Der Zentralisierungsangriff auf die Regionalkrankenkassen der Alpenrepublik
Zu den Kronjuwelen des österreichischen Sozialstaats zählen die 9 Gebietskrankenkassen. Jede von ihnen ist für die große Mehrheit der Bevölkerung in einem der neun österreichischen Bundesländer zuständig. Die menschenfeindliche Regelung einer aus der Krankenversicherung ausgesonderten kümmerlichen Teilkasko-Pflegeversicherung, wie sie in Deutschland besteht, kennt man in Österreich nicht.
Ebenso wenig gibt es im Nachbarland den abstoßenden „Wettbewerb“ von angeblich sozialen Kassenkonzernen um „gute Risiken“: Das sind Versicherte mit möglichst hohem Einkommen und mit möglichst guter Gesundheit. Unmöglich sind bei den österreichischen Gebietskrankenkassen auch so ekelhafte Deals, wie sie manche deutschen Krankenkassen mit Ärzten machen. Diese diagnostizieren dann Kranke als noch Kränkere, damit deren Kassen für sie dadurch „Morbiditätsausgleich“ kassieren können.
Vor allem aber hat in Österreich der Staatshaushalt keinen direkten Zugriff auf die Kassenfinanzen. Immerhin sind diese ja Lohnfonds, gebildet aus den Beitragszahlungen der Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer aus deren Bruttolöhnen. Im Unterschied dazu hat sich Deutschland mit dem so genannten zentralen „Gesundheitsfonds“, der als Finanzkarussell zwischen den Kassenkonzernen fungiert, eine ergiebige Geldquelle erschlossen.
Mit Hilfe von Krankenversicherungsbeiträgen kann auch über ihn ein verschuldungsfreier Bundeshaushalt erreicht werden. Die außerdem bei den Kassenkonzernen zu Lasten der Versicherten zusammengesparten Milliardenüberschüsse erlauben es der Berliner Regierung zusätzlich, gegenüber der Rest-EU finanzstatistisch Schuldenfreiheit vorzutäuschen. Dieser Beitragsmissbrauch heißt „Schwarze Null“.
Zu welchen Abwegigkeiten es der deutsche Sozialstaat mittlerweile gebracht hat, zeigt sich im Zusammenhang der Minus-Zins-Debatte: Dass die EZB-Geldpolitik eine zwangsläufige Folge der Austerity-Offensive des Berliner Regimes vor allem gegen die südeuropäischen Volkswirtschaften und Gesellschaftsordnungen ist, hat sich herumgesprochen.
Nicht durchschaut ist bisher, wie das Berliner Parlament die bei der EZB-Geldpolitik unvermeidlichen Zinsverluste der Beitragsüberschüsse benutzt, um nach der Rentenversicherung nun auch die Krankenversicherung der globalen Finanzspekulation auszuliefern. Mit dem Alibi der Zinsverluste wurde es kurz vor der Bundestagswahl den deutschen Kassenkonzernen noch rasch erlaubt, ihre Pflichtrücklagen auch auf dem internationalen Aktienmarkt anzulegen.
Österreichische Regionalkrankenkassen: Ein Provokation für die Berliner GroKo
Ganz anders die Diskussion in Österreich: Hier wird die Auffassung vertreten, eventuelle Überschüsse der Gebietskrankenkassen seien in die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu investieren.
Und vor allem: Durch die Konstruktion der Krankenversicherung in Österreich als Gebietskrankenkassen bleiben die Beitragsgelder aus den Bundesländern zunächst einmal in Form der Leistungsausgaben an die Apotheken, Arztpraxen und Krankenhäuser etc. auch wieder in den Bundesländern.
Der von der Merkelregierung im Vorfeld der Banken- und Budgetkrise installierte Gesundheitsfonds hingegen schöpft ohne Rücksicht auf die Wirtschaftskraft der Teilräume Einheitsbeiträge aus diesen ab. Es sind dabei dann die wirtschaftsstärkeren Teilräume mit ihrer höheren Dichte an Apotheken, Arztpraxen und Krankenhäusern, die aus dem Gesundheitsfonds entsprechend höhere Leistungszahlungen beziehen.
In Deutschland macht also das Kassen- und Fondssystem arme Regionen noch ärmer. In Österreich gibt es eine derartige „soziale“ Heimtücke nicht.
Kein Zweifel: Ein solches Beispiel anständiger Sozialpolitik in der unmittelbaren Nachbarschaft stellt für die in Berlin Regierenden eine Provokation dar. Im Zusammenhang der Diskussion über das Thema „Altersarmut“ hat sich bereits gezeigt, wie unangenehm das Beispiel der armutsfesten Rentenversicherung im Nachbarland Österreich für die offiziellen Rentenlügnerinnen und Rentenlügner im Merkel-Deutschland ist – es hat ihnen jede Glaubwürdigkeit genommen.