Berlin verschleiert eine dramatische Veränderung seiner Verteidigungsstrategie: Die Integration von Kampfbrigaden kleinerer Staaten in die Bundeswehr
Alle paar Jahre taucht die Idee von einer Europaarmee (s. https://de.wikipedia.org/wiki/Europaarmee ) in den Medien auf und verursacht immer einigen Wirbel. Der Gedanke beflügelt die Fantasie mancher Politiker, ruft bei anderen aber entschiedenen Widerspruch hervor. Anders als die Föderalisten in Brüssel, die glauben, gemeinsame Verteidigungsstreitkräfte seien notwendig, um die Stellung Europas in der Welt zu stärken, sehen die Regierungen in London und in einigen anderen Staaten eine Europaarmee als Konkurrenz für die NATO an und lehnen sie deshalb ab.
Nicht in die Schlagzeilen geschafft hat es eine Vereinbarung, die Deutschland in aller Stille mit zwei seiner europäischen Verbündeten, mit Tschechien und Rumänien, getroffen hat, obwohl sie ein erster Schritt auf dem Weg zu einer Europaarmee sein könnte. Unter Vermeidung jeglichen politischen Aufsehens wurde eine Teilintegration der Streitkräfte der drei Staaten beschlossen [ http://www.nato.int/cps/en/natohq/news_141113.htm ].
Rumänien und Tschechien unterstellen zwar nicht ihre gesamten Streitkräfte der Bundeswehr, aber in den nächsten Monaten werden beide Staaten je eine ihrer Brigaden in die deutschen Streitkräfte integrieren: Die 81. Mechanisierte Brigade Rumäniens wird sich der Bundeswehr-Division anschließen, die zu den Rapid Response Forces (der NATO, s. https://de.wikipedia.org/wiki/NATO_Response_Force ) gehört, während die tschechische 4. Schnelle Eingreifbrigade, die in Afghanistan und Kosovo eingesetzt war und als die Speerspitze der tschechischen Armee betrachtet wird, der deutschen 10. Panzerdivision zugeschlagen wird. Sie folgen auf zwei niederländische Brigaden, von denen eine bereits in die Bundeswehrdivision bei den Rapid Response Forces und die andere in die deutsche
1. Panzerdivision integriert wurde. Dazu meinte Carlo Masala, der Professor für internationale Politik an der Bundeswehr-Universität in München ist (s. dazu auch https://de.wikipedia.org/wiki/Carlo_Masala ): „Die deutsche Regierung zeigt damit, dass sie an integrierten europäischen Streitkräften interessiert ist, selbst wenn andere auf dem Kontinent das noch nicht sind.“
Jean-Claude Juncker, der Präsident der Europäischen Kommission, hat schon wiederholt eine integrierte Europaarmee gefordert, damit aber nur Spott oder peinliches Schweigen hervorgerufen [s. http://www.handelsblatt.com/politik/international/europarede-juncker-macht-sich-fuer-europaeische-armee-stark/14821492.html ]. Daran wird sich vermutlich auch nichts ändern, wenn Großbritannien, das eine Europaarmee strikt ablehnt, die Europäische Union verlassen wird. Auch die verbleibenden Mitgliedstaaten sind sich keineswegs einig darüber, wie diese Streitmacht aussehen sollte, und welchen Anteil ihrer nationalen Streitkräfte sie dafür zur Verfügung stellen sollten. Deshalb wird es nur langsame Fortschritte bei der Realisierung einer gemeinsamen Europaarmee geben. Im März 2017
hat die Europäische Union zwar ein gemeinsames militärisches Hauptquartier errichtet, das aber nur für die Ausbildungseinsätze in Somalia, Mali, und in der Zentralafrikanischen Republik verantwortlich ist und dessen Stab aus nur 30 Personen besteht [s. http://www.dw.com/en/eu-approves-joint-military-headquarters/a-37830963 ]. Andere multinationale Streitkräfte sind die Nordic Battlegroup (die Nordische Kampfgruppe, s. https://de.wikipedia.org/wiki/Nordic_Battlegroup ) eine kleine Schnelle Eingreiftruppe, die aus rund 2.400 Soldaten aus den baltischen und mehreren nordeuropäischen Staaten und den Niederlanden besteht, und die Joint Expedition Force Großbritanniens [s. https://ukdefencejournal.org.uk/pictures-joint-expeditionary-force/ (und als zusätzliche Information https://en.wikipedia.org/wiki/UK_Joint_Expeditionary_Force )], eine Art „Mini-NATO“ zu der auch Truppen aus den baltischen Staaten, Schweden und Finnland gehören. Ohne entsprechende
Einsatzmöglichkeiten werden diese integrierten Einheiten aber keinen Bestand haben.
Unter dem unverfänglichen Etikett „Framework Nations Concept“ (s. http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Friedenspolitik/NATO/MilitaerischeFaehigkeiten_node.html ) arbeitet Deutschland an einem viel ehrgeizigeren Projekt – an der Schaffung eines von der Bundeswehr betriebenen Netzwerks zur Integration von Streitkräften kleinerer europäischer Staaten. „Die Initiative entstand aus einer Schwäche der Bundeswehr,“ erläuterte Justyna Gotkowska (s. http://medientage.org/jury/justyna-gotkowska,31.html ), eine Sicherheitsanalystin des polnischen Thinktanks „Zentrum für Oststudien“. „Die Deutschen haben erkannt, dass die Bundeswehr Lücken in ihren Landstreitkräften … schließen muss, um mehr politischen und militärischen Einfluss in der NATO zu gewinnen.“ Durch die Eingliederung von Verbänden kleinerer NATO-Partner lässt sich die Bundeswehr am schnellsten vergrößern, und durch die teilweise Einbeziehung von Miniarmeen europäischer Staaten in die Bundeswehr kann gleichzeitig die gemeinsame Sicherheit erhöht werden. „Es ist ein Versuch, die Erhaltung der gemeinsamen Sicherheit zu gewährleisten,“ erläuterte Professor Masala.
Von „Lücken“ in der Bundeswehr zu sprechen, ist stark untertrieben. 1989 gab die Regierung der Bundesrepublik noch 2,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts / BIP (s. https://de.wikipedia.org/wiki/Bruttoinlandsprodukt ) für Verteidigung aus [s. https://www.sipri.org/sites/default/files/Milex-share-of-GDP.pdf ]; im Jahr 2000 waren die Verteidigungsausgaben auf 1,4 Prozent gefallen, und sie blieben jahrelang auf diesem niedrigen Stand. Zwischen 2013 und 2016 lagen sie sogar nur bei 1,2 Prozent, also weit unter der 2-Prozent-Marke der NATO. In einem Bericht, den der Generalinspekteur der Bundeswehr 2014 dem Bundestag, dem Parlament der Bundesrepublik, vorgelegt hat, zeichnet er ein Bild des Jammers: Die meisten Hubschrauber der Marine und 64 Hubschrauber des Heeres waren damals nicht flugfähig und nur 18 Hubschrauber der Heeresflieger einsatzbereit [s. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-schwere-maengel-bei-ausruestung-
a-993530.html ]. Während die Bundeswehr im Kalten Krieg rund 370.000 Soldaten hatte, waren es im Sommer 2016 nur noch 176.015 Männer und Frauen [weitere Infos dazu unter http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-03/bundeswehr-abruestung-nato-ausruestung-sparmassnahmen-ukraine/komplettansicht ].
Seither ist die Bundeswehr wieder auf 178.000 Soldaten angewachsen [s. https://www.bundeswehr.de/portal/a/bwde/start/streitkraefte/grundlagen/staerke/! ]. Im letzten Jahr hat die Bundesregierung die Verteidigungsausgaben um 4,2 Prozent erhöht [s. http://www.bundeswehr-journal.de/2015/rund-14-milliarden-euro-mehr-fuer-den-verteidigungsetat/ ] und in diesem Jahr wird die Erhöhung sogar 8 Prozent [s. https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2016/09/2016-09-07-etat-bmvg.html ] betragen. Als Militärmacht liegt Deutschland aber immer noch weit hinter Frankreich und Großbritannien zurück. Zu-
dem ist die Erhöhung der Verteidigungsausgaben wegen der militaristischen Vergangenheit Deutschlands ziemlich umstritten. Außenminister Sigmar Gabriel sagte kürzlich, s.http://www.spiegel.de/politik/ausland/nato-treffen-sigmar-gabriel-verweigert-rex-tillerson-die-gefolgschaft-a-1141408.html ], es sei „völlig unrealistisch“, zu glauben, Deutschland werde bei den Verteidigungsausgaben die von der NATO gesetzte Marke von 2 Prozent des BIP erreichen – und zwar auch dann, wenn fast alle Verbündeten, von kleineren europäischen Ländern bis zu den USA, die Bundesrepublik dazu drängten, eine größere militärische Rolle in der Welt zu spielen.
Es kann durchaus sein, dass die Verstärkung der Bundeswehr derzeit noch nicht in dem Maße politisch durchsetzbar ist, wie viele das wünschen, aber seit 2013 gibt es ja das Framework Nations Concept, das es Deutschland ermöglicht, die Eingliederung von Soldaten kleinerer Staaten in die Bundeswehr mit entsprechenden Gegenleistungen zu entgelten. Die kleineren Staaten können auf diese Weise Deutschland stärker in die Absicherung Europas einbeziehen, und Deutschland kann dadurch eine nur schwer durchsetzbare Vergrößerung der Bundeswehr vermeiden. „Das ist eine Entwicklung zu größerer militärischer Unabhängigkeit Europas,“ betonte Masala. „Da Großbritannien und Frankreich nicht dazu bereit sind, die Führung bei der Absicherung Europas zu übernehmen“ – Großbritannien will aus der EU austreten, und das militärische Schwergewicht Frankreich hat sich oft nur zögerlich an multinationalen Unternehmen der NATO beteiligt – „muss Deutschland einspringen,“ ergänzte er. Integrierte bi- und multinationale Einheiten sind schneller verfügbar, weil sie bereits bestehen und nicht erst ad hoc gebildet werden müssen. Die kleineren Partnerstaaten erhalten dadurch auch mehr Einfluss auf militärische Entscheidungen, weil Deutschland seine gemischten Verbände nur mit ihrer Zustimmung einsetzen kann.
Deutschland hat sich nach 1945 verständlicherweise heftig dagegen gesträubt, sein Militär im Ausland einzusetzen, bis 1990 hat es deshalb keine ausländischen Kampfeinsätze der Bundeswehr gegeben [s. http://www.bpb.de/apuz/31580/auslandseinsaetze-der-bundes-wehr?p=all ]. Daher hoffen die bereits einbezogenen und die noch interessierten kleinen Partnerstaaten, das Framework Nations Concept werde Deutschland dazu bringen, mehr Verantwortung für die europäische Sicherheit zu übernehmen. Bis jetzt macht Deutschland mit seinen multinationalen Miniverbänden nur den ersten Schritt auf dem Weg zu einer vollständig integrierten Europaarmee. Aber diese Initiative wird wahrscheinlich wachsen. Die Partner Deutschlands ziehen auch praktischen Nutzen aus der Integration: Die Brigaden Rumäniens und Tschechiens erhalten den gleichen Ausbildungsstand wie die Bundeswehrdivisionen, in die sie integriert sind; die Niederlande, die 2011 ihre Panzer verkauft haben, verfügen durch die Eingliederung ihrer 43. Mechanisierten Brigade in die in Oldenburg stationierte 1. deutsche Panzerdivision nun über deutsche Panzer, die sie bei gemeinsamen Einsätzen nutzen können. Oberst Anthony Leuvering, der Kommandeur der nun ebenfalls in Oldenburg beheimateten 43. Mechanisierten Brigade, sagt mir, bei der Integration habe es bemerkenswert wenige Probleme gegeben. „Die Bundeswehr hat zwar rund 180.000 eigene Soldaten, wir werden aber nicht als Außenseiter behandelt,“ betonte er. Er erwartet, dass noch mehr kleinere Staaten auf den Zug aufspringen: „Viele andere Staaten wollen ebenfalls mit der Bundeswehr zusammenarbeiten.“ Die Bundeswehr habe bereits eine ganze Reihe weiterer kleiner Partner auf ihrer Liste, erfuhr ich von Robin Allers, einem deutschen Gastprofessor am norwegischen Institut für Verteidigungsstudien, der diese Liste gesehen hat. Nach Aussage von Professor Masala wären die skandinavischen Staaten, deren Ausrüstung zu einem großen Teil aus Deutschland stammt, die geeignetsten Kandidaten für die nächste Integrationsrunde der Bundeswehr.
Bis jetzt hat sich kaum jemand über das wenig bekannte Framework Nations Concept aufgeregt; nur wenige Menschen in Europa haben gegen die Integration holländischer oder rumänischen Einheiten in deutsche Divisionen protestiert, weil diese ohne großes Aufsehen vollzogen wurde. Ob es politische Rückschläge geben wird, wenn sich noch mehr Staaten anschließen, ist unklar.
Völlig unabhängig von möglichen politischen Problemen wird sich das Framework Nations Concept erst dann als Erfolg erweisen, wenn sich die integrierten Einheiten im Kampf bewähren. Das heikelste Problem im Frieden und auf dem Schlachtfeld dürfte aber die sprachliche Verständigung sein. Sollen in den integrierten Einheiten beide Sprachen benutzt werden, oder sollten die integrierten Soldaten Deutsch lernen? Der deutschsprachige holländische Oberst Leuvering hat berichtet, in der binationalen Oldenburg-Division werde Englisch bevorzugt.
(Wir haben den Artikel, der auch deshalb aufhorchen lässt, weil er in einem führenden außenpolitischen US-Magazin veröffentlicht wurde, komplett übersetzt und mit Ergänzungen und Links in runden Klammern versehen. Die Links in eckigen Klammern hat die Autorin selbst eingefügt, Weitere Infos über sie sind nachzulesen unter http://www.atlanticcouncil.org/about/experts/list/elisabeth-braw . )
Quelle: http://www.luftpost-kl.de