Die Corona-Pandemie bedeutet eine globale Krise des Kapitalismus mitsamt seiner alles durchdringenden, an Profit und Renditen ausgerichteten Gesundheits- und Wirtschaftspolitik. Während sich die staatlichen Restriktionsmaßnahmen auf allen gesellschaftlichen Ebenen überschlugen, wirkten große Teile der revolutionären Linken hierzulande gelähmt und handlungsunfähig. Die Dynamik und Rigorosität staatlicher Maßnahmen sorgten in linken Gruppen angesichts der überwiegend autonomen Organisationsformen für Ratlosigkeit. Kommunikationskanäle und ritualisierte Plena wurden über Nacht weitestgehend lahmgelegt. Klassische Aktionsformen waren plötzlich nicht mehr möglich und revolutionär-linke Inhalte waren dadurch noch weniger wahrnehmbar. Es fehlten handlungs- und entscheidungsfähige Strukturen, die trotz der Ausnahmesituation in der Lage waren, die Corona-Krise politisch dafür zu nutzen, Alternativen und Perspektiven aufzuzeigen. Die radikale Linke hat damit ihre Handlungsunfähigkeit in Krisensituationen gezeigt. Angesichts des neonazistischen Terrors von NSU 2.0, rechter Prepper-Gruppen und der größeren Anzahl aufgedeckter rechter Terrorzellen sowie des Versuchs der AfD, parlamentarische Macht zu gewinnen, eine schaurige Erkenntnis. Vor allem wenn wir uns vor Augen führen, dass der Staat mit seinen Institutionen nicht selten eine stützende Rolle im Aufbau dieser Terrorzellen spielt.
Die Rolle revolutionärer Kräfte
Dabei
sind Krisen eigentlich das ureigene Feld revolutionärer Kräfte. Ihre
Aufgabe ist es, Klassenkämpfe über den Umweg praktischer Solidarität und
theoretischer Analyse zu stärken. In Zeiten großer gesellschaftlicher
Umbrüche und Veränderungen politisieren sich viele Menschen und suchen
nach handlungsfähigen Organisierungen, um soziale Forderungen auch
wirkmächtig artikulieren zu können. Beispiele dafür sind die
„HartzIV-Proteste“ (2004), die „Bankenkrise“ (2008/2009) oder der
„Sommer der Migration“ (2015) und die antirassistischen Proteste gegen
die zahlreichen rassistischen Mobilisierungen (beispielsweise gegen die
von der NPD initiierten „Nein-zum-Heim-Demonstrationen“). Es ist die
Aufgabe revolutionärer Kräfte, die von der Krise betroffenen
Lohnabhängigen anzusprechen und sie nachhaltig und langfristig für eine
klassenkämpferische Praxis zu gewinnen.
Solidarität aufbauen
Zu
Beginn des Lockdowns riefen linksliberale Akteur*innen oder
Träger*innen der sozialen Daseinsfürsorge bundesweit dazu auf, sich in
den von ihnen initiierten Solidaritätsnetzwerken ehrenamtlich zu
engagieren. Auch linke Gruppen initiierten Netzwerke, z.B. in Hamburg,
Stuttgart oder Berlin. Im Berliner Stadtteil Wedding wurden das Label
und die Arbeitsgruppe „Wedding solidarisch“ von uns als „Hände weg vom
Wedding“ gegründet. Dies fungierte als Klammer für eine linke,
klassenkämpferische Perspektive auf die Krise („Klassenkampf statt
Klatschen!“). Für uns bedeutete der Aufbau einer themenbezogenen
Arbeitsgruppe sowohl das ideologische Besetzen der Krisenthemen, als
auch die Schaffung einer Struktur, die kontinuierlich in der Lage ist,
Interessierte in die politische Diskussion und Praxis einzubinden. Wie
auch andere Initiativen gründeten wir zuerst moderierte Telegram- und
Facebook-Gruppen, die schnell auf tausende Follower*innen anwuchsen.
Neben der Vernetzungsmöglichkeit praktischer Unterstützungsangebote
stellten sie auch wichtige Kanäle für die Bereitstellung linker, antikapitalistischer Analysen
und Angebote dar. Diese bilden einen wichtigen Gegenpol zu den rechten
Kräften, welche die Krise für das Propagieren von Rassismus,
Antisemitismus und Verschwörungsmythen nutzten und weiterhin nutzen.
Während die Bundesregierung Milliarden von Hilfsgeldern zur Absicherung
der Profite großer deutscher Unternehmen verschleuderte, konnten wir in
unseren eigenen Kanälen die Corona-Krise als das benennen, was sie ist:
eine kapitalistische Krise. Die Schaffung von virtuellen wie
praktischen Solidaritätsnetzwerken sind eine weiterzuentwickelnde
Perspektive von Klassenpolitik. Besondere Abgrenzung braucht es in Bezug
auf Netzwerke, mit denen staatliches Versagen durch sozialliberale
Hilfsangebote kaschiert werden soll. In Berlin zeigte sich, dass der
Senat und die Bezirke schnell in der Lage sind, Solidarität und
praktische Unterstützung mittels geförderten Freiwilligenagenturen zu
vereinnahmen. Innerhalb kurzer Zeit wurden zusätzliche Gelder bewilligt,
um staatliche und staatsnahe Netzwerke zu gründen.
Die
ideologische Distanz zum Staat, der politische Entscheidungen vor allem
zugunsten der herrschenden Kapitalfraktionen trifft, muss daher aus
radikal-linker Perspektive immer wieder herausgearbeitet werden.
Andernfalls droht eine Vermischung der öffentlichen Wahrnehmung von
linken Kriseninterventionen und staatlichem Krisenmanagement.
Revolutionäre Krisenanalysen und -erzählungen bleiben dann auf der
Strecke.
Das Virus heißt Kapitalismus
Mit der gegründeten Arbeitsgruppe „Wedding solidarisch“ wurde auf den Klassencharakter der (tödlichen) Auswirkungen der Pandemie hingewiesen. Denn das Virus ist kein von den gesellschaftlichen Verhältnissen und Verwerfungen entkoppeltes Gesundheitsproblem. Obwohl es zwar alle betreffen kann, betrifft es nicht alle gleich. Die sozialen Fragen um Arbeitsbedingungen, Wohnraum, patriarchale Gewalt und Rassismus haben sich schon vor der Pandemie gestellt und wurden durch die Krise noch verschärft und sichtbarer gemacht. Das Problem liegt im System und es ist unsere Aufgabe, gesellschaftliche Gegenentwürfe zu formulieren und auf die Straße zu tragen. Die im Rahmen der Pandemie drängendere Gesundheitsfrage versetzte uns in die Lage, über dieses Thema unsere Kampffelder Antifaschismus/Antirassismus, Mietenkämpfe, Arbeitskämpfe und Feminismus zu verknüpfen.
Angesichts der verstärkten
Repressionen durch omnipräsente Polizeikräfte, verschärfte
Bußgeldkataloge, die Aushebelung von Freiheitsrechten wie der
Versammlungsfreiheit und vieles mehr, musste die Linke (wieder) lernen,
unter repressiveren politischen Umständen zu arbeiten. Tausende Forderungskataloge
(„Für eine soziale und demokratische Lösung der Krise“), Plakate und
Aufkleber wurden ausgegeben, im öffentlichen Raum verteilt und verklebt –
auch mithilfe öffentlich beworbener Materialausgabestellen im
Stadtteil. Das Ziel, mit radikal-linken Inhalten öffentliche Räume zu
dominieren und die Krise zu deuten, konnte stellenweise erreicht werden.
Das geschah plakativ wie praktisch durch konkrete Aktionen und
Gespräche am Rande der Kundgebungen und im Kiez. Im Wedding
organisierten wir von April bis Juli sechs Kundgebungen an zentralen
Orten und zwei symbolische Aktionen vor den drei Weddinger
Krankenhäusern. Dabei reihten wir uns in bestehende Aktionsnetzwerke
ein, um unsere Themen gesamtgesellschaftlich einbetten zu können.
Neben einem feministischen und antirassistischem Aktionstag galt und gilt dies auch für die bundesweite Plattform #NichtaufunseremRücken. Regionale und überregionale Vernetzungen sind jetzt umso wichtiger, um nicht im beschränkten Lokalismus zu verharren. Das gegenseitige überregionale Aufeinanderbeziehen unterstützt eine organisatorische Kraft im Lokalen, die in der Lage ist, sich krisenfest aufzustellen. Im Rahmen unseres rätekommunistischen Umstrukturierungsprozesses konnten wir erneut feststellen, dass themenbezogene Diskussionen in Kommissionen, klare Verantwortlichkeiten und transparente Entscheidungswege dabei helfen, auch unter widrigen Bedingungen zu arbeiten.
Linke Krisenfestigkeit!
Mit
der Arbeitsgruppe „Wedding solidarisch“ wurde Handlungsfähigkeit in
einer politischen Ausnahmesituation hergestellt. Die Agitation mit
spezifischen Materialien auf der Straße hat linken, antikapitalistischen
Krisenerzählungen und Analysen viel Raum und eine breite Wahrnehmung
verschafft, auf die wir weiterhin aufbauen.
Dabei sind diese Inhalte
im alten Arbeiter*innenstadtteil Wedding auch vermittelbarer, da hier
viele Menschen aufgrund von Armut, Arbeitslosigkeit und beengten
Wohnverhältnissen von den kapitalistischen Ausbeutungsmechanismen
betroffen sind. Außerdem sind – abgesehen von türkischen-faschistischen
Strukturen – nur sehr wenige rechte Kräfte im Alltag präsent.
Selbstkritisch müssen wir anmerken, dass die Struktur der Arbeitsgruppe
Wedding Solidarisch (z.B. Online-Plena) klassischen linken Praktiken
folgte und damit das Potential in der Organisierung von interessierten,
nicht-organisierten Menschen auf diesem Wege relativ gering war. Das
Beteiligungsmoment in der Praxis von Wedding Solidarisch war dadurch
begrenzt. Direkte Gespräche am Rande der Kundgebungen waren die
hauptsächliche Möglichkeit, mit Leuten außerhalb der gewohnten Kontexte
in Kontakt zu treten, insbesondere nach Lockerung der Beschränkungen des
öffentlichen Lebens. Positive Momente ergaben sich oft bei Gesprächen
über die konkrete Praxis von „Hände weg vom Wedding“. Dabei stellt unser
Stadtteilmagazin „Plumpe“ eine gute Basis dar, um radikal-linke Stadtteilarbeit zu diskutieren und linke Schwerpunkte weiter zu popularisieren.
Eine
Herausforderung bleibt: die in der Corona-Pandemie geschaffenen
Solidaritätsnetzwerke und Arbeitsgruppen mit der Überführung in unsere
Struktur zu verstetigen. Es zeigt sich eine deutliche Diskrepanz
zwischen der geleisteten Agitation und der Anzahl von Interessierten,
die in den folgenden Wochen als neue Gesichter zu unserer Gruppe
stießen. Dabei kommt der Organisation eine besondere Verantwortung zu,
wenn sie Interessierte organisatorisch wie auch ideologisch nachhaltig
binden möchte. Dabei ist klar, dass die gesellschaftliche Mobilisierung
für die antikapitalistische Krisenerzählung unbedingt klare
Organisationsformen und ideologische Leitplanken braucht, um auch in
Zeiten sich vermeintlich normalisierender Verhältnisse und nachlassender
Wut politisch wahrnehmbar zu bleiben.
Thematisch arbeitende
Kommissionen mit vorgelagerten Vorfeldstrukturen schaffen dabei
niedrigschwellige Angebote, um Menschen den Einstieg in unsere Gruppe zu
erleichtern. Wir haben „Wedding Solidarisch“ in unsere bestehenden
Angebote überführt, um mit weiteren Aktiven entlang der Kampffelder
praktisch weiterzuarbeiten. Ob wir als revolutionäre Linke aus der
Coronakrise politisch wie personell gestärkt herausgehen können, werden
wir im Zuge der kommenden Debatten im nationalen wie globalen Kontext
sehen.
Klassenkampf und Solidarität
Die
Notwendigkeit der klassenbewussten, kämpferischen Solidarität ist
drängender denn je. Die ökonomischen Auswirkungen der jetzigen, sich
ausweitenden Krise sind kaum zu unterschätzen. Diese Krise bietet der
herrschenden Klasse einen guten Vorwand, Angriffe auf
Arbeitsverhältnisse mit drohender Pleite zu legitimieren: genannt seien
hier z.B. eine staatliche Sparpolitik, Verschärfung der
Arbeitsbedingungen durch Entlassungen, Verhinderung gewerkschaftlicher
Arbeit (Union Busting), Outsourcing oder der (gewerkschaftliche)
Verzicht auf Gehaltserhöhungen und Arbeitskämpfe.
Außerdem steht
eine Explosion privater Schulden durch Arbeitslosigkeit für viele
Menschen bevor, die sich wiederum in einem dramatischen Anstieg der Zahl
von Zwangsräumungen und drohender Wohnungslosigkeit zeigen wird. Gerade
jetzt braucht es politische Kräfte, die diese komplexen,
zusammenhängenden Widersprüche im Kapitalismus aufzeigen und erklären.
Dies verdeutlicht die Dringlichkeit, linke und revolutionäre Organisationen entlang von krisenfesten, planvollen und kontinuierlichen Formen auszurichten. Unsere Organisationsformen müssen sich an dieser Notwendigkeit orientieren und in der Lage sein, die Fallstricke autonomer und individualistischer Praxis zu überwinden. Es muss uns gelingen, den breiten Massen der Lohnabhängigen zu vermitteln, wie sozialistische (Waren-)Produktion, die gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und politische Partizipation im Sinne einer solidarischen Gesellschaft gerecht zu organisieren sind. Dies sind erste grobe Schlaglichter revolutionärer Veränderungen. So kann die revolutionäre Linke politisch wie personell aus den Krisen gestärkt hervorgehen.
Quelle: https://revoltmag.org/articles/mit-links-gegen-die-krise/