Ich saß im Green Room eines Fernsehstudios in Manhattan, an jenem Tag, als sich der Sturm anscheinend zusammenbraute. Es war Donnerstag, der 12 März 2020, und ich wartete unruhig auf einen Fernsehauftritt und hoffte, dass der Zugverkehr nicht eingestellt würde bevor ich die Stadt verlassen hatte. Die Züge fuhren weiterhin, aber die Hälfte vom Rest machte dicht.
An diesem Tag wusste jeder was kommen würde. Es lag eine Krankheits-Panik in der Luft, die hauptsächlich von den Medien und von politischen Figuren angestachelt wurde. Noch einen Monat vorher war der Gedanke an einen Lockdown unvorstellbar, aber jetzt schien das Unvorstellbare möglich, jederzeit.
Mir schräg gegenüber saß ein dünner, klug aussehender bärtiger Mann mit einer Sigmund Freud Brille, er kam gerade aus dem Studio. Er schnaufte tief durch, nachdem er sein Interview gegeben hatte, aber er sah tief besorgt aus.
Ich sagte „Angst liegt in der Luft“, um das Schweigen zu brechen.
„Wir sind vom Irrsinn umgeben. Die Öffentlichkeit entwickelt eine Persönlichkeitsstörung, die ich mein Leben lang behandelt habe.“
„Was tun Sie?“ fragte ich.
„Ich arbeite als Psychiater, der sich auf Angststörungen, paranoide Wahnvorstellungen und irrationale Wahnvorstellungen und irrationale Ängste spezialisiert hat. Ich habe das als Spezialist behandelt. Es ist schwer genug, diese Probleme in normalen Zeiten zu behandeln. Was gerade passiert ist, dass sich diese ernste medizinische Verfassung auf die gesamte Bevölkerung ausbreitet. Das kann mit allem geschehen, aber hier erleben wir eine Urangst einer Krankheit, die sich in eine Massenpanik verwandelt. Es scheint fast absichtlich. Es ist tragisch. Wenn das erst einmal anfängt, dann dauert es Jahre, um den psychologischen Schaden zu reparieren.“
Ich war etwas verblüfft, zum Teil weil er zu der Zeit so apokalyptische Ausdrücke verwendete und weil er seine Meinung so dezidiert ausdrückte. Seinem kurzen Kommentar lag eine Vermutung zu Grunde, dass an diesem Virus nichts Besonderes war. Wir haben uns mit ihm entwickelt und haben gelernt, ihn ruhig und professionell zu behandeln. Was die gegenwärtige Situation unterschied, so deutete er an,war nicht das Virus, sondern das Freisetzen einer Art von öffentlichem Wahnsinn.
Ich war von Anfang an skeptisch gegenüber diesem „Wir werden alle sterben“-Narrativ. Aber nicht einmal ich war mir sicher, ob er Recht hatte, dass das wahre Problem nicht physischer sondern mentaler Natur sei. Damals war sogar ich vorsichtig mit dem Händeschütteln und trug ein Desinfektionsspray mit mir. Später erfuhr ich natürlich, dass jede Menge medizinischer Profis seit Wochen versucht haben, die Menschen zu beruhigen und für einen normalen Umgang in der Gesellschaft zu werben anstatt in Panik zu geraten. Selbst ich habe Wochen gebraucht um zu erkennen, dass er Recht hatte: Die Hauptgefahr, vor der die Gesellschaft stand, war ein psychologisches Leiden.
Ich hätte mich sofort einem Buch zuwenden sollen, das mich in meiner Hochschulzeit fasziniert hat: „Extraordinary Popular Delusions and the Madness of Crowds“ von Charles Mackay (1841). (Anm.d.Ü.: auf Deutsch: „Zeichen und Wunder. Aus den Annalen des Wahns“) Ich habe gern gelesen, weil es den menschlichen Irrsinn herausstellte und auch zeigte, dass wir als Zivilisation jene Periode der Geschichte hinter uns gelassen haben.
Es gab mir die Möglichkeit darüber zu lachen, wie lächerlich die Menschen in der Vergangenheit waren, die plötzliche Panik über lange Haare und Bärte, Schmuck, Hexen, den Teufel, Prophezeiungen und Hexerei, Krankheiten und Heilmittel, Bodenspekulation, Tulpen, einfach fast alles. In einer erstaunlichen Vielzahl von Fällen schildert er die Rolle von Krankheiten, für gewöhnlich als Beweis einer bösartigen Kraft auf der Welt. Hatte die Angst erst einmal ein bestimmtes Ausmaß erreicht, dann verschwanden Normalität, Rationalität, Moral und Anstand und wurden durch Dummheit und Grausamkeit ersetzt.
Er schreibt:
Wenn
wir die Geschichte der Nationen lesen, stellen wir fest, dass sie wie
Individuen ihre Launen und Eigenheiten haben;
ihre Jahreszeiten der Aufregung und des Leichtsinns, in denen sie
sich nicht darum kümmern, was sie tun. Wir stellen fest, dass ganze
Gemeinschaften sich plötzlich auf ein Objekt fixieren und bei
dessen Verfolgung verrückt werden; dass Millionen von Menschen
gleichzeitig von einer Wahnvorstellung beeindruckt werden und ihr
nachlaufen, bis ihre Aufmerksamkeit von einer neuen Torheit erregt
wird, die fesselnder ist als die erste. Wir sehen, wie eine Nation
plötzlich von ihren höchsten bis zu ihren niedrigsten Gliedern von einem
heftigen Verlangen nach militärischem Ruhm ergriffen
wird; wie eine andere plötzlich durch religiöse Bedenken verrückt
wird; und keine von beiden ihre Sinne wiedererlangt, bis sie Flüsse von
Blut vergossen und eine Saat von Schmerzen und Tränen
gesät hat, die von ihrer Nachwelt geerntet werden soll… Die
Menschen, es ist gut gesagt worden, denken in Herden; man wird sehen,
dass sie in Herden verrückt werden, während sie ihre Sinne nur
langsam wiedererlangen, und zwar einen nach dem anderen.
Nach 2005, als sich das Internet zu einem ernstzunehmenden Speicher für menschliches Wissen entwickelte und über Smartphones und einen nahezu universellen Zugang zugänglich wurde, reizte auch mich der Gedanke, dass wir in ein neues Zeitalter der Aufklärung eintreten würden, in dem der Massenwahn schnell durch aufkommende Weisheit gestoppt werden würde.
Beweise für meine Naivität können Sie in meinem Artikel vom 5. April 2020 sehen: „Mit Wissen kommt Ruhe, Rationalität und möglicherweise auch Offenheit“.
https://www.aier.org/article/with-knowledge-comes-calm-rationality-and-possibly-openness/
Mein
Gedanke war damals, dass der Beweis für die extrem diskriminierende
Wirkung des Virus auf Menschen über 70 Jahre mit
Grunderkrankungen zu der plötzlichen Erkenntnis führen würde, dass
sich dieses Virus wie ein normales Virus verhält. Wir würden nicht alle
sterben. Wir würden Vernunft walten lassen und uns
wieder öffnen. Ich erinnere mich daran, dass ich mit einem Gefühl
der Zuversicht geschrieben habe, dass die Medien über die neue Studie
berichten würden und die Panik ein Ende hätte.
Ich lag absurd falsch, ebenso wie mein vier Monate altes Gefühl,
dass all diese Dinge am Montag aufhören würden. Der Psychiater, den ich
in New York traf, hatte Recht: Die Droge der Angst war
bereits in das öffentliche Bewusstsein eingedrungen. Dort
angekommen, dauert es sehr lange, bis man sich erholt. Dies wird durch
die Politik, die die Bestie der Angst nur noch mehr gefüttert hat,
noch viel schlimmer gemacht. Dies ist die am stärksten politisierte
Krankheit in der Geschichte, und dies hat nichts dazu beigetragen, sie
in den Griff zu bekommen, und hat alles noch viel
schlimmer gemacht.
Während dieser Tortur haben wir gelernt, dass wir trotz unserer Technologie, unseres Wissens und unserer Geschichte des Aufbaus von Wohlstand und Frieden nicht klüger sind als unsere Vorfahren und in mancher Hinsicht nicht einmal so klug wie unsere Eltern und Großeltern. Die Erfahrung mit COVID hat einen Massenrückfall in den Aberglauben und die Panik ausgelöst, die sporadisch die menschliche Erfahrung vergangener Epochen geprägt haben.
Irgendwann kamen und kommen die Menschen zur Besinnung, aber es ist, wie Mackay sagte: „Die Menschen werden in Herden verrückt, während sie ihre Sinne nur langsam wiedererlangen, und zwar einen nach dem anderen“.
Quelle: https://www.theblogcat.de/uebersetzungen/irrsinn-10-07-2020/