Wir wissen, dass die Arbeiter ausgebeutet werden. Den Spruch “Arm trotz Arbeit“ kennen wir auch alle und neoliberale Politik schafft weltweit die Voraussetzungen für prekäre Arbeitssituationen. In diesem Artikel geht es um den Wirtschaftspartner Türkei.
Bevor Außenminister Maas kürzlich der Türkei einen Besuch abstattete, prangerte er noch die Inhaftierung von Deutschen in türkischen Gefängnissen an. Nicht akzeptabel für ihn, als ob sonst alles in Ordnung wäre. Es gibt viele Probleme die er auch noch ansprechen könnte, wenn er wollte. Will er aber nicht, denn das könnte Erdogan verärgern und damit die Interessen deutscher Unternehmen gefährden. Denn letztlich geht es um 7.000 deutsche Unternehmen in der Türkei.
Herr Maas interessiert sich nicht für die Arbeitsunfälle – besser gesagt “Arbeitsmorde“ – in der Türkei, resultierend aus Zuständen von denen auch deutsche Unternehmer profitieren.
Plakataufschrift “Kein Arbeitsunfall! es ist Mord“
Seit Erdogan an die Macht kam sind 21.737 ArbeiterInnen bei Arbeitsunfällen ums Leben gekommen, also in dem Zeitraum von 2002 bis September 2018. Zu “Arm trotz Arbeit“ gesellt sich “Tod durch Arbeit“, so ist der Neoliberalismus. Heiko Maas hat wahrscheinlich davon gehört, auch von den 70.000 Schülern/Studenten, die derzeit im Gefängnis sitzen(1). Aber bei seinem Besuch in der Türkei ging es nicht um Menschen, sondern um Geld. Und es hat sich gelohnt, Siemens bekommt den Zuschlag das türkische Schienennetz auszubauen (35 Milliarden €). Die verhafteten Deutschen bleiben übrigens weiterhin im Gefängnis.
Tod durch Arbeit
Allein in den ersten 8 Monaten diesen Jahres starben 1.290 ArbeiterInnen (2).
Im Jahr 2013 starben 1.235 ArbeiterInnen
Im Jahr 2014 starben 1.886 ArbeiterInnen
Im Jahr 2015 starben 1.730 ArbeiterInnen
Im Jahr 2016 starben 1.970 ArbeiterInnen
Im Jahr 2017 starben 2.006 ArbeiterInnen bei Arbeitsunfällen.
76 Geflüchtete starben in den ersten 9 Monaten des Jahres 2016 bei Arbeitsunfällen.
„Kinder-Arbeiter“:
Seitdem das Gesetz „Gesundheit und Sicherheit auf dem Arbeitsplatz“ 2013 verabschiedet wurde, sind bis September 2017, also in 5 Jahren, 260 „Kinder-Arbeiter“ gestorben.
Gemäß den Berichten von “Health and Safety Labour Watch-Turkey“ sind
59 „Kinder-Arbeiter“ im Jahr 2013 bei Arbeitsunfällen gestorben
54 „Kinder-Arbeiter“ im Jahr 2014 bei Arbeitsunfällen gestorben
63 „Kinder-Arbeiter“ im Jahr 2015 bei Arbeitsunfällen gestorben
56 „Kinder-Arbeiter“ im Jahr 2016 bei Arbeitsunfällen gestorben
und 28 „Kinder-Arbeiter“ in den ersten 7 Monaten des Jahres 2017 bei Arbeitsunfällen gestorben.
„Flüchtlings-Kinder-Arbeiter“
Die Kinder vieler aus Syrien geflüchteter Familien sind nicht registriert und müssen unter prekären Bedingungen arbeiten, um ihre Familien zu unterstützen.
Allein in der Stadt Antep leben fast 326.000 Flüchtlinge. Mehr als die Hälfte von ihnen sind unter 18 Jahre alt.
In den Textilwerkstätten arbeiten meistens 5-10 jährige Kinder für einen Tageslohn von 5 TL. Diejenigen, deren Weg zu den Werkstätten zu weit ist, arbeiten von zu Hause aus.
Arbeiterinnen
Die doppelte Ausbeutung von Frauen, die zu Hause arbeiten und meist nicht angemeldeten Tätigkeiten unter prekären Arbeitsbedingungen nachgehen, führt dazu, dass diese in den Statistiken meist nicht erscheinen.
Dennoch wurden einige tödliche Arbeitsunfälle erfasst.
2013 starben 103 Arbeiterinnen,
2014 starben 131 Arbeiterinnen,
2015 starben 120 Arbeiterinnen,
in den ersten 8 Monaten im Jahr 2016 starben 70 Arbeiterinnen bei Arbeitsunfällen.
Illegal beschäftigte Flüchtlinge, die in den Statistiken auftauchen.
2010 arbeiteten an 1.084 Arbeitsorten 2.287 Flüchtlinge
2011 arbeiteten an 1.255 Arbeitsorten 2.885 Flüchtlinge
2012 arbeiteten an 1.330 Arbeitsorten 2.636 Flüchtlinge
2013 arbeiteten an 2.504 Arbeitsorten 4.832 Flüchtlinge
weitere zuverlässige Angaben sind möglicherweise aus innenpolitischen Gründen nicht erwünscht.
90 % der über 3,5 Millionen Syrer leben in den Städten und die meisten haben keine Aufenthaltserlaubnis und somit natürlich auch keine Arbeitserlaubnis. 80.000 Syrer verfügen zwar über eine Aufenthaltserlaubnis, aber nur 6.000 von ihnen haben auch eine Arbeitserlaubnis. Es gibt keine Zahlen zu bei Arbeitsunfällen gestorbenen Flüchtlingen, da diese meist illegal arbeiten und somit nicht erfasst werden.
Die o.g. Zahlen wurden von „Health & Safety Labour Watch-Turkey“ mit begrenzten Möglichkeiten erfasst. Die Dunkelziffer ist viel größer. Und die Zahlen, der durch die Arbeit krank gewordenen und daraufhin entlassenen und später gestorbenen ArbeiterInnen wurden nicht berücksichtigt. Aber allein die erfassten Zahlen machen deutlich, welche Arbeitsbedingungen in der Türkei herrschen.
Trotz der Aufhebung des Ausnahmezustands ist es den Beschäftigten aufgrund von neuen Erlassen nicht möglich zu streiken. Sie können sich nicht mal gegen monatelang ausbleibende Löhne wehren. Verstöße gegen das Arbeitsrecht können juristisch nicht verfolgt werden.
Nach der Wahl vom 24. Juni 2018 hat das Erdogan-Regime als erstes den Unternehmern Steuerschulden in Höhe von Milliarden Türkische Lira erlassen. Die Beschäftigten müssen nun die Zeche zahlen, mit noch mehr Arbeit und vielleicht ihrem Leben.
Eine Verbesserung der Sicherheit am Arbeitsplatz ist in einer Diktatur nicht zu erwarten. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Situation zu beobachten und darüber zu informieren.
Grafik von “Health and Safety Labour Watch-Turkey“
August 2018
- https://www.dw.com/tr/türkiyede-tutuklu-öğrencilerin-sayısı-70-bine-dayandı/a-42267467
- http://www.guvenlicalisma.org
Freiesicht.org