Es reichte, dass Emmanuel Macron am Vorabend der G7-Konferenz in Biarritz einen alarmierenden Tweet
absetzte, in dem er die Waldbrände im brasilianischen Amazonien als
Auslöser „einer internationalen Krise” bezeichnete. Wenige Stunden
später schoss der brasilianische General a.D. Eduardo Villas Boas sinnbildlich zurück,
Macron habe einen „direkten Angriff auf die brasilianische
Souveränität” vorgenommen, der „objektiv Androhungen von Militärgewalt
umfasst”, empörte sich der ehemalige Heereschef und amtierende
Chefstratege des Bolsonaro-Regimes. Von Frederico Füllgraf.
Mit der paranoiden Unterstellung nicht zufrieden und bar jedes
diplomatischen Fingerspitzengefühls ging der rechtsradikale Villas Boas
mit dem opportunistischen Zitat eines unvergesslichen kommunistischen
vietnamesischen Nationalhelden zur Attacke gegen Frankreich über: „Es
stellt sich die Frage, woher dieses Land die moralische Autorität
beansprucht, denn wie Ho Chi Minh sagte, ist es das Land der Aufklärung,
doch wenn es unterwegs ist, vergisst es die Aufklärung mitzunehmen“.
Der Élysée-Palast ignorierte den Verfolgungswahn des Generals und zielte auf den von Villas Boas zum Präsidentschaftskandidaten dressierten und gewählten Jair Bolsonaro. In einer Erklärung Macrons hieß es, „Angesichts der Haltung Brasiliens in den letzten Wochen kann der Präsident der Französischen Republik nur ersehen, dass Präsident Bolsonaro ihn auf dem (G20)-Gipfel in Osaka belogen hat”, und löste diesmal mit einer Androhung in Berlin Alarm aus: „Unter diesen Umständen lehnt Frankreich das Abkommen mit dem Mercosur ab”, das das französische Parlament im Übrigen noch nicht ratifiziert habe.
Wegen Macrons Tweet, Amazonien sei ein internationales „Gemeingut“, unterstellte Bolsonaro, der französische Präsident betrachte wohl den gigantischen Regenwald als „Kolonie“. Unter Bezugnahme auf den Brand von Notre Dame scheute Bolsonaros Kabinettschef Onyx Lorenzoni keinen schiefen Vergleich: „Macron schafft es nicht einmal, einen vorhersehbaren Brand in einer Kirche zu verhindern, die Teil des Welterbes ist. Er will uns Lektionen für unser Land erteilen?“. Bolsonaro setzte noch eins drauf mit einem Tritt unter Macrons Gürtellinie: Der Franzose sei ja nur „neidisch“ auf seine 26 Jahre jüngere Frau; Macrons Frau Brigitte sei ja 24 Jahre älter als er, spottete der gewählte Heeres-Hauptmann auf Facebook.
Mit der widerlichen Anspielung, Frauen seien so etwas wie Beutegut“, degradierte Bolsonaro die Amazonien-Waldbrand-Debatte auf sein übliches Niveau von Pissoirwänden. Und forderte zynischerweise, nicht er, sondern Macron solle sich entschuldigen. Andernfalls werde Brasilien nicht die angebotenen 20 Millionen Euro annehmen, die die EU für die Bekämpfung der Waldbrände zur Verfügung gestellt habe.
Wiederum in der Brüsseler Haupthandlung drohten nach Frankreich nun auch Irland und Luxemburg offen mit einem Veto gegen die Ratifizierung des Freihandelsabkommens mit den Mercosur-Staaten. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn erklärte gegenüber dem Spiegel, „ein Handelsvertrag sei nur sinnvoll, wenn man zumindest in großen Teilen ähnliche Werte habe. Klima- und Umweltschutz aber seien Bolsonaro offensichtlich völlig egal“. Damit, so Asselborn, sei eine der Hauptbedingungen für den Vertrag nicht mehr erfüllt, weshalb die luxemburgische Regierung beschlossen habe, die Ratifizierung auf Eis zu legen.
Gegen den Strom – offenbar auch wider besseres Wissen – hält die deutsche Bundesregierung stur an dem Handelsabkommen fest. Ein Nichtabschluss sei nicht die geeignete Antwort darauf, was gerade in Brasilien geschieht, erklärten Regierungssprecher bereits am 23. August, auf dem Höhepunkt der Feuersbrunst. Das Abkommen enthalte ein Kapitel zur Nachhaltigkeit „mit ambitionierten Regeln zum Klimaschutz“. Nach offizieller deutscher Auffassung könne die EU sich auf eine „effektive Umsetzung” des Nachhaltigkeits-Kompromisses verlassen, weil die Mercosur-Staaten ja das Pariser Klimaschutzabkommen unterzeichnet hätten oder es tun würden – eine Blauäugigkeit oder barer Zynismus, der Widerstandsgräben bei CDU-Agrarministerin Julia Klöckner, jedoch vor allem bei den Grünen aufreißt. Deren Europaabgeordneter Sven Giegold bezeichnete das Nachhaltigkeits-Kapitel als reine Illusion. Es sei überhaupt technisch wirkungslos, weil nichts davon einklagbar ist.
Waldbrände mit politischem, kriminellem Hintergrund
Unter massivem in- und ausländischen Beschuss erließ zwar Bolsonaro am Mittwoch, dem 28. August, ein Brandverbot für die nächsten 60 Tage.
Indes darf man der deutschen Bundesregierung vorwerfen, sie spiele im wahrsten und metaphorischen Sinne des Wortes mit dem Feuer. Zu den Hauptgeschäftspartnern des Freihandelsabkommens auf brasilianischer Seite gehört nämlich eine der mächtigsten Agrobusiness-Gruppen auf dem Weltmarkt für Sojagetreide und Fleischerzeugnisse, die zu erheblichem Anteil in kriminelle Handlungen involviert ist, die von massiver Steuerhinterziehung, über Landraub und Waldvernichtung, bis hin zu Vertreibung und Ermordung von armen Bauern und Indianern reichen.
Seit einer Woche kursieren in Brasilien bestätigte, aber von deutschen Medien bisher kaum wahrgenommene Hinweise darauf, dass ein beachtlicher Anteil der Waldbrände in Amazonien am “Tag des Feuers”, dem vergangenen 10. August, von Bolsonaro ermutigt und von Großgrundbesitzern entlang der Fernstraße BR-163 im Südwesten des Bundesstaates Pará mit kriminellen Absichten gezündet wurde. Die Anklage entstammt keinen Regimegegnern, sondern fußt auf Ermittlungen der Zeitschrift GloboRural im Besitz der beherrschenden Mediengruppe O Globo.
Die Brandstiftung wurde von einer 70-köpfigen WhatsApp-Farmergruppe (Codewort „SERTÃO“) geplant und auf unbebaute, grasumwachsene Ackerböden verübt, deren Flammen jedoch den benachbarten, 1,3 Millionen Hektar großen und für seine reiche Artenvielfalt bekannten Jamanxim-Nationalpark erfassen sollten. Mehr noch: Die Idee war, das Feuer sollte Terra do Meio, ein von Agrarkonflikten im ostamazonischen Pará gebrandmarktes Gebiet erreichen.
Wieso war der Brandanschlag von Bolsonaro ermutigt? Absicht war es, Bolsonaro Unterstützung für seine Entscheidung zu bekunden, die Brand- und Rodungskontrollen der Aufsichtsbehörde Ibama des Umweltministeriums zu „lockern“, sowie sein Versprechen einzufordern, Geldbuße für Umweltverstöße und Steuerschulden der Farmer zu „amnestieren“ bzw. zu annullieren.
Die Duldung, wenn nicht gar die Komplizenschaft Bolsonaros mit den Brandstiftern erklärt sich aus der absichtlichen Missachtung einer Warnung der Staatsanwaltschaft. Diese hatte am 7. August – drei Tage vor dem gigantischen Brand, der sich in der Region Novo Progresso in Pará ausbreitete – in einem Schreiben die Ibama vor dem beabsichtigten „Tag des Feuers“ gewarnt und Vorbeugungsmaßnahmen empfohlen. Es geschah nichts; die Ibama in Pará war bereits institutionell von Bolsonaros Umweltminister Ricardo Salles zerschlagen worden.
Jeder dritte Steuerhinterzieher in Brasilien gehört zum Agrobusiness
Die Bolsonaro-Regierung schätzt nach dem im Juli vom Parlament verabschiedeten Gesetz für Etat-Richtlinien (LDO) für 2019 ein nicht näher erörtertes Einnahme-Loch von 189,1 Milliarden Reais; umgerechnet ca. 42 Milliarden Euro. Doch das wegen Steuerhinterziehung des Agrobusiness allein im ersten Halbjahr 2018 entstandene Loch war nach Angaben von Achilles Frias – Vorsitzender des Verbandes der Staatsanwälte des Finanzministeriums (Sinprofaz) – fast doppelt so hoch: umgerechnet 76,6 Milliarden Euro. „Die Arbeitnehmer sind die größten Opfer dieses Verbrechens”, warnte Frias. Doch scheren sich die Politiker, Bürokraten und Importeure der EU um diese Vergehen?
Die 500 größten Steuerhinterzieher schulden dem brasilianischen Staat umgerechnet 181 Milliarden Euro. Davon entfallen 41 Prozent – umgerechnet 76,6 Milliarden Euro – auf Farmer und Plantagenbesitzer. Der politische Druck im Parlament und an der „Brandfront“ scheint sich für die Agroexporteure in die EU auszuzahlen: Im vergangenen Juni versprach Bolsonaro bereits die erste Tranche einer Schulden-„Amnestierung“ in Höhe von umgerechnet 4 Milliarden Euro.
Legalisierter Landraub bedroht 16.000 km2 Regenwald
Nach Angaben des Amazonas-Monitoring-Instituts Imazon befinden sich 192 Millionen Hektar beziehungsweise 38 Prozent der Gesamtfläche des brasilianischen Amazoniens „ohne legale Zweckbestimmung“ in öffentlicher Hand, die jedoch von Privatpersonen besetzt gehalten werden.
Von der nicht zugewiesenen Fläche wurden 89 Millionen Hektar (18 Prozent des Territoriums) im Zentralregister für Landbesitz (CAR) registriert. „Die Regierung muss sich unbedingt mit der Situation dieser 38 Prozent befassen“, da das gigantische Territorium zum größten Teil illegal erworben wurde, warnte Brenda Brito, Forscherin bei Imazon. Bis 2025 könnten, so das Institut, allein auf diesem Gebiet 16.000 km2 Regenwald der Motorsäge und dem Feuer zum Opfer fallen.
Land-Dispute mit Millionen Betroffenen umfassen Territorium mit der Fläche Deutschlands
Die Expansion des Agrobusiness in Brasilien geht einher mit erschütternden Bildern und Zahlen über Ausübung unvorstellbarer Gewalt. Nach Angaben der Pastoralkommission für Landfragen (CPT) sind die im Exportgeschäft führenden Großgrundbesitzer seit 2016 für eine Zunahme von Landvertreibungen um 22 Prozent und Morde um 26 Prozent verantwortlich. Allein 2016 – dem Jahr des parlamentarischen Putsches gegen Präsidentin Dilma Rousseff, an dem sich das Agrobusiness besonders aktiv und aggressiv beteiligte – nahmen Vertreibungen von wehrlosen Indigenen und Bauern um 232 (zweihundertzweiunddreißig!) Prozent zu.
Im Jahr 2016 waren insgesamt 910.000 Menschen von 1.536 Landkonflikten in ganz Brasilien betroffen. Die Hauptursachen für die Konfrontationen waren Kämpfe um Land, Arbeit und Wasserzugang. Zu den am meisten Betroffenen gehörten indigene Völker, verarmte Kleinbauern und afro-brasilianische Quilombola-Gemeinden. Zwischen 2015 und 2016 nahmen Mordversuche des Latifundiums von 59 auf 74, also um 25 Prozent, zu. Die Anzahl körperlich angegriffener Menschen stieg im gleichen Zeitraum von 187 auf 571; also um haarsträubende 205 Prozent. Die Daten sind alarmierend im Vergleich zu Frauen auf dem Land. Laut der CPT-Umfrage waren im vergangenen Jahr 482 Frauen Opfer von Gewalt aufgrund von Landkonflikten, ein Anstieg von 377 Prozent gegenüber 2017.
Nach Bemessungen der CPT erstrecken sich die vom Agrobusiness angezettelten Konflikte auf über 37 Millionen Hektar; einer Fläche der Größe Japans, etwas mehr als das Gebiet Deutschlands. Amazonien allein ist Handlungsort von 85 Prozent der Landdispute in Brasilien, wovon wiederum 54 Prozent – mehr als die Hälfte – sich auf indigenen Gebieten abspielen, die Bolsonaro für “überfällig” hält und mit der allgemeinen Freigabe von Waffen an die Großgrundbesitzer tödlich bedroht.
Zu den ausgemachten Feinden des Bolsonaro-Regimes gehören jedoch auch die Naturfreunde und Umweltschützer, die der psychotisch anmutende Staatschef jüngst als Urheber der Waldbrände beschuldigte. Allein zwischen 2017 und 2018 wurden in Brasilien 57 Umweltaktivistinnen und -aktivisten ermordet – eine abscheuliche Zahl, die die spanische Tageszeitung El País zum dantesken Titel veranlasste: „Brasilien, das letalste Land der Welt für Umweltschützer“.
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