Am 15. Januar 1919 wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von rechten Freikorps erschossen. Der Drahtzieher des Doppelmords war der Offizier Waldemar Pabst – ein skrupelloser Konterrevolutionär, der während des NS-Regimes zum Wehrwirtschaftsführer aufstieg.
Waldemar Pabst ist eine Figur mit einer ungeheuerlichen Biografie, deren Einfluss auf die Politik des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts jahrelang deutlich unterschätzt wurde. Er war ein Vertreter des im halbabsolutistischen Kaiserreich aufstrebenden Bürgertums, welcher sich ehrgeizig der inhumanen Zurichtung in der Kadettenanstalt unterwarf.
Als Offizier suchte er im »Augusterlebnis 1914« der preußischen Militärkaste seine Erfüllung. Als dies in den Stahlgewittern des vom imperialistischen Deutschland ausgelösten Weltkrieges – des ersten industriellen Massakers der Menschheit – endete, kam es im November 1918 zum Aufstand der proletarischen Massen in Deutschland und zur Revolution. Pabst sah seinen Monarchen, seine Armee, ja seine Welt untergehen.
Als Reaktion darauf baute er die Garde-Kavallerie-Schützen-Division, eine kaiserliche Elitetruppe, in ein hochaggressives präfaschistisches Freikorps um und entwickelte sich zum Anführer der Konterrevolution. Der Aufstieg des kleinen, eitlen Mannes, dem die Novemberrevolution die anstehende Beförderung zum Major verdarb, wäre aber undenkbar ohne die führenden Männer der deutschen Sozialdemokratie. Sie hatten langsam, aber sicher ihre Partei von einer revolutionären hin zu einer konterrevolutionären gesteuert.
Die Funktionsträger der Gewerkschaften und der Partei entwickelten sich spätestens 1913 zu willigen Helfern einer raumgreifenden Kriegspolitik des Großbürgertums, der Kartelle, Oligopole und Militärkaste. Ihr Wille, der Stigmatisierung als »vaterlandslose Gesellen« durch besonders deutlich gezeigte Vaterlandsliebe zu entgehen, um innerhalb der aufstrebenden nervösen Großmacht in gesicherte Machtpositionen zu gelangen, paarte sich hier mit preußisch-autoritären Fixierungen. Das Zusammentreffen von Waldemar Pabst und dem zivilen Oberbefehlshaber Gustav Noske (SPD) der postkaiserlichen Regierung steht dafür besonders beispielhaft. Ihre Zusammenarbeit, sozusagen als Ausführungsduo, des am 10. November 1918 geschlossenen konterrevolutionären Bündnisses von SPD-Führung und Oberster Heeresleitung, gründete auf ähnlichen Fixierungen.
Pabst wie Noske stehen aber auch für die Einführung des Terrors in die deutsche Innenpolitik im März 1919. Ihre Ursprünge haben diese Handlungszwänge in der Entwicklung der wilhelminischen Kriegspolitik. Von keiner bürgerlichen Revolution, von keinem Liberalismus gebremst und von der Aufklärung nur gestreift, schuf der preußisch-imperiale Militarismus sehr früh einen auf Vernichtung gerichteten Kriegsbrauch, der spätestens mit dem Völkermord an den Herero und Nama in Afrika begann, sich im Ersten Weltkrieg mit Massakern an der Zivilbevölkerung Belgiens entlud und nun, da es im November 1918 zur Revolution kam, gegen die eigenen »Genossen« an der Basis wandte.
Die Arbeiter, die aufbegehrten, waren nun plötzlich keine Genossen mehr. Sie wurden wie andere »Rassen« aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen. Aufrührer waren damit grundsätzlich zum Abschuss freigegeben. Ab 1919 als Reaktion auf den Januaraufstand in Berlin beteiligte sich auch die Führung der SPD an solcherart Ausgrenzung. Auch die SPD-Regierung war überzeugt auf keinerlei Kriegsrecht mehr achten zu müssen. Dies hat wie kein anderer Waldemar Pabst zusammen mit Gustav Noske – inzwischen Reichswehrminister – in den Terrorbefehlen vom März 1919 vorangetrieben.
Pabst war der Initiator der Vernichtungspolitik gegen die Unterschichten. Er konnte dies nur, weil er in Noske einen Befehlshaber fand, der ähnlich wie er dachte und fühlte. Noske wiederum wurde von der Führungsmannschaft der SPD, insbesondere Friedrich Ebert, Wolfgang Heine und Gustav Bauer unterstützt, hinter denen andere SPD-Bürokraten nicht zurückstehen wollten.
Als Noske im Reichstag die von ihm wie von Pabst und dem preußischen Militarismus gleichermaßen gebrauchte Formel »Not kennt kein Gebot« als seine völkerrechtswidrige Handlungsschnur enthüllte und mit dem Zusatz unterstrich: »Da gelten Paragraphen nichts, sondern da gilt lediglich der Erfolg«, vermerkte das Protokoll stürmische Begeisterung bei der Sozialdemokratie und bei den Rechten. Noske, der sogar Jahre nach diesen Massakern Mördern vor Gericht den Freispruch verschaffte, wandte jenes Prinzip des von Pabst übernommenen Vernichtungskrieges ohne Wenn und Aber gegen Matrosen, Arbeiter, Soldaten, Intellektuelle und nicht zuletzt auch die eigene Basis an. Das Ergebnis: Ein seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht da gewesener Krieg gegen die Zivilbevölkerung, mit tausenden Toten und die Demoralisierung der revoltierenden Unterschichten.
In diesem Zusammenhang muss Pabsts bekannteste und folgenschwerste Tat gesehen werden, die Ermordung der Revolution durch die Liquidierung ihrer Köpfe, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, im Januar 1919. Die Billigung ihrer Ermordung direkt durch Noske und indirekt durch Ebert, manifestiert sich allein schon in der konsequenten Nichtverfolgung durch die von der SPD eingesetzte Militärjustiz. Noske billigte Pabsts Tat zweifach, indem er sie, ohne zu befehlen, wissentlich zuließ und indem er durch eigene Unterschrift in eigener Verantwortung die Täter laufen ließ. Beide Ereignisse, Pabsts direkter Einfluss auf das höchste Maß an Terror, den Wilhelm II immer nur angedroht, den aber die SPD-Oligarchie hatte umsetzen lassen, wie auch die Ermordung der Revolutionsführer markieren die Geburtsstunde des deutschen Faschismus.
Hier ist Pabsts Wirkung als 1. Stabsoffizier des größten Freikorps gar nicht hoch genug einzuschätzen. Er war derjenige, der der Sozialdemokratie den Vernichtungsschlag gegen die Revolution einflüsterte. Somit beeinflusste er, aufgrund seines – verdeckten – »maßgeblichen militärischen Einflusses«, so Noske, für einen kurzen Moment die deutsche, wenn nicht gar europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Als aber die Revolution vernichtet war, löste Pabst sich im Sommer 1919 aus dem Pakt mit der SPD, der für ihn immer nur einer auf Zeit gewesen war. Die SPD-Führung versagte in seinen Augen, da sie weder den Versailler Vertrag verhindern noch das Versprechen auf eine durchmilitarisierte präfaschistische Gesellschaft, mit einer Berufsarmee als Kern und einer Millionenschar von Paramilitärs, einlösen konnte. Die Entente ließ dies schlicht und einfach nicht zu. Daher versuchte Pabst, vor allen anderen Militärs, Noske als Diktator auf seine Seite zu ziehen. Der war dem nicht abgeneigt, wusste aber, dass es dann zu neuen Aufständen der Arbeiterklasse kommen würde und versagte Pabst die Gefolgschaft.
Dies war für den Hauptmann der Anlass zu einem Putschversuch im Juli 1919, der nicht gelang, weil er ohne Verabredung mit dem ebenfalls putschwilligen General Lüttwitz vom Zaun gebrochen wurde. Pabst nahm seinen Abschied, die Generalstabsuniform und der Majorstitel blieben ihm deswegen versagt und er zeigte sich entsprechend verbittert.
Er sammelte nun als Organisator der Nationalen Vereinigung, bezahlt von Teilen der Großindustrie, die zuvor schon die Freikorps finanziert hatte, alle Kräfte gegen die sozialdemokratisch dominierte Regierung. Weil jedoch General Lüttwitz im März 1920 eigenmächtig vorpreschte und putschte, obwohl Pabst die Vorbereitungen noch nicht abgeschlossen hatte, verlor dieser die Nerven und floh. Diese Flucht, dieser Moment der Schwäche, rettete Noske, Ebert und die Regierung vor der Verhaftung und schwächte den als Kapp-Putsch in die Geschichte eingegangen Staatsstreich entscheidend. Pabst hatte in einem wichtigen Moment versagt. Eine zweite Chance bekam er nicht.
Im größten deutschen Generalstreik ging der Putsch nach vier Tagen unter, ließ aber der Führungsoligarchie der SPD bei entscheidender Schwäche der Gewerkschaftsführung und der linken USPD und der KPD die Chance, die von Pabst praktizierten Methoden der rechtswidrigen Massenerschießungen weiter in die Tat umzusetzen. Geheimverordnungen, die man als Gesetze nicht gewagt hatte vorzulegen, wurden aus der Schublade geholt und nicht gegen die Putschisten, sondern die Aufständischen in Mitteldeutschland und vor allen Dingen im Ruhrgebiet angewandt, die als Reaktion auf den Rechtsputsch nun endlich die Umsetzung des SPD-Parteiprogramms von 1891 forderten: Abschaffung des Militarismus und Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Zerschlagen wurde dies in Massakern durch die Freikorps, die von derselbe SPD-dominierten Regierung beauftragt wurden, gegen die sie noch Tage zuvor geputscht hatten.
Pabst aber musste als gescheiterter Ober-Putschist erst nach Bayern und dann nach Österreich fliehen, wo er sofort half die faschistischen Heimwehren aufzubauen. Später kehrte er nach Deutschland zurück, wurde Wehrwirtschaftsführer im Nazi-Deutschland und endete, nie von der deutschen Justiz verfolgt, in der BRD als steinreicher Waffenhändler.
Klaus Gietinger ist Filmemacher und Autor zahlreicher Bücher. Von ihm erschienen sind unter anderem »Kapp-Putsch: 1920 – Abwehrkämpfe – Rote-Ruhrarmee« (Schmetterling Verlag, 2020) und »Eine Leiche im Landwehrkanal. Die Ermordung Rosa Luxemburgs« (Edition Nautilus 2009).
Quelle: https://jacobin.de/artikel/mord-rosa-luxemburg-karl-liebknecht-waldemar-pabst/