Die Erdogan-Gegner werden im Wahlkampf immer lauter. Niemand tritt vor die Presse, ohne Erdogan und seine Attacken zur Sprache zu bringen und der liefert auch genügend Gründe dafür. Aber was ist mit dem Kalkül der Parteien, wenn die Wahlen vorbei sind und wenn Erdogan irgendwann weg ist? Die deutschen Staatsparteien haben nach dem „fishing for“ Wählerstimmen etwas Größeres im Sinn. Wie immer erfährt man das natürlich nicht.
Die Gülen-Bewegung ist eine islamisch-faschistische Organisation, sie war der große Bruder der AKP und regierte jahrelang im Einklang mit Erdogan. Zuletzt hatte die Gülen-Jünger ihre Ideologie „Islam gegen Kommunismus“ zusammen mit der AKP großflächig umsetzen können, aber schon vorher wurde diese Politik von allen großen Parteien der Türkei gelehrt und unterstützt. Auch die CHP (= Sozialdemokraten) lobte Gülen und seine Bewegung, die sich in allen Bereichen des Staatsapparats, Polizei, Militär und Justiz etablieren konnte sowie, mit Unterstützung des Westens, im „Anatolischen Kapital“ organisierte.
Der Partner wird zum Feind
Nach den Gezi-Protesten eskalierte der Machtkampf um die Vorherrschaft im türkischen Staat zwischen Erdogan und Gülen. Noch kurz davor hatten beide gemeinsam Operationen durchgeführt, um Armee, Polizei, Staatsapparat und Justiz von Kemalisten zu „säubern“. Nach dem weiteren Erstarken der Gülen-Bewegung begann Erdogan nun diese zu entmachten. Er sagte offen, „wir haben ihnen alles gegeben was sie wollten, was wollen sie denn noch“.Neben der Diskreditierung Gülens begann Erdogan, mit Hilfe von Denunzianten, Gülen-Anhänger zu verfolgen, dieses gipfelte schließlich in dem angeblichen Militärputsch, der auch als „kontrollierter Putsch“ bezeichnet wird. Der Westen zögerte die Version Erdogans sofort zu akzeptieren, zu dilettantisch war die Durchführung des Putsches. Und wenig glaubwürdig waren die, innerhalb weniger Tage präsentierten, Listen mit den Namen hunderttausender Menschen, die nun verfolgt und verhaftet wurden. Diese Listen müssen schon lange vorher existiert haben.
Aber zurück zur Gülen-Bewegung und dem Kalkül des deutschen Staats.
Die Gülen-Anhänger besetzten wichtige Positionen in allen Bereichen, vor allem im Justizapparat.
Sie waren es, die die Verhaftungen von hunderttausenden Menschen der Gezi-Proteste durchführen ließen. Und auch bei dem brutalen Vorgehen der Polizei, mit unzähligen Schwerverletzten und Toten, hatten sie ihre Finger im Spiel. Und es werden auch jetzt, nach über vier Jahren, immer noch Menschen, die sich an den Protesten beteiligt haben oder mit diesen in den sozialen Netzwerken solidarisiert hatten, vor Gericht gestellt.
Und auch das Vorgehen von Spezialeinheiten der Polizei und des Militärs in den kurdischen Gebieten, die Verhaftungen und Ermordung vieler Menschen, die Bombardierung kurdischer Städte gehen genauso auf das Konto der Gülen-Bewegung wie auf Erdogans AKP.
Die von „Gülen“-Richtern verkündeten Gerichtsurteile sind nach wie vor gültig und auch für die Ermordung der Menschen musste niemand Rechenschaft ablegen, geschweige denn wurde Anklage erhoben. Egal ob Erdogans AKP oder Gülen-Bewegung, keinem wird der Prozess gemacht.
Die Frage ist, wie viel deutsche Geheimdienste von Folter, Ermordungen und Schauprozessen gegen Menschen in der Türkei wussten und welche Informationen an Parlamentarier/Parteien weitergegeben wurden.
Die Verhaftungen einiger Deutscher in der Türkei, sind aktuell in den Medien sehr präsent. Aber was ist mit den vielen anderen Verhaftungen? Nach einer parlamentarischen Anfrage der CHP, gab das türkische Justizministerium bekannt, dass derzeit 69.301 Gymnasial- und Berufsschüler sowie Studenten inhaftiert sind. Mehr als die Hälfte, nämlich 36.033 sind minderjährige Schüler. Zum Vergleich, im Mai 2013 waren insgesamt 2.776 Schüler und Studenten in Haft. Wie viele Schüler und Studenten derzeit von Schule/Universität ausgeschlossen sind, ist unbekannt. Und wie viele der aktuell inhaftierten Schüler und Studenten durch Gülen-Anhänger verurteilt wurden, ist auch nicht bekannt.
Nach dem sogenannten „Militärputsch“ sind die Gülen-Anhänger nun plötzlich „Opfer“. Möglicherweise sind viele Täter in der BRD und haben hier Asyl beantragt. Die Namen der, in der E.U. und BRD Asylbeantragenden kann man nur den türkischen Medien entnehmen. Darunter befinden sich namhafte Richter, Staatsanwälte und Offiziere der Gülen-Bewegung, die nun hier ihre Freiheit genießen, während ihre Opfer in der Türkei in den Gefängnissen sitzen und gefoltert werden, wenn sie nicht schon getötet worden sind.
Natürlich sollte niemand an Erdogan ausgeliefert werden, aber diese Täter sollten sehr wohl hier vor Gericht gestellt werden. Das geht leider nicht, die Gründe folgen am Ende dieses Artikels.
Paradox ist auch, dass die Gerichtsurteile gegen “Oppositionelle“(also in Konsequenz die Inhaftierung von Schülern/Studenten, Arbeitern, Akademikern, Journalisten) verkündet von Richtern und mit Hilfe von Staatsanwälten, die jeweils später als Gülen-Anhänger verhaftet wurden, nach wie vor Bestand haben.
NATO Generäle als Terroristen
Als Erdogan die türkischen NATO Generäle von NATO Stützpunkten in Europa (u.a. Brüssel) als Terroristen bezeichnete und deren Auslieferung verlangte, konnten die NATO-Staaten dieses nur ablehnen. Was für eine Vorstellung – „Terroristen“ im NATO-Generalstab, mit allen Geheimnissen/internen Informationen der NATO vertraut!
Eins ist klar, die Einsatzbereiche und –orte der Generäle sind der NATO und ihren Partnern bekannt: wo sie Dienst geleistet haben, als die Türkei die kurdischen Dörfer bombardiert hat oder als die Türkei den IS mit Waffenlieferungen und militärischer Ausbildung unterstütze …. Wo hatten die Generäle Dienst, als in den 90iger Jahren 5.000 kurdische Dörfer dem Erdboden gleich gemacht und die Bewohner vertrieben wurden? In einigen türkischen Medien gibt es Hinweise, dass diese Herrschaften keine weißen Westen haben. Diese Medien berichten sehr vorsichtig, da sie Erdogan auf keinen Fall den Rücken stärken wollen.
Aber was hat das alles mit den Wahlreden gegen Erdogan in der BRD zu tun?
Die Täter und Mittäter der AKP-Regierung können hier nicht zur Rechenschaft gezogen werden, da sie der „Plan B“ der BRD / E.U. sind. Die oben beschriebenen Täter sind nun die Opfer des Regimes, das sie selbst mit aufgebaut haben. Und als Opfer werden sie in Unschuld gewaschen in die Türkei zurückkehren, wenn das Erdogan Regime stürzt, um dort ihren Dienst fortzuführen. Diese „Opfer“ an den entsprechenden Stellen des türkischen Staates, werden einen Umbruch herbeiführen, aber Aufarbeitung, Rehabilitation/Entschädigung der echten Opfer ist mit ihnen unmöglich. Denn tatsächlich sind sie „Täter-Opfer“ und die demokratischen Kräfte werden ihren Angriffen weiterhin ausgesetzt sein.
Verfasst für freiesicht.org