Deutschland In der Asyl- und Migrationspolitik wird mit Prämien, Strafen und Charterflügen ein repressives Migrations- und Arbeitsregime ausgebaut
Seit Mitte November wirbt das Bundesinnenministerium bei der migrantischen Bevölkerung mit einer Plakatkampagne für die baldige Rückkehr ins Herkunftsland. »Dein Land. Deine Zukunft. Jetzt!« heißt die Aktion, die wie in einem Schlussverkauf zusätzlich zur regulären Rückkehrförderung eine Sonderprämie verspricht, wenn Menschen ihre Ausreise bis zum 31. Dezember des Jahres anmelden. Offenbar versucht die Bundesregierung, mit der Kampagne die Zahl sogenannter freiwilliger Ausreisen in die Höhe zu treiben. Im Vergleich zu den Vorjahren sind im bisherigen Jahr 2018 deutlich weniger Menschen mit einer finanziellen Förderung in ihr Herkunftsland zurückgekehrt.
Die Kampagne richte sich an Geflüchtete, deren Asylantrag abgelehnt wurde oder die sich entscheiden, ihr Asylverfahren nicht weiter zu betreiben – diese Auskunft erteilt das Informationsportal des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu freiwilliger Rückkehr. Flüchtlingsräte kritisieren seit Langem, dass von einer freiwilligen Rückkehr keine Rede sein kann, wenn Menschen die Abschiebung droht, weil sie vollziehbar ausreisepflichtig sind. Und wenn sich Geflüchtete aus Syrien oder dem Irak, die mit der Kampagne ebenfalls angesprochen sind, zur Rückkehr entscheiden, dann wahrscheinlich in der Regel nicht, weil sie sich dort ein Leben in Sicherheit und Frieden erhoffen, sondern weil deutsche Behörden seit Jahren den Nachzug ihrer Angehörigen verhindern und sie keine andere Möglichkeit sehen, wieder mit ihren Partner_innen, Eltern oder Kindern zusammenzuleben.
Hinzu kommt, dass sich das auf den Plakaten kommunizierte »Angebot« bei näherem Hinsehen als grob irreführend erweist. In Aussicht gestellt wird die Übernahme der Wohnkosten für volle zwölf Monate. Tatsächlich können Einzelpersonen zusätzlich zur sonstigen Rückkehrförderung 1.000 Euro Zuschuss für Miete, Renovierungsarbeiten oder Wohnungseinrichtungen erhalten, bei Familien sind es maximal 3.000 Euro. Die Unterstützung wird in Form von Sachleistungen ausgezahlt, und es ist eine Aufsplittung auf bis zu zwölf Monate möglich. Von einer Übernahme der Wohnkosten für ein ganzes Jahr kann also keine Rede sein.
Altbekanntes Instrument: »Rückkehrprämien«
Bei der berechtigten Kritik an der aktuellen Kampagne des Bundesinnenministeriums darf nicht vergessen werden, dass die finanzielle Förderung freiwilliger Ausreisen alles andere als neu ist. Bereits 1983 versuchte die Bundesregierung, mit der Zahlung einer Rückkehrprämie Gastarbeiter_innen zur Rückkehr in ihre Herkunftsländer zu bewegen. Nach der deutschen Vereinigung wurde vorübergehend eine Rückkehrprämie für Vertragsarbeiter_innen aus Vietnam eingeführt, die ca. 3.000 Arbeitsmigrant_innen in Anspruch nahmen. Mit den Programmen »REAG« und »GARP« wird seit den 1990er Jahren die Rückkehr von abgelehnten Asylbewerber_innen finanziell unterstützt. Und auch das Programm »Dein Land. Deine Zukunft. Jetzt!« gab es schon einmal im Winter 2017/2018. Wohl weil das Innenministerium im vergangenen Jahr auf eine auffällige Plakatkampagne verzichtet hat, ist die »Sonderrückkehrförderung« nicht in den Fokus öffentlicher Kritik geraten.
Die Rückkehrkampagne ist der momentan prominenteste, aber leider nicht der einzige Angriff auf die Rechte von Migrant_innen und Geflüchteten. Am 8. November 2018 hat der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, mit dem eine sogenannte Mitwirkungspflicht im Widerrufs- und Rücknahmeverfahren geschaffen wird. Widerrufsverfahren sind an sich nichts Neues. Es gibt sie im deutschen Asylrecht seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes 2005. Dabei überprüft das BAMF ohne konkreten Anlass den Schutzstatus von anerkannten Flüchtlingen nach drei Jahren ein weiteres Mal. Eine Rücknahme leitet die Behörde ein, wenn sich das Vorbringen oder die Identität des oder der Betroffenen im Nachhinein als falsch herausstellen. Zu einem Widerruf kann es kommen, wenn sich die Lage im Herkunftsland grundlegend und dauerhaft geändert hat.
Bei rund 43.000 Entscheidungen in Widerrufsverfahren im ersten Halbjahr 2018 hat das BAMF den Schutzstatus in über 99 Prozent der Fälle bestätigt. Betroffen waren vor allem Flüchtlinge aus Syrien und Irak. Auch in den Vorjahren, in denen es weitaus weniger Entscheidungen in Widerrufsverfahren gab, kam es in der weit überwiegenden Zahl der Fälle weder zu einem Widerruf noch zu einer Rücknahme des Schutzstatus. Die Widerrufsverfahren, die mit einem hohen administrativen Aufwand verbunden sind, führen oft zu einer enormen Verunsicherung der betroffenen Geflüchteten. In dieser Form gibt es die anlasslosen Widerrufsverfahren innerhalb der EU nur in Deutschland und Österreich.
Das neue Gesetz zu diesen Verfahren sieht eine Verschärfung vor: Anerkannte Flüchtlinge können künftig dazu gezwungen werden, am Widerrufsverfahren mitzuwirken. Bemühen sie sich aus Sicht des Bundesamts nicht ausreichend um Dokumente oder erscheinen sie nicht zu einem anberaumten Gesprächstermin, droht ein Zwangsgeld. Die Bundesregierung kündigt allein für 2018 und 2019 insgesamt 500.000 Widerrufsprüfungen an. Bei 60 Prozent dieser Verfahren soll ein Hinweisschreiben zur Mitwirkungspflicht versandt werden. Es ist also zu befürchten, dass anerkannte Flüchtlinge massenhaft zu einer zweiten Anhörung vorgeladen werden. Durch gezielte Befragungen könnte das BAMF aktiv nach Widerrufs- oder Rücknahmegründen suchen.
Das Ganze hat noch einen weiteren Effekt: Das BAMF wird in den kommenden Jahren ganz überwiegend mit der Durchführung von Widerrufsverfahren beschäftigt sein. Das ist auch Zeit, die von der Bearbeitung neuer Asylanträge abgeht. Es ist daher absehbar, dass diese zusätzlichen Tätigkeiten zu längeren Verfahren und mehr fehlerhaften Bescheiden führen werden.
Zweiter Anlauf: weitere »sichere Herkunftsstaaten«
Momentan berät der Bundestag über ein Gesetz, mit dem Algerien, Marokko, Tunesien und Georgien zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden sollen. Ziel der Bundesregierung ist es, die Zahl der Asylanträge aus diesen Ländern zu reduzieren, die Verfahren zu beschleunigen und mehr Abschiebungen durchzuführen. Die Einstufung von Herkunftsstaaten als sicher führt in erster Linie zu einer massiven Entrechtung der Asylsuchenden aus diesen Ländern. Diese sind dann verpflichtet, sich deutlich länger als andere Asylsuchende in einer Aufnahmeeinrichtung aufzuhalten, im Fall, dass ihr Antrag abgelehnt wird, sogar bis zur Abschiebung. Sie unterliegen der Residenzpflicht und einem Beschäftigungsverbot, haben einen erschwerten Zugang zu Bildungsangeboten wie Sprachkursen und werden vielerorts mit Sachleistungen versorgt. Hinzu kommt, dass die Rechtsschutzmöglichkeiten für Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten stark eingeschränkt sind. Ihre Asylanträge lehnt das BAMF in der Regel als »offensichtlich unbegründet« ab. Das hat zur Folge, dass die Klagefrist sich auf eine Woche verkürzt. Außerdem können Asylsuchende aus sicheren Herkunftsländern abgeschoben werden, obwohl noch nicht über ihre Klage entschieden wurde.
Das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten begründet ein Zwei-Klassen-Asylsystem und steht einer sorgfältigen und unvoreingenommenen Einzelfallprüfung entgegen. Besonders problematisch ist es, wenn Staaten als sicher eingestuft werden sollen, in denen gravierende Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Das ist in Algerien, Marokko und Tunesien der Fall, besonders betroffen sind neben Oppositionellen Angehörige sexueller Minderheiten. In allen drei Maghreb-Staaten steht Homosexualität unter Strafe.
Zur Lage in Marokko erklärte die Bundesregierung 2017 auf Anfrage der Linksfraktion, dass die Strafvorschriften »in der Praxis weniger gegen Einzelpersonen, als vielmehr zur Verhinderung der Gründung von Organisationen herangezogen« würden, die sich für die Rechte von LGBTI einsetzen. Das bedeutet: Die Kriminalisierung von LGBTI, die sich nicht damit abfinden, ein »unauffälliges« Leben zu führen, um staatlicher Verfolgung und gesellschaftlicher Stigmatisierung zu entgehen, sondern aktiv für die eigenen Rechte eintreten, ist nach Ansicht der Bundesregierung hinnehmbar. Zynischer geht es kaum.
Einen Vorstoß zur Einstufung der Maghreb-Staaten als sicher gab es schon einmal in der letzten Wahlperiode. Damals scheiterte das Gesetz am Bundesrat. Doch auf die links mitregierten Länder ist heute womöglich weniger Verlass. So hat der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) schon seine Bereitschaft signalisiert, über eine Zustimmung zu dem Gesetz zu verhandeln.
Auch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das noch dieses Jahr im Kabinett beschlossen werden soll, hat für geflüchtete Menschen nach jetzigem Stand wenig zu bieten. Einen echten »Spurwechsel«, der abgelehnten Asylbewerber_innen eine verlässliche Bleibeperspektive eröffnen könnte, sucht man in dem Referentenentwurf, der seit dem 19. November vorliegt, vergebens. Zwar ist eine Überarbeitung der Regelungen zur Ausbildungsduldung geplant, zusätzlich soll eine Beschäftigungsduldung geschaffen werden. Es bleibt aber dabei, dass lediglich eine Duldung statt einer Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.
Die wenigen Verbesserungen bei der Ausbildungsduldung gehen wiederum mit Verschärfungen an anderer Stelle einher. Bei der neuen Beschäftigungsduldung sind die Zugangshürden so hoch, dass sie nur für sehr wenige Personen infrage kommen wird. Als wäre das nicht genug, sieht der Gesetzentwurf auch noch eine Ausweitung der Arbeits- und Bildungsverbote für Geflüchtete vor.
Mehr Polizeigewalt bei Abschiebungen
Unterdessen setzen Bund und Länder Abschiebungen mit zunehmender Härte durch. Berichte über den Einsatz massiver Polizeigewalt, Fesselungen, Demütigungen sowie Zwangsmedikationen – insbesondere bei Dublin-Überstellungen in andere EU-Staaten – häufen sich in den letzten Monaten. Dabei setzen Bund und Länder verstärkt auf Sammelabschiebungen per Charterflug. Das Kalkül: Dort gibt es keine Zeug_innen für Polizeigewalt.
Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der Linksfraktion im Bundestag geht außerdem hervor, dass die Bundesländer die Abschiebungshaft seit 2015 massiv ausgeweitet haben. Die Zahl der Abschiebungshaftfälle hat sich zwischen 2015 und 2017 von rund 1.800 auf über 4.000 mehr als verdoppelt, die Angaben zum ersten Halbjahr 2018 deuten auf einen weiteren Anstieg hin. Auch die Haftdauer ist stark angestiegen. Die hohe Zahl der Abschiebungen hat sich im gleichen Zeitraum kaum verändert. Rechtsanwält_innen beklagen eine hohe Zahl rechtswidriger Inhaftierungen. Die Bundesländer führen hierzu allerdings keine verlässliche Statistik.
All das zeigt: Rassistische Mobilisierungen und die Wahlerfolge der AfD führen nicht nur zu mehr rassistischen Pöbeleien und Angriffen auf der Straße, sondern bereiten auch einer weiteren staatlichen Entrechtung von Geflüchteten den Weg.
Quelle: https://www.akweb.de/ak_s/ak644/35.htm