Repression gegen Mahnwache: Die Gründerin der Samstagsmütter, Emine Ocak, wurde am Wochenende von Einsatzkräften festgenommen (Istanbul, 25.8.2018)
Foto: Hayri TUNC/AFP
|
Mit Wasserwerfern, Gummigeschossen und Tränengas hat die türkische Polizei am Samstag in Istanbul eine Demonstration der sogenannten Samstagsmütter aufgelöst. Die Frauen wollten sich zum 700. Mal zu ihrer wöchentlichen Mahnwache vor dem Galatasaray-Gymnasium versammeln, um Aufklärung über das Schicksal ihrer in den 80er und 90er Jahren von Todesschwadronen ermordeten Angehörigen zu fordern. Innenminister Süleyman Soylu hatte die Kundgebung mit der Begründung verbieten lassen, diese sei im Internet von Seiten, die der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nahestünden, beworben worden.
47 Teilnehmerinnen der von Abgeordneten der Oppositionsparteien HDP und CHP unterstützten Protestaktion wurden festgenommen, kamen aber später wieder frei. »Die Türkei ist zu einem Land geworden, in dem sich vor dem stillen Aufschrei von Müttern gefürchtet wird. Wir werden unseren Kampf fortsetzen«, erklärte die HDP-Kovorsitzende Pervin Buldan. Ihr Ehemann Savas war 1994 von Unbekannten verschleppt und mit Kopfschüssen hingerichtet worden.
Von der Polizei abgeführt wurde unter anderem die 82jährige Emine Ocak. Nach der Ermordung ihres Sohnes Hasan, eines linken Lehrers, durch Folter hatte sie mit ihrer Familie und ihren Anwälten am 27. Mai 1995 erstmals mit einem Sitzstreik vor dem Gymnasium demonstriert. Aus dem Protest einiger Dutzend Menschen entstand die am längsten andauernde Aktion zivilen Ungehorsams in der Türkei, der sich später Tausende anschlossen. Die Presse gab den Müttern, Schwestern, Ehefrauen und Kindern, die sich immer samstags um 12 Uhr mit Bildern ihrer »verschwundenen« Angehörigen versammelten, den Namen »Samstagsmütter«.
Wie die international bekannteren »Mütter der Plaza de Mayo« im argentinischen Buenos Aires verlangen die Demonstrantinnen Aufklärung über das Schicksal ihrer Angehörigen, die Feststellung der Täter und die juristische Ahndung der Verbrechen. Während des »schmutzigen Krieges« in Kurdistan kamen neben systematischen Dorfzerstörungen durch die Armee Todesschwadronen zum Einsatz, um die Kämpfer der PKK von der Bevölkerung zu isolieren. Die Konterguerilla des JITEM, des selbst nach türkischem Recht illegalen Geheimdienstes der Militärpolizei, rekrutierte sich aus Anhängern der faschistischen Grauen Wölfe und Islamisten. Geschätzt 17.000 Zivilisten, Politiker, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und Gewerkschafter »verschwanden« in den 90er Jahren. Ihre Leichen wurden in geheime Massengräber auf Militärstützpunkten, aber auch auf Müllkippen oder in Brunnenschächte geworfen.
Vor drei Jahren hatte der damalige Ministerpräsident Ahmet Davutoglu im Wahlkampf gedroht, die »weißen Toros« kämen wieder, sollte die regierende AK-Partei stürzen. Die weißen Renault-Autos galten als Markenzeichen des JITEM. »Die AKP ist nicht gestürzt, die ›weißen Toros‹ wurden von ›schwarzen Transportern‹ abgelöst«, schreibt Can Dündar, der im deutschen Exil lebende frühere Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet, in einer in der vergangenen Woche in der Zeit veröffentlichten Kolumne. »Wo es kein Recht gibt, wechseln die Automodelle und die Farben. Die Methode der Unterdrückung aber bleibt leider stets dieselbe.« So wurden in den vergangenen Jahren mehrfach am hellichten Tage Anhänger der Gülen-Bewegung in schwarze Kleinbusse gezerrt und verschleppt. Auch in kurdischen Städten verbreiteten Transporter mit verdunkelten Scheiben ohne Kennzeichen Angst und Schrecken.
Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/338604.t%C3%BCrkei-angriff-auf-m%C3%BCtter.html