Haben Sie sich auch schon einmal unversehens auf der „rechten“ Seite des politischen Spektrums wiedergefunden? Als Kapitalismuskritiker sahen Sie sich von beredten Intellektuellen damit konfrontiert, dass die Nazis seinerzeit von der „Brechung der Zinsknechtschaft“ sprachen oder zwischen dem „raffenden“ und dem „schaffenden Kapital“ unterschieden. Sie stünden mit Ihrer Meinung somit quasi in der Nachfolge Hitlers. Als Fazit ist jemand rechts, weil er links ist — Antisemit, weil Antikapitalist. Diese schikanöse Art „Beweisführung“ hat Methode. Die Gruppe der Antideutschen bekämpft unbequeme Kräfte innerhalb des linken Spektrums, vor allem wenn sie den Fetisch der uneingeschränkten Solidarität mit Israel und den USA verletzen. Der bürgerlich-kapitalistische Mainstream gilt Antideutschen als Bollwerk gegen den Faschismus, Kritiker der NATO-Kriege und der Menschenrechtsverletzungen in Israel dagegen als Antisemiten. Dabei fällt unter den Tisch, dass Kapitalismus und Faschismus im Grunde Bruder-Weltanschauungen sind und dass der Widerstand gegen beide nur in radikaler Humanität bestehen kann. Gerhard Hanloser appelliert in seinem Buch an alle, sich nicht einschüchtern zu lassen.
„Kritik (ist) keine Leidenschaft des Kopfes, sie ist der Kopf der Leidenschaft“, wusste Karl Marx (1) und mit ihm die intellektuellen Frühantideutschen, die sich aus der Freiburger „Initiative Sozialistisches Forum“ (ISF), eine politische Gruppe rund um den Verlag Ça Ira, und die Berliner Bahamas, eine Zeitschrift, die sich aus der „Gruppe K“ des Kommunistischen Bundes bildete, rekrutierten.
Welche Art von Leidenschaft in den antideutschen Kopf vorgedrungen ist, für den Bahamas und ISF so paradigmatisch stehen sollen, ist mittlerweile kaum noch nachzuzeichnen. So hat sich die ISF mittlerweile mit ihrem Verlag auf das Feld unverfänglicher älterer marxistischer Theorieproduktion zurückgezogen, wogegen die Bahamas praktisch zuweilen mit AfD-Mitgliedern Stimmung gegen den Islam macht und in einer ihrer letzten Ausgaben affirmativ — gemeint eine Rede des rechtsnationalistischen, anti-migrantischen und anti-muslimischen sowie pro-israelischen US-Präsidenten Trump abdruckte.
Zwischenzeitlich trommelten beide ehemals linke und sich als kritisch verstehende Intellektuellenzirkel in ihren publizistischen Organen für den „War on Terror“ 2001 und den Irakkrieg 2003 (vergleiche beispielsweise 2, 3). Damit stehen sie für eine Wendung einiger publizistisch wirkungsvoller Einzelpersonen und Gruppen hin zum Bellizismus und der Bejahung imperialistischer Kriegsführung im 21. Jahrhundert. Der Auftakt zu dieser Selbstpositionierung erfolgte in der Zeit des Zusammenbruchs der Sowjetunion und des ganzen sozialistischen Lagers, nämlich während des Golfkriegs 1991.
Viele behaupten, diese Wendung könne sich nur mit pekuniärer oder intellektueller Bestechlichkeit erklären lassen. Der ein oder andere, der der Logik der „Cui bono?“-Frage folgt, vermutet gar finanzielle Zuwendung der USA oder des Mossad; andere sehen in diesen sogenannten „Antideutschen“ lediglich Rechte, die sich als Linke kostümiert haben. Das greift zu kurz und ist unwahrscheinlich. Vielmehr müssen bei diesen Entwicklungen intellektueller Rechtswendungen weltpolitische Umbrüche, politische Frustrationserfahrungen, soziale Heimatlosigkeit und auch autoritäre charakterliche Dispositionen in Rechnung gestellt werden, so eine Vermutung.
Fangen wir beim Kopf an, denn schließlich sprechen wir über Intellektuellenzirkel, wenn wir über die Anfänge der Antideutschen und ihre Hinwendung zum Bellizismus reflektieren: Es begann mit der Hypostasierung von Kritik, ganz so als hätte es die Debatten rund um die linken Junghegelianer nicht gegeben. Der ideologiekritische Kopf, der sich so stolz von der praktischen Linken abwenden wollte, wusste sich bislang kokett gegen all diejenigen, die das bloße Kritisieren überschreiten wollten und linke Praxis einforderten, damit zu wehren, dass hier ja wohl jemand den wurzellosen Intellektuellen ausgemacht habe und sich damit typisch deutsch-antisemitischer Geistfeindlichkeit schuldig machen würde. Wie gerne imaginierte der intellektuelle Kritiker sich doch als Verpönter, als vom — Vernunft und Intellekt verdammenden — Mob Verfolgter.
In den Zeiten, wo eine Linke sich in Bewegung setzte und Praxis verkündete, war die Position der ISF wie anderer Ideologiekritiker, zum Beispiel auch Wolfgang Pohrt, nicht ohne Charme. Nach den vielen Irrungen, Wirrungen und Täuschungen der politischen Linken konnte man schlicht alles bisher Dagewesene zu protestlerischer Scheinpraxis erklären. Attraktiv gestaltete sich diese Abwertung linker Praxisversuche vor allem für diejenigen, die selbst in ihrer linken Biografie eine solche Phase der Praxis verzeichnen konnten und sich nun zynisch zurückgezogen hatten.
Mit der Hypostasierung von Kritik verhielt die antideutsche Kritik sich zur Hypostasierung der Praxis der Bewegungslinken jedoch bloß komplementär. Die zuweilen haltlose Polemik gegen alles was sich in Praxis versuchte und sich doch nur allzu oft in Affirmation oder Pseudorevolte erging — die Autonomen mit ihrer Hausbesetzerbewegung, die Friedensbewegung und so weiter — diese Polemik, die als Kritik verkauft wurde, war im Grunde eine leicht zu durchschauende Distanzierungstechnik, Zynismus als reiner Anspruch auf Selbstbehauptung des kritischen Bürgers, der sich in einer Zeit als kritisches Subjekt selbstbehaupten wollte, wo jegliche Form wirklich umwälzender Praxis versperrt zu sein schien.
Der die Praxis verdammende Kritiker wollte nicht lange bloß kommentierender Zuschauer sein. Als mit dem Ende der Kalten-Kriegs-Ordnung und der neuen deutlich chaotischer werdenden globalen Konstellationen auch die Position des die Ereignisse bloß kommentierenden Kritikers, des restlos vereinzelten Einzelnen und des den anderen Linken mächtig auf die Nerven gehenden Zynikers unhaltbar wurde, drängte es den bürgerlichen Kritiker, dem die bloße Leidenschaft des Kopfes dann doch als ein zu schwaches Distanzierungsmittel erschien, dahin, wo es den bürgerlichen Kritiker eben hindrängt: zum Staat.
Obwohl er es mal besser wusste, entdeckte der jüngst verstorbene Kritiker und publizistische Vordenker der „Antideutschen“, Wolfgang Pohrt, Anfang der Neunzigerjahre, — wir erinnern uns, es waren die Zeiten der Pogrome von Rostock und Hoyerswerda — die Staatsmacht als Schutz vor dem rassistischen „Mob“. „Bundesrepublikanische Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden“, so verkündete Pohrt damals in einem eher vergessenen Aufsatz in der konkret, „sollten ihre Möglichkeit nutzen, bevor empfindsame Menschen in ihrer hilflosen Wut der Gedanke kommt, es könnte nötig sein, ein paar von diesen Menschenschindern einfach abzuknallen“ (4). Die Menschenschinder von Pohrt sind der ostdeutsche „Mob“, auch eine Begrifflichkeit, die in den damaligen Debatten Konjunktur hatte. Die rassistische Gewalt der Nachwiedervereinigungszeit wurde mit intellektuellen Gewaltfantasien des „Einfach-Abknallens“ beantwortet, diese traten an die Stelle der Distanzierungstechniken Polemik und Zynik.
Pohrt hatte auch schon das einfache Niederkardätschen der chinesischen Oppositionsbewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Juni 1989 begrüßt und zwei Jahre später einen Atombombenabwurf auf Bagdad anempfohlen (5, 6), als praktischen Anti-Antisemitismus, wenn Saddam Hussein Raketen nach Israel schießen sollte. Immer, so die Logik, sollte der Staat im Auftrag des seine Gewalt- und Vernichtungsfantasien an ihn delegierenden intellektuellen Kritikers auftreten. Während der Staat jedoch als ideeller Gesamtkapitalist eine Vernunft repräsentiere, wenn auch nur die zweckrationale, kapitalistische Vernunft, so stehe auf der Seite des „Mob“ die Gegenvernunft und das bloße Ressentiment.
Hier tauchten zum ersten Mal antideutsche Erkenntnisse auf, wonach es ja auch etwas Schlimmeres gebe als Staat und Kapital: den Mob. Und dass man gegen ihn — das größere Übel — den Staat als kriegerische Ordnungsmacht anrufen könne.
Anfang des 21. Jahrhunderts und mit dem Anschlag vom Elften September hat sich für die Antideutschen der Mob globalisiert, und sie behaupten nun im Schwenken der US- und Israel-Fahne drücke sich tätiger Antifaschismus aus, denn Israel und die USA stünden — erstere mit Besatzungsarmee und Mauerbau, letztere mit dem „War on Terror“ nach 9/11 — gegen diejenigen, die weltweit den „Mob“, gar einen antisemitisch-faschistischen, darstellen würden: die Islamisten. Nichts hatte sich seit den frühen Neunzigerjahren verbessert, und so geht es auch nicht mehr nur ums gelegentliche „einfach Abknallen“, sondern um den Krieg — also das staatlich organisierte Töten — als Ordnungsfaktor. In der Bahamas empfahl man schon einmal das „Bombardieren islamischer Zentren“ (7) als Form tätigen Antifaschismus.
Die Antideutschen geben vor, auf Weltgeschichte zu reflektieren, allerdings agierten sie lange Zeit in einem Spektrum, das sich „die Linke“ nennt. In diesem seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion schrumpfenden Segment der Gesellschaft sollten alle wichtigen Schlachten geschlagen werden.
Die Bahamas hatte sich beispielsweise lange Zeit zur Aufgabe gemacht, mit aller brachialen Rhetorik dafür zu sorgen, dass kein Linker hinter Joschka Fischers Erkenntnis- und Lernprozesse — nämlich den Aufstieg vom militanten Antizionisten zum respektablen Staatsmann — zurückfalle. Demokratisierungsprozesse, so scheint ihr Credo zu sein, müssen manchmal hart und schroff bewerkstelligt werden. An die gesamte Hamburger Linke schreibt die Redaktion in einem bereits vergessenen Communiqué im Februar 2004:
„Wenn Ihr aber nicht noch hinter Josef Fischer zurückfallen wollt, der inzwischen wenigstens auf die Gefahr einer von ganz rechts nach ganz links reichenden populären Variante des Antisemitismus hingewiesen hat, wenn ihr nicht endgültig Bestandteil der globalen antiimperialistischen Meute werden wollt, dann müßt ihr Euch entscheiden“ (8).
Entscheiden soll man sich für oder gegen den tätigen Antifaschismus, der sich gefälligst im Zeigen der israelischen Fahne auszudrücken habe. Schwein oder Mensch, antiimperialistisch-antisemitische Meute oder tätiger Antifaschist, diese Entscheidung muss getroffen werden.
Mittlerweile gilt es als ausgemacht: Die israelische Fahne ist der Lackmustest, der entscheidet, wer zur Gang gehört und wer zum Mob. Und so kam es auch zu Szenen, an welche die Intellektuellenzirkel nicht gerne erinnert werden, weil sie gerne vergessen, dass es Leute gibt, für die Worte nicht einfach nur Worte sind. Die Antideutschen selbst, voller Verachtung fürs Volk, bekamen ihren eigenen Anhang, Rackets, Cliquen, wenn man so will: Mob. Als 2004 auf einer Hamburger Antifa-Demo eine Gruppe Antideutscher mit Israel-Fahnen auftauchte, gab es den großen Knall. Antideutsche Israel-Fahnenträger und Antifas, die meinten, dass eine solche Fahne auf einer Anti-Nazi-Demo nichts zu suchen haben, lagen sich in der Wolle.
Niemand war dabei, alle wussten es ganz genau. Ein Blick in die Erklärungen nach der Fahnenprügelei gibt Aufschluss über die Energie, die hier am Werk ist. Die Bahamas schreibt in einer Erklärung in Richtung Hamburger Linke:
„Wir verlangen von Euch, daß (sic) Ihr Euch öffentlich von der antisemitischen Internationale, Sektion Hamburg, distanziert und endgültig lossagt. Wir verlangen, daß Ihr unmißverständlich Eure Bereitschaft kundtut, in Zukunft mit allen Mitteln die weiß-blaue Fahne verteidigen zu wollen. Wenn es dazu nicht reicht, habt Ihr Euch die Folgen, nämlich die Komplizenschaft mit Antisemiten, die Bandelei mit Eurer antinationalen Bundesregierung, kurz: die endgültige Verächtlichkeit selber zuzuschreiben. Ihr seid gewarnt: Zwischen der Verteidigung der Fahne Israels und ewiger Bambule im antisemitischen Schulhaus Hamburg ist nichts!“ (9).
Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten, eine ganze Handvoll antideutscher und antifaschistischer Gruppen meldet sich Gewehr bei Fuß mit einer Erklärung zu Wort:
„Israelische Fahnen auf antifaschistischen Demonstrationen, die diesen Namen verdienen, sind eine Selbstverständlichkeit. Sie sind dort nicht nur zu dulden, was noch immer heißt, dass sie geschützt werden müssten, sondern sie sollten dort willkommen sein“ (10).
Bei so viel Zinnober durfte natürlich die Wochenzeitung jungle World nicht fehlen, und ein Ralf Schröder fand drastische Worte, um die Hamburger Situation zu beschreiben und die Fahnenprügler zu verteidigen: „Die Fahnen Israels“, so fasst er dramatisierend die Situation zusammen, „sollen zu Boden gehen“, dagegen hilft nur: „Die Fahne schwenken!“ — so die Überschrift des Artikels vom 25. Februar 2019 (11) — die Reihen fest geschlossen, dafür sorgte schon die Bahamas. Schröder führte fort:
„Der Vorwurf mit den Symbolen des jüdischen Staates Identitätspolitik zu betreiben, ist absurd und wird von denen erhoben, die ein notorisch gestörtes Verhältnis zu einem konkreten Antifaschismus haben. Israel, historisch und politisch verstanden, ist aber Maßstab eines Handelns im Ursprungsland der Shoa. Mehr noch: Wegen der Interessengleichheit — von der Ablehnung antimoderner und kollektivistischer Tendenzen bis zum Bekenntnis zur Aufklärung als permanenter Aufgabe — ist ein Bündnis mit Israel im eigenen Interesse“ (12).
Hätte man sich wirklich mit besagtem Ralf Schröder auf eine Diskussion einlassen sollen, hätte man ihn fragen müssen, was denn mit der so wolkigen wie inhaltsleeren Phrase, antimoderne und kollektivistische Tendenzen abzulehnen und ein Bekenntnis zur Aufklärung abzulegen, gemeint ist? Sollte man sich wirklich darauf einlassen, ob diese ganzen Werte von einem Staat präsentiert werden, der sich als „jüdisch“ apostrophiert? Man sollte es nicht, denn es geht den Antideutschen nicht um Israel als Gesellschaft, es geht um Bekundungen, Symbole, Identifikationen, die einzig und allein mit den Bedürfnissen der deutschen Antideutschen zusammenhängen. Denn Ralf Schröder hat eine Aufgabe, nämlich „dem dreifachen Elend in Europa, das sich antiwestlich, antimodern und antisemitisch geriert, entgegenzutreten. Die Mittel dazu sind vielfältig. Eines davon ist die israelische Fahne“ (13).
Die Fahne als Mittel und doch ist sie mehr: Sie ist ein Fetisch, fast schon ein sakraler Gegenstand. In einer antideutschen Erklärung wird so auch von einer Schändung der Fahne gesprochen und man merkt, man hat es mit richtig aufgeklärten Menschen zu tun. Die Fahne Israels soll zu Boden gehen, aber in Hamburg findet der letzte Kampf statt. Praktischer Antifaschismus, die Fahnenträger halluzinieren sich als diejenigen, an denen es hängt, ob die antisemitische Internationale, Sektion Hamburg, durchkommt oder nicht, ¡No pasarán!, die letzte Schlacht gewinnen wir. Liest man sich nur die Erklärungen von Bahamas, antideutschen Antifagruppen und Leuten wie Ralf Schröder durch, konnte man sich vorstellen, was da für ein Hauen und Stechen in Hamburg stattgefunden hat, und man wunderte sich nicht über etwaige Wiederholungen.
Die ISF und andere intellektuelle Stichwortgeber zeichneten für eine solche Realitätsabstinenz und Identitätspolitik verantwortlich. Für den Staat Israel, schrieb die ISF in einem Pamphlet namens Israel und der Kommunismus (14), haben die üblichen Muster der bürgerlichen Rollenverteilung keinerlei Geltung, denn die spezifische Qualität dieses Staates realisiert sich in einer
„Einheit von Staat und Regierung im Übergang von einem unerträglichen Alten (die Vernichtungsdrohung) zum noch nicht erreichten Neuen (der herrschaftslosen Gesellschaft). Ariel Scharon führt den antifaschistischen Kampf als eine Art israelische Ausgabe des Buenaventura Durutti. (…) In dieser Perspektive ist Israel der bewaffnete Versuch der Juden den Kommunismus noch lebend zu erreichen und so nimmt heute die militante Aufklärung die Gestalt Ariel Scharons und der Panzer der israelischen Armee an“ (15),
Tatsächlich hat sich diese Perspektive meilenweit davon wegbewegt, worauf Marx in seinen frühen Texten die Hegelianer seiner Zeit verpflichten wollte: auf eine Untersuchung der Wirklichkeit, in diesem Fall der Wirklichkeit der israelischen Gesellschaft, die ganz anders aussieht als diese positiv ausgemalte Volksgemeinschaft eines gewaffnet ins kommunistische Paradies schreitenden Volkes. Die Schreiber der ISF sollte ihr Israelbild tatsächlich erörtern mit ein paar israelischen Techno-Ravern aus Tel Aviv oder ein paar Ultra-Orthodoxen aus Jerusalem, vielleicht auch mal mit einem linken, aufgeklärten jüdischen Israeli. Diese hält man sich aber am liebsten vom Leib, mit der Denunziationsformel des „selbsthassenden Juden“.
Die Antideutschen haben den materialistischen Kritikbegriff zuschanden geritten. Kritik ist ihnen gleichbedeutend mit Denunziation jenseits jedes Begriffs und Unterscheidungsvermögens.
Was als Kritik ausgegeben wird, ist lediglich Distanzierung, die keinen wirklichen Abstand schafft, weil sie keine Kritik an den bestehenden Verhältnisse kraft eines den Verhältnissen immanenten Potenzials übt. Sie propagiert stattdessen einen die Verhältnisse übersteigenden Irrealis. Man leidet diffus, im Grunde ist diese Kritik eine romantische Geste. Verantwortlich fürs eigene Leiden ist der erreichbare Andere aus dem nahen linken Milieu. Ihn trifft die Freund-Feind-Unterscheidung. Wem durch dieses Ticket-Denken das negative Etikett aber angehaftet wird, ist dann auch disponibel. Kritik ist hier nur noch purer Dezisionismus — so äußerte Joachim Bruhn, im Februar 2019 verstorbener Theoretiker von der ISF, in einer offen und ehrlichen Darlegung (16):
„Objektive Vernunft kann anderswo nicht mehr erscheinen als in der subjektiven Vernunft restlos vereinzelter, zum Letzten entschlossener Einzelner, die dem privaten Wahn zum Verwechseln ähnlich sieht.“
Kritik ist bei den Antideutschen sogar die intellektuelle Kollegin von Religion, Mythos und Wahn. Der private Wahn scheint gebannt, kann man sagen, weil er immerhin von einem Racket geteilt wird. Diesem schlossen sich auch Personen an, die gar kein Leiden an den Verhältnissen mehr empfanden, sondern schlicht zynische Feinde eines linken Humanismus waren und sind. Die Parolen waren einfach genug für jedermann. Im Grunde setzt der antideutsche Kritiker einen Affekt gegen einen anderen: Rufen die letzten Antiimperialisten, Israel sei ein faschistischer Staat, so kontert der Antideutsche, er sei kommunistisch, rufen die Friedensfreunde Peace, Frieden — und nicht mehr, so schreit der Antideutsche: Appeasement und fordert den Krieg wie in der jungle World zuletzt gegen Libyen und Syrien (17). Veranstalten die einen „Die-Ins“, so verkünden die anderen, dass diese Friedensbewegungen ein neues Auschwitz erst ermöglichen würden.
Affekt steht gegen Affekt, Moral gegen Moral, in einer direkten Konfrontation wird jedoch immer der antideutsche Kritiker gewinnen, nicht die menschenrechtlich engagierten oder friedensbewegten oder imperialismuskritischen Mitbürger oder Genossen, denn die eigenwillige Mischung aus Zynismus als habituelle Selbstpräsentation und Anspruch reiner Selbstbehauptung und übersteigertem Moralismus, der für jeden noch so absurden Gedanken sechs Millionen tote Juden in die Waagschale wirft, ist unschlagbar.
Die Sogwirkung der moralischen Kritik der Antideutschen ist, dass sie mit dem Menschheitsverbrechen selbst, der Vernichtung der europäischen Juden, mehr hantiert als argumentiert. Das ewige Rätsel Auschwitz wurde den Antideutschen auch zur Antwort auf alle aktuellen weltpolitischen Fragen.
„Am 11. September“, schreiben die beiden prominenten antideutschen Publizisten Tjark Kunstreich und Horst Pankow in der Bahamas beispielsweise, „wurden ‚erst‘ knapp ein Promille — vielleicht weniger — der von den Nazis ermordeten Juden umgebracht“ (18). Das antideutsche Bedürfnis „Auschwitz“ zu jedem Anfangs- und Endpunkt des Denkens zu machen, kulminiert in solchen in mehrerlei Hinsicht zynischen Aussagen. „Erst knapp ein Promille (…) der von den Nazis ermordeten Juden“ soll am Elften September abermals gemordet worden sein. Wirklich verbrannt und erschlagen wurden zwar US-amerikanische, indische und andere IT-Arbeiter, pakistanische Reinigungskräfte, wahrscheinlich auch Juden und der ein oder andere Tourist auf der Plattform der Twin Towers, aber die antideutschen Anti-Antisemiten interessiert die Tat nicht als solche.
Natürlich kann man ihnen die Relativierung der NS-Massenvernichtung, der fabrikmäßigen Tötung von Juden, Sinti und Roma vorwerfen, man kann die Banalisierung skandalisieren, die sie mittels ihrer Promille-Sprache betreiben, wenn sie den Anschlag vom Elften September mit der Massenvernichtung vergleichen wollen. Aber ein solcher moralisch sicher richtiger Aufschrei würde die — fast muss man sagen — psycho-politische Dimension dieser Wirklichkeitsverschleierung verkennen.
Der Schock vom Elften September wurde von der US-Gesellschaft gebannt, indem überall Star-Spangled-Banner aufgezogen wurden und die Nation für kurze Zeit in einen patriotischen Rausch verfiel; die antideutsche Linke versuchte, den Schock dadurch zu bannen, dass man das alte Koordinatensystem des Antifaschismus in Anschlag bringt. Man hält sich im leidenschaftlichen Kopf die neuen globalen Konflikte dadurch vom Hals, indem man sie in das analytische Raster der Vierzigerjahre presst. Wie einfach ist auf einmal die Welt! Auf der einen Seite herrscht der „islamische Faschismus“, der auf erneuten Judenmord tendiert, und auf der anderen Seite führen die USA abermals einen „Good War“.
Die Vierzigerjahre werden so als merkwürdig vertrauter historischer Fixpunkt genommen. Antisemitismus und die Vernichtung der Juden ist für die Antideutschen das Thema schlechthin. Für sie hat Auschwitz den systematischen Ort im Denken eingenommen, den die Revolution einst für die revolutionäre Linke einnahm. Doch während für die klassischen Linken die Revolution noch ein Zukunftsprogramm war, eine Vision, die mit der Vorgeschichte bricht, ist Auschwitz für die Antideutschen bloße instrumentalisierte Vergangenheit. Zogen die auf Revolution geeichten Linken ihren eigenen Lebenssinn aus der Zukunft und der Versprechung nach einem besseren, einem guten Leben, so beziehen die Antideutschen den eigenen Lebenssinn auf den Tod anderer. Ilse Bindseil brachte das folgendermaßen auf den Punkt:
„So wie der bürgerliche linke Theoretiker lange Zeit auf den Borg einer Revolution gelebt hat, die nicht seine sein und sich auch nicht nach seinen (…) esoterisch aufgeladenen bürgerlichen Kategorien richten konnte, so lebt er jetzt, desillusioniert, auf den Pump einer Leidensgeschichte, die ihn nicht nur als Opfer verschmäht, sondern ihm als Bürger in der Genealogie der Täter einen definitiv konträren Platz zuweisen muss“ (19).
Denn wie schon Brecht wusste, den Nazi zu entnazen heißt, ihn zu entbürgern. Um nicht als das zu erscheinen, was man ist, mussten sich die antideutschen Kritiker selbst als Kommunisten ausweisen und inszenieren. Die Zeiten sind vorbei, als es noch „antikommunistische Kommunisten“ gab oder als jedes antideutsche Flugblatt mit der Bekundung: „Für den Kommunismus!“ endete. Dieser trotzige Privatanspruch auf den Kommunismus hatte immer etwas Befremdliches, denn schließlich erweist sich der Kommunismus in der Praxis und die Kommunisten sollten laut dem Kommunistischem Manifest in den vor sich gehenden Bewegungen stets die Eigentumsfrage stellen. Die Antideutschen taten es bestenfalls im Sinne der jüdischen Siedler, wenn diese neuer Landhunger befiel, ansonsten war die Eigentumsfrage kein Thema in diesen Intellektuellenzirkeln.
Wenn die Antideutschen Israel nicht nur als Staat verteidigen, der als Konsequenz aus Auschwitz entstand, sondern Israel darüber hinaus aufgebürdet wird, den Kommunismus zu verwirklichen, ganz unabhängig davon, was die Juden, die in Israel tatsächlich leben, denn auch tun, dann versuchen sie, Dinge zu kitten, die nicht zu kitten sind: die soziale Befreiung, das Ende der Vorgeschichte, den Kommunismus und eine realpolitisch so notwendig wie unanfechtbare Entwicklung nach der Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus und des grassierenden Antisemitismus, eben das Entstehen und die Existenz eines jüdischen Staates.
Doch vor den wirklichkeitsresistenten Augen des Kritikers entsteht hier ein Ersatz-China oder eine Ersatz-Volksrepublik-Albanien, ein echter revolutionärer Staat, kein Arbeiter- und Bauernstaat mehr — diese Zeiten sind vorbei — es ist ein Staat der gesühnten, gerächten Geschichte und der herrschaftsfreien Zukunft, des Vergangenheit heilenden Kommunismus gleichermaßen. Der bürgerliche, noch dazu deutsche Kritiker, der sich als Kommunist behauptet und Israel zum Staat des Kommunismus macht, kann dann doch noch virtuell seinen Platz an der Seite der Opfer einnehmen. Dass in diesem Passionsspiel die Palästinenser bloß als neue Nazis auftreten können, ist nur folgerichtig.
Joachim Bruhn von der ISF merkte das irgendwie, und doch durchschaute er es nicht:
„Die Aufgabe antideutscher Kommunisten ist es nicht, sich mit Israel zu identifizieren, denn Israel ist nicht das neueste Substitut des ‚Vaterlands der Werktätigen‘, sondern aufzuklären, warum es notwendig ist, sich bedingungslos hinter Israel und auch hinter Ariel Scharon zu stellen: nämlich im Interesse der staaten- und klassenlosen Weltgesellschaft“ (20).
versucht die ISF weiterhin die bürgerliche Selbstverwechslung des Antifaschisten fortzuführen: Man fixiert sich auf den Faschismus, statt Kritik des Kapitals zu betreiben, meint aber aufgrund der Faschismuskritik bereits Kommunist zu sein. Diese Selbsttäuschung und Selbstverwechslung waren im antideutschen Lager weit verbreitet. Doch einige wachten auf, sie wollen bloß Antifaschisten auf der Höhe der Zeit sein, was für sie bedingungslose Israel-Solidarität heißt. Jede Bezugnahme auf Herrschafts- und Ausbeutungsfreiheit, auf den Kommunismus verbiete sich, verkünden sie, angesichts des Vormarsches der globalen Reaktion, der antisemitischen und reaktionären Strömungen.
Doch das Ganze erscheint nicht mehr im klassischen Gewand des sozialreformerischen Antifaschismus, der die Volksfront propagiert, den Klassenkampf und die Eigentumsfrage — wie historisch geschehen — zurückstellt, sondern es ist der Kapitalismus selbst, der vorm Faschismus schützt.
Auf einmal erscheint nicht mehr der Kapitalismus als verdammenswerte Veranstaltung, sondern als Bollwerk gegen die Gegenaufklärung.
Nicht mehr der Nazi soll entbürgert werden, vielmehr rettet nur gelungene Bürgerlichkeit vor Faschismus, so lautet ihr Credo. Der deutsche Nationalcharakter habe sich noch nie mit dem Kapitalismus arrangieren können, sondern habe viel mehr eine eigene, deutsche Produktionsweise des Todes und der Vernichtung hervorgebracht. Diese sei dem Kapitalverhältnis entsprungen, im Sinne von ihm entfleucht und stelle eine besondere Art des Antikapitalismus dar. Der Faschismus selbst erscheint den antideutschen kritischen Bürgern als das, was er vorzuspiegeln versuchte und — worauf Ernst Bloch hinwies —, freilich nicht war, und was die Antideutschen so sehr wie alle Deutschen fürchten: als antikapitalistische Bewegung und eine fundamentale Revolution.
Den Antikapitalismus gilt es laut antideutscher Propaganda international zu schlagen, und sie sahen ihn auch im Irak unter Saddam Hussein am Werk. Flugs wurden das irakische Baath-Regime und Al-Quaida unter „Antikapitalismus“ subsumiert. Aber auch hier ist es müßig, eine Diskussion über die staatskapitalistische Entwicklungsdiktatur des Baath-Regimes und über die Allianz von Broker- und Unternehmergeist mit nihilistischer Archaik, wie sie in Al-Qaida zum Ausdruck kommt, anzustrengen. Es geht nicht um die Wirklichkeit, es geht den Antideutschen darum, die Verzweiflung an der ausgebliebenen Revolution dadurch zu bannen, dass man aus der Resignation eine Tugend macht, aus der Revolution ein Schreckgespenst, gegen das sich der Kapitalismus westlicher, besonders US-amerikanischer Provenienz richtig beruhigend ausmacht.
So schreiben die antideutschen Herausgeber eines Buches, das bei Ça Ira erschien und nicht nur den vielbeschworenen und stets der Friedensbewegung unterstellten Antiamerikanismus kritisieren will, sondern den „War on terror“ und den Dritten Golfkrieg legitimiert, folgendes:
„Fast scheint es so, als müsse das Diktum Horkheimers, vom Faschismus solle schweigen, wer vom Kapitalismus nicht reden wolle, erweitert werden: Vom Kapitalismus solle ebenso schweigen, wer vom Antikapitalismus nicht reden wolle“ (21).
Denn: In einfacher Umkehrung der antiimperialistischen Meinung der Siebzigerjahre, wonach Kapitalismus zum Faschismus führe, behaupten die Antideutschen, Antikapitalismus führt zum Faschismus.
In besonderer Weise führt der Antikapitalismus des Klassenkampfs zum Faschismus, ja zu Auschwitz selbst: Noch im April 2002 durfte Manfred Dahlmann in der Badischen Zeitung kundtun, was im grün-alternativen Freiburg fast jeder sowieso zu wissen meint: „Klassenkampf ist vorbei!“. Joachim Bruhn sieht im Klassenkampf dagegen nach wie vor ein Schreckgespenst, das es zu bannen gilt. Klassenkampf führt zum Antisemitismus, so seine Definition. Er hält fest:
„Die Insistenz auf diesem Klassencharakter reproduziert ganz wie von selbst den Antisemitismus der Scheidung von ‚raffendem‘ versus ‚schaffenden Kapital‘“ (22). Wer von Klassen spricht, ist also Antisemit.
Hätte man diese Antideutschen tatsächlich nochmals dazu auffordern sollen, die Elemente des Antisemitismus von Horkheimer und Adorno (23) in die Hände zu nehmen, hätte man wirklich die Passagen vorlesen müssen, in denen gerade die Verschleierung des Klassenverhältnisses für den Antisemitismus verantwortlich gemacht werden? Sind Adorno und Horkheimer auch Avantgarde des Antisemitismus, wenn sie ganz marxistisch-klassenkämpferisch festhalten:
„Der Fabrikant wagte und strich ein wie Handelsherr und Bankier. Er kalkulierte, disponierte, kaufte, verkaufte. Am Markt konkurrierte er mit jenen um den Profit, der seinem Kapital entsprach. Nur raffte er nicht bloß am Markt, sondern an der Quelle ein: als Funktionär der Klasse sorgte er dafür, dass er bei der Arbeit seiner Leute nicht zu kurz kam. Die Arbeiter haben so viel wie möglich abzuliefern. Als der wahre Shylock bestand er auf seinem Schein. (…) Er nannte sich den Produzenten, aber er wie jeder wusste insgeheim die Wahrheit. Die produktive Arbeit des Kapitalisten, ob er seinen Profit mit dem Unternehmerlohn wie im Liberalismus oder dem Direktorengehalt wie heute rechtfertigte, war die Ideologie, die das Wesen des Arbeitsvertrags und die raffende Natur des Wirtschaftssystems überhaupt zudeckte. Darum schreit man: haltet den Dieb und zeigt auf den Juden. Er ist in der Tat der Sündenbock, (…) in dem umfassenden Sinn, dass ihm das ökonomische Unrecht der ganzen Klasse aufgebürdet wird“ (24).
Der Antideutsche rief jedoch lieber: Haltet den Dieb und zeigt auf den Klassenkampf, der anstelle des so raffenden, wie fetischisierten Wirtschaftssystems für den Antisemitismus verantwortlich gemacht wird.
Der Zweck der Übung ist klar: Nach der Resignation über die ausgebliebene Revolution kam die Versöhnung mit den herrschenden Verhältnissen, deren Herrschaft man umso mehr verteidigte, je deutlicher sie aus den Fugen zu geraten drohte. In einer bekannten antideutschen Veröffentlichung im Ça Ira-Verlag von jungle World-Autoren zum Irak-Krieg 2003 sagten es die antideutschen Kritiker ganz offen: „An einem Scheitern der USA im Irak kann ernsthaft niemand ein Interesse haben, der nicht die Weltwirtschaft in Trümmern sehen will“ (25).
Nicht einmal ein ominöser Demokratisierungsprozess wird hier beschworen, oder vor der Instabilität des Landes gewarnt, nein, ganz offen wird bekundet, dass die Verfasser dieser Zeilen vom globalen Kapitalismus nicht mehr sprechen wollen, vor allem nicht mehr in kritischer Hinsicht. Der bürgerliche Kritiker ist nun also da gelandet, wo er landen musste: bei der so antifaschistisch, wie pro-kapitalistischen Affirmation »unserer Weltwirtschaft«, die er bewahrt sehen will.
Je weiter jedoch die Krise des kapitalistischen Weltsystems voranschritt, und je deutlicher die Unfähigkeit des globalen Kapitalismus, tatsächlich auch integrativ zu wirken, zutage trat, beispielsweise durch die globale Wirtschafts- und Finanzkrise von 2007, desto größer sollte auch die antideutsche Angst im Kapitalismus werden, die sich natürlich nicht Rechenschaft über ihr eigentliches movens ablegen darf und kann. Die antideutsche Angst im Kapitalismus sollte in einer Welt der „Failed Sates“ Fahnen hochhalten, sie sollte sich in aggressiven Selbstbehauptungstechniken, vor allem gegenüber der Linken mit ihren Versuchen eine andere Kultur, sprachlich wie habituell, einüben.
Wird die antideutsche Strömung mehr sein als eine Fußnote in der Geschichte der Linken? Eine Fußnote, die das buchstäbliche Irrewerden eines Teils der ehemaligen Linken an den vorherrschenden Tendenzen des kapitalistischen Weltsystems dokumentiert? Ein altlinker Dezisionist würde sagen: Die intellektuellen Antideutschen samt ihres ganzen Anhangs sind übergelaufen. Das Problem ist nur, dass er kaum ausweisen könnte, wohin jene denn übergelaufen sind. Sie wirken mittlerweile mit ihrer im Kern antilinken Position auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern und bilden eine Art „andere Querfront“.
Einige von ihnen arbeiten in zivilgesellschaftlichen Thinktanks und stricken verfassungskonform an einem neuen Anti-Extremismus, in dem vor allem der Linken Antisemitismus unterstellt wird. Andere — wie die Bahamas — nähern sich der AfD an, verdammen den Antirassismus und wollen souveränistisch gestimmt Grenzen gegen die arabisch-muslimischen Flüchtlinge schließen, weil sie diese allesamt als gefährliche Antisemiten markieren.
Diese ehemaligen Antideutschen, die sich nun „Ideologiekritiker“ nennen, fordern Grenzschließung wohlgemerkt vom deutschen Staat. Es ist frappierend, wie der einst einer reflexhaften Anti-Ideologie verpflichtete reine kritische Kritiker plötzlich in die große brachiale Affirmation des Bestenden kippt — neokonservativ oder sogar rechtsradikal wird. Aus antideutsch wird hyperdeutsch. Jürgen Elsässer von Compact ist der am klarsten rechts profilierte Ex-Antideutsche dieser neuen Strömung. Wieder andere sind als intellektuelle Stimmen verstummt. Der leidenschaftliche Kopf folgte bloß den Füßen, die immer weniger Halt haben. Die Antideutschen, sonst immer Adorno als Autorität auf den Lippen, haben schlichtweg einen Imperativ von Adorno vergessen: Nämlich, dass die fast unlösbare Aufgabe darin besteht, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Marx, Karl (1844/1976). Einleitung. In: ders., Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, Berlin: Dietz Verlag, Seite 380.
(2) Vergleiche beispielsweise Initiative Sozialistisches Forum (ISF)
(2003). Krieg und Frieden, Schuld und Sühne. Das „Gewaltrecht des Guten“
in der „Stunde der Wahrheit“. Einladungstext zum jour fixe im
Frühjahr/Sommer 2003. https://www.ca-ira.net/verein/jourfixe/jf-2003-1_krieg.frieden/ (26.7.2019).
(3) Bahamas, 2003, Bush — The Man of Peace (10. April 2003). http://redaktion
bahamas.org/aktuell/Bagdad.html (28. August 2019).
(4) Pohrt, Wolfgang (1991). Stop den Mob, Die SA-Praktiken in der Zone müssen aufhören. In: konkret 5/91, Seite 34.
(5) Pohrt, Wolfgang (1991). Musik in meinen Ohren. In: konkret 3/91, Seite 14.
(6) Pohrt, Wolfgang (1992). … sondern auch die schlimmsten Kräfte. In konkret 2/92, Seite 24.
(7) Bahamas (2001). „Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder“ (14. September 2001). http://redaktion-bahamas.org/aktuell/aufruf-13-4-2002.html (28. August 2019).
(8) Bahamas (2004). Wer schweigt stimmt zu. Gegen den antinationalen Konsens in der Hamburger Linken (06. Februar 2004). http://redaktion-bahamas.org/aktuell/HH31-1-04.html (26. Juli 2019).
(9) Ebenda.
(10) Bahamas (2004). Ohne Titel. http://redaktion-bahamas.org/aktuell/Hamb-Antifa.html (27. Juli 2019). (Gespiegelt von http://www.antifa-hamburg.com/basisbanalitaeten.html — am 26. Juli 2019 nicht abrufbar)
(11) Schröder, Ralf (2004). Die Fahne schwenken! Das Zeigen der
Israelfahne ist konkreter Antifaschismus. In: Jungle World (25. Februar
2004). https://jungle.world/artikel/2004/09/die-fahne-schwenken (28. Juli 2019).
(12) Ebenda.
(13) Ebenda.
(14) Initiative Sozialistisches Forum (ISF) (2002). Der Kommunismus und Israel. Einladungstext zum jour fixe im Sommer 2002. https://www.ca-ira.net/verein/positionen-und-texte/isf-kommunismus-israel/ (26. Juli 2019).
(15) Ebenda.
(16) Voigt, Sebastian (2011). Gaddafi muss weg! In: jungle World (28. April 2011). http://jungle-world.com/artikel/2011/17/43095.html (28. Juni 2019).
(17) Bruhn, Joachim (1998). Der Untergang der Roten Armee Fraktion.
Eine Erinnerung für die Revolution. In: Emile Marissin (1998),
Stadtguerilla und soziale Revolution. Über den bewaffneten Kampf und die
Rote Armee Fraktion, Seiten 7 bis 30, Freiburg: Ça ira.
(18) Pankow, Horst & Kunstreich, Tjark (2002). Vernichtung als
Selbstzweck. In: Bahamas 37, Winter 2002, Seiten 21 bis 24.
(19) Bindseil, Ilse (1991), Wolfgang Pohrts Ideologiekritik. In: Ilse
Bindseil & Monika Noll (Herausgeber). Frauen 2: Polemik und
Politik, Seiten 113,156, Freiburg: Ça ira.
(20) Initiative Sozialistisches Forum (ISF) (2003). Krieg und
Frieden, Schuld und Sühne. Das „Gewaltrecht des Guten« in der »Stunde
der Wahrheit“. Einladungstext zum jour fixe im Frühjahr/Sommer 2003. https://www.ca-ira.net/verein/jourfixe/jf-2003-1_krieg.frieden/ (26. Juli 2019).
(21) Woeldike, Andrea & Osten-Sacken, Thomas von der (2003).
„Altes Europa“, Neue Welt. In: Thomas Uwer, Thomas von der Osten-Sacken
& Andrea Woeldike (Herausgeber), Amerika. Der „War on Terror“ und
der Aufstand der Alten Welt, Seite 5 bis 12). Freiburg: Ça ira.
(22) Bruhn, Joachim (2003b): Avantgarde und Ideologie. Nachbemerkung
zum Rätekommunismus. In: Willy Huhn, Der Etatismus der Sozialdemokratie.
Zur Vorgeschichte des Nazifaschismus. Freiburg: Ça ira.
(23) Horkheimer, Max & Theodor W. Adorno (1944/1998). Elemente
des Antisemitismus. In: dies., Dialektik der Aufklärung, Seite 177 bis
217). Frankfurt am Main: Fischer.
(24) Ebenda, Seite 182.
(25) Woeldike, Andrea & Osten-Sacken, Thomas von der (2003).
„Altes Europa“ Neue Welt. In: Thomas Uwer, Thomas von der Osten-Sacken
& Andrea Woeldike (Herausgeber), Amerika. Der „War on Terror“ und
der Aufstand der Alten Welt, Seiten 5 bis12). Freiburg: Ça ira.
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch von Christoph Bialluch, Klaus-Jürgen Bruder und Jürgen Günther: „KRIEG NACH INNEN, KRIEG NACH AUSSEN und die Intellektuellen als „Stützen der Gesellschaft“?“, 350 Seiten, Westend Verlag, 2.Dezember 2019
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Quelle: https://www.rubikon.news/artikel/krieg-gegen-die-wahrheit