Europa geht mit etwas schwanger, aber was ist es? Krieg oder Frieden? Osten oder Westen? Norden oder Süden? Eine Totgeburt oder eine Renaissance? Der Anfang oder das Ende? So kann es nicht weitergehen. Die Vergangenheit muss losgelassen werden.
Die kürzlichen Wahlen in Italien sind die jüngsten Geburtswehen – das jüngste Zeichen für etwas Neues. Und die gegenwärtigen europäischen Institutionen sind nicht Teil davon. In der Tat versinken die Nationalstaaten, die heute Europa bilden, in der Vergangenheit, während sich etwas anderes vorwärts bewegt.
Der Kontinent selbst ist fließend. Im fundamentalen sozialen Sinn sind Afrika und Asien noch nie so nah gewesen. Und Amerika war noch nie so weit weg. Europa im klassischen Sinn verschwindet. Und das ist nicht schlecht. Die Region fühlt sich momentan wie ein Bastard an. Das fühlt sich gut an.
In einem Land nach dem anderen zerbröckeln die politischen Blöcke des späten 20. Jahrhunderts zu Staub. Und die jeweilige Wirtschaft wird von zweifelhaften Finanzinstrumenten und unheilvollen Anti-Arbeitsgesetzen zusammengehalten. Sparmaßnahmen und Schulden legitimieren den Euro-Kapitalismus. Und versprechen ein Euro-Chaos. Her damit.
Die Einwanderung ist der Sündenbock. Dabei ist sie in erster Linie die Lösung – die Lösung für niedrige Geburtenraten und Arbeitskräftemangel. Noch dazu bedeutet Vielfalt Dynamik. Und die Tatsache, dass „Globalisierung“ (die menschliche Art) jetzt die Norm ist. Der Weiße Mann wie auch Gott ist tot.
Das Europa des 20. Jahrhunderts klammert sich jedoch an das 21. Jahrhundert wie ein verzweifelter Mann, der nach einem Rettungsring greift. Der Imperialismus (der weiße Mann) und der Kalte Krieg (die weiße Hysterie) wollen nicht in der Zeit versinken. Die Vereinigten Staaten von Europa (die EU) auch nicht. Aber das 21. Jahrhundert kann diese Last nicht tragen. Wenn das 21. Jahrhundert sie nicht fort wirft, wird es auch ertrinken. Wenn das 21. Jahrhundert geboren werden will, muss es sie abstoßen. Und das tut es.
Die Einwanderer und die Wahlen tun das. Weil sie die Hebamme für das neue europäische Kind sind – wie auch immer es sein wird. Eins ist sicher: die Einwanderer zivilisieren Europa. Und die Wahlen untergraben Europa.
Der Großteil des europäischen 20. Jahrhunderts wurde von Kommunisten, Faschisten und Christdemokraten geprägt. Sie sind jetzt alle weg und im Vakuum bleibt nichts als Farce. Aber da ist der Umriss von etwas anderem.
Die Europäer stellen sich gegen den Liberalismus und seine neoliberalen Nachkommen. Es ist egal, dass die neuen oder alternativen politischen Parteien, für die sie stimmen, ihren kritischen Manifesten nicht gerecht werden. Der Punkt ist, dass wahrscheinlich 50% oder mehr der Europäer vom liberalen Kapitalismus genug haben. Und das bedeutet, dass sie genug von der EU haben. Wie das jedoch ausgeht, sei dahingestellt.
Ein Blick auf Europas aktuelles politisches Puzzle zeigt instabile Widersprüche. Parlamente ohne klare Mehrheitsverhältnisse, große Koalitionen, Sezessionisten und Stillstand herrschen vor. Neue oder einmal geächtete politische Parteien gestalten die Sichtweisen. Und die vorherrschende ist Europaskepsis.
Alternative für Deutschland, Podemos (Spanien), Syriza (Griechenland), Recht und Gerechtigkeitspartei (Polen), Freiheitliche Partei Österreichs, Fidesz-Partei (Ungarn), Fünf-Sterne-Bewegung (Italien) und der Nationale Front (Frankreich) haben alle das selbstgefällige liberale Europa untergraben.
Und wenn man zu dieser Mischung alte Anti-Imperialisten wie Sinn Féin (Irland) und neue Imperialisten wie La Republique En Marche (Frankreich) hinzufügt, geht das Konzept von Europa querbeet. Brexit, Katalonien, Lega Nord (Italien) und die Finanz-Ultras in den Niederlanden und Finnland vervollständigen das Bild des politischen Chaos. Die Einheit – wenn es denn jemals eine gab – gehört der Vergangenheit an.
Der polnische Präsident Andrzej Duda hat es kürzlich am besten zusammengefasst, als er sagte, dass die EU in Polen wie eine Besatzungsmacht ist. Es ist nicht verrückt zu sagen, dass die meisten Europäer die EU heute genauso erleben. Und sie wollen raus. Sie wollen etwas Neues.
Dafür, dass sie dem liberalen Kapitalismus Einhalt gebieten wollen, werden die „anti-europäischen“ Europäer als dumme Populisten oder als blöde Rechtsextremisten bezeichnet. Aber diese Kritik gilt nicht, denn sie kommt von einem liberalen europäischen Imperium, das auf Kriegen und Gemetzel im Ausland basiert. Es ist mit anderen Worten ein Liberalismus, der von Natur aus rassistisch ist. Einer, der ständig mit den Ängsten der Bevölkerung (z.B. „Krieg gegen den Terror“) spielt. Es ist ein Liberalismus, der sich Zuhause (Austerität) wie auch im Ausland (Krieg), als nicht nur idiotisch, sondern in jeder Hinsicht kriminell erwiesen hat.
Um die Wahrheit zu sagen: die „pro-europäischen“ Liberalen sind die größten Ignoranten Europas. Sie sind diejenigen, die sich für die amerikanische Führung einsetzen und mit Russland nonstop russisches Roulette spielen. Sie sind die fanatischen Extremisten, die heute das Leben der Europäer gefährden. Ihre Marktlösungen und militärischen Lösungen haben Europa zu einem irrationalen Sumpf gemacht. Ein Sumpf, in dem die „extreme Rechte“ mehr Sinn macht als die „extreme Mitte“.
Die radikale Linke ist am vernünftigsten. Aber in einem Sumpf vernebelt das Gefühl des Versinkens den Verstand. Viele Europäer beklagen die Immigranten, während sie sich von den Banken ausnehmen lassen. Aber viele von ihnen, wenn nicht die meisten, bemerken den Diebstahl und bekommen Lust auf eine linke Konfrontation mit den Bossen.
In der Tat manifestiert sich die nebulöse Spaltung der unglücklichen Europäer grob in einer Kluft zwischen Ost / West einerseits und Nord / Süd andererseits. Im Osten und Norden ist die Tendenz rechts gerichtet (sie meckern über die Einwanderer), während sie im Westen und Süden links gerichtet (sie meckern über die Banken) ist. Es gibt Überschneidungen, aber die Richtungen sind zu erkennen.
Für die Linke ist der einzige Weg aus diesem Sumpf – der einzige Weg zur Geburt – die Einwanderung. Ähnlich wie in Amerika bilden Einwanderer heute die Grundlage der Gesellschaft in Europa. Sie sind die grundlegende Arbeiterklasse, auf der ganz Europa jetzt beruht.
Wir reden nicht nur von den syrischen Flüchtlingen in den Schlagzeilen, sondern auch von den „Wirtschaftsflüchtlingen“ abseits der Schlagzeilen: den Filipinos, den Chinesen, den Indern, den Brasilianern, den Nigerianern und den Marokkanern. Dieser Liste kann jede andere Nationalität hinzugefügt werden. Denn Europa ist heute genauso ein Schmelztiegel wie Amerika. Und was auch immer die weißen Rassisten in Europa denken mögen: Europa wird ihre neue Hautfarbe nicht wieder loswerden.
Während das neue Europa entsteht, wird es sich mehr und mehr mit Afrika und Asien vermischen. Leise findet eine kulturelle Revolution statt. In Paris und London ist dies seit einiger Zeit offensichtlich. Aber jetzt ist sie fast überall. Madrid, Berlin, Dublin, Malmö, Mailand und tausend andere europäische Städte spiegeln das wieder, was in den Hauptstädten Frankreichs und Großbritanniens bereits geschehen ist.
Das Europa des 20. Jahrhunderts war eine „Made in Europe“-Katastrophe. Wenn das Europa des 21. Jahrhunderts nicht wieder so sein soll, muss es die Menschlichkeit walten lassen.
Vergesst eine Europäische Union oder die Vereinigten Staaten von Europa. Und lasst Europa sich stattdessen mit der Welt vereinigen. Es passiert, ob Europa es mag oder nicht. Aber je mehr Europa sich dessen bewusst ist und dem positiv gegenüber steht, desto leichter wird es sein, die Welt zum Besseren zu verändern.
Europa löst sich auf. Es passt sich der Realität an. Und die Realität ist, dass es immer nur ein Anhängsel von Asien und Afrika war. Es ist keine Insel oder einzigartige Einheit. Die Arbeiter der Welt beweisen das, indem sie nach Europa ziehen und ihr Ding machen. Das Europa, das geboren wird, ist alles, nur nicht Europa. Und das ist ein Grund zum Feiern.
Foto von Eric Fischer | CC BY 2.0
Quelle: https://www.counterpunch.org/2018/03/23/europe-is-pregnant/
Übersetzt für freiesicht.org