Seitdem Lumumba tot ist, ist er keine Einzelperson mehr, sondern er ist zu ganz Afrika geworden, mit dessen Willen zur Einheit, der Vielfalt seiner sozialen und politischen Gesellschaftsformen, seinen Spaltungen und Unstimmigkeiten , seiner Kraft und Ohnmacht : weder ist er gewesen noch konnte er der Held des Panafrikanismus werden, er wurde zu dessen Märtyrer (…) Lumumbas Tod ist ein Alarmruf ; in seiner Person geht das ganze Kontinent unter, um besser auferstehen zu können. Jean-Paul Sartre, Vorwort zu Frantz Fanon, Die Verdammten dieser Erde (1961), Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1966. Nach seinem Tod, nach seiner Ermordung, wird Lumumba für die Kolonialisten eine grössere Gefahr bedeuten, als zu seinen Lebzeiten. Aimé Césaire Vorbemerkung von Tlaxcala Patrice Lumumba ist am Himmel des erst unabhängig gewordenen Afrikas kometenhaft dahingefunkelt. Der 1960 gewählte Premier sollte 4 Monate später aus dem Amt gejagt und schließlich am 17 Januar 1961 ermordet werden – ein Komplott, das von der belgischen Kolonialmacht, dem CIA und den frz. Geheimdiensten gemeinsam gesponnen wurde. Diese Mächte konnten ihm nicht verzeihen, dass er mit dem – in Kongo besonders grausamen – Kolonialismus Schluss machen wollte. Sein Schicksal wurde am Tag der Unabhängigkeit beschlossen, als er eine Rede hielt, die nicht geplant worden war. Als er die Wahrheit über den Kolonialismus sagte, sprach er war sein eigenes Todesurteil aus. Am 30. Juni 1960 zelebrierte Kongo seine Unabhängigkeit ; da wurden die Mitglieder der belgischen Herrscherfamilie, darunter König Baudouin der Erste selbst, sowie Vertreter der belgischen Regierung, Mitglieder der Kolonialverwaltung, das kongolesische Parlament und die internationale Presse in Leopoldville (heute Kinshasa) im Palais de la Nation empfangen, zur Feier der neuen Ära. Der Event wurde im ganzen Land im Radio übertragen und die internationale Presse berichtete davon. Die Menge drängte sich zusammen vor dem Palais de la Nation, um dem historischen Ereignis beizuwohnen. Laut Protokoll sollten zuerst König Baudouin, dann Präsident Kasavubu eine Rede halten zur Feier der kongolesischen Unabhängigkeit. Dem Premier Lumumba war es aber nicht Recht. Die Rede des belgischen Königs Baudouin war eine vollkommene Legitimation der Kolonisierung und eine regelrechte Apologie des Werkes Königs Leopold der Zweite. „Kongos Unabhängigkeit stellt die Krönung des Werkes dar, das Königs Leopold eigenes Genie ersann, das er mit hartnäckigem Mut unternahm und an dem Belgien unverdrossen weiter arbeitete.“ Dies klang in den Ohren der kongolesischen Nationalkämpfer wie eine Beschimpfung des Andenkens an den Millionen Menschen, die durch die ungeheuerliche Politik vom König Leopold II, Baudouins Großonkel, ums Leben gekommen waren. “ Zur Kennzeichnung der Kolonialpolitik von Leopold gebrauchten die verschiedensten Quellen Begriffe und Vokabeln, die damals als die vielsagendsten galten: „curse“ (Fluch)“ slave state“ (Sklavenstaat), rubber slavery (Sklavenarbeit des Gummis), Verbrechen, Ausplünderung… Heute schreckt man nicht mehr vor den Wörtern Massenmord und Holocaust zurück.“(Elikia M’Bokolo, Le livre noir du colonialisme. XVIè-XXIè siècle: de l’extermination à la repentance, Seite 434). Das Ausmaß der kolonialen Ungeheuerlichkeit in Kongo unter Leopold II. ist übrigens durch zahlreiche Arbeiten belegt. Ein britischer Dokumentarfilm «Le Roi blanc, le caoutchouc rouge, la mort noire» (Weißer König, rotes Gummi, schwarzer Tod), von Mark Dummett im Auftrag der BBC gedreht, hat nach seiner Übertragung im RTBF (belgisches Nationalfernsehprogramm, NdÜ) am 8. April 2004 den Zorn des belgischen Könighauses und Außenministers Louis Michel entfesselt. Der Stein des Anstoßes war ein Kommentar, der zwischen der Leopoldschen Kolonisierung und Hitlers Völkermord eine Parallele zog. Auch wenn die meisten Untersuchungen nach 1960 durchgeführt wurden, konnten weder Belgien noch die Kongolesen ignorieren, was für eine Katastrophe die Herrschaft Leopolds des Zweiten für Kongo darstellte. Auf Grund der Arbeiten von George Washington, einem afro-amerikanischen Anwalt, William Shepperd einem afro-amerikanischen Missionar sowie vom britischen Journalisten Edmund Dene Morel und vom britischen Konsul Roger Casement, Mitglieder der ersten Menschenrechtsbewegung (Anti-Slavery International), wurde am 23. Juli 1904 per Erlass eine belgische Untersuchungskommission e aufgestellt; die Aussagen wurden nicht veröffentlicht. Auf die Kommission folgten zahlreiche Presseartikel und literarische Werke, deren bekannteste sind Heart of Darkness (Joseph Conrad, 1905)und The Crime of the Congo (Sir Arthur Conan Doyle, 1909) Auf Königs Baudouin prokoloniale Rede folgte nun die nichts sagende offizielle Rede des Parlamentspräsidenten, Josef Kasavubu, mit Danksagung an den König und Adresse an Gott: “In tiefster Demut habe ich zu Gott gebetet, Er möge unser Volk schützen und all seinen Regierenden leuchten.“ Zur Verwunderung der belgischen Regierung und des Herrscherhauses kam gleich nach der Rede des kongolesischen Präsidenten die unerwartete Anrede des Premierministers, Patrice Emery Lumumba. Der Präsident der Vertreterkammer Joseph Kasongo hatte ihm das Wort erteilt. Lumumbas Rede bedeutete für die Kongolesen eine Befreiung von den unzähligen Demütigungen, Schikanen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die sie hatten ertragen müssen und die nie öffentlich angeprangert worden waren. Achtmal wurde Lumumba vom Applaus der Menge unterbrochen und am Ende wurde ihm eine echte Ovation entgegengebracht, was – nach Aussage von vielen Beobachtern- König Baudouin erbleichen ließ. Übersetzung: Michèle Mialane Jenes Portrait von Lumumba, ein för das Cover des TIME MAGAZINE vom 22./ 08/ 1960 bestelltes Werk vom Maler Bernard Safran , wurde nie veröffentlicht. Es wurde nämlich im letzten Augenblick von einem Bild des damaligen UNO-Generasekretärs Dag Hammarskjölds ersetzt, der eben in einem bis heute unaufgeklârten „Flugszeugunglück“ im… Kongo umgekommen war. Zur Unabhängigkeit des Kongo Rede des 30. Juni 1960 Kongolesen und Kongolesinnen, Kämpfer für die heute errungene Unabhängigkeit, Ich grüße euch im Namen der kongolesischen Regierung. An euch alle, meine Freunde, die ihr unermüdlich an unserer Seite gekämpft habt, richte ich die Bitte, aus diesem 30. Juni 1960 ein glanzvolles Datum zu machen, das ihr für immer unauslöschlich in eurem Herzen bewahren sollt, ein Datum, dessen Bedeutung ihr mit Stolz euren Kindern erklären werdet, damit diese ihrerseits ihren Kindern und Enkelkindern von der ruhmreichen Geschichte unseres Kampfes für die Freiheit berichten. Zwar verkünden wir heute diese Unabhängigkeit des Kongo im Einvernehmen mit Belgien, einem Land, mit dem wir befreundet sind und mit dem wir von gleich zu gleich verhandeln. Aber kein Kongolese, der dieses Namens würdig ist, wird jemals vergessen können, dass diese Unabhängigkeit im Kampf errungen wurde (Beifall), in einem täglich geführten leidenschaftlichen und aufopferungsvollem Kampf, einem Kampf, in dem wir keiner Entbehrung und keinem Leiden entsagt und in dem wir weder unsere Kraft noch unser Blut geschont haben. Wir sind bis tief in unserem Herzen stolz auf diesen Kampf, der unter Tränen, mit Feuer und Blut geführt wurde, denn es war ein selbstloser und gerechter Kampf, ein Kampf, der notwendig war, um die erniedrigende Sklaverei zu beenden, die uns mit Gewalt aufgezwungen worden war. Die Verletzungen, die wir in 80 Jahren Kolonialherrschaft erleiden mussten, sind noch zu frisch und zu schmerzhaft, als dass wir sie aus unserem Gedächtnis verjagen könnten. Eine Arbeitsschinderei wurde uns aufgezwungen , und das gegen eine Bezahlung, die es uns unmöglich machte, unseren Hunger zu stillen, für eine menschenwürdige Kleidung und Unterkunft zu sorgen oder unsere Kinder als von uns geliebte Wesen groß zu ziehen. Wir haben Spott, Beschimpfungen und Schläge ertragen müssen, morgens, mittags und abends, nur weil wir Neger waren. Wer kann vergessen, dass man zu einem Schwarzen „du“ sagte, allerdings nicht wie zu einem Freund, denn das respektvolle „Sie“ war den allein Weißen vorbehalten. Wir haben erfahren müssen, dass uns Land geraubt wurde im Namen vorgeblich legaler Dokumente, die lediglich das Recht des Stärkeren zur Geltung brachten. Wir haben erfahren, dass das Gesetz für Weiße und Schwarze nie gleich war: vermittelnd für die einen, grausam und unmenschlich für die anderen. Wir haben das entsetzliche Leiden derjenigen erlebt, die wegen ihrer politischen Meinung oder religiösen Überzeugung verbannt wurden; zu Isolation im eigenen Land verurteilt war ihr Schicksal wahrhaft schlimmer als der Tod. Wir haben erfahren, dass es in den Städten herrliche Häuser für die Weißen gab, aber nur baufällige Strohhütten für die Schwarzen; dass ein Schwarzer kein Zutritt zu den europäisch genannten Kinos, Restaurants oder Geschäften hatte; dass ein Schwarzer unter Deck reisen musste, auf dem Boden des Schiffsrumpfes, zu Füßen der Weißen in ihren Luxuskabinen. Wer kann die Schießereien vergessen, bei denen so viele unserer Brüder den Tod fanden, die Gefängnisse, in die jene brutal geworfen wurden, die sich nicht mehr der Herrschaft einer Justiz der Unterdrückung und Ausbeutung unterwerfen wollten? (Beifall) Unter all diesem, meine Brüder, haben wir unsagbar gelitten. Aber wir, die durch die Stimmen eurer gewählten Vertreter das Recht erhalten haben, um unser geliebtes Land zu leiten; wir, die an unserem eigenen Körper und mit unserem eigenen Herz die kolonialistische Ausbeutung erlitten haben, wir sagen es euch ganz laut, all dies ist ab jetzt vorbei. Die Republik Kongo ist ausgerufen worden, und unser geliebtes Land ist nun in den Händen seiner eigenen Kinder. Zusammen, meine Brüder, meine Schwestern, werden wir einen neuen Kampf beginnen, einen großartigen Kampf, der unser Land zu Frieden, zu Wohlstand und Größe führen wird. Zusammen werden wir soziale Gerechtigkeit verwirklichen und sicherstellen, dass jeder die gerechte Entlohnung für seine Arbeit erhält. (Beifall) Wir werden der Welt zeigen, was Schwarze tun können, wenn sie in Freiheit arbeiten, und wir werden alles tun, damit das, was wir im Kongo leisten, auf ganz Afrika ausstrahlt. Wir werden dafür Sorge tragen, dass Äcker und Wälder unseres Vaterlandes tatsächlich seinen Kindern zugute kommen. Wir werden alle Gesetze von früher überprüfen und neue verabschieden, die gerecht und würdig sind. Wir werden Schluss machen mit der Unterdrückung der Meinungsfreiheit und dafür sorgen, dass alle Bürger in den vollen Genuss der fundamentalen Freiheitsrechte gelangen, wie es in der Erklärung der Menschenrechte vorgesehen ist. (Beifall) Wir werden wirksam Diskriminierung jeder Art abstellen und einem jeden seinen gerechten Platz zuweisen, der ihm gemäß seiner Menschenwürde, seiner Arbeit und seiner Hingabe für unser Land zusteht Der Frieden, der in unserem Land herrschen soll, soll nicht mit Gewehren und Bajonetten gesichert werden, er soll vielmehr aus dem Herzen und aus dem guten Willen der Menschen kommen. (Beifall) Und um all dies zu erreichen, liebe Landsleute, dessen könnt ihr sicher sein, werden wir nicht nur auf unsere großen Kräfte und unsere unermesslichen Reichtümer zählen können, sondern auch auf die Hilfe zahlreicher Länder, deren Zusammenarbeit wir annehmen werden, solange sie fair ist und man nicht versucht, uns eine Politik aufzuzwingen, welcher Art sie auch immer sein mag. (Beifall) Belgien hat endlich den Lauf der Geschichte verstanden und nicht versucht, sich unserer Unabhängigkeit in den Weg zu stellen. So ist es bereit, im Bereich der Zusammenarbeit uns als Freund seine Hilfe zu gewähren, und es wurde in diesem Sinn zwischen unseren beiden gleichrangigen und unabhängigen Ländern ein Vertrag unterzeichnet. Diese Zusammenarbeit, dessen bin ich sicher, wird für beide Länder von Nutzen sein. Wir von unserer Seite aus werden zwar wachsam bleiben, aber die aus freien Stücken eingegangenen Verpflichtungen mit Sicherheit einzuhalten wissen. So wird der neue Kongo, unsere geliebte Republik, die meine Regierung errichten wird, nach innen und nach außen ein reiches, ein freies und ein erfolgreiches Land sein. Damit wir ohne Verzögerung dieses Ziel erreichen, wende ich mich an euch, Abgeordnete und Bürger des Kongo, und bitte ich euch alle, mir mit allen euren Kräften dabei zu helfen. Ich bitte euch alle, die Stammesstreitereien zu vergessen, die unsere Kräfte aufzehren und dazu führen können, dass man uns im Ausland verachtet. Ich bitte die Minderheit im Parlament, meiner Regierung durch eine konstruktive Opposition zu unterstützen und strikt die legalen und demokratischen Wege einzuhalten. Ich bitte euch alle, vor keinem Opfer zurück zu schrecken, um den Erfolg unserer großartigen Unternehmung sicher zu stellen. Ich bitte euch schließlich, unbedingt das Leben und das Hab und Gut eurer Mitbürger und das der Ausländer, die sich in unserem Land niedergelassen haben, zu respektieren. Wenn die Verhaltensweise der Ausländer zu wünschen übrig lässt, wird unsere Justiz sie prompt aus unserer Republik ausweisen; wenn hingegen sie sich ordentlich verhalten, dann muss man sie in Ruhe lassen, denn auch sie arbeiten für den Wohlstand unseres Landes. Die Unabhängigkeit des Kongo ist ein entscheidender Schritt zur Befreiung des ganzen afrikanischen Kontinents. (Beifall) Majestät, Exzellenzen, meine Damen und Herren, meine lieben Mitbürger, meine Rassenbrüder, meine Brüder im Kampf: das wollte ich Ihnen und euch sagen im Namen der Regierung an diesem herrlichen Tag unserer vollständigen und souveränen Unabhängigkeit. (Beifall) Unsere Regierung, stark, national und volksnah, wird das Wohl dieses Volkes sein. Ich rufe alle kongolesische Mitbürger , Männer, Frauen, Kinder dazu auf, sich entschlossen an die Arbeit zu setzen, um eine blühende nationale Wirtschaft aufzubauen, die unsere ökonomische Unabhängigkeit sichern wird. Ehre den Kämpfern für die nationale Freiheit! Es lebe die Unabhängigkeit und die Afrikanische Einheit. Es lebe der unabhängige und souveräne Kongo! (Lang anhaltender Beifall) Übersetzung: Jürgen Janz Rede auf KIKONGO Rede auf LINGALA Rede auf KISWAHILI Rede auf TSCHILUBA Indépendance ChaCha, das berühmte Stück von Joseph Kabasele, alias Grand Kallé. Der Sohn Lumumbas, Guy, kündigte am 22. Juni 2010 in Brüssel eine Klage gegen zwölf Belgier an, die 1961 in die Ermordung seines Vaters verwickelt gewesen sein sollen. Die Klage soll im Oktober vor einem Brüsseler Strafgericht eingereicht werden. Quelle: Wikipedia |
Übersetzung: Jürgen Janz
Quelle: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=542