Die Anwälte von Chelsea Manning haben am Mittwoch vor dem Bundesgericht in Alexandria (US-Bundesstaat Virginia) erneut die Freilassung der inhaftierten Whistleblowerin beantragt. Sie bezeichneten die Fortsetzung der Haft als „unerlaubte Bestrafung“.
Falls Manning nicht freigelassen wird, drohen ihr weitere sieben Monate Beugehaft, die von Richter Anthony J. Trenga vom US-Bezirksgericht Ost-Virginia verhängt wurde. Bisher wurde noch keine Anhörung zu Mannings Antrag angesetzt.
Manning legte ihrem Antrag eine Erklärung bei, in der sie die Verweigerung einer Aussage und ihre Forderung nach sofortiger Haftentlassung eindrücklich rechtfertigt: „Ich wurde von meinen Angehörigen getrennt, mir wurde das Sonnenlicht vorenthalten, ich konnte nicht einmal zur Beerdigung meiner Mutter … Es ist leichter, jetzt diese Härten zu erdulden, als zu kooperieren und gewisse Annehmlichkeiten zurückzugewinnen. Ich würde es nicht ertragen, den Rest meines Lebens zu wissen, dass ich aus Selbstsucht statt aus Prinzipientreue gehandelt habe.“
Manning enthüllt die Scheinheiligkeit von Richter Trengas Beschluss, sie in Beugehaft zu nehmen, indem sie ihre Behandlung mit der von anderen durch das Justizsystem vergleicht: „Der Justizminister hat sich über eine Vorladung hinweggesetzt, musste aber keine Konsequenzen tragen. Der Präsident hat seine Mitarbeiter seit mindestens zwei Jahren angewiesen, nicht auf Vorladungen vor Grand Jurys und zu Zeugenbefragungen zu reagieren. Er hat sogar Mitarbeiter entlassen, weil sie Vorladungen befolgt haben. Es ist klar, dass für unterschiedliche Leute unterschiedliche Regeln gelten.“
Manning sitzt, abgesehen von einer einwöchigen Unterbrechung im Mai, seit dem 16. März 2019 im William G. Truesdale Federal Detention Center. Sie weigert sich standhaft, vor einer Grand Jury auszusagen, die einberufen wurde, um Beweise für das Strafverfahren gegen WikiLeaks und dessen Gründer Julian Assange zu sammeln.
Manning argumentiert in ihrem Antrag an das Gericht, dass sie in den letzten elf Monaten zweifelsfrei bewiesen habe, sich zu keiner Aussage zwingen zu lassen. Laut Bundesrecht soll eine Beugehaft Zeugen zu einer Aussage zwingen. Eine Freilassung soll erfolgen, wenn keine nennenswerte Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Zeuge seine Meinung ändern wird.
Mannings Anwältin Moira Meltzer-Cohen erklärte: „Die wichtigste Frage gegenüber Richter Trenga ist, ob eine weitere Inhaftierung Chelsea zu einer Aussage zwingen könnte. Andere Richter haben sich über die ‚Perversität‘ dieses Gesetzes beklagt: ein Zeuge kann seine Freiheit gewinnen, wenn er seine Missachtung des Gerichts fortführt. Wenn Richter Trenga jedoch der Meinung ist, dass sich Chelsea nie zu einer Aussage zwingen lassen wird, wäre er nach dem Gesetz dazu angehalten, ihre Freilassung anzuordnen.“
Der 27-seitige Antrag, der in der Gerichtsterminologie als „Grumbles-Antrag“ bezeichnet wird, sieht „eine Anhörung vor Gericht zum frühestmöglich durchführbaren Zeitpunkt“ vor. Darin wird argumentiert, die anhaltenden Sanktionen gegen Manning hätten „keine nötigende Wirkung und müssen eingestellt werden“. Manning erhebt außerdem Einspruch gegen die Geldstrafen von 1.000 Dollar pro Tag, zu der sie das Gericht wegen ihrer Aussageverweigerung verurteilt hat. Diese belaufen sich mittlerweile auf „fast eine halbe Million Dollar.“
Das Schreiben fasst Mannings gesamte Geschichte als Whistleblowerin und prinzipientreue Kämpferin für die Wahrheit zusammen. Zunächst hatte sie im Jahr 2010 als Whistleblowerin in der US Armee mehrere Dokumentensammlungen an WikiLeaks übergeben und damit Kriegsverbrechen in Afghanistan und dem Irak enthüllt. Außerdem schildert sie, weshalb sie eine Aussage vor der Grand Jury ablehnt und fordert somit entschieden ihre sofortige Freilassung.
Weiter heißt es: „Weder Haft, noch Geldstrafen oder andere Sanktionen werden Manning dazu bringen, vor der Grand Jury auszusagen. Mittlerweile werden Sanktionen ihre Auffassung nur stärken, dass ihre Haltung gegen Institutionen, die ihre Macht missbrauchen, notwendig und gerechtfertigt ist. Die einzige Folge dieser Sanktionen ist es, Manning finanziell zu schaden. Irgendeine nötigende Wirkung werden sie nicht haben. Deswegen haben die Sanktionen ihr rechtmäßiges Ausmaß überschritten und müssen eingestellt werden.“
In den letzten elf Monaten hat die Staatsanwaltschaft darauf beharrt, dass Mannings Aussage für den Auslieferungsantrag der USA gegen Julian Assange weiterhin relevant bleibe. In Mannings Antrag heißt es dazu: „Am 23. Mai 2019 hat die Staatsanwaltschaft siebzehn Anklagepunkte gegen Julian Assange vorgelegt. Diese Anklagen wurden auch ohne Mannings Aussage erhoben. Das entsprechende Auslieferungsverfahren dauert weiterhin an und könnte sich noch Monate oder Jahre hinziehen.“
Assange wurde letzten April in der ecuadorianischen Botschaft verhaftet und wartet seither unter rechtswidrigen Bedingungen im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh auf den Auslieferungsprozess, der am 24. Februar beginnen soll. Er hatte geheime Kriegsberichte und diplomatische Depeschen veröffentlicht, die von Manning geleakt wurden, und wird nun wegen Verstößen gegen das Antispionagegesetz der USA angeklagt.
Mannings juristische Dokumente umfassen zwei Aussagen von Experten über ihren Gesundheits- und Geisteszustand. Ein medizinischer Bericht von Dr. Sara Boyd bestätigt, dass Mannings „Persönlichkeit und ihre Bewältigungsstrategien sie vor den Folgen des Drucks schützen, gegen ihre Prinzipien und Entscheidungen zu verstoßen.“ Dr. Boyd kommt zu dem Schluss, dass Manning „aufgrund ihrer charakterlichen Verfassung unfähig ist, gegen ihr Gewissen zu handeln.“
Ein Brief des UN-Sonderbeauftragten für Folter Nils Melzer „fasst das Prinzip zusammen, dass amerikanisches Recht Erzwingungssanktionen nur zulässt, wenn sie einen nötigenden Effekt haben“. Er forderte Mannings sofortige Freilassung und „stützte sich auf die Erkenntnis, dass alle Erzwingungsmaßnahmen, die gegen Manning angewandt werden, notwendigerweise sinnlos und deshalb nach juristischen Standards unzulässig sind.“
Zum Schluss heißt es in dem Antrag an Richter Trenga, dass mehr als 60.000 Menschen eine Petition unterzeichnet haben, in der sie ihre Überzeugung ausdrücken, Manning könne nicht zu einer Aussage gezwungen werden.
Zweifellos wird Chelsea Manning weltweit als Heldin und Kämpferin für die Wahrheit gesehen. Jeder weitere Tag, den sie im Gefängnis verbringt, unterhöhlt in den Augen der Bevölkerung die Legitimität des amerikanischen Gerichtssystems.
Das Timing von Chelsea Mannings Antrag ist bedeutsam, da weniger als eine Woche später der Prozess um Assanges Auslieferung in London beginnen soll. Hinter der Inhaftierung Mannings und den Versuchen, Assange auszuliefern, verbirgt sich die enorme Angst der herrschenden Klasse vor den politischen Folgen, wenn die Wahrheit über ihre Verbrechen öffentlich enthüllt wird.
Doch die Verfolgung von Assange und Manning zielt nicht nur darauf ab, sie zu bestrafen, sondern auch jeden einzuschüchtern, der die Lügen hinterfragen will, die Politiker und Leitmedien täglich über die weltweiten Verbrechen des US-Imperialismus verbreiten.
Ein erfolgreicher Kampf für die Freilassung von Assange und Manning erfordert den Aufbau einer unabhängigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse. Sie muss die sofortige Freilassung der Whistleblower fordern, und die demokratischen Rechte auf Meinungs- und Pressefreiheit verteidigen. Die Socialist Equality Party (SEP) in Australien und Neuseeland veranstalten nächste Woche entsprechend der aktuellen Entwicklungen eine Reihe von Kundgebungen. Es folgt zudem eine weitere Veranstaltung der britischen SEP am Sonntag in London.
Quelle: https://www.wsws.org/de/articles/2020/02/21/mann-f21.html