Während sich die mediale Öffentlichkeit und die geschrumpfte Unabhängigkeitsbewegung mit aller Kraft auf den gegenwärtig in Madrid laufenden juristischen Prozess gegen die inhaftierten katalanischen Politiker stürtzt, geht für andere Menschen die normale Misere weiter. Prekäre Beschäftigung, stressige Arbeitsbedingungen, immer mit der Angst entlassen zu werden, Zwangsräumungen von Familien mit Kindern, Alten und Einzelpersonen sind in Spanien zur Alltäglichkeit geworden. Täglich werden in diesem Land 163 Zwangsräumungen juristisch angeordnet, die zum Glück durch breite Mobilisierung und Widerstand nicht alle vollzogen werden.
Auch in Katalonien werden täglich 38 Zwangsräumungen angedroht. Früher waren Menschen betroffen, die eine Wohnung mit einer Hypothek gekauft hatten und diese durch Arbeitsplatzverlust nicht mehr abzahlen konnten. Die Banken profitierten – bis heute – denn die Wohnungen gingen an die Banken. Daher der hohe Anteil an Wohnungen, die den Banken gehören und heute aus Spekulationszwecken leer stehen. Diese Situation brachte vor ca. 10 Jahren die Bewegung PAH hervor (Personas afectadas de la hipoteca – Personen, die von Hypotheken betroffen sind) und heute eine weitere Bewegung: die Gewerkschaft der Mieter*innen.
Gegenwärtig sind von Zwangsräumungen vorwiegend Menschen betroffen, die ihre Miete nicht bezahlen können. Die Zahl wächst kontinuierlich. Als Reaktion werden oft Wohnungen still besetzt, oft in einer Gemeinschaftsaktion auch Häuserblocks, in denen dann die geräumten Familien unterkommen. Unterstützt werden sie dabei u.a. von der PAH. Dabei wird vorwiegend darauf geachtet, dass es sich nicht um Privatwohnungen handelt, sondern um leerstehenden Wohnungraum von Investoren und Banken. Auf diese heimlichen Besetzungen haben jetzt seit einigen Monaten die Eigentümer*innen mit sogenannten Räumungstrupps (Desokupas) reagiert. Kräftige Männer dringen in die Wohnungen ein und räumen. Eine „Arbeit“, die normalerweise die Polizeikräfte übernehmen. Für diese Art „Tätigkeit“ gibt es bereits Büros, an die sich die Eigentümer*innen wenden können, um in ihrem Sinne zu agieren, denn laut EU Gesetz darf eigentlich keine Zwangsräumung vollzogen werden, wenn nicht eine alternative Wohnmöglichkeit zur Verfügung steht. D.h. der Staat, in diesem Fall die Landesregierung, bzw. die Stadtregierung muss Wohnraum zur Verfügung stellen, damit die Leute nicht zu Obdachlosen werden. Leider ist das nicht immer der Fall.
Im Falle von Privatwohnungsbesetzungen gibt es mittlerweile neue Schnellgerichtsverfahren, um eine Räumung möglichst unmittelbar legal durchführen zu können. Diese Gesetzesveränderung wurde vor einigen Monaten eingeführt.
In Katalonien gibt es laut nationalem Statistikamt (INE) 450 000 leer stehenden Wohnraum und 230 000 Familien ohne Wohnung mit bezahlbarer Miete, denn nur 2% des gesamten Wohnungsparks sind Sozialwohnungen. Über 46 000 dieser Wohnungen (13 000 allein in Barcelona) gehören Banken und großen Investoren und stehen seit 2 Jahren leer. Mittlerweile werden in Katalonien,wie auch in anderen Teilen Spaniens, Sanktionen oder besser gesagt Strafsteuern gegen nicht private Wohnraumbesitzer*innen angedroht ( weniger dann wirklich verhängt), die ihre Wohnung länger als 2 Jahre leer stehen lassen, anstatt sie zu sozialverträglichen Mieten auf den Markt zu geben. Die Stadt Barcelona war eine der ersten in Spanien, die das Recht auf wohnen in die Tat umgesetzt und 2 Jahre leerstehenden Wohnraum im kleinen Rahmen konfiziert hat. Diese politische Massnahme ist auf Druck und die Aktionen zurück zu führen, die seit Jahren durch die militante und aktive Bewegung (PAH) auf die verantwortlichen Politiker*innen ausgeübt wurde. Ada Colau, die Bürgermeisterin von Barcelona, kommt selbst genau aus dieser Bewegung, die Zwangsräumungen zu verhindern versucht und damit gegen eine zunehmende Gentrifizierung, d.h. die Verdrängung von Menschen aus ihren ursprünglichen Vierteln, kämpft (Ningú veï fora del barri – kein/e Nachbar*in raus aus dem Viertel). Aus dieser Bewegung, die wegen der sich verschlechternden Lebensbedingungen großer Teile der Bevölkerung immer stärker wird, ist jetzt auch die Gewerkschaft der Mieter*innen hervorgegangen, die in den verschiedenen Vierteln Barcelonas gegen die immer stärker ansteigenden Mieten kämpft.
Mietverträge werden laut Gesetz in Spanien nur für 3 Jahre vergeben, können willkürlich verlängert oder auch nicht verlängert werden, jede Erneuerung der Mietverträge kostet den Mieter*innen 5-600,00€, nur für die Unterschrift des neuen Vertrages. Der Durchschnittspreis eines m2 in Barcelona sind 13,61€ ( la Vanguardia, 20.12.2018), der Durchschnittslohn als Vergleich sind 1889,00€/brutto, wobei 30% nur 1230,00€/brutto verdienen. Eine Neuanmietung kann sogar in die Tausende gehen (Kaution, Bankbürgschaft, Vertragsunterzeichnungskosten).
Früher sind die Menschen in die Vororte oder nach ausserhalb gezogen, heute haben auch dort die Mieten überdurchschnittlich angezogen, denn Investoren, aber auch Privatbesitzer wissen, wo Geld zu machen ist.
Übersetzung des Manifests der Mieter*innen Gewerkschaft.
MANIFEST:
Die Gewerkschaft entsteht übergreifend, aber mit einem klaren kollektiven und politischen Bewusstsein. Wir möchten mit ihr die Nachbarn*innen verbinden, die als Mieter und Mieterinnen leben oder leben möchten, sowohl in Privatwohnungen als auch in Wohnungen die der öffentlichen Hand gehören, um gemeinsam unsere Rechte als Mieter*innen einzufordern und um Einfluss in allen Bereichen der Verwaltung und des Staates zu nehmen.
In Barcelona leben 30% der Menschen zur Miete. Diese Zahl, obwohl weit über dem Durchschnitt anderer Teile Spaniens, ist weit entfernt von anderen europäischen Städten, wie Berlin, Amsterdamm oder Paris, wo Mieter*innen 60% des Wohnungsmarktes ausmachen und wo deren Rechte gesetzlich weitaus stärker geschützt sind.
Wir als Gewerkschaft der Mieter*innen sehen das Problem der hohen Mieten nicht nur als Konsequenz von Gesetzen, die gegen die Rechte der Mieter*innen gerichtet sind. Wir wollen auch gegen die neue Immobilienblase kämpfen, die in unserer Stadt um sich greift, und darauf basiert, dass mit Wohnraum spekuliert wird und die Mieten missbräuchlich hoch gesetzt werden (9% im letzten Jahr). Ausserdem denunzieren wir, dass die allgemein zunehmende Prekarisierung auf dem Arbeitsmarkt das Risiko der Vertreibung und des Ausschlusses vom Wohnungsmarkt vorantreibt: tagtäglich wird es schwieriger, sich den Verteuerungen des Lebens entgegen zu stellen. 2015 waren bereits 83% der Zwangsräumungen in Barcelona den fehlenden Mietzahlungen geschuldet. Während die Durchschnittsmiete einer Wohnung in Barcelona mittlerweile 801€ beträgt, verdient einer von drei Arbeitern*innen weniger als 843€ netto. Gleichzeitig arbeiten wir als Gewerkschaft daran, ein Steuersystem zu garantieren, das Besitz und Benutzung von Wohnungen von Steuerbetrug und Ungleichbehandlung von Wohnungsbesitzern*innen und Mieter*innen bezüglich der Steuerbegünstigungen verhindert.
Wir begreifen als lebenswichtig, die Garantie, dass die Wohnung eine soziale Funktion hat und als solche vor ökonomischen und spekulativen Interessen jeglicher Art geschützt werden muss. Aus diesem Grund kämpfen wir gegen den Prozess der Gentrifizierung und gegen den zunehmenden Tourismus, der uns aus unseren Vierteln vertreibt. Ausserdem sehen wir es als absolut dringlich an, sich für die Freigabe leerer Wohnungen, wie auch für mehr sozialen Wohnraum einzusetzen.
Mit Hilfe unserer Organisation und Mobilisierung wollen wir Antworten auf die zunehmenden Forderungen bezüglich der steigenden Mieten geben und bieten Beratungsgespräche an, die über die Mieter*innenrechte und -pflichten informieren und die auch die Vertragsbedingungen unserer Mietverträge umfassen (Zeitraum, Kaution, Reparaturen in der Wohnung, Unterhalt, Klauseln, Wohnungszustand, etc.). Ausserdem wollen wir Einfluss nehmen auf allgemeinere Fragen, die u.a. das Gesetz Ley de Arrendamientos Urbanos (LAU, urbanes Mietgesetz) betrifft oder bei der Entwicklung von legislativen Mitteln aktiv sein, um die Mietpreise zu begrenzen.
Mit unserem Vorhaben, erinnern wir uns an den Streik der Mieter*innen von 1931 und daran, dass die Verteidigung der Rechte der Mieter*innen hier, keine neue Erfahrung ist. Gleichermassen motiviert uns die Idee, dass die Existenz von kampfeswilligen Mieter*innengewerkschaften auf internationale Ebene, die kollektiv Mietpreise und Mietbedingungen in Mietverträgen aushandeln, bei unserer Gründung der Gewerkschaft zur Verteidigung einer gerechten Miete.
Verfasst für freiesicht.org