Deutschland Mit Covid-19 breitet sich nicht nur ein Virus aus, sondern auch Rassismus gegenüber asiatisch gelesenen Menschen
Ich lebe schon lang in Berlin. Hier ist meine Heimat. Ich habe noch eine andere Heimat, aber aus diversen Gründen lebe ich vorerst in Berlin. Die Frage ist, wie lange das noch so bleiben kann. Denn der Raum in Deutschland wird enger, kleiner und gefährlicher. Für wen? Für Menschen, die als Migrant*innen markiert und entsprechend behandelt werden.
Ich werde von anderen als Asiatin markiert. Wobei diese Menschen mit Asien nur den Teil des Kontinents meinen, wo sie China, Korea, Japan und vielleicht noch Vietnam wähnen. Wenn sie besser im Geografieunterricht aufgepasst hätten, wüssten sie, dass sich noch weitere Länder auf diesem riesigen Kontinent befinden und die Bevölkerung deutlich diverser ist als in ihrer Vorstellung. Dass man nicht pauschal von Asiat*innen sprechen und dabei ein bestimmtes Aussehen meinen kann.
Dass ich als Asiatin markiert werde, nervt relativ. Von unvermittelten »Nihao« Ansprachen in der Öffentlichkeit über dämliche Fragen nach meinen Wurzeln bis hin zur Fetischisierung durch weiße Männer ist alles Mögliche dabei. Es nervt – relativ. Relativ im Vergleich zu Menschen, die als Muslime oder arabisch oder türkisch markiert werden oder die Schwarz sind und damit viel stärker von Rassimus betroffen. Weiße Menschen können sich das wie eine rassistische Wertetreppe vorstellen – bis vor kurzem »genossen« Asiat*innen (also Menschen, die etwa als chinesisch, japanisch oder koreanisch gelesen werden) einen Platz recht weit oben.
Erinnerungen an die 1990er
Dann kamen das Coronavirus und die mediale rassistische Hysterie. Ich habe förmlich gespürt, wie sich die rassistische Wertetreppe plötzlich bewegte und vermeintliche Asiat*innen mehrere Stufen nach unten platziert wurden.
Plötzlich wurde der Raum enger, kleiner und gefährlicher. Ich erinnerte mich an die 1990er Jahre, als unter den vielen rechten Anschlägen und Pogromen auch Asiat*innen (vornehmlich vietnamesische Vertragsarbeiter*innen) litten. Damals war ich keine zehn Jahre alt und hatte bereits gelernt, dass man Menschen in Springerstiefeln mit weißen Schnürsenkeln aus dem Weg gehen muss. Es gehörte zu meinem Alltag, auf dem Schul- oder Heimweg von fremden Menschen Beschimpfungen wie »Schlitzauge« und »Reisfresser« zu hören. Mit zwölf oder 13 Jahren sehnte ich mich nach einer Mehrheitsgesellschaft, in der ich weder exotisiert noch diskriminiert werde.
Dank der medialen und rassistischen Hysterie im Zuge der Verbreitung des Coronavirus haben Übergriffe und Anfeindungen gegen asiatisch markierte Menschen sprunghaft zugenommen, überall auf der Welt. Einige sind dokumentiert, wie etwa der tätliche Angriff in einem italienischen Supermarkt, der auf einem Video zu sehen ist, das in den Sozialen Medien oft geteilt wurde. Auch in Deutschland, auch in Berlin ist dieser Rassismus deutlich zur spüren. Erst kürzlich beim Einkaufen habe ich das irrationale Verhalten am eigenen Leib erfahren. Eine weiße Frau sah mich, blieb plötzlich stehen, schob ihren Schal vor‚s Gesicht, drehte samt Einkaufswagen um und ging in die andere Richtung. Völlig irrational! Es ist ein Virus, jede*r kann es bekommen. Ein Virus diskriminiert nicht. Solche Verhaltensweisen, wie die der Frau im Supermarkt, allerdings schon.
Mitten in die rassistische Corona-Stimmung platzte dann eine Nachricht, die mir wie so vielen migrantisierten Menschen in Deutschland den Boden unter den Füßen wegzog: Am 19. Februar ermordete ein rechter Terrorist in Hanau neun unschuldige Menschen in zwei Shishabars. Zuvor kursierten Berichte über Shishabars monatelang in den Medien, immer im Zusammenhang mit angeblicher Kriminalität. Kein Wunder also, dass der rechte Terrorist diese Orte für seinen Anschlag aussuchte.
Der Schock war groß, in Dutzenden Städten wurden sofort Mahnwachen und Protestkundgebungen organisiert. Das zumindest gibt Kraft.
Eigentlich hatte ich einen Omabesuch an dem Wochenende nach diesen Ereignissen geplant. Es sollte ein Tagesausflug mit dem Zug werden. Ins tiefste Ostdeutschland. Aber nach Hanau und inmitten des sich ausbreitenden Corona-Rassismus erschien mir eine Bahnfahrt durch den Osten zu gefährlich. Nach rassistischen Terroranschlägen muss ich befürchten, dass sich rechte Kräfte mehr als zuvor ermutigt fühlen. Was, wenn Nazis in den Zug steigen und ich stundenlang keine Fluchtmöglichkeit habe? Es ist leider anzunehmen, dass ich keine Hilfe und keinen Schutz von anderen Zugreisenden bekommen würde. Denn die Mehrheitsgesellschaft reagiert auf die Gefahr von Rechts nicht so wie auf die Gefahr eines Virus. In diesen Tagen, als ich mich gegen den Omabesuch entschied, wurde mein Raum in Deutschland so klein, dass ganz Ostdeutschland nicht mehr hineinpasste.
Was, wenn es keine Fluchtmöglichkeit gibt?
Der Raum wird kleiner und gefährlicher, weil rechten Kräften kein Einhalt geboten wird. Übergriffe und Angriffe bleiben meist ungestraft, medial werden sie verharmlost. Die AfD ist scheinbar eine normale Partei, die überall Gehör und Bühnen findet.
Und was ist mit der Linken und der Linkspartei? Die gesellschaftliche Linke reagiert auf rechte Anschläge, entwickelt bislang aber aus diesen Reaktionen keine nachhaltige, antifaschistische und antirassistische Strategie. Die Partei – es ist ein Elend. Bodo Ramelow wählt einen AfD-Vizepräsidenten im Thüringer Landtag, und Sahra Wagenknecht möchte »2015 vermeiden«, also lieber Zehntausende Geflüchtete an der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland krepieren lassen. Sie leisten namentlich ebenfalls einen Beitrag dazu, dass mein Raum wie der so vieler anderer von Rassismus betroffener Menschen in der Bundesrepublik kleiner und gefährlicher wird.
Ongoo Buyanjargal lebt in Berlin. Sie ist gewerkschaftliche Organizerin und gehört den Linkskanax an.