Mansplaining Feminism? Nein danke!
Beginnen wir mit den Narrativen, die eigentlich keine Beachtung mehr verdienen: Einige berufen sich auf den historischen Inhalt des 8. März, negieren dann aber im Bezug zur Gegenwart die Erweiterung des Inhalts durch die Frauen*. Sie ergötzen sich in Aussagen wie: „Der 8. März ist der Welttag der Arbeiterinnen, nicht der Feministinnen. Revolutionär*innen haben ihn erkämpft, es gilt mit den Männern gemeinsam zu marschieren, der 8. März ist heute in der Hand der bürgerlichen Feminist*innen, das werden wir nicht zulassen.“
Es gibt freilich auch Frauen*, die sich in derartigen Aussagen ergehen, aber in erster Linie sind es linke, revolutionäre Männer, die den eigenen Willen der Frauen negieren. Diese Haltung ist in erster Linie eine Fortsetzung der patriarchalen Kultur innerhalb der Linken in der Türkei. Obwohl in der gesellschaftlichen Dynamik der Frauen*bewegung am 8. März die zwei politischen Haltungen, das heißt der Fokus auf den Weltarbeiter*innentag wie auch der auf den Weltfrauen*tag, zusammenkommen und die Spaltung der Frauen*bewegung nicht zugelassen wird, eröffnen einige Männer jedes Jahr erneut dieselben Debatten.
Das strukturelle Problem dabei ist, dass es wieder die Männer sind, die den Frauen* sagen, was sie zu tun und wie sie zu denken haben. Dass sie dies tun angesichts der konstant starken Frauen*bewegung in der Türkei in einer Zeit, in der sich die meisten anderen gesellschaftlichen Dynamiken auf dem Rückzug befinden, ist kein Zufall. Diese Männer haben Angst, sich mit ihrer eigenen patriarchalen Rolle auseinandersetzen zu müssen. Die veränderte Bedeutung der Frauen*bewegung und des 8. März wollen sie nicht sehen, es fehlt ihnen jeder Respekt für die Formen und Inhalte der Frauen*proteste. Ihnen können wir nur sagen: So wie sich der 8. März und die Frauen*bewegung verändert haben, so werdet auch ihr euch ändern müssen.
Ein bisschen Neoliberalismus gefällig?
Eine andere Debatte kann potentiell zur Stärkung der Frauen*bewegung beitragen. Aber nur dann, wenn die Debatte von der Frauen*bewegung und ihren Subjekten, den Frauen*, selbst geführt wird. Dabei geht es um die Frage, wie sehr der 8. März und die Frauen*bewegung mit zunehmender Popularität vom Kapital und einem neoliberalen „Feminismus“ vereinnahmt werden.
Jenseits der theoretischen Debatte geht es dabei beispielsweise um die Reklamestrategien von vielen Marken, die mit speziellen Angeboten, Werbespots, Geschenken und dergleichen versuchen, aus der Popularität des 8. März Profit zu schlagen. Aber sind die Frauen*bewegung und der Feminismus einfach ein „Ding“, das sich jeder nach Belieben aneignen kann?
Der Inhalt des Feminismus wird bestimmt von Kampf der Frauen*bewegung und ihrer Subjekte. Die Vorstellung, wonach Frauen* nicht als Subjekte gesehen werden und nahelegt wird, dass die Frauen* bei ein, zwei Werbespots gleich die ganze Geschichte ihrer Unterdrückung vergessen und ins nächste Geschäft laufen, um sich dort mit „pro-feministischen“ Schminkutensilien oder Schuhen einzudecken und dann sagen „jetzt sind wir stark!“, ist nichts anders als die Fortschreibung der Geschlechterrollen, die Frauen seit jeher zugeschrieben werden.
Vielleicht denken sich ja einige revolutionäre Männer, dass die Frauen* vom neoliberalen Kapitalismus ausgetrickst werden und nun dringend die Hilfe marxistischer Männer brauchen, damit sie sich davon befreien können.
Sehen die Genossen denn nicht, welchen Schaden dem Kapitalismus zugefügt wird, wenn Millionen von Frauen* in Spanien am 8. März streiken? Welche populare Kraft entwickelt wird, wenn Frauen* in Argentinien zuerst gegen Femizide protestieren und dann ihre Forderungen auch auf klassenkämpferische Inhalte erweitern? Wenn die Proteste der Frauen* gegen Trump mit den Debatten um den Feminismus der 99% einen anti-kapitalistischen Charakter gewinnen? Teilweise wird so getan, als kämen diese Entwicklungen nicht von kämpfenden Frauen* selbst.
Mit solchen und ähnlichen Aussagen und Herangehensweisen wird eine täglich stärker werdende, sich weltweit ausbreitende Bewegung einfach zur Seite geschoben. Es ist wohl auch kaum ein Zufall, dass einige Männer glauben, sie würden tiefschürfende Theoriearbeit leisten, weil sie Das Kapital von Karl Marx gelesen haben – aber von den vielen wichtigen feministischen Debattenbeiträge der letzten Jahre oder auch überhaupt von den internationalen feministischen Debatten haben sie keinen Schimmer. Doch wir schulden ihnen nichts, wir haben ihnen nichts zu beweisen. Selbst wenn wir Fehler machen, dann sind das unsere Fehler und wir werden sie selbst korrigieren.
Wenn Diskussionen über Probleme und Perspektiven des Kampfes in der Frauen*bewegung selbst stattfinden, dann hat das viel mehr Bedeutung. Zudem sind diese Diskussionen inhaltlich und formal zielführender. Die Frauen*bewegung befindet sich an einer wichtigen Schwelle und alle Frauen* haben Anteil an ihrer weiteren Entwicklung. Im Zentrum der Debatte steht auch in der Türkei das weltweit diskutierte Thema, inwiefern neoliberale Politik versucht, den Feminismus zu vereinnahmen. Was sich in den Diskussionen zum Frauen*streik ausdrückt, ist die Debatte um die heutigen kapitalistischen Produktions- und Reproduktionsverhältnisse. Dass dies auch in der Türkei immer mehr diskutiert wird, hängt unter anderem mit dem erneuten weltweiten Aufschwung der Frauen*bewegung zusammen. Eine solch lebendige und produktive Debatte gab es zuletzt wohl in den 1980ern. Was uns von damals erhalten blieb, ist eine umfassende Literatur und viele verschiedene Feminismen. Es ist aber ein Merkmal und eine besondere Stärke der Frauen*bewegung, dass sie trotz all dieser verschiedenen Strömungen als praktische Bewegung den Zusammenhalt bewahrt hat. Anders wäre die aktuelle internationale Entwicklung kaum möglich.
Feministische Solidarität gegen Plastikkugeln und Lynchmob
Auch wenn der Gegenwind und die patriarchalen Vorstellungen, welche die Frauen*bewegung zu vereinnahmen und zu spalten versuchen, traditionsgemäß im Vorfeld des 8. März erneut Fahrt aufnahmen, gingen die Frauen* in der Türkei gemeinsam und kraftvoll auf die Straße. Auch dieses Jahr gab es wieder in der ganzen Türkei Aktionen, Proteste, Märsche. In vielen kleineren Provinzen gab es zumindest Veranstaltungen. In Istanbul fand zum 17. Mal der feministische Nachtmarsch statt, zu dem trotz der harschen, repressiven politischen Atmosphäre zehntausende Frauen* zum, von der Polizei abgeriegelten, Taksim-Platz kamen. Die Polizei war darauf aus, die Frauen* nicht marschieren zu lassen. Aber der Wille und die Standfestigkeit der Frauen* zwangen sie dazu, einen kleinen Teil der Istiklâl-Straße wieder zu öffnen. Doch als die Frauen* darauf drängten, weiter zu marschieren, wurden sie mit Tränengas und Gummigeschossen angegriffen. Doch sie ließen sich nicht auseinandertreiben, blieben standfest und erkämpften so einen großen Erfolg.
Der patriarchale Staat wollte den Frauen*, die immer mehr zur stärksten und wichtigsten gesellschaftlichen Opposition gegen das AKP/Erdoğan-Regime geworden sind, eine Lektion erteilen.
Dabei geht es nicht nur um Opposition gegen die Politik der AKP. Eine immer stärker werdende Frauen*bewegung erschüttert Staat, Patriarchat und Kapitalismus in der Türkei in ihren Grundfesten. Die Panik darüber drückt sich in der Art und Weise aus, wie der Frauen*marsch von der Polizei angegriffen wurde. Aber die Frauen* sind ruhig und konsequent geblieben. So war am Ende die Message nicht, „wie die Polizei die Frauen* attackierte“, sondern „wie die Frauen* Widerstand leisteten“.
Die Frauen* kamen gestärkt aus dem 8. März und die Legitimität des Regimes erlitt einen weiteren Schlag. Das wollte das Regime nicht auf sich beruhen lassen und versuchte, am nächsten Tag die Lage in seinem Sinne darzustellen. Ein Video von protestierenden Frauen* wurde von Präsident Erdoğan genutzt, um den Frauen* vorzuwerfen, sie hätten den Gebetsruf ausgepfiffen und ausgebuht. Die Folge war, dass tags darauf ein Mob von mehreren hundert Leuten in der Nähe vom Taksim durch die Straßen zog und Frauen* sowie alle „potentiellen Oppositionellen“ bedrohte.
Die Frauen* antworteten darauf mit einer deutlichen Erklärung: Jede*r, der*die schon mal auf der Istiklâl-Straße war, weiß um die Unmöglichkeit, den Gebetsruf an dieser Stelle inmitten einer Demo und Polizeiattacken zu hören. Das Pfeifen und die Slogans der Frauen* waren gegen die Polizei gerichtet und nicht gegen den Gebetsruf.
Es sieht ganz danach aus, als wollte das Regime eine Lynchmentalität gegen die Frauen*bewegung mobilisieren. Das Regime dürfte allerdings schnell gemerkt haben, dass ein potentieller Lynchmob außer Kontrolle geraten könnte. Und in einer so fragilen Situation wie der heutigen in der Türkei, noch dazu knapp vor den Wahlen, hätte eine solche Lynchmentalität durchwegs ins Chaos führen können. Das Kräftegleichgewicht im Staat und innerhalb der herrschenden Klasse ist sehr fragil, genauso wie die gesellschaftlichen Widersprüche jederzeit explodieren können. In dieser Situation wollte das Regime das Risiko offensichtlich nicht eingehen und ruderte letztendlich schnell wieder zurück. Gleichzeitig wurde aber angekündigt, juristische Untersuchungen gegen Frauen*, die an der 8. März-Demo teilnahmen, einzuleiten. Schon als Hatice Göz [feministische Aktivistin, die drei Monate im Gefängnis war; Anm. d. Red.] festgenommen wurde, haben wir darauf hingewiesen, dass dieser Angriff eigentlich ein Angriff auf die gesamte Frauen*bewegung war und dass dies nur der Anfang ist. Jetzt sind wir offensichtlich an dem Punkt angelangt, dass jeglicher feministische Aktivismus als „Terrorismus“ gewertet wird.
Es ist sicher nicht zu viel gesagt, wenn wir festhalten, dass das türkische Regime die Stärke der Frauen*bewegung zu brechen versucht. Denn es ist nämlich genau diese Stärke, die zu Rissen im herrschenden Block führt. Das zeigt, wie sehr eine starke Frauen*bewegung und gesellschaftliche Opposition das Regime erschüttern können.
Erneut haben wir also einen 8. März erlebt, an dem die stetig stärker werdende feministische Bewegung auf der Straße eine neue, freie und gleiche Welt einforderte. Auf der ganzen Welt haben Frauen* teils dieselben, teils divergierende Forderungen lautstark zum Ausdruck gebracht und gezeigt, dass sie nicht aufhören werden zu kämpfen, bis sie sie ihre Forderungen durchgesetzt haben.
Aus dem Türkischen übersetzt von Max Zirngast.
Quelle: https://revoltmag.org/articles/feministische-revolte-statt-gehorsam/