Wie die Türkei und die von ihr angeheuerten Milizen den syrischen Distrikt mit Mafia-Methoden umgestalten. Zurückgeben an die „verbrecherische“ Regierung Assad will man Afrin nicht
Die Türkei wird Afrin nicht an Syrien zurückgeben. Das haben türkische Vertreter schon mehrmals verlauten lassen. Jetzt sagte der stellvertretende Premierminister Recep Akdag der Zeitung Die Welt gegenüber noch einmal ganz deutlich: „Es ist völlig unvorstellbar, dass wir Afrin an die Assad-Regierung zurückgeben. Das ist doch keine demokratische Regierung.“
Mit dieser Haltung wird die türkische Regierung über kurz oder lang in Konflikt mit Russland geraten. Außenminister Lawrow hatte seinerseits darauf hingewiesen, dass die Türkei Afrin an die syrische Regierung zurückgeben müsse.
Die türkische Regierung hat sich dafür eine diplomatische Formel ausgedacht, die erstmal als verbale Pufferzone dient. Man wolle das Gebiet „schnellstmöglich dem syrischen Volk zurückgeben“, erklärte Aldag.
Die Türkei wolle sich „nicht langfristig“ in Afrin festsetzen. Einziges Ziel, außer der Rückgabe des Gebiets an das syrische Volk, sei es „im Kampf gegen terroristische kurdische Gruppen wie die YPG die Sicherheit der Türkei zu verteidigen“.
Russland und Iran brauchen die Türkei
Da die Genfer Gespräche angesichts der Lage der Opposition in Syrien im Moment keine Aussicht darauf hätten, irgendetwas politisch Relevantes zu erreichen, das zu Verhandlungen nach dem Genfer Modell ermutigt, liegt das Hauptgewicht für einen politischen Prozess mit Aussicht auf Verwirklichung bei der Astana-Gruppe.
Dafür brauchen Russland und Iran – und damit auch die Regierung in Syrien – die Türkei, die als „Garantiemacht“ für die oppositionellen Gruppen fungiert. Der Fokus geht nach Idlib, wo die Türkei soeben den letzten Beobachtungsposten für die Deeskalationszone aufgestellt hat. Von den Regelungen, welche die Türkei mit der dort dominierenden Miliz Hayat al-Tahrir al-Sham abmachen kann, hängt viel ab.
Erdogan braucht die Afrin-Erfolgstory
Die Situation in Idlib ist kompliziert. Idlib drängt sich momentan als das wichtigere Gebiet für Damaskus auf als Afrin. Die Zeit dafür, die Türkei wegen der Rückgabe von Afrin zu bedrängen, ist aus russischer und syrischer Sicht nicht günstig. Dieses „Fenster“ nutzt die Türkei. Am 24. Juni steht die Wahl an, die Erdogan enorm wichtig ist. Afrin soll eine Erfolgsgeschichte sein.
Angesprochen auf die humanitäre Situation in Afrin, beteuert sein Vizepremier Recep Akdag im erwähnten Interview mit der Welt, dass die Kritik der Vereinten Nationen und der EU „nicht stimmt“. Die Lage sei in anderen Teilen Syriens schlecht. Er fügte hinzu: „Ich bin gerne bereit, alle Seiten nach Afrin einzuladen, um zu sehen, was dort wirklich passiert.“
Laut UNHCR-Bericht sind 137.000 Personen aus Afrin geflüchtet. 100.000 der Binnenflüchtlinge (IDPs) sind in Tal Refaat untergebracht, häufig in Zeltlagern. Die Flüchtenden würden über „Gesetzlosigkeit, Entführungen und Plünderungen“ in Afrin sprechen (siehe dazu hier und hier).
Geht es nach Informationen des kurdischen Mediums Civaka Azad, so ist die Aussage des stellvertretenden Premierministers Akdag auch an anderer Stelle nicht wirklich zutreffend. Seine großzügige Einladung an alle Seiten, nach Afrin zu kommen, um nachzuschauen, was dort los ist, stehe im Gegensatz zur Kommunikationspolitik der Regierung „im Schatten der Wahlen“.
Demnach sei den Medien nahegelegt worden, keine Nachrichten über Afrin zu verbreiten, „welche die Kurden verstimmen könnten“.
Die Erdoğan nahen Medien befolgen diesen Befehl. Seitdem lesen wir in den Medien nur noch, wie die „mitfühlenden türkischen Soldaten und opferbereiten FSA’ler den Menschen in Afrin beistehen“.
Was an Berichten aus Afrin zu erfahren ist, stammt meist aus kurdischen Quellen, die oft der YPG nahe sind oder in Verbindung mit ihr stehen. Für die Regierung Erdogan ist dadurch ein leichtes, sie als Nachrichten von Terroristen abzutun.
Allerdings ergänzen oder bestätigen sich Situationsbeschreibungen und Vorwürfe von verschiedenen Seiten: Sie laufen auf ein Bild der Lage in Afrin hinaus, wo Milizen eine nur wenig oder gar nicht kontrollierte Gewalt ausüben, streng islamistische Scharia-Regelungen als maßgebliche Ordnung etabliert werden und eine Umsiedelungspolitik vorangetrieben wird, die Aldags Aussage, wonach die Türkei das Gebiet dem syrischen Volk zurückgeben wolle, zu einem Euphemismus für eine politisch gewollte demografische Veränderung Afrins macht.
Vergleicht man die Situation in Afrin, wo Menschen unterschiedlicher Konfessionen und Ethnien friedlich zusammenlebten, mit den Zuständen nach der „Operation Olivenzweig“, so wendet sich der Begriff des Terrorismus gegen Erdogans Mission, wie zum Beispiel einem Bericht des briti