Ermutigt von den mit Hilfe der HDP erzielten Erfolge bei den letzten Kommunalwahlen, wagt es die CHP nun wieder ihr wahres Gesicht zu zeigen: Bildung der zukünftigen Regierung, unter Fortführung des neoliberalen Wirtschaftsprogramms mit den imperialen Mächten. So verhandelte die CHP Führung mit dem IWF über den zukünftigen Schuldenabbau der Türkei, als würde sie bereits die Regierung stellen. Details wurden nicht veröffentlicht.
Die politische Richtungsänderung der CHP zeigt sich aber an anderen Aussagen des CHP-Chefs Kilicdaroglu. Als er wegen der Zustimmung seiner Partei zum Angriffskrieg gegen Syrien unter Druck geriet, antwortete er auf die Fragen von Journalisten in einem TV-Interview, dass er die aktuellen Bilder aus Afrin und Idlib gesehen habe und dass es hier eine schöne Entwicklung (durch E.U.-finanzierte Hilfsorganisationen) geben würde, die ohne die türkische Militärpräsenz nicht möglich wäre. Von welchen Bildern die Rede ist, wurde nicht veröffentlicht. Was zunächst wie dummes Geschwätz erscheint, ist politisch gelesen eine klare nationalistische Haltung und Richtungsbestimmung der CHP, die Neujustierung der Mitglieder zur Fortführung des Neoliberalismus.
Zur Annexion von Afrin und der durch den aktuellen Angriffskrieg besetzen Gebiete hält die CHP sich bedeckt. Alles deutet daraufhin, dass keine großen Änderungen gewollt sind. Wie Erdogan wird auch die CHP ein unter kurdischer Selbstverwaltung stehendes Gebiet entlang der syrisch-türkischen Grenze nicht zulassen. Wie Nord-Zypern, das seit 1974 besetzt gehalten wird, wollen sie auch Afrin nicht aufgeben.
Die Gräueltaten und Kriegsverbrechen, der von der Türkei eingesetzten Djihadisten-Armee NSA, in Afrin und in den neu besetzten Gebieten werden bewusst ignoriert. Aus welchen djihadistischen Organisationen diese Truppe zusammen getrommelt wurde ist allen bekannt. Und so gab es auf die kürzlich veröffentlichten Namen und Photos (1) von IS Kämpfern in der NSA auch keine Reaktion, weder von der CHP noch vonseiten der USA oder EU.
Die Neuorientierung der CHP sieht keine Beteiligung der Kurden vor und setzt stattdessen auf die Bildung einer neuen Nationalen Koalition, nämlich die Ergänzung des CHP/Iyi Parteien-Bündnisses durch die zwei sich in Gründung befindlichen Parteien von ex-AKP-Ministerpräsident Davutoglu, ein konservativer Islamist und ex-AKP-Wirtschaftsminister Babacan, ein überzeugter Neoliberaler. Beide sind tief verstrickt in die Unterstützung islamistischer Djihadisten seit Beginn des Syrienkriegs 2011.
Die Betrachtung des von der CHP angestrebten Bündnisses bzw. der Koalitionspartner zeichnet ein klares Bild ihrer künftigen Politik basierend auf der Neuorientierung. Alle Partner werden versuchen die pro Kurdische HDP zu isolieren und aus Ankara fernzuhalten. Das Nationale Bündnis wird die Spaltung der Gesellschaft, insbesondere bezüglich der “Kurdenfrage“ vorantreiben. Oberstes Ziel wäre es die HDP unter der 10% Hürde zu halten, also mittels irgendwelcher Versprechungen Teile der HDP-Wählerschaft für sich zu gewinnen. Die “Linksliberalen“ im Westen des Landes werden ohne zu Zögern auf diesen Trick hereinfallen.
Auf internationaler Ebene biedert sich die CHP dem Westen an. So richtet sich Kilicdaroglus Presseerklärung, dass “nicht jeder, in den CHP geführten Kommunen streikende Arbeiter arm ist…“, woraufhin am folgenden Tag in Istanbul Gewerkschaftsfunktionäre durch Sicherheitspersonal verprügelt wurden, auch an die imperialistischen Westmächte. Dies ist eine klare Ansage an die Gläubiger der Türkei, „wir können es auch, stehen bereit für die Fortsetzung des neoliberalen Programms des IWF“.
In Kilicdaroglus Rechnung bleibt aber eine Unbekannte – der Tiefe Staat. Es ist bekannt, dass sein Partner die IYI Partei erheblichen Einfluss im Tiefen Staat hat. Die neuen Parteien sind noch nicht gegründet. Davutoglu und Babacan waren über Jahrzehnte in der AKP Regierung, sie haben Kontakte zum Tiefen Staat. Es ist aber nicht klar wie viele Wähler sie der AKP abjagen können.
Der Zerfall der AKP wird Kilicdaroglus CHP keine nennenswerten zusätzlichen Wählerstimmen bringen und die Zustimmung des Tiefen Staates auch nicht. Dafür gibt es andere Kandidaten.
Gegen die ausführende Kraft des tiefen Staats, die nationalistische MHP Partei, hat das neue Bündnis auf der Straße nichts entgegen zu setzen. Die MHP hat die Kontrolle über die Sicherheitskräfte, Armee, Polizei und den Mob auf der Straße. Sie werden in der Opposition bleiben, ihre Macht nutzen und ihre anti-kurdische Haltung wird die Spaltung der Gesellschaft weiter vorantreiben.
Da auch die Wähler der CHP mehrheitlich anti-kurdisch eingestellt sind und was die Geflüchteten betrifft sogar rassistisch, und die möglichen neuen Partner der CHP nicht unbedingt demokratischer Gesinnung sind, wird es bezüglich ihrer Kurdenpolitik, wenn überhaupt, bei leeren Versprechungen bleiben.
Auch gibt es für die neuen Parteien und die Iyi Partei andere Bündnis-/Koalitionsoptionen, ohne die CHP. Die Wahlergebnisse werden zeigen, ob die Sozialdemokraten und ihr Gefolge der “Linksliberalen“ überhaupt mit von der Partie sind. Sollte dies nicht der Fall sein, werden sie ihren Verrat an den Kurden noch bitter bereuen.
Die Sozialdemokraten haben, außer den Austeritätsauflagen die sie vom IWF und der Weltbank aufgedrückt bekommen werden, kein umfassendes Wirtschaftsprogramm. In ihrem Demokratieverständnis gibt es keinen Platz für die Kurden. Mit der Gründung eines Bündnisses mit den neuen Parteien wird wahrscheinlich ein neoliberales Wirtschaftsprogramm ausgearbeitet werden. Die Lösung der “Kurdenfrage“ durch ein Bündnis rechter Parteien, haben wir in der Erdogan- Ära gesehen: Bombardierung kurdischer Dörfer, Zwangsumsiedlungen, Entführungen, Ermordungen, usw.
Ein wie oben beschriebenes CHP-Bündnis stellt für die demokratischen Kräfte, die Linken und die Kurden eine große Herausforderung dar. Die “liberalen Linken“, die die Kurden schon lange von ihrer politischen Agenda verbannt haben, werden sich hinter die CHP stellen und die demokratischen Kräfte endgültig verraten.
Die Absetzung von mittlerweile 20 kurdischen Bürgermeister/innen ist kein Thema bei diesen “Möchtegern-Linken“, gegen den Angriffskrieg in Syrien haben sie eine pro forma Erklärung abgegeben. Auf die Straße gegangen und protestiert haben sie nicht. Umso absurder war es, als sie dann mit ihren ÖDP-Fahnen auf die Straße gingen, um gegen den Brief von Trump an Erdogan zu protestieren. Mit dem Brief habe Trump “den Nationalstolz des Landes verletzt“ und er sei “eine Frechheit gegen das Volk“. In besagtem Brief wendet sich Trump mit keinem Wort an das türkische Volk, sondern ausschließlich an Erdogan wegen des Angriffskriegs auf Syrien; („.. du willst nicht verantwortlich sein für das Abschlachten tausender Menschen und ich will nicht verantwortlich sein für die Zerstörung der türkischen Wirtschaft, … Du wirst positiv in die Geschichte eingehen, wenn du das hier richtig machst auf die humane Weise…. Sei kein harter Macker. Sei kein Trottel! …“) .
Diese Linksliberalen sollen aufhören den Jugendlichen vorzuspielen sie wären Linke, denn das sind sie nicht. In der Praxis haben sie sich mit der CHP mehr oder weniger vereint, in der Theorie klopfen sie noch „möchtegern-linke“ Sprüche. Es ist nicht leicht der Bevölkerung das wahre Gesicht dieser Parteien, Gruppierungen zu zeigen.
Eine nationale Front mit der CHP löst die Probleme der Bevölkerung nicht.
Es müssen Strukturen für einen Aufstand gegen den Neoliberalismus geschaffen werden, zusammen mit allen Völkern muss der gemeinsame Kampf auf die Straßen verlagert werden. Gemeinsam gegen die Spaltung der Gesellschaft, gegen den Krieg, gegen Diskriminierung und Rassismus, gegen den wirtschaftlichen Kollaps, gegen willkürliche Verhaftungen, gegen die prekären Arbeitsverhältnisse und für Solidarität mit den politischen Gefangenen.
Verfasst für Freiesicht.org