Zumeist rechte Politiker*innen in Mexiko greifen nur allzu oft auf paramilitärische Gruppen zurück, um ihre Interessen zu sichern. re:volt-Autorin Jazmin Martinez zu den politischen Hintergründen gewaltsamer Vertreibungen im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas.“ Kurzinfo –
Vertriebene zu sein, macht dich zur Fremden im eigenen Land, zu einer Gefangenen einer falschen Freiheit. Die Situation von Vertriebenen im südmexikanischen Bundesland Chiapas lässt sich als konstante Krise bezeichnen, die Kindern bis älteren Menschen ergreift und von deren baldigen Lösung der mexikanische Staat und seine juristischen Instanzen noch weit entfernt ist. Bei gewaltsamen Vertreibungen handelt es sich um das erzwungene Verlassen seiner Heimat aufgrund von Todesdrohungen und Ermordungen. Das bedeutet auch, alles hinter sich und zurückzulassen. Angehörige, Eigentum, Arbeit, Bildungsmöglichkeiten und einen Lebensgang, der in der Regel das Überleben sicherte. In den meisten Fällen ereignen sich gewaltsame Vertreibungen als Massenvertreibungen unter äußerst gewalttätigen Bedingungen. Eine gewaltsame Vertreibung kann nicht nur an sich einem Todesurteil gleichkommen, sondern auch noch nachträglich aufgrund des Fehlens einer Unterkunft, oder der Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, aufgrund der Ausbreitung von Krankheiten ohne Behandlungsmöglichkeiten, aufgrund von Schwangerschaften ohne notwendige Hilfen, oder für die Alten schlicht, da sie keinen Ort zum Ruhen finden. So können Betroffene auch noch nach dem kritischsten Moment der gewaltsamen Vertreibung sterben, obwohl keine Waffen mehr zum Einsatz kommen.
Gewaltsame Vertreibungen betreffen im Bundesland Chiapas üblicherweise primär die indigenen Ethnien. Kleine Maya-Völker aus den Bergen der Sierra Madre, die ihr Tagbrot in der Landwirtschaft, d.h. im Anbau von Saatgut, Früchten, Gemüse und Blumen verdienen. Wenn diese Bevölkerungsgruppen Widerstand gegen die Todesdrohungen und Vertreibungen leisten, werden sie schnell Opfer von Ermordungen durch paramilitärische Gruppen. „Im Jahr 2017 wurden laut der ,Kommission zur Verteidigung und Förderung der Menschenrechte‘ (Comisión Mexicana de Defensa y Promoción de los Derechos Humanos) mindestens 6090 vertriebene Personen in drei Vertreibungswellen registriert“ [1].
Vertreibung als politische Strategie
Die Gründe für gewaltsame Vertreibungen liegen darin begründet, dass die Vertriebenen häufig politisch anderweitig orientiert sind, als an der aktuellen bezirklichen Regierung. Das heißt es geht hier häufig um Motivationen, die dem Wahlkampf entspringen. Die jeweiligen lokalen Machthaber*innen versuchen, die Unterstützung der Menschen für eine bestimmte politische (zumeist rechte) Partei zu erzwingen. Wenn diese Partei dann tatsächlich an die Macht kommt, oder an der Macht verbleibt, werden genau diejenigen, die dieser Partei ablehnend gegenüberstehen, mit Vertreibungsdrohungen überzogen, exiliert und zu personas non gratas (lat. f. nicht erwünschte Personen – Anm. d. Red.) erklärt. Diese Personengruppen werden dann Opfer von Ermordungsversuchen bis sie sich entscheiden, ihre Dörfer zu verlassen, um nicht ermordet zu werden.
Neben diesen politischen Interessen geht es auch um territoriale Interessen, d.h. um Ressourcen wie Metalle und Mineralien. Die Mehrheit der Gebiete, in denen die Vertriebenen wohnhaft waren, sind reich an Edelmetallen. Und die Eigentümer*innen dieser Erde weigerten sich zumeist, ihren Grund und Boden zu verkaufen. Chiapas im Speziellen ist reich an „Gold, Silber, Kupfer, Eisen, Nickel und Zink“ [2] und daher am stärksten vom Phänomen der gewaltsamen Vertreibungen betroffen.
Die Paramilitärs: Rechte Hand der Politiker*innen
In Mexiko, ebenso wie in vielen anderen lateinamerikanischen Ländern, existieren paramilitärische Gruppen. Sie werden finanziert und organisiert durch bezirkliche und auch staatliche Regierungsstellen, die politische Dominanzinteressen oder wirtschaftliche Interessen über einen Teil der Bevölkerung verfolgen. In anderen Worten ausgedrückt, stellen die Paramilitärs die rechte Hand der Politiker*innen dar, bedrohen und erschießen auf ihr Verlangen hin. Aus diesem Grund gibt es nach solchen Vorfällen auch keine Gerechtigkeit oder Strafverfolgung.
Die Angriffe finden üblicherweise Nachts, aus der Dunkelheit heraus, statt. Männer mit großkalibrigen Waffen steigen von Lieferwagen und beginnen auf die Häuser zu schießen, die zuvor den Zielpersonen zugeordnet werden konnten. Sie beschießen Sachgegenstände, sähen Panik mit Luftschüssen und brennen Häuser nieder, ohne dass es sie kümmern würde, ob sich darin Menschen aufhalten. Angesichts dieser gewalttätigen Szenen rennen die Bewohner querfeldein ins Dickicht – wie es in den Gemeinden Chalchihuitán (2017) und San Pedro Chenalhó (2016) der Fall war, die beide in Chiapas gelegen sind.
Die Angriffe der Paramilitärs „weisen immer gleiche Muster der gewaltsamen Vertreibung, des Terrors und der Morde auf, um Kontrolle über ein Gebiet auszuüben. Festgehalten werden können die Aspekte a) Länger andauernde Angriffe mit großkalibrigen Waffen, b) bewaffnete und aussetzende Angriffe, c) Drohungen zur Verübung von Massakern, d) Überwachung von Schanzen im Gebirge aus, e) allgemeine Aggressionen gegen die Zivilgesellschaft, f) gewalttätige Handlungen zur Verbreitung von Terror, g) Belagerungen von Ortschaften, h) exemplarische Ermordungen“ [3]. Aufgrund der Deckung durch politische Funktionär*innen und lokale Polizeieinheiten verfügen paramilitärische Gruppen faktisch über die Erlaubnis zu Mord und Totschlag – wohl wissend, dass die Bundesregierung nicht in lokale Angelegenheiten eingreifen wird.
Ein Beispiel: Die Gemeinde Puebla
Beispielsweise wurden in der Gemeinde Puebla im Bezirk San Pedro Chenalhó in Chiapas am 26. Mai 2016 249 Personen vertrieben. Die Mehrheit der aus politischen Motiven vertriebenen Bewohner*innen gehört zum Maya-Volk der Tzotzil. 54 Familien weigerten sich, die Grüne Partei Mexikos (Partido Verde Ecologista de México – PVEM) zu wählen. Als diese Partei dann an die Macht kam, entfaltete sie eine Kampagne der Todesdrohungen und Angriffe mit Hilfe von paramilitärischen Gruppen, die die Bewohner zwang, ihre Heimat zu verlassen.
Die Vertriebenen leben derzeit in einem Komplex aus kleinen, bescheiden Buden. Gedrängt teilen sich zwei Familien jeweils eine dieser Buden. Jede Familie kann dabei aus bis zu zwölf Mitgliedern bestehen. Diesen Ort, in den Außengegenden des Verwaltungsbezirks San Cristóbal de las Casas gelegen, konnten sie durch eine Reihe von Kämpfen für sich gewinnen. Doch trotz der Distanz zu ihrem Heimatbezirk leiden sie weiterhin unter den Drohungen von paramilitärischen Gruppen.
Ohne Frieden und unter Furcht initiierten die Vertriebenen eine soziale Kampfbewegung mit der Forderung an die Landes- und Bundesregierung, schnell in ihre Heimat zurückkehren zu können. Darüber hinaus fordern sie Sicherheitsgarantien, die Strafverfolgung gegen die identifizierten Auftraggeber*innen und Täter*innen der Vertreibung. Bitten, die sowohl bei der Landes- als auch der Bundesregierung unter zwei verschiedenen Amtszeiten (Im Dezember 2018 wechselte in Mexiko die Regierung) auf taube Ohren stießen. Trotz der humanitären Krise, den Protesten und Streiks, müssen sie in Angst vor einem erneut bevorstehenden paramilitärischen Angriff weiterleben, weit entfernt von einer Antwort der mexikanischen Politik, 3 Jahre nach dem Tag ihrer Vertreibung.
Anmerkungen
[1] Wellen der gewalttätigen Binnvertreibung in Mexiko 2017
http://www.cmdpdh.org/…/cmdpdh-episodios-de-desplazamiento-…
[2] https://ultimatumchiapas.com/potencial-minero-otra-posible…/
[3] https://frayba.org.mx/impunidad-aumenta-muertes-y-desplaza…/
Quelle:https://revoltmag.org/articles/paramilit%C3%A4rische-gewalt-in-mexiko/