„… Hariri hatte vergangene Woche zunächst Reformen angekündigt, darunter die Kürzung der Gehälter der Beamten um 50 Prozent, keine neuen Schulden im Haushalt für 2020 und die Privatisierung des Kommunikationsnetzes. Das war den Protestierenden nicht genug. Sie blockierten die Straßen mit Sitzblockaden oder Mülltonnen. Auf der einzigen Autobahn des Landes, die sich an der Mittelmeerküste von Nord nach Süd zieht, bildeten Tausende Menschen eine Kette, um Einheit zu demonstrieren. Banken und Schulen sind seit Tagen geschlossen, auch der Kultursektor stellte den Betrieb ein. In der Innenstadt Beiruts kampierten Menschen mit Zelten, sie blockierten die Auffahrt einer Brücke mit Sofas – die Straße wurde zu ihrem Wohnzimmer. „Das ist definitiv ein Gewinn. Wir haben erreicht, was wir wollten, aber das ist erst der Anfang des Kampfes, da wird noch viel kommen“, sagte die 21-jährige Lama Chmayaa, die seit dem Morgen auf der Straße in der Innenstadt protestiert hat. „Wir feiern und freuen uns, aber unser Gewinn ist der Verlust der Parteien, gegen die wir protestieren. Die Hisbollah-Anhänger werden jetzt noch mehr gegen die Proteste sein.“ Einige der Protestierenden glauben, dass die schiitische Hisbollah und ihr Pendant die Amal Partei junge Männer bezahlen, um die Protestierenden zu vertreiben. Die Parteien sind selbst in der Regierung vertreten und möchten diesen Einfluss nicht aufgeben. Vor der angekündigten Rede Hariris hatten Männer auf Motorrädern die Protestierenden auf der Brücke mit Steinen und Flaschen beworfen, daraufhin drängte die Polizei die Gewalttätigen mit Tränengas, Schlagstöcken und Schüssen zurück…“ – aus dem Beitrag „Regierung im Libanon dankt ab“ von Julia Neumann am 29. Oktober 2019 in der taz online über die aktuellste Entwicklung im Libanon – und wer etwas dagegen hat… Siehe dazu einen weiteren aktuellen Beitrag zur Konfrontation in Beirut, die Erklärung der KP Libanon zum Rücktritt der Regierung und einen älteren Hintergrundbeitrag, der deutlicher macht, warum die islamistischen Kräfte im Libanon das System (und die Regierung) so vehement verteidigen – sowie den Hinweis auf unseren letzten Beitrag zum Libanon, bei dem erstmals auch die Konfrontationen mit Parteianhängern Thema war:
- „Jour XIII: le centre-ville de Beyrouth, cœur de la contestation, attaqué par des partisans du Hezbollah et d’Amal“ am 29. Oktober 2019 bei Assawra ist eine ausführlichere Meldung über die Angriffe von Hisbollah und Amal-Anhängern auf die Demonstrationen in der Hauptstadt, die auch – Zustände, wie in der BRD – die Unterstützung einiger Autofahrer erhielten, wo es sich um einige der zahlreichen Straßenblockaden handelte. Beide Organisationen unterstrichen an diesem Tag, dass sie sowohl gegen einen Rücktritt der Regierung als auch gegen Neuwahlen seien.
- „Consolider le succès en poursuivant la confrontation“ am 29. Oktober 2019 ebenfalls bei Assawra ist die Erklärung der KP Libanon zum Rücktritt der Regierung: Der als erster Erfolg bewertet wird, dem weitere folgen können, wenn weiterhin mit aller Kraft mobilisiert werde…
- „Review – ‘Hezbollah: The political economy of Lebanon’s party of god’, by Joseph Daher“ von Omar Hassan in der Ausgabe Winter 2017 der Marxist Left Review war eine Buchbesprechung über Dahers Veröffentlichung zur Hisbollah und deren profitablen Beteiligung an der libanesischen Regierung. Darin wird vor allem sehr ausführlich und konkret ausgeführt, was im Alltag islamistischer Neoliberalismus heißt – und wer davon wie profitiert. Insgesamt Gründe genug, auch heute noch gegen einen Regierungswechsel ebenso zu sein, wie gegen eine Veränderung des Proporz-Systems der Machtteilung…
- Zum Kampf gegen das religiöse Proporz-System im Libanon zuletzt: „Auch im Libanon greifen die Neoliberalen auf ihr weltweit verbreitetes Mittel gegen Massenproteste zurück: Die Armee und Milizen eröffnen das Feuer“ am 27. Oktober 2019 im LabourNet Germany