Am 27. November 2017, einen Tag nach der Wahl, ereignete sich ein kleines Wunder: Der Herausforderer des amtierenden Präsidenten Juan Orlando Hernández, Salvador Nasralla, lag mit fünf Prozentpunkten vorn. Doch dann stürzten die Computersysteme der Wahlbehörde TSE ab, es gab tagelang keine neuen Ergebnisse und am 2. Dezember wurde der Ausnahmezustand verhängt. Als wieder Zahlen veröffentlicht wurden, lag Hernández mit einem Mal knapp hinter Nasralla, um ihn dann zu überholen.
Am 17. Dezember hat die Wahlbehörde Hernández von der Nationalen Partei zum offiziellen Wahlsieger der Präsidentschaftswahlen erklärt. Hernández liegt demnach mit 42,95% knapp vor dem politischen Neuling Salvador Nasralla von der Allianz der Opposition gegen die Diktatur mit 41,24%. Das Ergebnisse veröffentlichte das TSE, kurz nachdem der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten OAS Luis Almagro extreme Zweifel an Wahlverlauf und Stimmauszählung geäußert hatte. In einer Presseerklärung der OAS heißt es:
Vorsätzliche menschliche Eingriffe in das Computersystem, absichtliche Beseitigung digitaler Spuren, die Unmöglichkeit herauszufinden, wie viele Male in das System eingebrochen wurde, geöffnete Behältnisse mit Stimmzetteln oder fehlende Stimmzettel, die in Relation zur Wahlbeteiligung extreme statistische Unwahrscheinlichkeit innerhalb eines Departments, frisch gedruckte Wahlzettel und weitere Unregelmäßigkeiten machen es in Anbetracht der geringen Stimmendifferenz zwischen den beiden meistgewählten Kandidaten unmöglich, den Wahlsieger mit der notwendigen Sicherheit zu bestimmen.
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Da es unter den gegebenen Umständen unmöglich sei, den Wahlsieger korrekt zu bestimmen, forderte Almagro den honduranischen Staat auf, Neuwahlen abzuhalten. Das amerikanische Außenministerium ließ sich von den Zweifeln Almagros ebenso wenig beeindrucken wie die honduranische Wahlbehörde TSE – die mit David Matamoros einem Gefolgsmann der Nationalen Partei untersteht – und gratulierte Hernández am 22.Dezember zum Wahlsieg.
Weite Teile der honduranischen Bevölkerung ließen sich bislang jedoch nicht vom legitimen Sieg Hernández‘ überzeugen. Die Proteste rissen trotz der Feiertage kaum ab. In allen Landesteilen gingen spontan Menschen auf die Straßen und errichteten immer wieder Straßensperren. Zwischen Ende November und Ende Dezember fanden über 1.000 Kundgebungen in verschiedensten Landesteilen statt. Am 6. Januar gab es erneut eine Großdemonstration in der Metropole San Pedro Sula. Die Allianz der Oppositionsparteien hat bis zur offiziellen Vereidigung des Präsidenten am 27. Januar weitere Proteste sowie ab dem 20. Januar einen einwöchigen Generalstreik angekündigt.
Mindestens 30 Ermordete
Von Anfang an war die staatliche Repression gegen die Proteste erheblich und die prekäre Menschenrechtslage im Land spitzt sich immer weiter zu. Im Dezember wurden nach einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Komitee der Angehörigen von Verhaftet-Verschwundenen von Honduras (COFADEH) 30 Menschen bei den Protesten getötet, 21 von ihnen durch die Militärpolizei und einer durch die Nationale Polizei. 5 Morde trugen die Handschrift von Todesschwadronen. Unter den Ermordeten sind auch drei Kinder.
Vielfach berichteten Demonstrationsteilnehmer, dass sie mit scharfer Munition beschossen wurden. Außerdem wurden Tränengasgeschosse direkt auf Menschen geschossen, wodurch viele schwer verletzt wurden.
COFADEH berichtet weiterhin von fast 1.400 unrechtmäßigen Festnahmen im Rahmen der Prosteste, wobei 72 Verhaftete aussagten, Opfer von Folter geworden zu sein. Ungeklärt ist der Verbleib des 22jährigen Manuel de Bautista Salvador, der am 3. Dezember von der Militärpolizei mitgenommen wurde und seither verschwunden ist.
Ob die Menschenrechtsverbrechen der Militärs und Polizeikräfte strafrechtlich verfolgt werden, ist derzeit mehr als zweifelhaft. Eine Anfrage des regierungskritischen Senders Radio Progreso ließ die Staatsanwaltschaft unbeantwortet.
Statt die Täter in den eigenen Reihen zu verfolgen, machen die staatlichen Ordnungskräfte Jagd auf Schlüsselfiguren der Proteste. So kam es Mitte Dezember zu nächtlichen Razzien in den Regionen San Pedro Sula, Choloma und Atlántida. In gemeinsamen Einsätzen zerstörten Polizei, Militärpolizei und Militär die Absperrungen von Wohngebieten und brachen ohne Durchsuchungsbefehle in Häuser ein. Derzeit werden eine starke Militärpräsenz und Razzien in Wohngebieten vor allem aus der Stadt Choluteca im Süden des Landes berichtet.
Besorgniserregend sind Belohnungen, die die staatlichen Sicherheitskräfte für Hinweise über die Anführer der Proteste ausgesetzt haben, sowie der Aufruf von Hernández selbst, diejenigen Personen zu denunzieren, die die öffentliche Ordnung störten. Hernández hat außerdem angekündigt, Demonstrationen während der Woche vor der Vereidigung auflösen zu lassen.
Empörung in weiten Teilen der Bevölkerung
Auch wenn Hernández alle wichtigen Institutionen mit den Gefolgsleuten seiner Partei besetzt hat, wie etwa den Obersten Gerichtshof und die Wahlbehörde und seine Partei über eine komfortable Mehrheit im Kongress verfügt, dürfte ihm das Regieren schwer fallen. Die Empörung weiter Teile der Bevölkerung ist tiefgreifend, der wahrscheinliche Wahlbetrug nur ein letzter Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Wirtschaftliche Perspektiven im Land gibt es kaum, zwei Drittel der Bevölkerung leben in Armut. Kleinbauern und Indigene müssen zudem immer wieder fürchten, die Grundlagen für ihre Subsistenzwirtschaft zu verlieren, denn für die Ausweitung des Bergbaus, die Konstruktion von Staudämmen oder für touristische Projekte werden sie oftmals von ihrem Land vertrieben. Hernández‘ Politik richtet sich fast ausschließlich an die wirtschaftlichen Eliten des Landes und ausländische Investoren.
2015 war die Regierung massiv unter Druck geraten, nachdem bekannt wurde, dass öffentliche Funktionäre Millionen aus dem Sozialversicherungssystem abgezweigt hatten. Politikern auf allen Regierungsebenen und auch der Familie von Hernández werden außerdem Verstrickungen in den Drogenhandel nachgesagt.
Die derzeitige politische Krise steht in Kontinuität des Zivilmilitärischen Putsches im Jahr 2009 gegen den damaligen Präsidenten Manuel Zelaya, der vom liberalen Kurs seiner eigenen Partei abgewichen war, soziale Reformen eingeleitet und sich außerdem dem alternativen Wirtschaftsbündnis ALBA angenähert hatte (Präsident in Honduras durch Militärputsch gestürzt). Schon die auf den Putsch folgende Übergangsregierung unter Roberto Micheletti betrieb eine neoliberale Politik des Ressourcenausverkaufs (Honduras will neoliberalen Traum von Städten des ungehemmten Kapitalismus realisieren), die von den nachfolgenden Präsidenten Porfirio Lobo und Juan Orlando Hernández fortgesetzt wurde.
An den Präsidentschaftswahlen 2009 beteiligte sich die Widerstandsbewegung des Landes nicht und bei der Wahl 2013, aus der Hernández als Präsident hervorging (Honduras wählt weitere vier Jahre Instabilität), wurden zahlreiche Unregelmäßigkeiten beobachtet. Hernández verfolgt seit Jahren eine Politik der Militarisierung und führte beispielsweise die Militärpolizei ein. Die Regierung Hernández war es auch, die 2012 die obersten Richter absetzte, weil sie sich einem von ihr geplanten Gesetzesvorhaben widersetzten.
Auch die erneute Kandidatur Hernández‘ ist ein Politikum, denn sie verstößt gegen die honduranische Verfassung. Zelaya war 2009 unter dem Vorwand abgesetzt worden, dass er angeblich eine erneute Kandidatur anstrebte. Im Fall von Hernández entschied das Verfassungsgericht aber zugunsten seiner zweiten Kandidatur. Besorgniserregend sind auch die Strafrechtsreformen, die in der vergangenen Legislaturperiode verabschiedet wurden und die die Kriminalisierung sozialer Proteste erleichtern. (Jutta Blume)
Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Honduras-Putsch-geht-in-die-Verlaengerung-3940463.html