Rebellische Städte Ein Gespräch über die Initiative Deutsche Wohnen & Co. Enteignen und darüber, wie man sich am besten mit anderen Mieter_innen organisiert
Interview: Jan Ole Arps
Es hilft alles nichts, die Immobilienunternehmen müssen enteignet werden. Damit das gelingt, startet im April in Berlin ein Volksbegehren. Schon die Ankündigung versetzt das Kapital in Alarmstimmung. Die Ratingagentur Moody’s drohte Mitte März gar, bei einer Enteignung die Kreditwürdigkeit des Landes Berlin herunterzustufen. Wie die Erfolgsaussichten der Enteignungsinitiative sind und was man sonst noch gegen steigende Mieten und Verdrängung tun kann, haben wir zwei seiner Initiator_innen gefragt.
Im April startete das Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co. Enteignen. Schon jetzt schäumt die bürgerliche Presse. Die FAZ fürchtet eine sozialistische Stadt Berlin, Wirtschaftsverbände warnen vor einem Rückfall in finstere Zeiten (DDR). Dürfen wir uns wirklich so große Hoffnungen machen?
Kalle Kunkel: Ich finde vor allem gut, dass die Enteignungsinitiative die Eigentumsfrage auf die Agenda gesetzt hat. Und dass die Immobilienwirtschaft anfangen muss zu reagieren. Die Aktienbewerter sind auch schon hellhörig geworden. Damit hat die Kampagne schon jetzt einen Effekt, bevor eine Unterschrift gesammelt wurde.
Worum geht es im Volksbegehren?
Tashy Endres: Es geht darum, die großen Wohnungsunternehmen, die über 3.000 Wohnungen haben und damit nicht verantwortlich umgehen, zum Wohle der Allgemeinheit und der sozialen Wohnraumversorgung zu enteignen.
K.K.: Es ist ein sogenannter Beschlussvolksentscheid, das heißt, es wird kein Gesetz eingereicht, sondern ein Beschlusstext, der den Senat auffordert, ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen. Die Umsetzung werden wir natürlich kritisch begleiten und kontrollieren.
Ihr stützt euch auf Artikel 15 des Grundgesetzes, der besagt, dass Grund und Boden und die darauf stehenden Häuser bzw. Produktionsmittel in Gemeineigentum überführt werden können. Der Artikel kam aber noch nie zur Anwendung.
T.E.: Wenn enteignet wird, zum Beispiel für Großprojekte oder den Straßenbau, wird meistens auf die Bau- oder Infrastrukturgesetzgebung zurückgegriffen.
K.K.: Der Artikel stammt aus einer Zeit, in der die gesellschaftliche Situation offener war als heute. Seitdem ist damit nie was gemacht worden. Das heißt auch, dass die neoliberale Wende der Gesellschaft an diesem Artikel völlig vorbei gegangen ist.
T.E.: Man könnte sagen, es wird Zeit, dass dieser Artikel mal benutzt wird.
Kritiker argumentieren, das eigentliche Problem, dass es nicht genug Wohnraum gibt, löse eine Verstaatlichung nicht. Für die Summen, die für Entschädigungen gezahlt werden müssten, könne man Zehntausende kommunale Wohnungen neu bauen.
K.K.: Ja, wir brauchen Neubau …
T.E.: Aber zu bezahlbaren Mieten, für Menschen mit geringem Einkommen.
K.K.: Wenn man Neubau sagt, ist damit ja noch nicht viel ausgesagt. Alle Parteien wollen Neubau, aber Neubau als Investitionsförderung, wo vielleicht 30 Prozent über einen Zeitraum von 15 oder 20 Jahre für sozialen Wohnungsbau zwischengenutzt werden. Mit der Kampagne stellen wir die Eigentumsfrage in den Mittelpunkt. Bei der Kostenschätzung, die wir von unserer Seite gemacht haben, sagen wir, wir enteignen für einen sozialen Zweck. Der soziale Zweck ist, Mieten auf einem bestimmten Niveau zu garantieren. Die Entschädigung, die der Staat an die bisherigen Eigentümer zahlen darf, kann sich nur daran orientieren, dass danach leistbare Mieten rauskommen. Insofern verstehe ich die linke Polemik, die die Neubaufrage und die Enteignungsfrage gegeneinander diskutiert, nicht. Diese Verschiebung in der Debatte ist doch total viel Wert für die Frage, unter welchen Bedingungen gebaut wird.
T.E.: Auf der anderen Seite geht es nicht nur darum, mehr Wohnraum zu schaffen, sondern auch die existierenden Nachbarschaften und Zusammenhänge zu erhalten.
Wieso ist das wichtig?
T.E.: Nehmen wir zum Beispiel den Kotti, also das Kottbusser Tor, oder die Otto-Suhr-Siedlung. Dort leben die Menschen mit dem geringsten Einkommen in Berlin. Viele haben schon einmal ihr Zuhause aufgeben müssen – oft in anderen Ländern, oft aus ökonomischer Not oder Verfolgung. Sie haben den Stadtteil aufgebaut und all das geschaffen, was Kreuzberg heute attraktiv macht. Man kann sie nicht einfach auf eine Wiese nach Marzahn verfrachten, weil dort jetzt billiger gebaut werden kann. Je weniger Geld Menschen zur Verfügung haben, umso wichtiger sind nachbarschaftliche Zusammenhänge: für die gegenseitige Hilfe, bei Sorge oder Pflege, für die Anbindung an medizinische Versorgung, an Schulen. Der urbane Mehrwert von Stadtteilen wie Kreuzberg, der jetzt kapitalisiert wird, ist genau durch diese Beziehungsarbeit geschaffen worden. Das ist nicht nur eine Frage, die den Kotti betrifft. Bei der ganzen Debatte, ob nicht statt Enteignung Neubau auf der Wiese die bessere Strategie wäre, höre ich makroökonomische Strategen, die aus einer Vogelperspektive kritisieren, dass das zu viel kostet, und überhaupt nicht auf dem Schirm haben, wessen Alltag und gesellschaftliche Teilhabe sie dabei aufs Spiel setzen.
Die Deutsche Wohnen ist mit 110.000 Wohnungen Berlins größter privater Vermieter. Etwa 50.000 dieser Wohnungen wurden 2004 vom rot-roten Senat an die Deutsche Wohnen verkauft, für 400 Millionen Euro plus Schuldenübernahme von 1,6 Milliarden. Nun soll der Senat die Wohnungen wieder enteignen – gegen eine Entschädigung, die zwar unter dem Marktwert, aber über dem damaligen Verkaufswert liegt. In eurem Gutachten rechnet ihr für insgesamt 200.000 zu enteignende Wohnungen mit einer Summe von neun bis 13 Milliarden Euro. Ist das wirklich so ein guter Deal?
T.E.: Dass die Wohnungen privatisiert wurden, war der schlechteste Deal für alle Einwohnerinnen des Landes Berlin. Die Entschädigungssumme ist natürlich ein hoher Preis. Aber wenn man den nicht zahlt, opfert man die großen innerstädtischen Bestände mit ihrem sozialen Gefüge. Es geht nicht nur um die Wohnungen, es geht um den Zusammenhalt der Stadt.
K.K.: Die Enteignung und Rekommunialisierung sind natürlich auch ein Reparaturbetrieb für die wohnungspolitischen Verbrechen in den 2000er Jahren unter einer rot-roten Regierung. Aber die Enteignung ist die einzige Möglichkeit, wie man sich diese Bestände wiederholen kann, ohne die hohen Preise zu bezahlen, die die zukünftigen Mietsteigerungen schon eingepreist haben. Insofern ist das sogar unter finanziellen Gesichtspunkten die beste Variante.
Berlins Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat jetzt vorgeschlagen, die gut 50.000 Wohnungen, die einst der Stadt gehörten, von der Deutsche Wohnen zurückzukaufen.
T.E.: Das wäre besonders schlecht, weil die Stadt durch das Kaufangebot noch mehr Nachfrage nach Wohnraum generiert, was die Preise insgesamt weiter nach oben treiben wird. Demgegenüber ist die Enteignung ein Unsicherheitsfaktor in allen Bilanzen und damit etwas Preissenkendes. Das ist die gegensätzliche Strategie.
K.K.: Unsere Botschaft ist ausdrücklich: Für Investoren, die hier gewinnorientiert tätig werden, ist Berlin ein unsicheres Pflaster. Kalkuliert das in eure Planungen besser mit ein.
Kann man den bürgerlichen Staat wirklich zu Enteignung und Verstaatlichung zwingen?
K.K.: Die Zustimmung zur Enteignungsinitiative unter der Berliner Bevölkerung ist anhaltend hoch. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir die nötigen Stimmen zusammenbekommen. Und dann steht Rot-Rot-Grün unter Druck. Es gibt von den regierenden Parteien kein Konzept, wie die Mieten im Bestand irgendwie reguliert werden sollen. Damit haben wir den einzigen Vorschlag, der tatsächlich durchdacht und konsequent ist.
Besteht bei einer solchen Kampagne nicht die Gefahr, dass am Ende nicht viel rauskommt und sich die Leute frustriert abwenden?
T.E.: Deshalb ist das Wichtigste, dass es noch zu einer viel weitergehenden Selbstorganisierung von Mieterinnen kommt, die ihr Anliegen selber vertreten können und die auch die besten Expertinnen ihrer Situation sind. Für mich ist die Frage: Was kann ein Volksentscheid beitragen zu einer langfristigen Mieterorganisierung. Ich denke, indem er Öffentlichkeit herstellt und Denkräume aufmacht, kann er sie unterstützen. Aber das heißt, wir müssen auch die Prozesse für den Volksentscheid aus einer Organisierungsperspektive denken und planen.
K.K.: Wir sind in einem offenen Prozess mit ungewissem Ausgang, das muss man auch so kommunizieren. Die Möglichkeiten sind da, und wir müssen ausreizen, was da geht.
Ihr seid in der Starthilfe AG der Kampagne Deutsche Wohnen & Co. Enteignen. Was ist das?
T.E.: Gegründet wurde die AG von Leuten, die in verschiedenen Mieterorganisierungen viel Erfahrung gesammelt und gemerkt haben, man muss nicht alle Fehler nochmal machen, und man kann aus den Erfolgen, die wir hatten, lernen. Wir haben eine Broschüre geschrieben, die Tipps zur Gründung einer Mieterinitiative gibt. Dann haben wir eine Workshopreihe zu praktischen Themen wie »Wie komme ich mit meinen Nachbarinnen ins Gespräch«, »Wie organisiere ich erfolgreiche Versammlungen«, »Wie mache ich Pressearbeit«, aber auch zur strategischen Ausrichtung von Aktionen. Und als dritte Säule geben wir konkrete Starthilfe für Initiativen.
Leute wenden sich an euch und fragen, wie sie es machen sollen?
T.E.: Genau. Wir bauen außerdem einen Pool von Starthelferinnen auf, die Lust haben, Initiativen zu unterstützen.
Was muss man machen, wenn man sich mit den Nachbarn organisieren will?
T.E.: Unserer Erfahrung nach ist es hilfreich, von Tür zu Tür zu gehen und mit den Nachbarn direkt zu sprechen. Nur Flyer stecken stellt meist nicht das nötige Vertrauen her, damit Leute wirklich zu einem Treffen kommen. Wichtig ist, dass wir in dem Gespräch sehr viel mehr zuhören als reden, dass wir die Anliegen der Nachbarinnen und ihre emotionale Verknüpfung damit rausfinden – vielleicht sind sie wütend, vielleicht haben sie Angst – und das in eine Organisierungsperspektive setzen. Dass wir sagen, an der Stelle könnte man was machen, möglichst konkrete Schritte wie Mietminderung, gemeinsam gegen die Modernisierung vorgehen, politischen Druck machen. Und der erste Schritt wäre, dass sie am Wochenende zu einem Treffen kommen.
K.K.: Es geht darum, den ein bis drei Leuten, die mit sowas anfangen, eine Handlungssicherheit darin zu geben, wie sie Nachbarinnen aktiv einbeziehen, wie sie Treffen so gestalten, dass sie nicht bloß eine Informationsveranstaltung sind, sondern dass man am Ende mit mehr Mitstreiterinnen rausgeht und jeder eine kleine Verantwortung übernommen hat.
Ok, sagen wir, ich will meine Nachbarn wegen einer Mieterhöhung zusammentrommeln. Welche Fehler sollte ich vermeiden?
K.K.: Am Anfang hat man meist einen großen Haufen Themen auf dem Tisch. Es gibt Konflikte untereinander, weil das mit der Mülltonne nicht funktioniert, es gibt fünf unterschiedliche Themen, die einzelnen ganz wichtig sind, und ein paar Dinge, die alle betreffen. Sowohl im einzelnen Gespräch als auch in der Versammlung muss man den Spagat hinkriegen, dass man Raum für die individuellen Anliegen lässt, aber auch an bestimmten Punkten Dinge beschränkt, um eine gemeinsame Perspektive zu finden und zusammen zur Aktion zu kommen. Die zentrale Herausforderung ist, dass nicht eine geteilte Weltanschauung die Grundlage ist, um gemeinsam aktiv zu werden, sondern dass man das gemeinsame Thema als eine Möglichkeit betrachtet, miteinander in Verbindung zu treten.
T.E.: Und es hilft, Räume zu schaffen, wo man die anderen Themen besprechen oder einfach Gemeinschaft erfahren kann.
K.K.: Wir raten auch davon ab, beim ersten Treffen Anwälte einzuladen. Das führt dazu, dass die Leute ihre individuellen Probleme da platzieren. Vielleicht kriegen auch drei Leute was gelöst, aber die Frage, was können wir politisch und gemeinsam tun, bleibt auf der Strecke.
T.E.: Mietrecht vereinzelt. Eine der Ideen der Starthilfe war, dort anzusetzen, wo die Rechtsberaterinnen sagen, also juristisch kann man da leider nichts machen, und genau da zu sagen: Ja, aber politisch.
Ende 2016 hat der rot-rot-grüne Senat in Berlin seine Arbeit aufgenommen. Damals wurde der linke Stadtsoziologe Andrej Holm zum Staatssekretär für Wohnen ernannt. Innerhalb weniger Wochen haben die Immobilienwirtschaft und das bürgerliche Lager es geschafft, Andrej Holm aus der Regierung zu drängen. Jetzt, zwei Jahre später, wird über Enteignung diskutiert. Was ist passiert, dass sich der Wind so gedreht hat?
K.K.: Die Mieterselbstorganisierung hat ein neues Niveau erreicht. Dadurch ist auch das Bewusstsein gewachsen, dass wir es nicht mit einem Naturgesetz der Gentrifizierung oder mit abstrakten Spekulanten zu tun haben, wo »die Politik« mal was machen soll, sondern mit konkreten Wohnungsmarktakteuren wie Deutsche Wohnen oder Vonovia, deren Geschäftsmodelle man kennt. Das ist ein Prozess des kollektiven Lernens in der Stadt, den man entlang der Mieterproteste der letzten Jahre nachverfolgen kann – angefangen von Kotti und Co. bis zu den erfolgreichen Protesten in der Otto-Suhr-Siedlung. Das gleiche gilt auch in der Initiative selbst. Als es losging, gab es große Debatten: Sagen wir »enteignen« oder besser »vergesellschaften«? Aber es gab einen Punkt, an dem klar war: Nein, man muss denen das wieder wegnehmen, und das muss man auch so sagen.
Tashy Endres und Kalle Kunkel sind in der AG Starthilfe der Kampagne Deutsche Wohnen & Co. Enteignen und des Mieterprotests bei der Deutsche Wohnen. Tashy Endres ist schon lange in den Berliner Mieterprotesten aktiv, früher bei Kotti und Co., jetzt bei Deutsche Wohnen & Co. Enteignen. Kalle Kunkel hat beim Mietenvolksentscheid mitgewirkt und ist in der Interventionistischen Linken Berlin.
-> Mehr zum Volksbegehren: www.dwenteignen.de
-> Starthilfe-Broschüre runterladen: deutsche-wohnen-protest.de
-> Kontakt zur Starthilfe AG: starthilfe@dwenteignen.de
QWuelle: https://www.akweb.de/ak_s/ak647/20.htm