Auf der Internetseite des Bundestages erfährt man, dass es sich bei den NSU-Machenschaften um Staatsterrorismus gehandelt hat.
Im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends gab es eine Mordserie an Ausländern in Deutschland, die sich auf mehrere Bundesländer erstreckte. Diese Mordserie wurde zuerst Ausländern, in diesem Zusammenhang verächtlich gemacht, zugeschrieben, und erst viel später dann Nazis — dem sogenannten NSU. Die beiden mutmaßlichen mordenden Nazis des NSU, Uwe Bönhardt und Uwe Mundlos, sollen angeblich Selbstmord begangen und sich in einem Wohnmobil selbst verbrannt haben. Der mit dem Fall betraute Brandsachverständige, der die NSU-Ermittlungen scharf kritisiert hatte, fiel mittlerweile dem großen NSU-Zeugensterben zum Opfer, bei dem es sich amtlichen Angaben zufolge um reinen Zufall handelt (1-8).
Es ist eigentlich kein Geheimnis, um was es sich bei der NSU-Mordserie wirklich handelt. Die einzelnen Puzzleteile findet man in einigen Medien und auf Websites von Parlamenten. Zu jeder der angeblichen NSU-Taten gibt es große Diskrepanzen zwischen dem angeblichen Tathergang und den tatsächlichen Beweisstücken — wer diese Widersprüche benennt, wird dadurch nicht zum Nazi.
Die Kasseler Problematik
Um die offizielle Theorie zu den NSU-Morden zu widerlegen, genügt es, die starken Widersprüche an einem einzigen Tatort aufzuzeigen. Die Umstände der Ermordung des Kasseler Internetcafébesitzers Halit Yozgat zeigen deutlich eine Verstrickung staatlicher Stellen in den Mordfall: Der zum Tatzeitpunkt — nach eigener Aussage vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen — anwesende hessische Geheimdienstler und Nazi-Verbindungsmann Andreas Temme — Spitzname „Klein Adolf“ — will nichts von dem Mord mitbekommen haben, der bei den beteiligten Behördenkreisen auch „die Kasseler Problematik“ genannt wird (9). Die schwarz-grüne hessische Landesregierung hat Akten zum Fall für 120 Jahre weggeschlossen (10).
Die Junge Welt schreibt zum „Fall Temme“ (11):
„Das Oberlandesgericht (OLG) München hält laut Beschluss vom 12. Juli 2016 für glaubwürdig, dass der als Zeuge gehörte Andreas Temme, der damals im Nebenraum saß, keine Schüsse gehört habe — ein Mann, der seine Freizeit im Schützenverein verbringt. Es hält für nachvollziehbar, dass der hessische Verfassungsschützer Temme, der kurz nach dem Mordanschlag das Café verließ, nach dessen Angaben auf der Suche nach dem jungen Besitzer, dreimal an dem Sterbenden vorbeigegangen war, ohne ihn hinter einem Tisch liegen zu sehen. Es hält für glaubwürdig, dass der rund 1,90 Meter große V-Mann-Führer weder die Blutspritzer auf dem 73 Zentimeter hohen Tisch sah, auf den er ein Geldstück für die Computernutzung legte, noch den dahinter liegenden Halit Yozgat.“
Bei der Frankfurter Neuen Presse heißt es in dem Artikel „NSU-Mordserie. Verfassungsschützer Temme: Nichts gesehen, nichts gehört.“ (12):
„Ex-Verfassungsschützer Andreas Temme war im Kasseler Internetcafé, als dessen Besitzer der NSU-Mordserie zum Opfer fiel. Doch gesehen oder gehört haben will der Mann davon nichts. Das beteuert er auch in seiner zweiten Vernehmung in Wiesbaden. (…) Im Gegenteil, von dem Mord am Donnerstag habe er erst am Sonntag durch das Lesen eines örtlichen Anzeigenblatts erfahren. Allerdings wusste Temme nach Zeugenaussagen schon einen Tag später, mit welcher Waffe das Verbrechen begangen wurde. Und das stand nicht in dem Anzeigenblatt, wie ihm die SPD-Abgeordnete Nancy Faeser vorhielt.“
Da hilft dann nur noch das Wegschließen von Akten, um Verwirrung zu stiften und abzulenken oder vielleicht auch, um Beweise verschwinden zu lassen. Telepolis schreibt dazu in dem Artikel „Verfassungsschutz will NSU-Bericht für 120 Jahre wegschließen“ (13):
„120 Jahre — für diese Dauer hat das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) von Hessen einen internen Bericht gesperrt, in dem es auch um den NSU-Mord von Kassel und die mögliche Verwicklung seines Mitarbeiters Andreas Temme gehen dürfte. Das schürt einerseits den Verdacht: Was derart lange geheim gehalten werden soll, muss brisant sein. Andererseits kann diese absurde Sperrfrist als Botschaft verstanden werden an die Öffentlichkeit und diejenigen, die weiterhin aufklären wollen: ‚Von uns erfahrt Ihr nichts mehr. Gebt auf!‘ Es ist ein unverblümter Bruch einer Sicherheitsbehörde mit dem Legalitätsprinzip im Rechtsstaat BRD, Ausdruck des verzweifelten Abwehrkampfes gegen die anhaltenden Aufklärungsbemühungen im Mordkomplex NSU.“
Geheimdienstmann Temme bekam einen ruhigen Job im hessischen Innenministerium. Er wurde in das Kasseler Regierungspräsidium versetzt. Dieses wurde von dem vor wenigen Wochen ermordeten Walter Lübcke geleitet. Die Frankfurter Rundschau schreibt dazu (14):
„Der damalige Innenminister und heutige Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) soll mindestens einmal an einem ‚CDU-Arbeitskreis im Verfassungsschutz’ teilgenommen haben, den auch der umstrittene ehemalige Verfassungsschützer Andreas Temme zeitweise aufsuchte. (…)
Andreas Temme war zeitweise unter Tatverdacht geraten, bis im Januar 2007 die Ermittlungen gegen ihn eingestellt wurden. Er kehrte nicht zum Verfassungsschutz zurück, sondern wurde zum Regierungspräsidium Kassel versetzt und ‚zum Amtmann befördert’, wie die Initiative schreibt. (…)
Sie führt die Ungereimtheiten auf, die mit Andreas Temme verbunden sind. So habe es nach den Erkenntnissen des NSU-Untersuchungsausschusses ‚kein echtes dienstrechtliches Disziplinarverfahren gegen ihn’ gegeben.“
Geständnis im Parlament
Allein schon die Verstrickung staatlicher Stellen in die sogenannten NSU-Morde bei der „Kasseler Problematik“ könnte ausreichen, um hier von Staatsterrorismus zu sprechen. Aber es kommt noch schlimmer: Auf der Website des Bundestages findet sich ein Artikel zum NSU-Thema mit Aussagen hochrangiger Beamter vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, die einem Geständnis gleichkommen. Nur traut sich offenbar niemand, das Offensichtliche laut auszusprechen — und die CDU/CSU stellt mit der SPD die Bundesregierung. Es ist schon bizarr, wie hier eine ominöse angebliche Staatsräson über harte wissenschaftliche Erkenntnisse gestellt wird.
Auf der Website des Bundestages heißt es in dem Beitrag „NSU-Ausschuss rätselt über DNA-Spuren“ (15):
„Rätselraten über DNA-Spuren hat die Zeugenvernehmung im 3. Untersuchungsausschuss zum sogenannten ‚Nationalsozialistischen Untergrund’ (NSU II) unter der Leitung von Clemens Binninger (CDU/CSU) geprägt. 15 Banküberfälle, zwei Sprengstoffanschläge und zehn Morde zwischen 2000 und 2006 werden der Terrorgruppe zur Last gelegt. Doch an keinem der 27 Tatorte seien DNA-Spuren von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gesichert worden — jenen beiden Männern, die sich in Eisenach nach einem Banküberfall in ihrem Wohnmobil selbst umbrachten.“
Keine DNA-Spuren der beiden angeblichen Mörder, an keinem einzigen Tatort — das ist nicht möglich. Es sei denn, die beiden NSU-Uwes waren nicht in die Morde verwickelt, sondern die Trottel, denen man die Taten untergeschoben hat, die andere Nazis und „Ehrenmänner“ begingen.
DNA-Spuren fallen immer an, da hilft es auch nicht, dass in dem oben zitierten Bundestagsartikel von Handschuhen und Sturmhauben gefaselt wird. Selbst wenn es an einem Tatort wider Erwarten keine DNA-Spuren der beiden angeblichen Täter gegeben haben sollte, dann aber sicher nicht an allen 27 Tatorten.
Im Falle der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat man dann aber wieder eine DNA-Spur gefunden, die zu dem Täter Stefan Ernst geführt haben soll (16). Ein angeblicher Einzeltäter, dessen Name aber auch schon im NSU-Untersuchungsausschuss fiel.
Halten wir also fest: Staatliche Stellen sind in die NSU-Morde verstrickt und schützen mutmaßliche Täter aus Geheimdienstkreisen, wie beispielsweise bei der Kasseler Problematik. Gleichzeitig finden sich keine DNA-Spuren der angeblichen NSU-Täter Uwe Bönhardt und Uwe Mundlos an den Tatorten. Fast jeder Mensch würde hier folgern, dass es sich um eine Mordserie gewisser Kreise in staatlichen Stellen handelt. Sollte die DNA-Aussage vor dem Parlament falsch sein, ändert das nicht viel an dieser Schlussfolgerung. Man müsste sich dann fragen, warum hier falsch ausgesagt wurde. Auch bei einer Beteiligung der beiden Uwes ließe sich die staatliche Beteiligung und Unterstützung nicht leugnen.
Der Lübcke-Mord
Leider erhiet die NSU-Thematik 2019 noch eine weitere Facette.
Walter Lübcke (CDU) war Abgeordneter des hessischen Landtages und Präsident des Kasseler Regierungspräsidiums. Er wurde am 2. Juni 2019 in seinem Haus getötet. Aufnahmen von Überwachungskameras gibt es offenbar nicht. In den Medien finden sich keine entsprechenden Angaben. Erstaunlicherweise war der zunächst als Einzeltäter präsentierte Stephan Ernst dann doch in der Mordnacht mit zwei Autos unterwegs (17) …
Lübcke hatte bereits im März diesen Jahres die Altersgrenze für seine Pensionierung erreicht, aber noch eine Verlängerung seiner Amtszeit als Regierungspräsident bis September beantragt (18).
Beim Lübcke-Mord besteht eine Verbindung zur NSU-Mordserie, wie die hessische Landtagsabgeordnete Janine Wissler von der Partei Die Linke in einem ZDF-Interview erläuterte (19):
„Ich finde man muss insbesondere die Frage stellen: Ist das wirklich ein Einzeltäter, weil wir ja schon wissen, dass wir sehr vernetzte Neonazi-Strukturen auch haben. Gerade in Nordhessen, das war ein wichtiges Thema in diesem Untersuchungsausschuss. Na ja, und uns war eben besagter Stephan E. aufgefallen. Wir hatten 2015 explizit nach ihm gefragt. Wir haben das Landesamt für Verfassungsschutz nach ihm gefragt. Und die Behörden gefragt, was sie über diesen Mann wissen. Und da haben wir leider keine Antwort bekommen.“
Auf der Homepage der Tagesschau findet sich in dem Artikel „Razzia nach Lübcke-Mord. Mutmaßlicher Helfer als Neonazi bekannt“ ebenfalls ein Hinweis auf eine Verbindung zwischen Stephan Ernst, dem mutmaßlichen Lübcke-Mörder, und der NSU-Mordserie (20):
„Markus H., der Stephan E. Waffen vermittelt haben soll, war bereits 2006 im Zusammenhang mit dem Mord an Halit Yozgat in Kassel vernommen worden. Wie sich später herausstellte, war Yozgat vom NSU ermordet worden.“
In der Jungen Welt spricht der Politikwissenschaftler Hajo Funke von einer Behinderung der Aufklärung des Mordfalls Lübcke durch die hessische Landesregierung — CDU und Grüne — und insbesondere Volker Bouffier, wie es sie auch in Falle der Ermordung von Yozgat gab (21):
„Junge Welt: Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier hat letzte Woche ‚rückhaltlose Aufklärung‘ versprochen, nachdem der Neonazi Stephan Ernst als Hauptverdächtiger im Fall des Mordes an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke festgenommen worden war. Wirkt diese Aussage von Bouffier aus Ihrer Sicht glaubwürdig?
Funke: Rückhaltlose Aufklärung würde bedeuten, dem Generalbundesanwalt alle nötigen Akten aus Hessen zur Verfügung zu stellen. Wir erleben aber seit Tagen, dass dies nicht geschieht. Das hessische Landesamt für Verfassungsschutz hat sich nur bereit erklärt, die Akte von Stephan Ernst selbst zu übermitteln. Aber die Akten der Nachuntersuchung des Landesamts für Verfassungsschutz zum NSU sollen nach wie vor für 120 Jahre unter Verschluss gehalten werden. Auch die Bundesanwaltschaft hat sie bisher nicht. Bouffier müsste zurücktreten, wenn er weiterhin die Aufklärung behindert, wie schon im Fall des NSU-Mordes an Halit Yozgat 2006.“
Halten wir also fest: Bei der NSU-Mordserie handelt es der Beweislage zufolge um Staatsterrorismus. Beim Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke gibt es NSU-Verbindungen, Ungereimtheiten und Vertuschung sowie Widerstand gegen Aufklärungsbemühungen.
Normalerweise heißt es immer: „Wir ermitteln in alle Richtungen“, aber hier will niemand offensichtlichen Spuren folgen. Eine Richtung könnte sein, dass Lübcke, der kurz vor oder nach seiner Pensionierung zum NSU-Komplex aussagen wollte, vielleicht Dinge in Erfahrung gebracht hat. Aber das ist nur eine Spekulation von vielen. Die Faktenlage zur NSU-Thematik ist allerdings auch ohne Lübcke-Mord und Spekulationen schon erschreckend genug.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.heise.de/tp/features/Ungeklaerter-Tod-eines-NSU-Brandermittlers-4091711.html
(2) https://www1.wdr.de/fernsehen/aktuelle-stunde/startseite/nsu-prozess-zeugen-sterben-100.html
(3) https://bnn.de/lokales/bruchsal/nsu-zeugin-staatsanwaltschaft-stellt-ermittlungen-ein
(4) http://www.migazin.de/2017/02/09/leichnam-weitere-nsu-zeugin-anhoerung/
(5) https://www.heise.de/tp/features/Vom-Sterben-der-NSU-Zeugen-3626145.html?seite=all
(6) https://blog.zeit.de/nsu-prozess-blog/2015/03/30/der-zufall-geht-um/
(7) https://www.nachdenkseiten.de/?p=31571
(8) http://blauerbote.com/2019/07/12/nsu-zeugensterben/
(9) https://www.nachdenkseiten.de/?p=34749
(10) https://www.taz.de/Kommentar-Geheimhaltungsfrist-beim-VS/!5423654/
(11) http://www.jungewelt.de/2016/07-25/012.php
(12) http://www.fnp.de/rhein-main/Verfassungsschuetzer-Temme-Nichts-gesehen-nichts-gehoert;art801,2046682
(13) https://www.heise.de/tp/features/Verfassungsschutz-will-NSU-Bericht-fuer-120-Jahre-wegschliessen-3772330.html
(14) https://www.fr.de/rhein-main/nsu-prozess-ere68532/kannte-bouffier-temme-11057378.html
(15) https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2016/kw36-pa-3ua-nsu/438380
(16) https://www.bild.de/news/inland/news-inland/neonazi-als-tatverdaechtiger-soll-im-fall-luebcke-etwas-vertuscht-werden-62715382.bild.html
(17) https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-06/tatverdaechtiger-stephan-e-walter-luebcke-rechtsextremes-umfeld
(18) https://www.spiegel.de/panorama/justiz/kasseler-regierungspraesident-walter-luebcke-tod-auf-der-terrasse-a-1270593.html
(19) https://www.zdf.de/nachrichten/heute/linke-wissler-zu-mordfall-luebcke-im-zdf-spezial-100.html
(20) https://www.tagesschau.de/investigativ/panorama/luebcke-verdaechtiger-waffe-101.html
(21) https://www.jungewelt.de/artikel/357516.aufkl%C3%A4rungsblockade-bouffier-m%C3%BCsste-zur%C3%BCcktreten.html
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