Warum tötet das Coronavirus in Italien so viele Menschen? – StrugglesInItaly

Eure Gesundheit ist weniger wert als unsere Profite

Lasst uns ein paar Dinge klarstellen: das Coronavirus tötet Tausende von Menschen in Italien aufgrund von Ungleichheit, der Privatwirtschaft und rücksichtsloser Missachtung des Lebens der Arbeiter.

Das Coronavirus ist auf der ganzen Welt verbreitet, aber es besteht kein Zweifel daran, dass ein Land stärker getroffen wurde als jedes andere: Italien. Während die Zahl der Toten die Marke von 12.500 überschritten hat, werden Videos von italienischen Bürgermeistern, die wegen Menschen, die mit ihren Hunden auf der Straße spazieren gehen oder joggen, ausflippen viral. „Italiener können Regeln nicht befolgen“, „Italiener trinken schmutziges Wasser“, „Italiener haben ein öffentliches Gesundheitssystem – und damit ein Gesundheitssystem der Dritten Welt“: Sie können diese Art von Aussagen in allen sozialen Medien lesen.

Es geht nicht nur um Rassismus: Italienische Medien und Politiker verbreiten auch die Vorstellung, dass eine Person, die alleine in einem Park spazieren geht, für die Ansteckung und den Tod vieler Menschen verantwortlich ist, was zu einer fortschreitenden Militarisierung der Gesellschaft und unglaublich harten Maßnahmen gegen diejenigen führt, die sich nicht so verhalten, wie die Polizei es gern hat. Wir sprechen hier von Menschen, die von Soldaten bedroht und der Polizei gemeldet wurden, weil sie in 500 m Entfernung von ihrem Zuhause unterwegs waren, allein; oder von Menschen, die umzingelt und geschlagen wurden, weil sie (wieder allein) auf einer leeren Straße joggten. Die Regierung hat kürzlich die Geldbuße für „Nichteinhaltung der Richtlinien“ auf den drastischen Betrag von 3000 € angehoben.

Die Realität erzählt jedoch eine andere Geschichte. Die Geschichte über ein Land, das nach Jahrzehnten der Kürzungen der Sozialausgaben und der Auswanderung in Trümmern liegt, das von Marionetten regiert wird, die willfährig die Interessen der Konzerne verfolgen.

Wir werden die fünf Gründe, warum so viele Menschen in Italien sterben, untersuchen; in der Hoffnung, dass dies Lesern aus aller Welt dabei hilft, so zu handeln, dass ihre Regierungen nicht dieselben Fehler machen und Leben gerettet werden können.

– Das demografische Problem

– Der grimmige Sensenmann namens Austerität

– Privatisierung, Privatisierung, Privatisierung

– Die Verantwortung der Konzerne

– Die Rolle der Umweltverschmutzung

Das demografische Problem

Italien ist mit einer Bevölkerung in der 35% über 65 Jahre alt ist das zweitälteste Land der Welt. Liegt das daran, dass wir gut essen und ein schönes Leben führen und jeden Tag mit Freunden auf einer schönen Piazza Aperitif trinken? Nein, tatsächlich liegt es daran, dass es keine Kinder gibt. Zu Beginn des Jahres 2020 kamen auf 100 Todesfälle in Italien nur 67 Neugeborene. Vor zehn Jahren waren es 96 pro 100 Todesfälle. Dies ist die niedrigste Rate seit der Gründung des italienischen Staates im Jahr 1861, als mit der Datenerfassung begonnen wurde. Die italienische Bevölkerung nimmt jährlich um 116.000 Menschen ab.

Sind Italiener nicht bereit, Babys zu bekommen, weil sie „wählerisch“ sind und lieber bei Mamma zu Hause bleiben, als eine eigene Familie zu gründen? Wieder nein. Es gibt keine Babys, weil junge Paare sie sich nicht mehr leisten können. Laut Istat verdient die Hälfte der italienischen Arbeitnehmer weniger als 11 € pro Stunde und 6% weniger als 7,50 € pro Stunde. Die Mehrheit, der unterbezahlten Arbeitnehmer ist jung, zusätzlich tragen die jungen Arbeitnehmer die Bürde zeitlich befristeter Arbeitsverträge, ohne Schutz und hinzu kommen rekordtiefe Sozialleistungen.

Infolgedessen haben 120.000 Italiener 2019 das Land verlassen, 3.000 mehr als 2018. 5,3 Millionen Italiener leben im Ausland, eine Million mehr als noch vor 8 Jahren, und die tatsächlichen Zahlen sind wahrscheinlich viel höher, weil viele Migranten sich einfach nicht ummelden. Die meisten Migranten sind jung und viele sind Ärzte. 52% der europäischen Ärzte, die ihr Land verlassen, sind Italiener.

Hieraus resultiert eine höhere Prävalenz älterer Menschen in der Gesamtbevölkerung, die sich auf die Wirtschaft und das Gesundheitssystem auswirkt, das im Fall einer Epidemie, die für die älteren Menschen gefährlicher ist als für alle anderen, nicht in der Lage ist, die fragilsten zu versorgen. Alte Ärzte, Fabrikarbeiter, LKW-Fahrer, Verkäufer usw. müssen weiterarbeiten und werden deshalb krank. Hierbei ist zu beachten, dass das Mindestrentenalter in Italien auf 67 Jahre angehoben wurde.

Der grimmige Sensenmann namens Austerität

Viele denken, dass die Austeritätsrmaßnahmen in Italien eine Folge der Krise von 2008 sind, aber tatsächlich begann unser Land Anfang der neunziger Jahre, die Sozialausgaben stark zu senken. In den 1980er Jahren hatte Italien 500.000 Krankenhausbetten, heute sind es nur noch 200.000. Wir haben 3,2 Krankenhausbetten pro 1000 Menschen, während Frankreich 6 und Deutschland 8 hat. 1980 gab es 922 Intensivbetten für 100.000 Menschen, 2015 waren es nur 275. Die Anzahl der Krankenhäuser im Jahr 1998 betrug 1381, während es jetzt gerade mal 1000 sind. 200 wurden in den letzten 10 Jahren geschlossen. In der Zwischenzeit ist die Bevölkerung älter und kranker geworden.

Zwischen 2009 und 2018 wurden 37 Milliarden Euro an Gesundheitsausgaben gekürzt, was zu einem Mangel an Ärzten, Krankenschwestern, Sozialarbeitern und medizinischer Versorgungsstruktur führte. Zwischen 2009 und 2017 wurden 6,2% der Arbeitsplätze von Ärzten und Krankenschwestern abgebaut (46.500 Personen). Maßnahmen, die unser Gesundheitssystem ins Wanken gebracht haben. Personalmangel – die Regierung versucht gerade, mitten in der Pandemie Abhilfe zu schaffen, indem sie Tausende von Freiwilligen unter frisch graduierten und sogar pensionierten Ärzten und Krankenschwestern anstellt.

Pro-Kopf-Ausgaben im Gesundheitswesen in verschiedenen Ländern. Quelle: Eurostat

Der Wahnsinn, alte Ärzte in Krankenhäusern einzusetzen, mit Patienten, die von einer Krankheit betroffen sind, die speziell ältere Menschen tötet, liegt auf der Hand. Aber viele folgen dem Ruf, mit den offensichtlichen, tragischen Folgen, immer noch. Ein 73 Jahre alter Arzt starb vor einigen Tagen am Coronavirus, nachdem er sich freiwillig gemeldet hatte, um zu helfen.

Privatisierung, Privatisierung, Privatisierung

Als ob die Kürzungen der Sozialausgaben nicht genug wären, wurde das italienische Gesundheitssystem in den letzten Jahrzehnten weitgehend privatisiert. Das italienische Gesundheitssystem besteht zu 51,80% aus öffentlichen und zu 48,20% aus privaten Krankenhäusern, die öffentliche Dienstleistungen erbringen und diese dann vom Staat erstattet bekommen. 1998 lag das Verhältnis bei 61,3% zu 38,7%.

Die Regierung konnte nun nur schüchtern um ihre Hilfe bitten. Ein Hilferuf, den einige private Krankenhäuser schamlos nutzten, um noch mehr Geld zu verdienen oder zumindest vermieden, selbst etwas dazu zu steuern. Während sich das öffentliche Gesundheitswesen in einer unerträglichen Notlage befindet, besaß das San Raffaele-Krankenhaus, eines der größten Krankenhäuser in Mailand, die Dreistigkeit, Spenden für den Bau einer neuen Intensivstation in seinem Fitnessstudio einzufordern. Die San Raffaele Klinik ist im Besitz eines 1,65 Milliarden Euro schweren Konzerns.

Infolgedessen ist das italienische Gesundheitssystem der großen Herausforderung, die sich ihm stellt, bei weitem nicht gewachsen. In den sozialen Medien berichten Hunderte von Menschen, dass Krankenhäuser sich weigern, sie zu testen und aufzunehmen, es sei denn, sie können nicht mehr atmen. Wenn jedoch bereits Atemprobleme bestehen, ist es oft schon zu spät noch einen Krankenwagen zu rufen. Eine 48-jährige Frau aus Brescia ist zu Hause am Coronavirus gestorben, und es sterben Menschen, ohne jemals von einem Arzt untersucht worden zu sein.

Hunderte von Menschen teilen ihre Erfahrungen in den sozialen Medien mit, die immer die gleichen sind: sie haben alle typischen Symptome – hohes Fieber, Husten, Atemnot – und rufen ihren Arzt und die nationale Coronavirus-Hotline an und fragen nach einer Maske und medizinischer Behandlung, und die Antwort lautet oft: „Keine Maske, bleib zu Hause, ruf einen Krankenwagen, wenn du nicht atmen kannst.“

Selbst Angestellte im Gesundheitswesen (einschließlich Ärzte und Krankenschwestern) werden nicht getestet, auch wenn sie mit Covid-19-Patienten Kontakt hatten, es sei denn, sie entwickeln Symptome. Untersuchungen zeigen jedoch, dass der Virus übertragen werden kann, auch wenn die Symptome noch nicht aufgetreten sind oder nie auftreten werden. Aufgrund der komplett nicht stattfindenden Prävention vor Ansteckung in Krankenhäusern erlebt Sassari auf Sardinien einen Ausbruch von Covid-19 mit 90% infizierten Ärzten und Krankenschwestern.

Die Situation ist so kritisch, dass der Leiter des Zivilschutzes, Angelo Borrelli, zugab, dass die tatsächlichen Ansteckungszahlen wahrscheinlich zehnmal höher sind, als die bekannt gegebenen. Sogar viele seiner Mitarbeiter der Führungsebene wurden positiv getestet.

Die Verantwortung der Konzerne

In Bergamo hat die Tragödie die katastrophalsten Ausmaße angenommen. Särge mit Opfern des Coronavirus werden mit Militärfahrzeugen abtransportiert, um andernorts eingeäschert zu werden, da die lokalen Kapazitäten nicht ausreichen. Ein erschreckendes Video zeigt die Anzahl der Todesanzeigen in der lokalen Zeitung.

Das nahe gelegene Seriana-Tal wurde inzwischen, zusammen mit einigen Gemeinden neben Lodi (darunter Codogno) und dem kleinen Dorf Vo ‚Euganeo, in der Region Venetien, als dritter Ausbruchspunkt der Epidemie festgestellt, die Ende Februar begann und derzeit täglich Hunderte von Italienern tötet,. Aber im Gegensatz zu den beiden anderen wurde das Seriana-Tal nicht zur „roten Zone“ erklärt und gesperrt – obwohl einige der hier gelegenen Städte in weniger als einem Monat fast genauso viele Bürger verloren haben wie im gesamten Jahr 2019. Warum?

Anzahl der Todesfälle in Bergamo pro Jahr. Quelle: Isaia Invernizzi https://twitter.com/EasyInve/status/1243467630721273856/photo/1

Wegen der Wirtschaft. Wie Journalisten herausfanden, wollten sowohl die Regionalverwaltung wie auch das Istituto Superiore di Sanità (die höchste italienische Gesundheitseinrichtung) das Gebiet Anfang März sperren, doch die Regierung ließ sich Zeit. Confindustria – der Generalverband der italienischen Industrie – lehnte die Maßnahme ab, um die Interessen der vielen Fabriken des Tals zu schützen, und so wurde die Ausgangssperre nicht verhängt. Die Fabriken arbeiteten weiter und die meisten von ihnen tun es nach wie vor, zusammen mit der Epidemie.

Aufgrund des Drucks der Massen und dem viel schwächeren Druck der großen Gewerkschaften (CGIL, CISL und UIL – durch eine Reihe wilder Streiks zum Handeln gezwungen) hat die 5Sterne-PD-Regierung beschlossen, gegen die Unternehmen vorzugehen, indem sie offenbar die Schließung aller nicht systemrelevanten Firmen anordnete. Tatsächlich aber haben sie die Last der Entscheidung, was systemreleant ist und was nicht, den Unternehmen überlassen, die sich ihre Bedeutung für die nationalen Bedürfnisse einfach selbst bescheinigen können und weiterarbeiten. Die großen Gewerkschaften drohen nun schüchtern mit lokalen, sektorspezifischen Streiks, aber vorerst ohne Resultate.

Die Rolle der Umweltverschmutzung

Wie viele Untersuchungen zeigen, ist das Risiko einer Viruspneumonie in Gebieten mit hoher Luftverschmutzung höher. Und die Po-Ebene, in der die meisten Krankheits- und Todesfälle auftreten, weist die schlimmste Luftverschmutzung in Europa auf. Es ist wahrscheinlich, dass Luftverschmutzung, insbesondere PM10-Partikel, eine Rolle bei der Übertragung des Virus spielt und möglicherweise sogar dazu beiträgt, dass Menschen, insbesondere ältere Menschen, anfälliger für Coronaviren werden. Und selbst wenn die Umweltverschmutzung in den letzten Wochen aufgrund der Ausgangssperrung drastisch zurückgegangen ist, bleiben ihre Schäden in der Lunge bestehen.

Umweltschutzorganisationen fordern seit langem Maßnahmen zur Verringerung der Umweltverschmutzung im Tal zu ergreifen, niemand hörte zu und die Situation hat sich in den letzten Jahren noch verschlechtert.

Schlussfolgerungen

Die Gründe, warum Italien mit Tausenden von Todesfällen durch Coronaviren konfrontiert ist, sind größtenteils durch Menschen verursacht und könnten durch Entscheidungen, die nicht nur von Profitinteressen geleitet werden, vermieden werden,. Wie viele Leben könnten gerettet werden, wenn es in unserem Land mehr Gleichberechtigung gäbe? Wer ist für die Katastrophe, die wir erleben, verantwortlich?

Übersetzt von freiesicht.org

Quelle:https://libcom.org/blog/why-coronavirus-killing-so-many-people-italy-31032020