Dass die berühmte Kirche in Paris einem Brand zum Opfer gefallen ist, ist schrecklich. Genauso schrecklich ist aber die Zerstörung von Kulturgütern (mindestens) ähnlich bedeutender Art im Irak, in Libyen, in Syrien, im Jemen und an vielen anderen Orten der Welt. Sie wurden Opfer der westlichen Kriege, an denen Frankreich wie die USA, Großbritannien und andere Nationen beteiligt sind. Die Trauer über den Großbrand von Notre Dame und die Wiederaufbaubekenntnisse und Spendenfreudigkeit wären glaubwürdiger, wenn der Westen die Zerstörung in anderen Teilen der Welt endlich bedauern würde und vor allem aufhören würde, weiter zu zerstören und Millionen von Menschen das Zuhause zu rauben. Wolf Wetzel hat sich in einem hier folgenden Beitrag mit der Rolle Frankreichs bei der Zerstörung im Jemen beschäftigt. Albrecht Mülle
In seinem Text gibt es eine treffende Zwischenzeile: „Ohne eine Kirche kann man – noch ganz gut – leben, aber ohne ein Zuhause?“ Vielleicht sollten sich die Journalistinnen und Journalisten, die jetzt so solidarisch über das Unglück in der Mitte von Paris schreiben und senden, diese Zeile hinter den Spiegel stecken. Den vielen um Notre Dame trauernden Politikern wäre das sowieso zu empfehlen.
Und nun der Beitrag von Wolf Wetzel:
Notre Dame
Eine etwas andere Trauerrede
Die Nachrichten sind seit zwei Tagen voll davon, die Bilder brennen sich ein. Man spürt den Schmerz, den Verlust, die Hilflosigkeit. Die Ohnmacht, nichts machen zu können, zuzuschauen, wie sich etwas Schönes, Wertvolles in Schutt und Asche verwandelt.
Es geht um die Kathedrale Notre Dame in Paris, die am 15. April 2019 Feuer gefangen hat.
Ich habe die Notre Dame nie von innen gesehen. Ich glaube denen, die von diesem Bau beeindruckt sind, von der Baukunst, von der Geschichte, die sie darin auftürmt, von dem Reichtum, den sie verkörpert.
Nun brennt sie. Es folgen Liveberichterstattungen vor Ort – im Hintergrund das Feuer und die bange Frage, ob die Notre Dame noch zu retten ist, ob das Feuer aufgehalten werden kann.
Je länger ich diesem Trauerspiel zusehe, je länger ich in diese betroffenen Gesichter schauen muss, desto weniger berührt mich das. Mein Mitgefühl schwindet.
Die Notre Dame steht nicht nur in Paris
Da brennt gerade eine Kirche (nieder).
Am selben Tag erfahren wir, dass „geheime“ Dokumente öffentlich gemacht wurden, die beweisen, was französische Regierungen (egal welche) immer bestritten haben: Sie beteiligen sich unentwegt an Kriegsverbrechen.
Sie gehören zu den größten Ausstattern eines Krieges, der barbarischer kaum sein kann. Die französische Waffen- und Kriegsindustrie versorgt Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) mit genau den Waffen, die im Krieg in Jemen seit nun vier Jahren das Land dem Erdboden gleichmachen:
„Wie pragmatisch dies die französische Regierung sieht, wurde jetzt durch den Leak eines geheimen Regierungsdokuments deutlich, das investigative Journalisten auf der neuen Plattform Disclose mit einem umfangreichen Dossier über den schmutzigen Krieg veröffentlicht haben. Es handelt sich um einen geheim eingestuften 15-seitigen Bericht des militärischen Geheimdienstes Direction du Renseignement Militaire (DRM) vom September 2018 über Waffen, die seit 2015, also seit Beginn des Jemen-Kriegs, an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) verkauft wurden. Der Bericht wurde im Oktober auch Präsident Macron vorgelegt und belegt, wo die französischen Waffen eingesetzt werden.“ (Frankreich: Waffenverkäufe für den schmutzigen Krieg im Jemen, Florian Rötzer, telepolis vom 16. April 2019)
Die französische Regierung behauptet unverdrossen und seit Jahren, die Waffen dienen ausschließlich Verteidigungszwecken, würden also in keinster Weise zu Kriegsverbrechen genutzt. Tatsache ist:
„Saudi-Arabien und die VAE begehen dort immer wieder Kriegsverbrechen durch das Bombardieren von Zivilisten und durch die Blockade von Hilfsmitteln. Die Vereinten Nationen bezeichnen die Lage im Jemen seit längerem als die schwerste humanitäre Krise, 7 Millionen Menschen sind unterernährt, 80 Prozent der Bevölkerung sind angewiesen auf Hilfe.“ (s.o.)
Von diesem Land ist fast nichts mehr übrig. Fast kein Stein steht mehr auf dem anderen. Wie oft hat es dort gebrannt?
Ohne eine Kirche kann man – noch ganz gut – leben, aber ohne ein Zuhause?
Dieser Krieg findet seit vier Jahren statt. Wenn man will, vor unser aller Augen, auch den Augen französischer BürgerInnen. Seit Jahren klagen ganz Wenige die französische Regierung an, dass sie an diesen Kriegsverbrechen verdient und beteiligt ist. Seit Jahren wischt welche französische Regierung auch immer, diese Vorwürfe vom Tisch. Bis heute.
„Die französische Regierung bleibt stur und im Leugnen. Nach Kenntnis der Regierung würden französische Waffen zur Verteidigung außerhalb von Jemen, aber nicht an der Front eingesetzt. Und:
“Wir haben keine Kenntnis von zivilen Opfern, die aus ihrem Einsatz im Jemen-Krieg folgen.” (s.o.)
Das ist ein- und dieselbe Seite der Notre Dame.
Für sie wurden bereits Hunderte Millionen Euro an Spendengeldern zugesagt – für ihren Wiederaufbau in Paris, dem „Symbol für Paris und die Nation“ für „ein Bauwerk für die Ewigkeit“.
Für Jemen nicht.
Das Feuer in der Kathedrale Notre Dame ist ein Unglück. Was in Jemen passiert, ist kein Unglück, sondern gewollt … und sehr lukrativ.
Wolf Wetzel
16. April 2019
Quellen:
- Made in France
- Jemen: Waffen made in France, ARTE
- Frankreich: Waffenverkäufe für den schmutzigen Krieg im Jemen
Titelbilder:
- Stefano Zaccaria / Shutterstock
- anasalhajj / Shutterstock
Quelle: https://www.nachdenkseiten.de/?p=51003