Es gibt derzeit kaum ein Land, in dem die Stimmung der Menschen so auf und ab geht wie in der Türkei. Während das Land im politischen, wirtschaftlichen, moralischen, rassistisch-ethnischen Chaos versinkt, lässt die AKP Regierung die Massen eine Sumpflandschaft durchqueren.
Obwohl jeder mit den Folgen der 15-jährigen Regierungszeit der AKP zu kämpfen hat, setzen einige demokratische Kräfte nur auf die eine Karte „Referendum“, ohne die Konsequenzen durchgedacht zu haben. Erdogan schafft es immer wieder die Tagesordnung der demokratischen Kräfte zu bestimmen, sie tappen jedesmal wieder in die Falle.
Die Probleme der Gesellschaft werden in den Hintergrund gedrängt und man/frau sind nur noch auf Erdogans “Tagesordnung“ fixiert. Wie viele andere Regierungschefs, beherrscht auch Erdogan die Kunst der Ablenkung.
In der 15-jährigen Regierungszeit hat er schon mehrmals bewiesen, dass es funktioniert. Die Frage ist, ob man/frau etwas daraus gelernt hat.
Wie sollen die demokratischen Kräfte mit dieser Politik umgehen?
Darf man/frau zulassen, dass ein Mann die Tagesordnung der Massen bestimmt?
Wie kommt es dazu, dass wir ihn mit seiner “Zuckerbrot und Peitsche“-Politik gewähren lassen?
Er gestaltet die Tagesordnung so, wie er will und lässt die Massen mit der Strömung schwimmen, wie “tote Fische“. Diejenigen, die gegen die Strömung schwimmen, bekommen die Peitsche zu spüren, während die anderen ihr “Zuckerbrot“ in Stille genießen.
Nun steht das Referendum zur neuen Verfassung im Vordergrund. Alle schwimmen auf einer Welle der Emotionen, alle sind sensibilisiert und zugleich gespalten. Alle hoffen, dass das Ergebnis ihrem Wunsch entsprechen wird. Was danach kommt, scheint nicht von Interesse zu sein.
Pardon…? Was passiert da eigentlich?
Wie kann man die Massen so ausschließlich auf ein “Nein“ fokussieren?
Was bedeutet nur “Nein“ zu stimmen?
Die meisten, die mit “Nein“ stimmen werden, haben die Politik der AKP, haben Erdogan sowieso satt. “Nein“ bedeutet den Ausbau der Macht von Erdogan zu verhindern, schafft aber nicht im gleichen Zug die Missstände des Landes auf einen Schlag ab. Das “Nein“ muss daher mit Inhalten gefüllt werden.
Der Widerstand sollte nicht wie eine Protestbewegung organisiert werden, stattdessen ist die Schaffung einer nachhaltigen Zusammenarbeit innerhalb der Widerstandbewegung der demokratischen Kräfte notwendig.
Wir können die Gelegenheit nutzen und den Spieß umdrehen, die 15-jährige neoliberale Politik von Erdogan den “mit dem Strom schwimmenden Massen“ erklären. Schließlich sind sie doch die Leidtragenden seiner Politik, die sensibilisierten Massen sind zurzeit ansprechbar, wenn man ihre alltäglichen Probleme in den Fokus setzt. Das Chaos in der Türkei ist allein Erdogans Politik zu verdanken. Man muss die Menschen mit den Folgen der zensorischen Politik von Erdogan konfrontieren. Den Massen muss immer wieder aufgezeigt werden, dass es Erdogan ist, der für die sozialen, politischen, wirtschaftlichen, moralischen, ethnischen, kriegerischen, spaltenden, rassistischen Missstände verantwortlich ist. Seine alleinige Schuld an der Misere des heutigen Zustands des Landes muss an Erdogan haften bleiben.
Seine Verantwortung für die Verwüstung der kurdischen Städte und die Ermordung vieler Bewohner muss ihm immer wieder angelastet werden.
Die 15-jährige Unterdrückung von Frauen, Arbeitern, Studenten, Akademikern, muss der AKP angelastet werden.
Die jahrelange Unterstützung der Gülen Bewegung und der Dschihadisten sowie die Bombenattentate im ganzen Land, müssen den Völkern erklärt werden.
Erdogan will, dass wir uns nur auf eine “Nein“ Kampagne konzentrieren und uns an seine Tagesordnung halten, alle anderen Themen sollen nicht angesprochen werden.
Wenn es uns gelingt das “Nein“ mit Inhalten gegen seine unerträgliche Politik zu füllen und damit die Massen zu erreichen, schaffen wir damit eine Basis, auf der wir für die Zukunft aufbauen können:
Erstens; Erdogan bietet mit diesen Themen mehr Angriffspunkte,
Zweitens; Wir frischen die Erinnerung der Massen an den Verursacher des Chaos im Land auf,
Drittens; Wir regen die in Vergessenheit geratenen Gefühle für Demokratie und Stabilität an,
Viertens; Wir schaffen endlich die Basis für eine gemeinsame Widerstandspolitik der demokratischen Kräfte, die mögliche Alternativen anbieten kann.
Es ist also viel zu tun, wir sind der Aufgabe gewachsen das Referendum zu nutzen, um der AKP Regierung die Stirn zu zeigen.
Es gilt die hier in Europa lebenden türkischen Staatsbürger, fern der “Heimat“ davon zu überzeugen, dass es sie etwas angeht, wenn das Regime in der Türkei grundlegend zu Gunsten des “einen Mannes“ geändert wird. Die Zukunft unserer Kinder, auch hier, hängt davon ab.
Sie werden auch hier von einer “Ein Mann“ Regierung vertreten. In ihrem Namen werden Staatsverträge z.B. mit Deutschland abgeschlossen. Sie werden in absehbarer Zeit damit konfrontiert werden, ob sie es wollen oder nicht. Ein Mann entscheidet über alles, ohne darüber Rechenschaft ablegen zu müssen; was die Zukunft unserer Kinder betrifft: doppelte Staatsbürgerschaft, doppelte Rente, Eigenturm in der Türkei….
Ob unsere Töchter die Konsulate ohne Kopftuch betreten können, bleibt genauso offen, wie die Frage, ob sie überhaupt bzw. mit/ohne Kopftuch in die Türkei reisen können oder ob sie mit Turkish-Airlines fliegen dürfen.
Sie wollen, dass wir ihre Auslegung des Islam akzeptieren, aber die Lebensweise von Millionen Menschen respektieren sie nicht.
Es liegt in eurer Hand das zu verhindern oder es zumindest zu versuchen!
Sprecht mit euren Nachbarn, Kollegen, Verwandten, Bekannten.
Nehmt euch die Zeit, geht zum Referendum und stimmt mit “Nein“!
Und wenn ihr euch nicht sicher seid, dann bleibt zu Hause, anstatt “ja“ zu sagen!
Verfasst für Freiesicht.org