Auf der globalen Rüstungsschau Idex in Abu Dhabi kauft Rheinmetall das erste in den Emiraten hergestellte Luftabwehrraketensystem.
Während Milliarden Menschen unter dem Coronavirus sowie den sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie leiden, kamen in der vergangenen Woche die größten Produzenten und Käufer der Weltrüstungsindustrie im Golfemirat Abu Dhabi zusammen. Auf der Idex – International Defence Exhibition – stellten 900 Firmen auf zwölf Hallen verteilt auf einer Gesamtfläche von über 35 000 Quadratmetern ihre Waren aus. Über 70 000 Besucher kamen zu dem »Fünf-Tages-Spektakel«, wie die emiratische Zeitung »The National« titelte. Die Beliebtheit der Idex zeige, dass »leise sprechen, aber einen großen Stock zu tragen, so wichtig ist wie eh und je.«
Die üblichen Differenzen, die normalerweise die weltpolitische Bühne bestimmen, waren auf der Idex wie verpufft. Offiziere und Politiker aus aller Welt trafen sich zu einer großen Einkaufstour. Die französische Verteidigungsministerin Florence Parly war genauso anzutreffen wie der tschetschenische Präsident Ramzan Kadyrow oder der sudanesische General Hamdan »Hemeti« Dagalo, dessen berüchtigte Miliz Dschandschawid, (zu Deutsch: berittene Teufel) im Sudan für die Ermordung mehrerer Hunderttausend Menschen in den vergangenen Jahrzehnten verantwortlich gemacht wird. Kadyrow und Hamdan Dagalo liefen sogar bei der Eröffnungszeremonie neben dem Vize-Premierminister der VAE, Sheikh Mansour Bin Zayed Al Nahyan, ein. Vor Ort war zudem der »Hollywood-Star, Kampfsportler, Musiker und Buddhist« (»The National«) Steven Seagal, er fungierte als als Botschafter für die Streit-Gruppe, einer auf gepanzerte Fahrzeuge spezialisierten Rüstungsfirma.
Dass die Idex ausgerechnet in Abu Dhabi stattfindet, ist kein Zufall. Laut einem Bericht des Stockholm International Peace Institute hat sich der Kauf und Verkauf von Waffen am Golf um 61 Prozent erhöht – und das nur in den vergangenen fünf Jahren. Dahinter steckt eine Vision der neuen, jungen Generation von Sheikhs. Während der Gründervater der Emirate, Sheikh Zayed Bin Sultan Al Nahyan, sich bei Außenpolitik meist zurückhielt und eher auf die wirtschaftliche und infrastrukturelle Entwicklung setzte, hegen seine Nachfolger den Anspruch, militärisch und wirtschaftlich eine führende Rolle in der Region einzunehmen, allen voran Kronprinz und Oberbefehlshaber der Streitkräfte Mohamed bin Zayed bin Sultan Al-Nahyan.
Und so kommt es, dass die durch Erdölvorkommen immens reichen VAE derzeit zu einem der größten Waffenimporteure avancieren. Alleine während der Idex wurden Aufträge der VAE an diverse Firmen in Höhe von über 4,4 Milliarden Euro verkündet. Doch damit nicht genug: Man möchte zukünftig richtig mitmischen und durch die Entwicklung und Produktion eigener Güter seine Rolle auf dem Markt vergrößern, insbesondere bei hochmodernen Drohnen und Raketen. Auf der Idex ist das nun zum ersten Mal gelungen. Das in den VAE entwickelte und hergestellte Raketensystem Skynight wird ab sofort an den deutschen Rüstungsgiganten Rheinmetall geliefert, der es in sein eigenes Luftabwehrsystem »Skynex« integrieren will.
Offiziell gilt in Deutschland ein Rüstungsexportstopp an alle Länder, die sich im Jemen-Krieg beteiligen. Die VAE tun dies seit Kriegsbeginn 2015 und haben bei der dort aktiven Militärkoalition zur Bekämpfung der Huthi-Rebellen eine führende Rolle – obwohl man offiziell im Februar 2020 die Bodentruppen abgezogen hat.
Deutsche Waffen im Jemen-Krieg
Dass deutsche Waffen tatsächlich im Jemen-Krieg eingesetzt werden, hatte die Bundesregierung lange abgestritten. Eine Recherche des Senders Deutsche Welle mit mehreren Partnern aus dem Jahr 2019 ergab jedoch: Entgegen der Richtlinien finden sich in Deutschland hergestellte Waffen und Technologien im Jemen – in der Luft, auf See und an Land. So zeigen Aufnahmen eines Konvois sudanesischer Söldner – diese gelangen oft über die VAE in das Land – das im westdeutschen Burbach hergestellte Fernwaffensystem FeWas, auf einem amerikanischen Panzerfahrzeug montiert. Auch französische Panzer, die mit deutschen Motoren betrieben werden, sowie ein deutsches Minenjagdboot der Klasse Frankenthal wurden laut Deutsche Welle im Jemen gesichtet. Doch trotz aller Beweise: Eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Omid Nouripour (Grüne) ergab, dass man im Jahr 2020 weiterhin Exporte von Rüstungsgütern im Wert von über einer Milliarde Euro in die Region genehmigte, unter anderem nach Katar (305,1 Millionen Euro), in die Vereinigten Arabischen Emirate (51,3 Millionen) und nach Kuwait (23,4 Millionen).
Daran wird sich wohl in Zukunft wenig ändern. Dass im Jemen die derzeit wohl größte humanitäre Krise mit über 20 Millionen akut von Hunger bedrohten Menschen herrscht, spielt weder für die Bundesrepublik noch für die Golfstaaten eine Rolle. Denn die VAE haben durch all ihre Bemühungen, ein militärisches Schwergewicht zu werden, erreicht, dass sie als unverzichtbarer geostrategischer Partner des Westens gelten. Der im September 2020 unterschriebene Friedensvertrag zwischen den VAE und Israel verdeutlicht, wohin es gehen soll: Die Emirate und Saudi-Arabien werden in der Region die wichtigsten Verbündeten des Westens auf die man sich vor allem im Kampf gegen den Iran, dem man die Unterstützung der Huthis in Jemen vorwirft, verlassen kann. Dafür werden sie ungeachtet aller Menschenrechtsverletzungen im Jemen-Krieg ausgestattet – ob durch die Hintertür oder wie auf der Idex in aller Öffentlichkeit. Auch das in Saudi-Arabien und den VAE betriebene Atomprogramm sorgte bislang kaum für Reaktionen. Dabei hatte der saudische Kronprinz Bin Salman öffentlich behauptet, Atomwaffen seien »eine Option«. Dass man am Golf in der Lage ist, ambitionierte Projekte auch zu verwirklichen, daran besteht kein Zweifel. Parallel zur Rüstungsindustrie investiert man Milliarden in Bildung und Entwicklung. Das Ergebnis: Seit Anfang Februar umkreist die Sonde »Al-Amal« den Mars; die VAE haben mit ihrer Raumfahrtmission als erstes arabisches Land einen anderen Planeten erreicht.