61 Mal verboten, 62 Mal wieder online
Wir begannen unseren Weg im Jahr 2001, als die Internet-Nutzung in der Türkei noch begrenzt war. Wir wollten dem weltweiten Kampf der Arbeiter*innen und den Bewegungen gegen Globalisierung und kapitalistische Politik eine Stimme geben. In den letzten 17 Jahren haben wir über soziale und betriebliche Proteste und Kämpfe aus der Türkei und von überall auf der Welt berichtet. In harter Arbeit, mit Finanzierung nur aus unseren eigenen Mitteln ist es uns gelungen, Informationsquelle, intellektuelle Plattform und Stimme der sozialen Opposition in der Türkei zu werden. Wir versehen die Mauern der Zensur mit Löchern und erreichen breite Teile der Bevölkerung. Wir sind aktiver Teil der sozialen Bewegungen. Kein Wunder, dass die Herrschenden uns heute feindselig gegenüberstehen.
Während wir Nachrichten über Proteste und Arbeitskämpfe produziert und veröffentlicht haben, haben wir auch selbst gelernt und sind gewachsen. Vom Kampf der Arbeiter beim Tabakriesen Tekel in Ankara, der Mitte Dezember 2009 begann, haben wir rund um die Uhr live berichtet, bis die Arbeiter ihren Protest gegen die geplanten Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen nach 78 Tagen erfolgreich beendeten. Mit dieser Erfahrung im Hintergrund gründeten wir im Jahr 2013 “Çapul TV”, während die Gezi-Proteste zu einem landesweiten Aufstand gegen die rückwärtsgewandte Politik und die Repressionen der AKP anwuchsen. “Çapul TV” war das einzige Internet-Fernsehen, das live aus dem Gezi-Park berichten konnte. Wir erreichten ein Millionenpublikum. Während der Gezi-Proteste schickten uns unzählige freiwillige Reporter*innen Informationen von den Barrikaden überall im Land und bereicherten so unsere Berichterstattung auf Sendika.Org. Wir wurden in dieser Zeit zu einer wesentlichen Quelle verlässlicher Informationen gegen die herrschende Zensur in den türkischen Medien. Die Zahl der täglichen Besucher*innen unserer Seite wuchs auf 200.000.
Als die Türkei und der Nahe Osten immer weiter in Kriegszustände gerieten, haben wir unsere Reporter*innen in die Konfliktgebiete geschickt. Wir wollten nicht nur die Stimme entweder des westlichen oder des östlichen Teils der Türkei sein, sondern die Stimme des Widerstands insgesamt. Wir haben uns bei der Praxis kollektiver Berichterstattung immer am historischen Erbe der Arbeiter*innen-Bewegung orientiert. Dieses Erbe gab uns Kraft. Unsere Nachrichten produzieren wir mit einem plattform-unabhängigen Verständnis von alternativen Medien unter Nutzung aller Möglichkeiten der neuen Kommunikationstechnologien. Über verschiedene Partnerseiten haben wir unsere Reichweite und inhaltliche Bandbreite vergrößern können: mit “latinbilgi.net” , dem größten Archiv an türkischsprachigen Nachrichten und Artikeln über die progressiven sozialen Bewegungen in Lateinamerika; “5deniz.net”, die während des Arabischen Frühlings gegründet wurden und über die progressiven nationalen Bewegungen im Nahen Osten berichten; “sendika.tv”, dem Internet-Fernsehen für die Arbeiter*innen-Bewegung und gewerkschaftliche Kämpfe; und “Hayır TV” als gemeinsame Stimme aller, die sich gegen das Verfassungsreferendum des türkischen Präsidenten vom April 2017 ausgesprochen haben. Seit der Gründung 2006 gehören wir außerdem zu den maßgeblichen Organisatoren des “Arbeiter*innen-Filmfestivals”.
Der 17. Jahrestag unserer Gründung begann für uns mit Zugangssperren zu unserer Seite innerhalb der Türkei, mit Gerichtsverfahren und Polizeigewahrsam gegen Redaktionsmitglieder. Gegen die erste Welle der Restriktionen im Juli 2015 hatten wir geantwortet: “Wir werden diese Tyrannei nicht akzeptieren! Der Zensur beugen wir uns nicht! Sendika.Org wird nicht schweigen!” Damals setzten wir unsere Berichterstattung auf einer neuen Webseite fort: sendika.tv. Innerhalb von 24 Stunden wurde auch sendika.tv zensiert. Als nächste Adresse wählten wir sendika1.org. Bis heute wurde unsere Seite nach jeder sozialen Bewegung auf den Straßen zensiert, manchmal sogar davor. Wir eröffneten immer neue Seiten, sendika2.org, sendika3.org … sendika50.org, und setzten unsere Arbeit fort. Die vergeblichen Zensurbemühungen verschärften sich vor dem Verfassungsreferendum im April 2017. Wir wurden in der Zeit fast täglich zensiert. Einer unserer Redakteure, Ali Ergin Demirhan, kam nach einer Razzia in unserem Büro in Polizeigewahrsam, wo er sechs Tage lang festgehalten wurde. Ihm wurde vorgeworfen, das “Ja” aus dem April-Referendum als illegitim kritisiert zu haben. Ein anderer Redakteur, Çağlar Özbilgin, wurde festgenommen, als er vor Gericht in einem anderen Verfahren eine Aussage machen wollte. Nach seiner Aussage wurde er wieder freigelassen.
Heute haben wir zum 61. Mal eine Zensur unserer Seite erfahren. Wir machen unter sendika62.org weiter. Das ist Weltrekord. Ein Rekord sowohl für die AKP-Regierung, die dieselbe Seite wieder und wieder behindert, ein Rekord aber auch für uns, die wir die Barrieren der AKP gegen unsere Berichterstattung wieder und wieder überwinden. Die AKP-Regierung setzt ihre repressive, ungesetzliche, rückschrittliche Politik unbeirrt fort. Wir sind uns sicher, dass sie den Druck gegen uns und die Versuche, uns zu zensieren, noch verstärken werden. Wir aber werden uns von unserem Weg nicht abbringen lassen. Unsere Antwort gegen ihren Faschismus lautet immer wieder: Sendika.Org wird nicht schweigen! Alle Menschen haben das Recht auf Kommunikation und wahrheitsgemäße Information. Wir werden nicht aufhören, dieses Recht zu verteidigen. Stolz verkünden wir allen Freunden und allen Feinden da draußen: Wir werden unsere Nachrichten auch weiterhin verbreiten. Wir wissen: Der Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Zensur, den wir mit unseren Stiften, unseren Kameras, Tastaturen und Worten leisten, an unserem Schreibtisch und auf der Straße, dieser Widerstand entspringt einer historischen Verantwortung.
Als Freund*in und Verbündete*n in unserem Kampf bitten wir Dich um Unterstützung dabei, dass unsere Stimme überall in der Türkei und auf der Welt gehört wird. Wir bitten Dich:
Teile unsere Geschichte auf Deinen Social Media Accounts und lass uns und alle um Deine Unterstützung wissen.
#sendikaorgwirdnichtschweigen / #nachrichtenfueralle
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Mit solidarischen Grüßen
das Team von Sendika.Org