Mit einem »Aufmarsch« von Robotern am Brandenburger Tor hat die Initiative „Facing Finance“ am 24. August in Berlin für ihre Kampagne „Killerroboter Stoppen“ geworben. Ziel der Aktion: Die Bundesregierung soll „bei den Vereinten Nationen noch in diesem Jahr ein Verbot von autonomen Waffensystemen“ einfordern. 26 Staaten, insbesondere aus Mittel- und Südamerika, aber auch aus dem Nahen und Mittleren Osten und Afrika, haben sich nach Angaben der Kampagne bereits für ein umfassendes Verbot „vollständig autonomer Waffen“ ausgesprochen. Die Bundesregierung spricht sich hingegen auf internationaler Ebene für „unverbindliche, freiwillige Maßnahmen“ aus. Damit riskiere sie ein „globales, unkontrollierbares Wettrüsten bei autonomen Waffen“, warnt „Facing Finance“. „Wird kein völkerrechtliches Verbot vereinbart, werden dank zahlreicher bereits verfügbarer Technologien (Sensoren) und einer weiterentwickelten ‚künstlichen Intelligenz‘ (KI) Waffensysteme ohne menschliche Kontrolle zur Standardausrüstung von Armeen gehören.“
Tatsächlich findet dieses Wettrüsten bereits statt – und Deutschland beteiligt sich tatkräftig. Während es auf der Ebene der Sensorik bereits seit vielen Jahren zu den innovativsten Ländern zählt, wird gegenwärtig verkündet, die BRD habe in Sachen KI „den Anschluss verloren“ und entsprechende Forschung „sträflich vernachlässigt“. Im aktuellen Koalitionsvertrag durchziehen die Themen „Digitalisierung“, Big Data und KI nahezu jeden Politikbereich – von der Gesundheit über die Förderung des Mittelstands bis hin zur „modern ausgestatteten Bundeswehr“. Neben einem „Masterplan künstliche Intelligenz“ wird der Aufbau eines „nationalen Forschungskonsortiums für künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen“ sowie eines deutsch-französischen „Zentrums für künstliche Intelligenz“ und mehrerer „Forschungscampi“ angekündigt. Seitdem herrscht eine wahre Goldgräberstimmung. Zwischen den Bundesländern und Wissenschaftsorganisationen ist ein Wettkampf entbrannt, um sich für den erwarteten Geldsegen in Stellung zu bringen. So konkurrieren das Saarland und Baden-Württemberg darum, Standort des deutsch-französischen KI-Zentrums zu werden. Die saarländische Regierung verweist dabei auf das vorrangig militärisch gesteuerte und finanzierte deutsch-französische Forschungsinstitut Saint-Louis (ISL), die baden-württembergische auf einen »Cluster« um Karlsruhe und das im Entstehen begriffene „Cyber Valley“ zwischen Stuttgart und Tübingen. Das wesentlich von der Max-Planck-Gesellschaft vorangetriebene „Cyber Valley“ tritt damit auch in den Wettbewerb mit dem schon länger bestehenden Deutschen Forschungszentrum künstliche Intelligenz (DFKI), das über einen Standort in Saarbrücken verfügt und in dem die Fraunhofer-Gesellschaft gut positioniert ist. Die wiederum hat beschlossen, ihre Institute in Bayern zu einem „Kompetenznetzwerk für künstliche maschinelle Intelligenz“ auszubauen – unterstützt von der Landesregierung im Zuge der „Zukunftsinitiative für künstliche Intelligenz“ durch neue Professuren, Nachwuchsgruppen und Neubauvorhaben unter anderem in Würzburg, Garching, Ingolstadt und München.
Lukrativer Mythos
Wenn auch der Koalitionsvertrag und die aktuelle Goldgräberstimmung tatsächlich einen Wendepunkt darstellen, so handelt es sich bei der vorangegangenen „Vernachlässigung“ der KI in Deutschland doch um einen Mythos. Der Blick auf explizit militärische Forschung verdeutlicht, wo bereits jetzt KI zum Einsatz kommt. So forschten mehrere Institute der Universität Hannover in den vergangenen Jahren intensiv zur Optimierung der Fernerkundung: Um angesichts immer höherer Auflösung der eingesetzten Sensorik Bandbreite zu sparen, sollen Drohnen und Satelliten selbstständig „Regions of Interest“ erkennen und nur deren Bilder hochauflösend zur Erde funken. Geforscht wird hier auch an „semantischen Netzen“, mit deren Hilfe die Systeme eigenständig Geländeformen und Objekte erkennen können. Auch an der Entwicklung einer angeblich eindeutigen und widerspruchsfreien „Battle Management Language“ zur Kommunikation zwischen Menschen und IT-Systemen im NATO-Rahmen war Hannover beteiligt.
Am Münchner Ludwig-Bölkow-Campus forscht Airbus Defence and Space gemeinsam mit der Universität der Bundeswehr und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (gefördert von der Landesregierung) an »Quasisatelliten«. Gemeint sind sehr hoch fliegende Drohnen, die mit Solarenergie betrieben werden und daher sehr lange in der dünnen Luft bleiben können. Diese sollen zukünftig mit einem autonomen Wettererkennungs- beziehungsweise Wettervermeidungssystem ausgestattet werden, so dass sie ihre Missionsplanung – zum Beispiel die Überwachung eines bestimmten Zielgebietes – selbständig der Lage anpassen können. Für die Universität der Bundeswehr in München ist die semiautonome Missionsplanung kein neues Thema. Hier wird bereits seit Jahren an künstlichen „kognitiven Agenten“ (Artificial Cognitive Units) geforscht, die in Kooperation mit einem einzelnen menschlichen Operateur ganze Drohnenschwärme koordinieren und auch eigenständig auf Ereignisse wie eine abreißende Datenverbindung, feindliche Radarstellungen und Ausfälle einzelner Subsysteme durch feindliche Treffer reagieren sollen.
„Intelligente“ Überwachung
Während hier eine konkrete Umsetzung noch nicht unmittelbar bevorsteht, haben die Wissenschaftler am Fraunhofer-IOSB (Institut für Optronik, Systemtechnik und Bilderkennung) in Karlsruhe/Ettlingen die Automatisierung der Bildauswertung der LUNA-Drohne im Auftrag der Bundeswehr verbessert, während diese in Afghanistan eingesetzt wurde. Das Institut führte in den vergangenen zehn Jahren zahlreiche Forschungsvorhaben für das Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) durch, die auf die Zusammenfügung verschiedener (optischer) Datenquellen (Sensor Data Fusion), die automatische Auswertung (Situationserkennung) und Lagebilderstellung für menschliche Operateure (Mensch-Maschine-Schnittstellen) abzielen. Nahezu inhaltsgleiche Projekte wurden parallel im Rahmen der zivilen Sicherheitsforschung finanziert und hatten die automatisierte Klassifikation von Booten aufgrund der Erfassung durch Radar, Sensorbojen, Drohnen und Satelliten zum Gegenstand.
Es sollte zum Beispiel errechnet werden, wie hoch bei einzelnen Booten die „Wahrscheinlichkeit für Flüchtlinge an Bord“ ist. Dabei hat das Institut auch mit dem Rüstungsunternehmen Thales zusammengearbeitet, das Bodenradare herstellt, die von der Bundeswehr zum Beispiel in Mali eingesetzt werden. Sie können nach Herstellerangaben Fahrzeuge und Personen auf Dutzende Kilometer verfolgen und aufgrund ihres Verhaltens eigenständig als Bedrohung klassifizieren. Auch die Software für „intelligente Videoüberwachung“ des öffentlichen Raums, die mit dem neuen baden-württembergischen Polizeigesetz erstmals ermöglicht und zur Zeit in einem Pilotprojekt in Mannheim erprobt wird, stammt vom Fraunhofer-IOSB. Hier stellt sich die Frage, ob die repressive Gesetzgebung nicht in erster Linie einen Standortvorteil bei der Entwicklung neuer Überwachungstechnologien schaffen soll. Baden-Württemberg jedenfalls will sich hier offenbar ganz vorne positionieren. Im August 2018 hat die Landesregierung ein weiteres Förderprogramm „Künstliche Intelligenz Baden-Württemberg“ angekündigt. Damit will sie an den Hochschulstandorten Freiburg, Heidelberg, Hohenheim, Konstanz, Mannheim, Ulm und Karlsruhe mit sechs Millionen Euro insgesamt zehn Juniorprofessuren mit Ausstattung »im Bereich Methoden und Anwendungen der künstlichen Intelligenz« finanzieren.
Deutliche Worte
Begründet wird die Notwendigkeit einer intensivierten KI-Forschung meist mit entsprechenden Forschungsaktivitäten in den USA und China, denen man hier nicht alleine das Feld überlassen dürfe. Dies gelte um so mehr, als die KI aktuell als sogenannte disruptive Technologie verstanden wird, in der es jederzeit zu „Sprunginnovationen“ kommen könne, die gegenwärtige Produkte, Systeme und damit auch Machtverhältnisse durcheinanderwirbeln könnten. So wird zum Beispiel in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Internationale Politik gewarnt, Deutschland laufe bislang »den Entwicklungen hinterher«. Ein Land, das diese ignoriere, werde „an Relevanz verlieren“. In einem ergänzenden Interview wird die ehemalige Staatssekretärin des BMVg, Katrin Suder, die 2017 federführend am Aufbau des Kommandos Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr beteiligt war, deutlicher: „Wer es schafft, die beste KI zu entwickeln, hat einen Verteidigungs- oder gar Angriffsvorteil.“
Startups und Strategen
Um jederzeit die Nase vorn zu haben, sieht der Koalitionsvertrag „zur Sicherstellung technologischer Innovationsführerschaft“ vor, noch in diesem Jahr eine „Agentur für disruptive Innovationen in der Cybersicherheit und Schlüsseltechnologien“ aufzubauen – unter Federführung des Bundesinnenministeriums und des BMVg. Schon im vergangenen Jahr hat die Bundeswehr in Berlin ihren »Cyber Innovation Hub« (CIH) eröffnet, der als „Schnittstelle zwischen Startupszene und Bundeswehr“ fungieren soll: „Der Hub identifiziert innovative Technologien in der internationalen Startupszene und entwickelt und validiert diese für die Bundeswehr.“ Denn Startups gelten als zentrales Element jener Ursuppe der KI-Forschung, in der Sprunginnovationen erwartet werden. So heißt es auf der Startseite der Cyber-Valley-Initiative: „Mit einem neuen Modell der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft wird Cyber Valley ein befruchtendes Ökosystem für den Technologietransfer im Bereich der künstlichen Intelligenz schaffen.“ Denn bei der Entwicklung „intelligenter“ Systeme sei „der Weg von der Grundlagenforschung bis zur Kommerzialisierung oft sehr kurz“. Im Umfeld der Forschung entstehende Startups seien Motoren dieser Entwicklung.
Quelle: http://www.imi-online.de/2018/09/03/angriffsvorteil-durch-ki/