Italiens Oberster Gerichtshof entscheidet: Das Stehlen von Essen zum Überleben ist keine Straftat
Aus Hunger hatte ein Obdachloser etwas Wurst & Käse gestohlen. Er sollte 6 Monate ins Gefängnis.
Foto: Michael Reiner
Ein Beitrag von Joe McCarthy 3. Mai 2016
„Das Recht auf Überleben wiegt stärker als das Recht auf Eigentum.“ Nach diesem Grundsatz hat Italiens Oberster Gerichtshof 2016 entschieden, nachdem sie den Fall eines Obdachlosen neu aufrollten. In erster Instanz wurde der Mann nämlich zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe und einer Geldstrafe von 100 Euro verurteilt, als er 2011 beim Stehlen von etwas Wurst und Käse erwischt wurde.
Der Obdachlose wurde damals, noch bevor er den Laden mit dem „Diebesgut“ verlassen hatte, erwischt. Daraufhin gab er die Lebensmittel ohne Widerstand zurück. Aus diesem Grund sollte man doch die Straftat von “Diebstahl” auf “versuchten Diebstahl” mildern, so der Staatsanwalt.
Doch als der Oberste Gerichtshof von dem Fall hörte, änderten sie das Urteil noch viel drastischer. Statt das Urteil nur abzumildern, so argumentierten sie, sei der Vorfall noch nicht einmal einer Strafe wert. Anders gesagt: Lebensmittel zu entwenden, weil man stark hungert, sollte nicht als Verbrechen angesehen werden.
Die Richter begründeten, dass die Menge der Lebensmittel, die der Obachlose sich in seiner offensichtlich auswegslosen Lage genommen hatte, nur seinem unmittelbaren und absolut nötigen Nahrungsbedarf entsprachen.
Gleichzeitig äußerten sich die Richter auch negativ über den gesamten Prozessablauf: eine versuchte Straftat, bei der es um Lebensmittel im Wert von gerade mal etwas mehr als 4 Euro ging, führte dennoch zu ganzen drei Anhörungen. Da ist doch etwas grundlegend falsch!
Wie viele andere Länder auch, befindet sich Italien in einer Rezession. Laut BBC fallen jeden Tag 615 Menschen in Italien unter die Armutsgrenze (Stand 2016). Viele von ihnen müssen kämpfen, um sich überhaupt ein Dach über dem Kopf und Nahrung leisten zu können. Diese Menschen zu vergessen, kann und darf keine Option sein.
Auch in anderen Quellen wurden Stimmen laut, dass diese Entscheidung mit den absoluten Grundpfeilern unseres Denken und unserer Zivilisation übereinstimme und daher richtig sei: dass Menschlichkeit und die Unantastbarkeit der Menschenwürde geschützt werden müsse und in Zeiten der Not überlebenswichtige Dinge wie Nahrung, Wasser und Sicherheit an erster Stelle stehen.
Es steht nun also die Frage im Raum, wie mit der Entscheidung umzugehen ist.
Hat der Gerichtshof mit seinem Urteil versucht, wieder Sinn in “sinnlose” Strafverfahren zu bringen? Denn warum sah man es als nötig an, durch so viele Instanzen zu gehen, um einen Mann zu verurteilen, der offensichtlich an Hunger leidet und der durch einen solchen Rechtsspruch in noch tiefere Armut gedrängt wird?
Oder war es, dass der gerichtliche Beschluss ein Zeichen setzen wollte, dass wir unser MIteinander von Grund auf überdenken sollten? Wenn man mal überlegt: Der Gedanke, an einen Obdachlosen, der in einen Supermarkt geht und sich dort einfach Essen nimmt, ohne dafür zu bezahlen, verstößt doch ganz klar gegen die marktorientierte Logik, die eine Gesellschaft vorantreibt und der Gedanke der Gleichberechtigung. Denn wenn man etwas zu Essen möchte, muss jeder andere ja auch dafür bezahlen. Oder?
Die Entscheidung öffnet die Tür zu einer ganzen Reihe verschiedener Debatten, die alle würdig sind, geführt zu werden.
Fakt ist: in Italien tut sich was. Und wir sollten alle unseren Blick vielleicht mal nach Italien richten. Erst vor kurzem beispielsweise verabschiedete Italien ein neues Gesetz, dass alle Lebensmittelhändler per Gesetz dazu zwingt, ihre unverkauften Waren nach Ladenschluss an Wohltätigkeitseinrichtungen abzugeben.
Gesetzliche Lage in Deutschland
In Deutschland ist das Stehlen von Lebensmitteln grundsätzlich immer strafbar. Wer also wegen Hungers im Supermarkt klaut, begeht Ladendiebstahl. Wer Früchte von Nachbarsbäumen pflückt, macht sich des Hausfriedensbruchs strafbar. Allerdings werden solche Taten nicht zwangsweise verfolgt, sondern nur, wenn das „Opfer“, also zum Beispiel der Nachbar, Anzeige erstattet.
Dennoch darf man sich schon die Frage stellen, ob ein Mensch, in einem Land, in dem die Supermärkte prall gefüllt sind und ein Drittel aller produzierten Lebensmittel direkt in der Tonne landen – ob so ein Mensch wirklich um sein Überleben bangen sollte, wenn ihm unvorhersehbare Dinge im Leben zustoßen – plötzlicher Jobverlust, Krankheit, ein Traumata? Wie gehen wir mit Menschen vor unserer Haustür um, die Hunger leiden?
Quelle: globalcitizen.org