Selbstbereicherung: Das Belastungsmaterial gegen die Regierung und Erdogans Familie, die tief im Korruptionssumpf steckt, wächst
Nun ist eingetreten, was der türkische Präsident Erdogan mit allen Mitteln verhindern wollte: Der Goldhändler Reza Zarrab packt vor einem amerikanischen Gericht über die Verstrickung türkischer Regierungsmitglieder im Korruptionssumpf aus (siehe Erdogan, die Paradise-Papers und sein Korruptionssumpf). Die Opposition greift das Thema auf und versucht an die Öffentlichkeit zu gehen. Erdogan hingegen versucht die Berichterstattung über den erneuten Korruptionsskandal zu unterdrücken.
Der Vorsitzende der kemalistischen Oppositionspartei CHP, Kemal Kilicdaroglu, soll im Besitz von Kontoauszügen und Gründungsdokumenten einer Offshore-Firma auf der Insel Isle of Man sein, in die Erdogans Familienmitglieder verstrickt sind, berichtet das Nachrichtenportal dokuz8 in einer ganzen Reihe von Twitter-Meldungen (hier in türkischer Sprache) über Kilicdaroglus Rede vor Fraktions- und Parteimitgliedern.
Demnach sollen Familienmitglieder riesige Geldsummen auf das Konto dieser Firma überwiesen haben. Die Firma gehört dem Bekannten Erdogans, Sıdkı Ayhan.
Erdogan bestreitet die Vorwürfe, spricht von einem Komplott und versucht die Presse an der Berichterstattung zu hindern. Der türkische Staatssender TRT hat zum Beispiel genau den Moment der Fraktionsrede von Kilicdaroglu herausgeschnitten, wo er Belege für den Geldtransfer von Erdogan und seiner Familie an die Offshore-Firma im Ausland veröffentlichen wollte. Dieser Moment ist in einem Video festgehalten.
Die Bild-Zeitung listet die Zahlungen des Erdogan-Clans an die Firma auf, die angeblich anhand von Kontoauszügen belegbar sind:
„Erdogans Sohn Burak Erdogan: 3,75 Millionen US-Dollar (3,15 Millionen Euro)
Erdogans Bruder Mustafa Erdogan: fünf Millionen US-Dollar (4,2 Millionen Euro)
Erdogans Schwager Ziya Ilgen: 2,5 Millionen US-Dollar (2,1 Millionen Euro)
Vater von Schwiegertochter Erdogans: 2,2 Millionen US-Dollar (1,85 Millionen Euro)
Erdogans alter Büroleiter Mustafa Gündogan: 1,5 Millionen Dollar (1,26 Millionen Euro)“
Am 27.November begann in den USA der Prozess über die Umgehung von Iran-Sanktionen. Doch in dem Prozess tritt der Goldhändler Reza Zarrab nicht als Angeklagter, sondern als Zeuge auf. Auf der Anklagebank sitzt nun der frühere Vizechef der türkischen Halkbank, Mehmet Hakan Attila.
Über dessen Bank soll die Geldwäsche abgewickelt worden sein, so der Vorwurf. Demnach soll Teheran Gas und Öl in die Türkei geliefert haben. Zarrab soll dann die Rechnung mit Devisen und Gold beglichen haben. Die verbotenen Geschäfte wurden als Lebensmittellieferungen deklariert.
Gegen den ehemaligen Wirtschaftsminister Zafer Cağlayan wird der Prozess in Abwesenheit geführt. Zarrab berichtete im Prozess am Donnerstag, er habe im Jahr 2012 Bestechungsgelder in Höhe von sieben Millionen Dollar an Zafer Cağlayan gezahlt, um die von den USA verhängten Sanktionen zu umgehen. Danach habe der Minister 50 Prozent des der Profite bekommen – insgesamt 45-50 Millionen Euro.
Zafer Cağlayan war ab 2007 Mitglied des zweiten Kabinetts der AKP-Regierung und bis 2009 Industrie- und Handelsminister. Danach wurde er auf den Posten des Staatsministers für Außenhandel gehoben. 2011 wurde er schließlich Wirtschaftsminister und musste 2013 wegen des Korruptionsskandals zurücktreten. Als die Korruptionsaffäre 2013 öffentlich und gegen Familienmitglieder und Erdogans Gefolgsleute ermittelt wurde, ließ Erdogan die Ermittlungen einstellen und die ermittelnden Staatsanwälte entlassen bzw. verhaften.
Im Prozess berichtet Reza Zarrab ausführlich über seine Transaktionen und Bestechungsgelder an Cağlayan. dokuz8 dokumentiert die Aussagen – wiederum in einer Serie von Twitternachrichten.
Erdogan wird nervös
Das Aufrollen des Korruptionsskandalsvon 2013 ist für Erdogan äußerst unangenehm. Nicht nur, dass die Telefonmitschnitte zwischen Vater Erdogan und Sohn Bilal wieder an die Öffentlichkeit geraten, nun sollen den US-Behörden auch noch Audio-Dateien über Gespräche zwischen den Angeklagten und Erdogan vorliegen.
In dem angeblichen Telefonmitschnitt zwischen Erdogan und seinem Sohn Bilal weist Erdogan seinen Sohn an, Millionen Euro aus dem Haus verschwinden zu lassen. Die Erdogan-Familie befürchtet überdies, dass die internationalen Medien sie erneut ins Fadenkreuz nehmen. Würden die Verwicklungen des Clans publik, könnte dies negative Auswirkungen auf die Anhängerschaft von Erdogan haben und ihn womöglich „vom Thron“ stürzen.
Es macht sich nicht gut, wenn darüber berichtet wird, dass der Erdogan-Clan im Istanbuler Bezirk Üsküdar fünf Villen im Wert von sechs Millionen Euro bewohnt, die sich allesamt im Besitz der Söhne Ahmet Burak und Necmettin Bilal befinden. Woher die Söhne das Geld haben, ist unbekannt. Allein das Vermögen von Ahmet Burak Erdogan wird auf 80 Millionen Dollar geschätzt.
Sohn Bilal wurden immer wieder dubiose Geschäfte unterstellt. Neben dem Korruptionsskandal 2013 werden ihm auch Geschäfte mit dem IS vorgeworfen. Laut einem Guardian-Bericht von 2015 sollen mehr als 500 Millionen Dollar im Jahr durch Handel mit Öl an den IS geflossen sein.
Tochter Esra war ebenfalls in den Korruptionsskandal 2013 verwickelt. Sie sitzt mit ihrem Bruder in der von Skandalen umgebenen TÜRGEV-Stiftung. Gegen die Stiftung wird der Vorwurf erhoben, sie würde für Geldwäsche benutzt. Mit von der Partie in der Stiftung sind unter anderem: Serhat Albayrak (Bruder des Schwiegersohns des Präsidenten und Vorstandsvorsitzender der Mediengruppe Turkuvaz), Reyhan Uzuner (Schwager von Bilal Erdogan), Sule Albayrak (Schwägerin von Esra Albayrak) sowie weitere Abgeordnete und Lokalpolitiker der AKP.
Peinlich für die Familie war auch, dass Erdogans Ehefrau die Vorzüge des Harems für Frauen pries: „Der Harem war eine Schule für Mitglieder der osmanischen Dynastie und eine Lehreinrichtung, in der Frauen auf das Leben vorbereitet wurden.“ (Elke Dangeleit)
Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Erdogan-unter-Druck-Zarrab-packt-aus-3905832.html