Wir können euch mit dem folgenden Beitrag keinen umfassenden Bericht über die Situation im Iran und die Proteste der Menschen auf den Straßen dort geben. Denn dafür braucht es eine detaillierte Analyse. Das würde die Möglichkeiten unserer kleinen Kundgebung heute überschreiten. In unserem Aufruf haben wir ja die Hintergründe der jetzigen Straßenproteste im Iran kurz skizziert.
Im Folgenden möchten wir euch jedoch von der Bedeutung von „Solidarität“, wie wir sie verstehen, erzählen: Wie positionieren sich die Menschen in der bundesdeutschen Gesellschaft in Bezug auf die Entwicklungen von Ländern wie dem Iran? Oder, anders gesagt: Was hat das alles mit Hier zu tun und was können wir hier tun? Wir werden nun also vor allem über Hier sowie über euch reden!
Der Krieg in Syrien und die erzwungene Flucht vieler Syrer*innen nach Europa hat die bundesdeutsche Öffentlichkeit zwar einerseits auf die Situation im Nahen und Mittleren Osten aufmerksam gemacht. Aber es gibt dennoch aus unserer Sicht kein tiefergehendes Verständnis über die Ursachen des Krieges oder gar eine hohe Sensibilität gegenüber der Situation der Geflüchteten. Stattdessen wurden vor allen Dingen viele Anstrengungen unternommen, die Asylsuchenden und die
zu Migrant*innen gemachten Menschen als „Opfer“ und als „Bedürftige“ zu unterstützen. Und langfristig geht es meist darum, sie sobald wie möglich zu „guten“ und „nützlichen Mitgliedern“ der Gesellschaft machen. Aber diejenigen Europäer*innen, die daran glauben, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben, sollten nicht vergessen, dass es die Außenpolitik der Europäischen Union – und darunter insbesondere die der Bundesrepublik – ist, die für die verheerenden Lebensbedingungen der Menschen in den Ländern des Südens und des Ostens beiträgt.
Das mag vielleicht pessimistisch klingen. Aber das liegt daran, dass wir in all den Jahren, die wir nun in der Bundesrepublik sind, keine nennenswerte Bewegung gegen die scheinheilige Politik dieses Staates gesehen haben, der ganz stolz im Namen der Demokratie regiert. So unterhält die Bundesrepublik nicht nur diplomatische Beziehungen mit Saudi-Arabien, dem Iran und der Türkei, sondern vor allem auch Handelsbeziehungen und liefert umfassend Waffen dorthin – obwohl unbestritten ist, dass diese Staaten maßgeblich zur Verschärfung des Bürgerkrieges in Syrien beigetragen haben. Die Bundesbürger*innen, die diese Tatsachen in den Medien sehen und schweigen – das sind diejenigen, die mit ihrer Passivität – gewollt oder ungewollt – diese scheinheilige Politik ihres Staates unterstützen.
Wir denken, dass viele Menschen hier ein eingeschränktes Verständnis vom Begriff der Demokratie im Kopf haben. Ein Verständnis, nach dem Demokratie ein politisches System ist, das die Wirtschaftsentfaltung und Sicherheit allein auf nationaler Ebene fördert. Deshalb haben sie meist ein nationalistisches Verständnis von Demokratie – im besten Fall gibt es noch ein eurozentrisches Verständnis vom Konzept der Gleichheit der Menschen.
Vielleicht hört ihr aus unseren deutlichen Worten unsere Wut heraus. Diese Wut ist ein klarer Ausdruck des Leidens, das wir seit vielen Jahren erfahren und das sich immer wieder wiederholt. Unsere existenzielle Situation bringt uns dazu, die Probleme auf andere Weise zu betrachten. Aber in dieser besonderen Situation haben wir auch eine besondere Sensibilität für die offensichtlichen Widersprüche zwischen dem, was von offizieller Seite heuchlerisch behauptet wird und dem, was die wirkliche, menschenrechtswidrige Politik der Herrschenden ist.
Aus unserer Erfahrung kennen wir die unterschiedlichsten Formen von Diskriminierung und Unterdrückung. Und wir können sie in ihren Wurzeln und ihren Strukturen gut erkennen und beobachten. Daher haben wir z.B. gelernt, die Entwicklungen in den Ländern, aus denen wir fliehen müssen, in weltweiten, historischen Zusammenhängen zu sehen. Wir können deshalb die bestehenden Ungerechtigkeiten und Unterdrückungsformen auf nationaler Ebene nicht verstehen, ohne die globalen kapitalistischen Machtverhältnisse oder das weltweite neoliberale Projekt zu begreifen. Das ist der Grund, warum es für uns nicht möglich ist, über die aktuellen Probleme im Iran zu sprechen, ohne an die Leiden der Menschen von Syrien, Palästina, Kurdistan, Irak, Jemen, Afghanistan, Libyen und vieler anderer Menschen in Not zu erinnern.
Aber lasst uns zum Thema Solidarität mit den aktuellen Protesten im Iran zurückkehren und auch den sich daraus ergebenden Erwartungen:
Die meisten der Deutschen wissen fast nichts über den Iran, abgesehen von den Nachrichten, die gelegentlich in den offiziellen Medien und in Mainstream-Medien veröffentlicht werden. Das ist nicht überraschend: Zum Einen haben die Veränderungen im globalen politischen Spektrum sowie die Weiterverbreitung des Neoliberalismus seit Ende der 1980er Jahre die Entpolitisierung der Öffentlichkeit in der bundesdeutschen Gesellschaft durchgesetzt. Zum Anderen vertraut die Mehrheit der Gesellschaft (naiv) den Mainstream-Medien. Doch in ihnen überwiegen die offiziellen Ansichten der Bundesregierung, welche hauptsächlich die Interessen der Großkonzerne repräsentiert. Natürlich ist diese Berichterstattung nicht kritisch und auch nicht wirklich an den Menschenrechten orientiert – und das in einem Land, in dem die Kritische Theorie der Frankfurter Schule entstanden ist.
Stattdessen werden durch die Diskurse in den Mainstream-Medien Stereotype produziert. Und durch deren Verbereitung und Wiederholung wird in den Köpfen der Bundesbürger*innen der enge Rahmen geschaffen, in dem globale Fragen und Probleme gedacht und beurteilt werden. Dabei gibt es zwei “heilige” Glaubenssätze. Zum ersten: Die Bundesregierung handelt immer im allgemeinen Interesse der Bürger*innen. Und zum zweiten: Die nationalen Interessen Deutschlands haben über alles Priorität. Erinnert euch nur an die tragische Einsamkeit der griechischen
Bevölkerung bei ihren Protesten, die durch den Druck der Bundesregierung zur großen Niederlage und zur Enttäuschung der Menschen auf der Straße führte. Vor dem Hintergrund dieser beiden Glaubenssätze wird die menschenrechtswidrige Politik der Bundesregierung als gerechtfertigt hingenommen und in der Öffentlichkeit nicht mehr kritisch thematisiert.
Auf der anderen Seite haben auch linke und demokratische politische Aktivist*innen und unabhängige Journalist*innen in der Bundesrepublik in Bezug auf die Entwicklungen von Ländern wie dem Iran meistens keine tiefere Einsicht als die Mehrheit der Gesellschaft. Auch deren Wissen und infolgedessen deren Analyse bleiben meistens auf dem Niveau der offiziellen Nachrichten der Mainstream-Medien stehen. Und dies nicht, weil es keine hilfreichen analytischen Ressourcen für ein besseres Verständnis der dortigen Situation gäbe, sondern weil Aktivist*innen und unabhängige Journalist*innen oft nicht ausreichend davon überzeugt sind, dass so ein Wissen für ihre politische Tätigkeiten notwendig ist. Und dies wiederum wurzelt in einem grundsätzlicheren Phänomen der progressiven Kräfte in der bundesdeutschen Gesellschaft: Der Internationalismus hat seine wahre Bedeutung verloren. Was meinen wir damit?
Die globalen Probleme und die Lebensbedingungen der Menschen in verschiedenen Teilen der Welt werden meist isoliert voneinander betrachtet. Viel zu wenig wird wirklich verstanden, dass die Probleme der Menschen weltweit miteinander strukturell verbunden sind – besonders vor dem Hintergrund, dass die kapitalistischen Verhältnisse immer massiver angreifen. Die globalen Zusammenhänge nicht zu sehen führt dazu, dass auch in der linken Szene alles auf der nationalen Ebene betrachtet wird. Deswegen sind die linken Kämpfe gegen den zunehmenden Rassismus und Nationalismus teilweise widersprüchlich, denn sie basieren – oft ungewollt und unreflektiert – auf einem ähnlichen Glaubenssatz, nämlich dem einer vermeintlichen Priorität des „Nationalen“. Ein deutliches Zeichen, wie sehr der internationalistische Ansatz verschwunden ist, ist die nur noch konjunkturelle, also vorübergehende Solidarität mit den Kämpfen der Menschen in anderen Ländern – ohne tiefergehendes Wissen über und ohne ständige Verbindungen mit den dortigen progressiven Kämpfen.
Aber für den Fall, dass internationale Solidarität für einige Menschen in dieser Gesellschaft hier immer noch als wertvoll betrachtet wird, wollen wir als exilierte iranische politische Aktivist*innen einige Erwartungen in Bezug auf die aktuellen Kämpfe im Iran ausdrücken. Natürlich behaupten wir überhaupt nicht, dass wir die Stimme dieser heterogenen Bewegung sind. Aber wir alle haben es von ganzem Herzen erfahren und gespürt: Die Menschen im Iran haben in den letzten Jahrzehnten bei all ihren Protesten, die am Ende unterdrückt wurden, letztlich immer für das Gleiche gekämpft: für Gerechtigkeit und für Freiheit. Ob bei der geklauten, unbeendeten Revolution von 1979, ob bei den Protesten der Studierenden von 1999 oder bei der Grünen Bewegung von 2009 und besonders jetzt bei den aktuellen Straßenprotesten – es geht immer um Gerechtigkeit und Freiheit für alle.
Wir sind der Meinung, dass die beste Art von Solidarität der freigeistigen Menschen der Welt mit den fortschrittlichen Kämpfen der Menschen in anderen Ländern darin besteht, dass sie sich aktiv und kritisch an der Politik ihres eigenen Landes beteiligen und dadurch die falschen Politikansätze der eigenen Regierungen herausfordern und bekämpfen; Politiken, die bestimmte Bedingungen in einem bestimmten Land erzwingen und die Kämpfe der Menschen vor Ort zugleich negativ beeinflussen.
Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Rolle der Bundesregierung während der „Grünen Bewegung“ im Jahr 2009. Der diplomatische und moderate Diskurs der BRD über die „Grüne Bewegung“ und Menschenrechte wurde zugleich vom Verkauf von Überwachungs-Technologie und Unterdrückungs-Ausrüstung vom deutschen Konzern Siemens an die iranische Regierung begleitet. Die Bewegung stand noch auf der Straße und wurde brutal unterdrückt, die Menschen mit der neuen Technologie
von Siemens in den Knast und die Folterkammern gesperrt, als deutsche Firmen und Vertreter des Sicherheitsapparates an einer Ausstellung der Sicherheitspolizei in Quatar teilnahmen. Und bereits kurz nach dem Ende der Niederschlagung der „Grünen Bewegung“ wurden die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit der Regierung Ahmadinejad wiederhergestellt.
Seit dem Sieg von Rouhani im Jahr 2012 stellt die Bundesregierung ihn und sein Kabinett glorifizierend als Reformisten und Progressiven dar, um dadurch – in Konkurrenz zu anderen westlichen Ländern – ihre wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit dem Iran zu erweitern. Dies alles ohne jemals die bundesdeutsche Öffentlichkeit darüber in Kenntnis zu setzen, welche Art von Reformen im Iran nach Ahmadinejad auch wirklich stattgefunden haben; gab es z.B. tatsächlich eine Verbesserung in Bezug auf die Situation systematischer Menschenrechts-Verletzungen oder der Unterdrückung der politischen und sozialen Freiheiten, wie auch der wirtschaftlichen Verhältnisse im Iran?
Was diese falsche Darstellung in der deutschen Gesellschaft u.a. ermöglicht hat, war vor allem der schlechte Ruf von Ahmadinejad als negative Referenzfigur der iranischen Politik früherer Perioden, wodurch ein Teil der Wahrheit zur ganzen verkehrt wurde. Daher hat die professionellere diplomatische Sprache der Rouhani-Regierung und insbesondere ihr Erfolg beim Abschluss des Nuklearabkommens mit dem Westen dazu geführt, dass viele in den westlichen Ländern – auch hier, einschließlich unserer linken Genoss*innen und der demokratischen Kräfte – das weit verbreitete Bild angenommen haben, dass sich die Situation im Iran verbessert habe. Genau deshalb sind sie von den verbreiteten Straßenprotesten im Iran überrascht.
Ein anderes greifbares Beispiel ist die mangelnde Sicherheit für die Aktivität der iranischen Oppositionellen hier in Deutschland. Die Art und Weise der politisch-wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesregierung und Ländern wie dem Iran hat in den letzten Jahrzehnten dazu beigetragen, dass sich die Oppositionsaktivisten z.B. aus dem Iran und der Türkei usw. hier nicht in Sicherheit befinden. Ihr könnt euch vielleicht daran erinnern, dass im vergangenen Jahr die Nachricht über die große Anzahl türkischer Sicherheitsagenten in Deutschland für brennende Debatten gesorgt hat. Um dieses Thema in Bezug auf den Iran zu betrachten, ist es nicht notwendig, viele Jahre zurück zu gehen: Erinnern wir uns beispielsweise an die Ermordung Dutzender iranischer Oppositioneller auf dem Territorium Deutschlands und Frankreichs in den 80er und 90er Jahren. Wenn ihr überhaupt nichts davon gehört habt, beschäftigt euch mit dem berühmten Mykonos-Urteil in Berlin aus dem Jahr 1997. Es genügt auch zu wissen, dass in den letzten Jahren viele der aktivsten iranischen Student*innen und Asylsuchenden in Deutschland, die 2009 von hier aus die „Grüne Bewegung“ aktiv unterstützt haben, zahlreiche Probleme bekamen – entweder direkt und persönlich oder durch Druck des iranisches Staates auf ihre Familien im Iran.
Und obwohl die Bundesregierung von ihrem Wirtschaftspartner das gute Bild eines Reformisten zeichnet, hat sich an dieser Situation noch nichts verändert. Im Gegenteil hat die Überwachung und Verfolgung der Oppositionellen außerhalb des Landes neue Formen entwickelt. Aus diesem Grund hat Rouhani anläßlich der jetzigen Proteste die französische Regierung offiziell dazu aufgefordert, den in Frankreich lebenden iranischen Aktivist*innen die Unterstützung der Proteste im Iran zu verbieten. Damit meinte er allerdings nicht nut die Beschränkung der medialen Berichterstattung über die Proteste im Iran oder damit zusammenhängende unterstützende Aktionen. Er forderte die französische Regierung implizit sogar dazu auf, mit der iranischen Regierung zusammen zu arbeiten um gegen Aktivist*innen vorzugehen. Anstatt sich auf der internationalen Ebene für das Verbot friedlicher Proteste und die harte Repression verantworlich zu fühlen, verteidigt sich die Rouhani-Regierung über einen Angriff nach Außen.
Schlussendlich möchten wir euch sagen, dass die Darstellung der Bundesregierung und der Mainstream-Medien der jüngsten Demonstrationen im Iran ein stark verzerrtes Bild ist. Es ist ein Bild, das auf den offiziellen Berichten der iranischen Regierung basiert. Ein solches Bild ist vor allem immer dem verpflichtet, was den engen wirtschaftlichen und politischen Verbindungen zweier Staaten entspricht: Die Aussage zum Beispiel, dass die getöteten Demonstrant*innen – mittelweile sind es offiziell über 22 Opfer – von sogenannten „fremden Elementen“ getötet worden seien. Oder die Aussage, dass im Iran friedliche Demonstrationen erlaubt seien und dass unabhängige Kräfte eine Demonstration offiziell anmelden und durchsetzen könnten. All das sind Lügen. Am Mittwoch haben bundesdeutsche Politiker außerdem verkündet – im merkwürdigen Einklang mit der Behauptung der iranischen Regierung– , dass die Proteste im Iran beendet seien. Zur gleichen Zeit haben die Massen auf den Straßen noch mal die Entschlossenheit und die tiefen Wurzeln dieser Proteste gezeigt. Man könnte fast meinen, die Angst der Bundesregierung korrespondiert mit der Angst der iranischen Machteliten. Diese Proteste können nur mit brutaler Repression beendet werden – und so ein „Ende“ darf man nicht herbei reden! Die bewusst voreilige Behauptung eines Endes der Proteste öffnet so weiteren massiven Repressionen der iranischen Regierung Tür und Tor. Das ist genauso so gefährlich, wie die aggressive Rhetorik von Donald Trump, der gerade versucht, die Situation im Iran für US-amerikanische Interessen auszunutzen – und dies auf Kosten der Menschen, die dort für ihre Rechte und für ihr Leben auf die Straße gehen.
Wir haben keine überhöhten oder besonderen Erwartungen an euch. Wir erwarten von euch als demokratischen Bürger*innen und/oder als linken Aktivist*innen hier in der BRD, euch mit größerer Wachsamkeit und Verantwortlichkeit mit der hiesigen Politik -insbesondere der Außenpolitik- auseinanderzusetzen. Das ist die beste Art von Solidarität mit den Kämpfen der unterdrückten Menschen im Iran und vielen anderen Ländern. Wir sind realistisch und wenden uns in unseren Forderungen daher nicht an die deutsche Regierung und die offiziellen Parteien, welche in der Pflicht gegenüber ihren Partnern stehen sowie ein ernsthaftes Interesse an der Aufrechterhaltung der bestehenen globalen Verhältnisse haben – und daher selbst ein Teil des Problems sind.
Wir glauben jedoch tief an die Gewissenhaftigkeit und an die Entschlossenheit der freien Menschen und an die Kraft der Veränderung, die daraus entstehen kann.
(Redebeitrag auf der Kundgebung zur Soldarität mit Protesten im IRAN / Bremen – 5.01.2018)
Ak Internationalismus