Anarchisten demonstrieren gemeinsam mit katalanischen Nationalisten aller Couleur für eine „neue Republik“; katalanische Gewerkschaften organisieren einen Generalstreik, der von der katalanischen Regionalregierung und kleineren Unternehmerverbänden unterstützt und zum „Tag der nationalen Arbeitsniederlegung“ deklariert wird; Bürger, die gestern noch die katalanische Polizei eher als Repressionsmacht ansahen, applaudieren heute auf Massendemonstrationen bei ihrer Anwesenheit und erhoffen sich von ihnen Schutz gegen die nationalspanische Polizei und die paramilitärische Guardia Civil; junge „Empörte“, die vorgestern noch Straßen und Plätze besetzten, das katalanische Parlament umzingelten und „sie vetreten uns nicht“ skandierten, organisieren zusammen mit konservativen und liberalen Bürgern ein vom Zentralstaat verbotenes Referendum für die Unabhängigkeit Kataloniens und reklamieren den Wahlakt als „Befreiung“; soziale Aktivistinnen , die gestern noch Märsche und Aktionen gegen den massiven Sozialkahlschlag organisierten, befinden sich jetzt in neu gebildeten Rathausverwaltungen, verwalten die soziale Misere und haben darin auch ihr Auskommen gefunden, während andere sich von einen „katalanischen Republik“ zumindest eine Verbesserung ihrer Lebensumstände erhoffen.
Was ist da los in Katalonien – einer Region, die nach wie vor zum spanischen Staatsgebiet gehört, die aber nach Meinung einer beträchtlichen Anzahl ihrer EinwohnerInnen zu einem eigenständigen Staat werden soll?
Einem Staat, der schon heute, noch vor seiner Gründung für viele unterschiedliche, auch durchaus sehr gegensätzliche Vorstellungen als Projektionsfläche dient. Da stehen sich Konzepte gegenüber, die
- mehr Sozialausgaben fordern und welche, die eine Modernisierung des Landes gemäß verschärfter internationaler Wettbewerbsbedingungen wollen
- zu mehr Solidarität mit Migrantinnen und offen(er)en Grenzen aufrufen und andere, die die Einrichtung neuer Grenzkontrollen und die Schaffung eigener militärischer Grenzschutzbehörden befürworten
- unabhängig von der Herkunft an alle Menschen gerichtet sind und den Solidaritätsgedanken in den Vvordergrund stellen sowie Konzepte, die letztlich nur auf die Vorteile für die Bevölkerung in Katalonien bedacht sind.
Ist es gerechtfertigt, dass selbst bei anarchistischen und anderen Staatskritikern die Hoffnung umgeht, bei dieser Bürgerbewegung Anknüpfungspunkte zu finden, um ihrer Vision einer herrschaftsfreien Gesellschaft ein Stück weit näher zu kommen?
Wie verträgt sich das alles, wie lässt sich diese Entwicklung erklären, wozu gibt sie Anlass: Hoffnung oder Frust
Eine Podiumsdiskussion mit Almuth Intemann und Harald Piotrowski
04.01.2018, Donnerstag, 19.00 Uhr, Bernhardstr. 12, 28203 Bremen
Eine Veranstaltung von Kommunikationszentrum Paradox, Verein für Alltagskultur und politische Bildung e.V., Türkei Info Bremen, Bremen Halkevi und freiesicht.org