Novemberrevolution In der Revolution wurde mit den Frauen gestreikt – danach wieder gegen sie
Die Forderungen nach Frieden und Brot, die man den Frauen in der Novemberrevolution zurechnet, sind keine unpolitischen Forderungen. Sie waren es schon gar nicht im Herbst 1918. Selbst die Hungerkrawalle, in deren Namen schon die Begründung steht, haben mehr aus Empörung stattgefunden, als wegen der Nahrungsmittelknappheit selbst.
Krawalle wurden auch durch andere Aspekte der Kriegsgesellschaft ausgelöst. Ein Beispiel hierfür ist die versuchte Befreiung eines Kriegsinvaliden im Mai 1918 aus der Polizeiwache im Rathaus von Ingolstadt. Misshandlungen bei der Verhaftung hatten zu einem Aufruhr geführt, bei dem das Rathaus gestürmt und teilweise in Brand gesteckt wurde. Von den 97 Verhafteten waren 35 Frauen unterschiedlichen Alters, vorwiegend Fabrikarbeiterinnen. Bei vielen weiteren Krawallen kam es zu Solidarisierungen zwischen Frauen, oftmals schlecht behandelten Invaliden und kriegsunwilligen Soldaten.
Sonntagsarbeit, Elfstundentag und Frauenlöhne
Tumulte gab es ebenfalls gegen die Verlängerung der Arbeitszeit. Als in Ingolstadt im Winter 1917/18 die Sonntagsarbeit eingeführt wurde, kam es zu stundenlangen Ausschreitungen von Arbeiterinnen, die zu ihren Kindern nach Hause wollten, deren Versorgung sie kaum sicherstellen konnten. Auch in zahlreichen Streiks wurde die Verkürzung der Arbeitszeit gefordert. Fast 2.100 Wäscherinnen in den oberschlesischen Erzgruben streikten vom 1. Juli bis zum 7. September 1918 gegen den elfstündigen Arbeitstag. Auch für eine Erhöhung der Löhne wurde gestreikt, die, wie kaum anders zu erwarten, niedriger als die der Männer waren.
Diese Arten von Streiks werden meist als ökonomische Streiks den politischen Streiks gegenübergestellt. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass sie sich nicht nur gegen die schlechten Arbeitsbedingungen richteten, die durch Ausnahmen von den Arbeitsschutzbestimmungen einem Rückfall ins 19. Jahrhundert gleichkamen, sondern auch aus der spezifischen Doppelbelastung der Frauen resultierte, die als Lohnarbeiterinnen zugleich auch Sorgearbeit leisteten.
Auch an politischen Streiks beteiligten sich Frauen rege, besonders in der Streikwelle gegen den Friedensvertrag von Brest-Litowsk im Januar 1918. Nach einem Bericht von Cläre Derfert-Casper sollen in Berlin hauptsächlich Frauen gestreikt haben. In Hannover sollen mehr Frauen als Männer in der Streikleitung gewesen sein. Für andere Orte gibt es ähnliche Berichte. Das von den Berliner Arbeiterräten beschlossene Streikprogramm umfasste auch die Forderung nach der Einführung des Wahlrechts für Frauen. Für Dresden, Kassel, Mannheim und Nürnberg ist die Frauenwahlrechtsforderung ebenfalls als Teil des Streikprogramms nachgewiesen.
Kommunistinnen und Empörte
Allerdings scheint es eine Kluft zwischen den Frauen der organisierten Linken und den massenhaft auftretenden revoltierenden Frauen gegeben zu haben. So formulierte die Kommunistin Martha Arendsee, dass der Anteil der Frauen an den Streiks und Kämpfen »stets ein mehr gefühlsmäßiger als ein Ausfluss einer sozialistischen Weltanschauung mit bewusst gewolltem Endziel« sei. Aber auch wenn sich die Beteiligung vieler Frauen mehr gegen akute Missstände richtete, als dass sie Wünsche nach einer anderen Gesellschaftsform ausdrückten, lag doch ein revolutionäres Moment in der Luft. Nach ihrer Verhaftung wegen der Beteiligung am Januarstreik 1918 in München sagte die Arbeiterin Anna Niedermeier bei dem Polizeiverhör, dass die Frauen in ihrem Betrieb als erste den Streik beginnen wollten, »denn die Männer würden zum Militär eingezogen, wenn sie vorangingen.« Dies war exemplarisch für das Streikverhalten der Frauen. Dies hieß nicht, dass Frauen nicht auch Repressionen ausgesetzt waren. Bei einer Verhaftungswelle in Folge von Streiks im August 1917 in Braunschweig wurde Frauen keine Zeit gelassen, ihre auf der Straße befindlichen Kinder nach Hause zu bringen und die Weitergabe der Wohnungsschlüssel verweigert.
Ebenso wie die Konflikte war das Potenzial für die Proteste in der Kriegsgesellschaft angelegt. Durch die Abwesenheit der Männer in den Familien geriet die Form der patriarchalen Kleinfamilie ins Schwanken. Frauen verfügten über das Familieneinkommen und zunehmend über ihre Körper – durch das sich entwickelnde Bewusstsein über Verhütungsmittel. Entgegen der verbreiteten Annahme, der Erste Weltkrieg hätte zu einer Emanzipation von Frauen wegen ihres Eintritts in Lohnarbeitsverhältnisse geführt, hat Ute Daniel gezeigt, dass die Zahl der lohnarbeitenden Frauen nicht stieg, sondern sich von Bereichen wie Hausanstellung, Landarbeit oder Textilindustrie zur Schwerindustrie verschob. Ein emanzipatorisches Potenzial sah sie besonders in der Rolle, die Frauen in den Familien einnahmen, auch wenn dies mit der kaum lösbaren Aufgabe der Versorgung unter Kriegsbedingungen zusammenhing.
Nach dem Umsturz im November 1918 tauchten Frauen nicht in demselben Maße bei den Richtungskämpfen der Revolution auf. Restlos lässt sich dieses Phänomen nicht erklären. Allerdings konsolidierten sich mit der Rückkehr der Männer aus dem Krieg erneut patriarchale Strukturen. So war Cläre Derfert-Casper nicht mehr Mitglied des Aktionsausschusses, sondern Bürogehilfin des Vollzugsrates Berlin. Den meisten Frauen blieb der Zugang zu den Räten versperrt, da das Wahlrecht meist nur Personen erhielten, »die produktive, gesellschaftlich nützliche Arbeit leisteten«. Gleichzeitig wurden Frauen nach Ende des Kriegs von den »produktiven« Industriearbeitsplätzen wieder in ihre vorherigen Beschäftigungsverhältnisse, die als »unproduktiv« galten, abgedrängt. Es gab sogar zahlreiche von Männern organisierte Demonstrationen, Eingaben und Streiks gegen die Arbeit von Frauen. In der Zeche Victoria-Mathias im Ruhrgebiet gehörte zu den Streikforderungen vom 11. Januar 1919 die sofortige Entlassung der Arbeiterinnen. Anstelle des gemeinsamen Aufbaus einer Republik wurde die patriarchale Familienstruktur wieder eingesetzt.
Restauration der alten Ordnung
Die Möglichkeiten eines gemeinsamen Aufbaus einer neuen Gesellschaft waren auch durch die schnell einsetzende Konterrevolution verstellt. Ins Schwanken geratene patriarchale Vorstellungen, wie das Verständnis von Frauen als nationalem Eigentum, wurden erneut brutal durchgesetzt. Angehörige der Freikorps in Oberschlesien bestraften Frauen, die mit französischen Kriegsgefangenen tatsächlich oder gerüchteweise Verhältnisse hatten, indem sie sie nackt ausgezogen, kahlschoren, mit Teer anstrichen und mit Peitschen durch die Straßen hetzten.
Leider lässt sich wenig darüber sagen, ob und in welcher Form die nicht in Parteien oder Gruppen organisierten Frauen eine politische Neubildung mitgestaltet hätten, wenn es andere Ausgangsbedingungen dafür gegeben hätte. Eine Forderung der Frankfurter Revolutionärin Toni Sender bei einer Rede auf der Frauenkonferenz der USPD 1919 besaß allerdings das Potenzial, Frauen Zugang zu der politischen Sphäre der Räte zu eröffnen. Sie forderte, die Tätigkeiten der Versorgung als produktive Arbeit anzuerkennen. Damals wie heute hätte dies gesellschaftliche Konflikte sichtbar gemacht, die auf der unsichtbaren Ausbeutung von Frauen als Versorgerinnen beruhen.
Dania Alasti ist Doktorandin in Philosophie an der Freien Universität Berlin, von ihr erscheint demnächst im Unrast-Verlag das Buch »Frauen der Novemberrevolution. Kontinuitäten des Vergessens«.
Quelle: https://www.akweb.de/ak_s/ak643/39.htm