Am 2. 7. 2017 fand in Marchtrenk im Rahmen des Festivals der Regionen in Zusammenarbeit mit dem „Verein für transnationale Partizipation“ die Veranstaltung „Künstlerinnen in Syrien: Eine journalistische Bestandsaufnahme aus der Mitte des Krieges“ statt. Hier ein paar Eindrücke mit Auszügen aus den Berichten und Präsentationen von Johanna Weichselbaumer.
Ich war von den Berichten und Präsentationen einiger Künstlerinnen aus Damaskus durch die Journalistin, Frau Salwah Saleh, tief beeindruckt. Durch Kunst eine Form des gewaltfreien Widerstands zu finden und, im Gegenteil, den Menschen Mut, Hoffnung und die Sehnsucht nach einem freien, sicheren und besseren Leben zu vermitteln und nicht aufzugeben.
Hier einige Auszüge aus den Berichten und Präsentationen:
Frau Salwah Saleh, Journalistin aus Syrien/Damaskus
„Die meisten Menschen leben in Syrien aufgrund des bis jetzt schon 7 Jahre dauernden Krieges unter unmenschlichen Umständen, sowohl Männer als auch Frauen. Aus diesem Grund sind viele von ihnen auf der Suche nach Sicherheit in benachbarte Länder oder nach Europa geflüchtet. Ich bin der Überzeugung, dass jeder Mensch ein Recht auf Sicherheit hat.
Viele sind aber auch, trotz der gefährlichen Situation geblieben. Männer werden in Syrien jeden Tag in größerer Zahl getötet, entweder während des Kampfes oder auch als Zivilisten. Frauen sind vielfach Opfer von Mörsergranaten, von Entführung, Vergewaltigung und Mord. Zudem müssen sie müssen sie mit dem Verlust ihrer Männer, ihrer Söhne oder aller ihrer Kinder fertig werden und haben mit extremen psychischen Belastungen zu kämpfen. Erschwerend kommt hinzu, dass viele ihre Arbeit verloren haben, gleichzeitig steigen die Mieten und die Preise für Grundnahrungsmittel. Viele Frauen müssen ihre Wohnung verlassen, weil sie sich diese nicht mehr leisten konnten oder diese durch Kriegshandlungen zerstört wurden.
Als syrische Journalistin ist es mir ein Anliegen das Scheinwerferlicht auf Frauen zu richten, die trotz der Widrigkeiten des Krieges sich weiterhin ihrer Kunst widmen und versuchen, damit diesem hässlichen Krieg etwas entgegenzusetzen.
Im Rahmen meiner Arbeit für Kulturzeitschriften und Zeitungen habe ich während des Krieges viele Presse-Interviews mit solchen Frauen geführt.
Dabei hatte ich mit einigen Problemen zu kämpfen. Die größten Herausforderungen waren unter anderem die nötigen Sicherheitsvorkehrungen, die ständigen Stromausfälle und die vielen Kontrollpunkte, die eine kurze Strecke zu einer endlosen Reise machen können. All den Schwierigkeiten habe ich mich deshalb gestellt, weil es mir ein großes Anliegen ist, diesen Frauen Aufmerksamkeit und Gehör zu schenken – insbesondere deshalb, weil viele dieser Frauen selten bis nie von den Medien beachtet werden.
Ich bin stolz auf diese Frauen, sie haben das Recht, dass ihre Arbeit anerkannt und gewürdigt wird.
Ich habe einige Beispiele von kreativen Frauen ausgewählt, die ohne jegliche finanzielle Unterstützung und ohne jegliche Anerkennung Kunstwerke schaffen. Sie stellen sich dem Krieg und seinen tragischen Auswirkungen und geben die Hoffnung auf ein besseres Leben für die Menschen in Syrien nicht auf.
Ich glaube, dass dieses Schaffen unter den schwierigen Bedingungen des Krieges viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Man kann davon so vieles lernen.“
Nuha Gbara, Malerin
Nuha musste mit ihrem Mann und ihren 4 Kindern die Wohnung in Jobar nahe Damaskus verlassen. Ihre Wohnung und ihr Atelier mit all ihren Werken wurden zerstört und verbrannt. Sie hat alles, was sie an Bildern, Büchern, Fotos und Erinnerungen hatte verloren. Trotzdem macht sie weiter und drückt ihre Erlebnisse in ihren Werken aus. Zuletzt wurden ihre Bilder in einem Gesundheitszentrum ausgestellt.
Nuha erzählt von ihrer Flucht: “Alles was ich mir gewünscht habe war, die notwendigen 20 Meter in die Sicherheit zu überwinden ohne dass eines meiner Kinder von einem Scharfschützen verletzt oder getötet würde. Ich habe alles hinter mir gelassen. Schmerz und tiefes Leid spüre ich jedes Mal wenn ich mich an meine Bilder erinnere. Ich vermisse das Alles sehr und trotzdem will ich die Hoffnung nicht aufgeben. Ich will mich nicht einer Aussichtslosigkeit hingeben und bereite gerade meine dritte Einzelausstellung vor.“
Die Gesichter in ihren Werken drücken Leid und Schmerz, aber auch Hoffnung und Zuversicht aus. Das Bild, das ein Gesicht in Flammen zeigt, geht offensichtliche auf ihre eigene traumatische Erfahrung, der Vernichtung ihrer Wohnung und ihrer Erinnerungen zurück. Das Antlitz lässt sich nicht einmal durch die Kraft der Flammen zerstören.
Die Schwestern Ragaa und Safaa Oabi, Bildhauerinnen
Ragaa und Safaa gestalteten eine Reihe von Wandgemälden im öffentlichen Raum in Damaskus, für die sie Rohstoffe und recycelte Materialien verwendeten. Sie sehen ihre Arbeit als Widerstandsakt gegen die Zerstörung und Dunkelheit des Krieges. Eines dieser Kunstwerke wurde vor zwei Jahren vom Guinessbuch der Rekorde ausgewählt.
Die beiden Schwestern setzen ihre Werke meist ohne Bezahlung um, oft unter schwierigen Bedingungen, bei Hitze, extremer Kälte sowie großem Gefahreneinfluss. Ihre künstlerische Arbeit ist auch körperlich sehr anstrengend. Sie müssen entweder klettern oder Leitern ohne Sicherungen benutzen, um in die gewünschte Höhe zu gelangen.
Bis heute verwirklichten sie mehr als acht Großprojekte in Zusammenarbeit mit dem Team „Rhythmus des Lebens“. Das neueste Projekt ist eine Skulptur auf alten Baumstämmen im Al Manshia in Damaskus.
Safaa: „Diese Arbeit macht uns Freude. Der Krieg in Syrien hat uns Motivation gegeben, noch mehr zu arbeiten. Unser Ziel ist es, der Hässlichkeit des Krieges etwas entgegenzusetzen. Unsere Arbeit tangiert die Bereiche Kultur, Bildung, Umwelt und Gesellschaft, was uns ein großes Anliegen ist und weswegen wir uns keine großen Gedanken um unser Einkommen machen. Uns ist wichtig, dass unser künstlerisches Schaffen die Menschen berührt und sie inspiriert. Wir sind stolz, wenn sich die kommenden Generationen an uns und unseren Kampf um Schönheit und Hoffnung erinnern.“
Ragaa spricht von den anstrengenden und gefährlichen Rahmenbedingungen, unter denen sie ihre Arbeit umsetzen. „Wir sind in jeder Sekunde den Gefahren des Krieges, den Bomben, Explosionen, Raketen usw. ausgesetzt. Manchmal hören wir Kampfgeräusche und suchen Schutz hinter einer Mauer oder unter einem Dach, bis die Gefahr vorüber ist. Wir spüren Angst, aber gleichzeitig glauben wir an unsere Arbeit, was uns die Kraft gibt weiter zu machen.“
Zusätzlich erschweren Transportprobleme sowie lange Wartezeiten selbst bei kurzen Strecken wegen der Staus und Checkpoints ihre Arbeit. Sie verwirklichen ihre Kunstwerke unter gefährlichen Bedingungen und einfachsten Mitteln, wodurch sie immer wieder Verletzungen erleiden.
„Mit dem Glauben an unsere Arbeit überwinden wir jede Angst. Wir finden Erfüllung darin, dass unsere Kunstwerke jeden, egal ob alt oder jung, der an ihnen vorbeigeht, zum Lächeln bringt und die Hässlichkeit des Krieges vergessen lässt. Nur mit Liebe haben wir das alles geschafft.“
Ilham Saaod, Komponistin
Ilham ist Dirigentin und Komponistin in Syrien. Sie komponiert Lieder für Kinder und hat bereits 270 Lieder in ihrem Archiv. Sie ist 87 Jahre alt und lebt alleine.
„Ich bin froh, dass ich die Angst überwunden habe und in Syrien geblieben bin. Der Krieg hat mich davon nicht abhalten können, meine Vorträge über beeindruckende Musiker zu halten und auch zu spielen und zu komponieren. Ich arbeite gerade an einem Lied für Kinder, das ‚Jasmin‘ heißt. Ich bin mir sicher, dass Syrien eine Wiedergeburt schafft und daran will ich mitarbeiten.“
Ragaa Makhlof, Fashion Designerin
Ragaa entwirft Kostüme, Kleider und Accessoires für Filme und Serien. Sie begleitet das Shooting-Team inner- und außerhalb Syriens. Sie hat eine Reihe von schweren und unmenschlichen Umständen erlebt. Sie sagt trotzdem: „Nichts kann mich hindern, das zu tun, was ich mit Leidenschaft mache. Ich habe während des Krieges an vielen Projekten teilgenommen. Das letzte war die Serie ‚Orchidia‘. Ich wollte unbedingt in meiner Werkstatt in Damaskus arbeiten, obwohl der Film in Tunesien und Rumänien gedreht wurde. Alle haben sich gewundert, dass ich tausende Kleider in einem Kriegsgebiet gemacht habe. Auch darüber, dass es in den syrischen Geschäften immer noch so gute Materialien und Stoffe gibt, insbesondere den berühmten Brokat aus Damaskus; und darüber, dass die syrischen Werkstätten so sorgfältig, detailgenaue Kleidung, Schuhe und Accessoires produzieren können.“
Ragaa weiß, dass viele syrische Frauen nach dem Verlust ihrer Männer, mehr als vorher Verantwortung übernehmen müssen.
„Ich versuche in meiner Werkstatt die Frauen zu motivieren, dass sie trotz der widrigen Umstände weiter arbeiten. Unsere Werkstatt ist weit weg vom Zentrum von Damaskus. Wir müssen durch Gebiete fahren, in denen es Kriegshandlungen gibt. Ein paar Mal sind Bomben nicht weit von uns entfernt explodiert. Andere Probleme, die unsere Arbeit erschweren sind die ständigen Stromausfälle. Ich habe viel Energie gebraucht, um meine Arbeit zu erledigen und ein Vorbild für andere Frauen zu sein.“
Ilham Bakir, Managerin einer Kunstgalerie
In der Zeit, als alle Galerien in Damaskus zugesperrt haben, hat Ilham ihre, im Zentrum gelegene Galerie zu einer permanenten Ausstellung gemacht, in der ständig Kunstwerke zu sehen sind. Sie hat einige Ausstellungen syrischer Künstlerinnen und Künstler realisiert und auf diese Weise versucht, der allgegenwärtigen Finsternis und Hässlichkeit etwas entgegenzusetzen. Die letzte Ausstellung war am vergangenen Frauentag. Sechs Künstlerinnen haben ihre Kunstwerke gezeigt, die das Leiden der Menschen während des Krieges dokumentieren.
Ilham: „Unser Anliegen ist es, Respekt für die Frauen einzufordern, insbesondere dafür, was sie unter den schwierigen Umständen und den extremsten Bedingungen geleistet haben. Frauen sind auch extrem wichtig für die Entwicklung der Gesellschaft. Wir müssen den Frauen danken, sie werden die Zukunft Syriens mitgestalten.
Dr.in Malka Abyad
Frau Dr. Abyad ist bereits 90 Jahre alt und schreibt immer noch Bücher für Erwachsene, Jugendliche und Kinder. Ihre Kinder leben in Kanada und in den Golfstaaten. Sie laden sie immer wieder ein, Syrien zu verlassen und zu ihnen zu ziehen. Sie haben Angst um sie und sind überzeugt, dass es bei ihnen eine bessere Atmosphäre zum Schreiben, Forschen und Recherchieren gibt.
Aber sie will es nicht. Sie trotzt der psychischen Belastung, der Angst, den alltäglichen Schwierigkeiten und macht weiter. Sie glaubt daran, dass das Leben trotz allem weitergehen muss. Vor einigen Tagen wurde ihr letztes Buch in Damaskus veröffentlicht.
Zum Schluss der Veranstaltung weist Frau Salwah Saleh noch einmal darauf hin, wie wichtig Kunst gerade in Zeiten des Krieges ist, weil sie Botschaften übermittelt und auch das tägliche Leiden der Menschen dokumentiert.
Für die Weitervermittlung des Inhaltes der Veranstaltung:
Johanna Weichselbaumer
(Werkstatt-Blatt 3/2017)
Quelle: http://www.solidarwerkstatt.at/international/kuenstlerinnen-in-syrien-die-hoffnung-nicht-aufgeben