der Staatsmacht eine Reihe von Krisen ausgebrochen war und diese Krisen in einer „Koalition der Katastrophe“ einmündeten.
Die seit 15 Jahren allein regierende AKP hatte die Kontrolle des Staatsapparates nur mit Hilfe der Gülen Bewegung ergreifen können.
Als die Machtzentralen (USA und Israel), die diese Koalition in die Welt gesetzt hatten, ihre über die neoliberale islamistische Regierungen ausgeführte Politik änderten, kam das Ende der AKP-Gülen-Koalition in Sicht. Durch den Konflikt zwischen der „bevollmächtigten politischen Justiz“ und der MIT (A. d. Ü. Türkische Geheimdienst Organisation) und der daraus resultierenden Einladung des Geheimdienstchefs Hakan Fidan von Sonderstaatsanwalt Zekeriya Öz am 7. Februar 2012 zum Verhör, wurde offen gelegt, dass die Konter-Guerilla mitten im Zentrum der Krise der AKP-Gülen-Koalition stand. Die 17-25 Dezember-Operationen (A. d. Ü. Korruptionsskandal in der Türkei im Jahr 2013), die von der bevollmächtigten politischen Justiz und der Polizei durchgeführt wurden, haben diese Tatsache bestätigt. Letztlich wurde dies untermauert durch die Tatsache, dass das Ende der Auseinandersetzungen am 15 Juli (A. d. Ü. Putschnacht am 15. Juli 2016) durch die extrem gewalttätigen Kämpfe in der Basis des Oberkommandos der Spezialkräfte und auf dem Campus der MIT entschieden worden sind.
Beginnend mit der Krise vom 7. Februar 2012, waren es weder das durch das Wahlsystem verursachte, „Koalition-Regime“ noch die „Doppelköpfigkeit“ von Premierminister und Staatspräsident, von denen sich Erdogan befreien wollte. Was er loswerden wollte, waren der einst notwendige Koalitionspartner und der daraus stammende „Parallelstaat“ innerhalb der türkischen Verwaltung, um somit die Konter-Guerilla und den durch die Konter-Guerilla kontrollierten Staatsapparat (Justiz, Universitäten, Polizei und Mainstreammedia) allein zu dominieren.
Eine asymmetrische Koalition
Eine parlamentarische Koalition ist eine Krise des Regimes, deren Ausprägungen und Lösungen innerhalb des Systems vorgesehen sind. Die Krise, mit der sich Erdogan konfrontiert sieht, ist jedoch keine Krise, die sich innerhalb des Systems entwickelte, sondern ist die Krise der mit der Gülen-Bewegung aufgebauten Regierung.
Die Gülen-Erdogan-Regierung war eine Konter-Guerilla-Regierung.
Diese Koalition war eine asymmetrische Koalition, die auf die Führung und Erhaltung der Konter-Guerilla ausgerichtet war. Die Machtspiele innerhalb dieser Koalition wurden nicht im Parlament oder in den Ministerien ausgetragen. Die Stärken des AKP-Flügels gegenüber dem Gülen-Flügel waren ihre Mehrheit im Parlament und die Bildung des Kabinetts. Die Gülen-Bewegung war in diesen Bereichen keine Konkurrenz für Erdogan und seine AKP. Deshalb stellt Erdogan den „nationalen Willen“ immer wieder in den Vordergrund. Die Stärke der Gülen-Bewegung, die sie zu einem Teil der Konter-Guerilla-Koalition gemacht hat, ist einerseits die Stellung, die die Bewegung innerhalb der global-kolonialen Aktivitäten des USA-Imperialismus erreicht hat und andererseits ihre Fähigkeit der Kaderbildung, die für die Kontrolle der Armee, der Justiz und der Polizei notwendig war. Aus diesem Grund dominierten Begriffe wie „Scharfsinn“, „Staatssinn“ und „internationale Anerkennung“ in den Reden Gülens gegen die AKP.
Die AKP-Gülen-Koalition war keine „mehrheitsbildende“, sondern eine sich „ergänzende“ Koalition. Deshalb war und ist es weder für die AKP, noch für Gülen möglich, die Staatsmacht endgültig zu ergreifen und aufrechtzuerhalten. (Egal welche Seite am 15 Juli gewonnen hätte, die Krise würde weiterhin bestehen bleiben.) Die AKP-Gülen-Koalition war ein Produkt der Implementierung des Kolonial-Faschismus im „Großen Nahostprojekt“ der NATO, eine „Gründer-Koalition“, ein „Revisionskomitee“. Das „Große Nahostprojekt“ der NATO hat versagt, die AKP-Gülen-Koalition ebenso.
Eine politische Einheit der Konter-Guerilla ist nicht möglich
Zusammengefasst heißt das, dass Erdogans Problem nicht gelöst werden kann, indem man eine Regelung findet, die die parlamentarischen Koalitionen überflüssig macht.
Durch die Verschmelzung der Person des Premierministers und des Staatspräsidenten kann die „Doppelköpfigkeit“ der Konter-Guerilla (und des unter ihrer Kontrolle stehenden Staatsapparates) nicht verhindert werden.
Erdogan tendiert zum offenen Faschismus, um die Krise der Konter-Guerilla zu überwinden. Aber für eine offene, indirekte Regierung der Konter-Guerilla braucht der Faschismus eine politisch geeinte Konter-Guerilla. Faktisch ist die politische Fragmentierung innerhalb der Konter-Guerillas das Handikap, mit dem Erdogan sich konfrontiert sieht. Das ist das große Paradox, das mittelfristig von keiner Partei oder politischen Kraft des Regimes überwunden werden kann. Es ist naiv anzunehmen, einerseits ununterbrochen mit den USA die Säbel zu rasseln und andererseits mit Hilfe von MHP, den Nationalisten oder den anderen angeschlagenen Reserverädern, die Konter-Guerilla – das leibliche Kind des US-Imperialismus – umorganisieren zu können und auf diese Weise die Herrschaft zu übernehmen.
Erdogans offener Faschismus ist dazu verdammt zu kollabieren. Die Hauptaufgabe der revolutionären Politik ist es, den Moment des Kollapses des Erdogan-Faschismus in den Zusammenbruch des Kolonial-Faschismus zu verwandeln.
Quelle: sendika.org
Übersetzt für Freiesicht.org
[1]Der Ausdruck „Konter-Guerilla“ ist in der Türkei eine geläufige Bezeichnung für den sog. „tiefen Staat“, also die Kräfte innerhalb von Verwaltung, Polizei und Militär, die seit dem Beitritt der Türkei zur NATO einen inoffiziellen Krieg gegen die Oppositionelle und die freiheitlichen Kräfte führen.