Am 18. Juni diesen Jahres wurde der 54-Jährige Mohamed Idrissi in Bremen Gröpelingen von einem Polizisten ermordet. Der Fall wurde durch ein online veröffentlichtes Video der Tat medial bekannt. Unsere Autorin Leila Aadil hat Nadia und Aicha, Schwägerin und Tochter des Opfers zu dem Fall befragt. Die Gesprächspartnerinnen haben die Fragen gemeinsam beantwortet.
Nach den tödlichen Schüssen auf Mohamed Idrissi wurde bekannt, dass er an einer psychischen Erkrankung litt. Wie hat sich seine Krankheit ausgewirkt? Und wie behaltet ihr Mohamed in Erinnerung?
Mohamed war ein liebevoller, ruhiger und introvertierter Mann. Er lebte zurückgezogen, das heißt, er verließ seine Wohnung nur sehr selten und trotzdem hatte er ein gutes Verhältnis zu seinen Nachbarn. Diese berichteten nur Gutes über ihn. Er war sehr kinderlieb und hat den Nachbarskindern immer Bonbons oder einen Euro für Süßigkeiten gegeben. Leider litt Mohamed an psychischen Erkrankungen wie zum Beispiel einer paranoiden Schizophrenie. Er lebte in ständiger Angst, von irgendjemandem getötet zu werden. Außerdem entwickelte er im Zuge dessen einen Reinlichkeitsdrang, der sich durch ständiges Reinigen der Fenster und der kompletten Wohnung, inklusive Wände, deutlich machte. Des Weiteren machte sich seine Krankheit darin bemerkbar, dass er uns, seine eigene Tochter und Familie, des Öfteren nicht erkannte und sich vor uns erschrak.
Wir als Familie und seine, für ihn sprechenden, solidarischen Freunde, bleiben mit gebrochenem Herzen zurück.
Was hat sich am 18. Juni zugetragen?
Am Donnerstag, den 18. Juni 2020, wurde Mohamed, am helllichten Tag vor seiner Wohnung in Bremen, Gröpelingen bei einem fehleingeschätzten Polizeieinsatz erschossen. Ursprünglich sollte eine Kellerräumung stattfinden, da sich durch seinen Reinlichkeitsdrang Schäden in diesem zugetragen haben. Allerdings waren vier bewaffnete Beamte vor Ort, die ihre Waffen schon auf ihn gerichtet haben noch bevor er auf irgendeine Weise bedrohlich wirkte. Es war der Polizei bekannt, dass Mohamed psychisch krank war und trotzdem war keiner seiner Betreuer oder der sozialpsychiatrische Dienst vor Ort. Bei der Polizei entstand der unnötige Wille zur unmittelbaren und eigenständigen Lösung der Situation und diese schien einzig und allein der Griff zur Waffe zu sein. Nachdem er von den Beamten provoziert und mit Pfefferspray besprüht wurde, floh er aus Angst in Richtung eines Beamten und wurde von ihm zwei Mal in die Brust geschossen, woraufhin er starb.
Inwiefern glaubt ihr hat das Verhalten der Vermietungsgesellschaft Espabau zu Mohameds Tod beigetragen?
Der Vermietungsgesellschaft war Mohameds psychischer Zustand bekannt. Inwieweit diese mit zur Verantwortung gezogen werden können, bleibt erst einmal fraglich. Dies hätten wir gerne lückenlos aufgeklärt. Leider fehlen uns dazu jegliche Informationen. Die Firma Espabau ist weder auf uns zugekommen, noch haben sie sich unseren Wissens nach zur ganzen Angelegenheit geäußert.
Wie bewertet ihr den Einsatz der Polizei?
Der komplette Einsatz war eine einzige Katastrophe. Ein sogenannter Fehleinsatz. Man hat einen psychisch kranken Mann mit Pfefferspray besprüht und zu viert in einem hysterischen Ton auf ihn eingeredet. Man hat eine Eskalationssituation provoziert. Was erwartet man von einem psychisch kranken Menschen nach so einem Verhalten?
Jeder der schon einmal in Kontakt mit Pfefferspray gekommen ist, weiß dass dieses sehr starke Auswirkungen hat und man die Sicht verliert. In unseren Augen hat er niemanden attackiert, er ist geflohen. Geflohen vor einer für ihn bedrohlichen Situation. Außerdem waren die dort anwesenden Polizisten mit der kompletten Situation überfordert. Sie waren, wie man augenscheinlich in dem Video erkennen kann, kein Team. Zu jung, zu unerfahren und überhaupt nicht zuständig.
Wie hätte die Tat verhindert werden können?
Die Anwesenheit der Polizei war völlig falsch koordiniert, diese hätten unserer Meinung nach gar nicht da sein dürfen. Zunächst hätten primär die Betreuer vor Ort sein müssen. Menschen, die ihn verstehen und mit ihm umgehen können. Dazu hätte der sozialpsychiatrische Dienst vor Ort sein sollen. Diese hätten die Situation anständig bewältigen können, da sie speziell für solche Menschen und Fälle ausgebildet wurden. Da aber die Polizei schon vor Ort war, hätten sie großen Abstand wahren, in einem ruhigen, gemäßigten Ton mit ihm sprechen und auf die oben genannten Fachleute warten müssen.
Nach diesen Verhaltensmustern, wäre die Situation gar nicht erst eskaliert, vielmehr wäre diese dann deeskaliert. Aufgrund des Fehlverhaltens der Beamten war Mohamed aber schon aufgewühlt und selbst danach hätte man andere Mittel wie simple Hilfe der Nachbarn annehmen können, welche vergeblich versucht haben, die Beamten davon zu überzeugen, dass sie ihn verstehen und beruhigen könnten. Doch dieses Vorhaben wurde maßlos ignoriert, stattdessen reagierte man mit Gewalt. Zuletzt hätte man im absoluten Notfall andere Mittel wie z.B. den Einsatz von Schildern oder Netzen zur Überwältigung nutzen können.
Seht ihr im Tathergang Parallelen zu anderen Fällen, in denen Menschen von der Polizei ermordet wurden?
Wir sehen Parallelen zu so unendlich vielen (über 160) von der deutschen Polizei getöteten psychisch kranken und/oder Menschen of Colour. An dieser Stelle erinnern wir an Laya-Alama Condé, der mittels Brechmitteleinsatz von der Polizei getötet wurde. Das war Mord! Oury Jalloh, welcher in seiner Zelle fixiert und angezündet wurde. Das war Mord! Maria B., eine ebenfalls psychisch kranke Frau wurde in Berlin-Friedrichshain von einem Polizisten erschossen. Auch das war Mord! Dies waren nur ein paar Beispiele, um deutlich zu machen, dass Mohameds Fall leider nicht der erste war.
Wofür kämpft Justice for Mohamed?
Das Bündnis JusticeForMohamed, setzt sich aus der Familie von Mohamed und sozial engagierten Gruppen und Menschen zusammen. Zusätzlich haben wir als Familie Dr. Jan von Lengerich als Rechtsbeistand hinzugezogen. Dieser kämpft mit uns auf rechtlicher Ebene. Wir wollen in erster Linie Gerechtigkeit für Mohamed, das heißt wir fordern eine lückenlose Aufklärung seines Falls.
Wir fordern, dass Verantwortung übernommen wird und Schuldeingeständnisse seitens der Polizei bzw. der Verantwortlichen folgen. Der strukturelle Rassismus innerhalb der Polizei muss erkannt und thematisiert werden. Außerdem fordern wir eine höhere Sensibilisierung im Umgang mit psychisch Erkrankten seitens der Polizei. Diese sollte viel mehr auf die Thematik in Aus- und Fortbildungen eingehen, da bekanntlich ein deutliches Defizit besteht. Unsere Kampagne richtet sich zunächst an die Öffentlichkeit. Uns ist bewusst, dass solche Fälle des Öfteren unter den Tisch gekehrt werden, weshalb wir mittels unserer Medienpräsenz, den Demonstrationen und Kundgebungen Aufmerksamkeit erregen, damit auch der letzte Verantwortliche mitbekommt, dass wir nicht schweigen werden. Statistisch gesehen werden Fälle, in denen Polizisten zu Unrecht morden zum größten Teil als Notwehrhandlungen dargestellt, weshalb die Anklagen relativ schnell fallen gelassen werden. Wir haben uns allerdings zum Kampf gerüstet und werden weder schweigen noch aufgeben bis wir Gerechtigkeit erfahren.
Wie kann man euch unterstützen?
Wir benötigen die Unterstützung von jedem, der nicht mehr länger bereit ist wegzuschauen. Menschen, die es leid sind, immer wieder mit anzusehen, wie psychisch kranke Menschen of colour oder Schwarze Menschen von der Polizei, den vermeintlichen „Freunden und Helfern“, aufgrund ihrer Hautfarbe erschossen werden.
Wir wünschen uns Solidarität. Seid mit uns laut, schaut nicht weg und kommt mit uns auf die Straßen. Teilt und folgt uns auf unseren Social Media Accounts, welche alle unter dem Namen @justiceformohamed zu finden sind, damit auch der letzte der Verantwortlichen, die Angelegenheit eben nicht unter den Tisch kehren kann.
Wir sind vom System allein gelassen worden. Wir stehen mit unglaublich hohen, aus dem Mord resultierenden Kosten da. Diese ergeben sich unter anderem aus den Beerdigungskosten, Kosten für eine unabhängige Obduktion und Rechtsanwaltskosten. Wir haben ein Spendenkonto eingerichtet und hoffen, dass ihr uns auch bei diesem Kampf zur Seite steht.
# Bildquelle: Initiative JusticeForMohamed