Im Mai 2010 erfolgte der Rücktritt des damaligen Bundespräsidenten Köhler nach negativen Reaktionen auf eine unbedachte Äußerung. Er hatte sich nach einem kurzen Zwischenstopp in Afghanistan gegenüber einem Journalisten sehr behutsam dahingehend geäußert, dass militärische Einsätze auch notwendig sein könnten, um z.B. freie Handelswege zu sichern, damit keine wirtschaftlich negativen Rückwirkungen für Handel, Arbeitsplätze und Einkommen in Deutschland entstünden. Aus heutiger Sicht verwundert die damalige Empörung über eine inzwischen in der deutschen Politik gängige Sichtweise, wenngleich eher verklausuliert mit Floskeln wie die von „weltweiter deutscher Verantwortung“. Vertreter der deutschen Industrie sind hingegen eindeutiger. So äußerte sich BDI-Präsident Kempf am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz 2020 eindeutig mit Verweis darauf, dass 61% der Industriearbeitsplätze vom Export abhängig seien und deshalb die deutsche Exportwirtschaft durch militärische Aufrüstung geschützt werden müsse, um damit Handelswege militärisch abzusichern.[1]
Erheblich offener ist man diesbezüglich auch in den USA. Beispielsweise berichtet der Kommandant des in Stuttgart residierenden US-Regionalkommandos Africom seit einigen Jahren regelmäßig vor dem US-Senat über die von ihm geleiteten militärischen Aktivitäten in Afrika. So sprach auch Anfang 2020 General Townsend, der diesen Posten sechs Monate zuvor übernommen hatte, im öffentlichen bzw. veröffentlichten Teil seines Berichtes Klartext. Fettgedruckt hervorgehoben finden sich dort Sätze wie einleitend: „Ein sicheres und stabiles Afrika ist in unserem langfristigen Interesse.“ Oder bezüglich der Arbeit des Africom: „Die Operationen des U.S. Africa Command sind ein Schnäppchen für Amerika… eine kleine Prävention, die nur ein paar Cent pro Dollar unserer Verteidigungsausgaben ausmacht.“[2] Sehr ausschweifend wird in dem Text die wirtschaftliche Bedeutung Afrikas dargestellt, als Rohstofflieferant und Kontinent der Transportwege zu Land (Pipelines) und auf den angrenzenden Meeren. Um dies gegen zunehmende Konkurrenz von Russland und vor allem durch China sicherzustellen, seien deshalb militärische Anstrengungen (zum Schnäppchenpreis) notwendig.
Das Beispiel Afrika
Der afrikanische Kontinent zeigt sehr anschaulich die Ursachen der globalen Militarisierung. Wirtschaftliche Interessen haben dort nicht nur die früheren Kolonialmächte. Russland kann mit wachsender wirtschaftlicher Stärke anknüpfen an die Historie der Sowjetunion als Partner der Befreiungsbewegungen der Dritten Welt. Viel stärker kommt aber zunehmend China zur Geltung. Immer mehr afrikanische Länder sehen in China offenbar einen Partner für beidseitig vorteilhafte Wirtschaftsbeziehungen, vor allem für einen nachhaltigen Ausbau der eigenen Infrastruktur. Allerdings erfolgt dies auch mit der Konsequenz militärischer Präsenz. Seit 2017 wird am strategisch wichtigen Horn von Afrika in Dschibuti die erste chinesische Militärbasis im Ausland aufgebaut. Dort sind auch andere Nationen bereits militärisch vertreten: USA, Frankreich, Italien und Spanien.
Afrika ist der Kontinent, der nach wie vor wirtschaftlich ausgebeutet wird, aber vergleichsweise wenig wirtschaftliche Entwicklung vorzuweisen hat. Insbesondere in der Sahel-Zone nehmen die Konflikte seit Jahren zu. Die Ursachen sind komplex, jedoch ist unstrittig, dass die globale Erwärmung und die damit verbundene Ausdehnung der Sahara nach Süden einen zunehmenden Einfluss haben. Tatsächliche Entwicklungshilfe wäre deshalb z.B. das Umweltprojekt der „Großen Grünen Mauer“ durch Wiederaufforstungen über die gesamte Breite Westafrikas, nach dem Vorbild eines Projektes, das in China über mehrere Jahrzehnte konsequent verfolgt und mittlerweile erfolgreich umgesetzt wurde. Im Rahmen des Klimagipfels „One Planet Summit“ in Paris Anfang dieses Jahres wurde von Frankreichs Präsident Macron versprochen, seinerseits mindestens ein Drittel der benötigten Mittel aufzubringen. Beschlossen wurde dieses Projekt zwar bereits 2005 von der Afrikanischen Union nach dem chinesischen Vorbild, dümpelt aber seitdem mit allenfalls punktueller Umsetzung vor sich hin. Zweifel darüber, ob dieses und ähnlich gelagerte Versprechen umgesetzt werden, sind freilich nicht nur vor dem Hintergrund der kolonialen Vergangenheit europäischer Mächte angebracht. Wesentlich für die Probleme Westafrikas verantwortlich ist die EU. Vor allem durch das bestehende „Freihandels“-Abkommen wird einerseits die wirtschaftliche Ausplünderung durch EU-Fischfangflotten vor der Atlantikküste ermöglicht und andererseits die Subsistenzwirtschaft Westafrikas durch Billigimporte von Hähnchenfleisch aus der EU ruiniert. Hinzu kommen durch die globale Erwärmung verursachte ökologische Probleme. Bereits 2007 warnte der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) davor, dass voraussichtlich 2020 in der Sahel-Zone mit „klimainduzierten Konflikten“ zu rechnen sei. [3] Passiert ist aber seitdem nichts. Stattdessen ist die Bundesregierung aktuell bestrebt, die seit 2014 in Mali vorhandene militärische Präsenz immer weiter auf die Nachbarländer auszudehnen, was vor allem mit Terrorismusbekämpfung begründet wird. Klar formulierte Zielvorgaben der militärischen Interventionen fehlen aber, es sei denn, man würde diese so offenherzig formulieren wie der oben zitierte Africom-Kommandant Townsend.
Eine tatsächlich diesen Namen verdienende Entwicklungshilfe in Afrika könnte z.B. mit kurzfristig wirksamen Maßnahmen daran ansetzen, zu einer flächendeckenden Versorgung mit Photovoltaikanlagen beizusteuern, was die Lebensqualität von nicht stromversorgten Wohnorten erheblich verbessern und zugleich auch den Verbrauch von fossilen Brennstoffen deutlich reduzieren würde.
Exportwalze Deutschland ungebremst?
Die Weichenstellungen in der deutschen Politik sind jedoch grundsätzlich anders gelagert, da die Verkettung von Globalökonomie und Militarisierung in die Zukunft mit neuen Technologien fortgeschrieben werden soll. So steht Marokko bereits seit längerem als Partnerland für Energieimporte fest. Bereits 2010 gab es intensive Gespräche mit Marokko zur Erzeugung von elektrischem Strom aus solarthermischen Kraftwerken in der Sahara, der mit riesigen Stromleitungen nach Europa transportiert werden sollte. Gemäß der aktuellen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung in Marokko soll nun aus Wind und Sonne „grüner“ Wasserstoff vor Ort erzeugt werden, der u.a. auch zur Herstellung von synthetischen Kraftstoffen genutzt werden soll. Hierfür wären allerdings Wind- und Solaranlagen in gigantischem Umfang erforderlich. Anstelle der bei dem genannten Desertec-Projekt vorgesehenen Stromleitungen sollen nunmehr Wasserstoff-Pipelines für den deutschen Bedarf verlegt werden. Aus umweltpolitischer Sicht könnte man dieses einfach als Beweis für die völlige Inkompetenz des von Peter Altmaier geführten Wirtschaftsministeriums (BMWi) bezeichnen. Entgegen den rechnerischen Taschenspielertricks des BMWi lässt sich nachweisen, dass Strom aus dem dezentralen Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland erheblich kostengünstiger und im Sinne der notwendigen Energiewende zu haben ist. Letzteres wurde jedoch mit bürokratischen Hürden in den letzten Jahren abgewürgt, da nicht im Sinne von Großkonzernen und Großprojekten. Dass dafür Marokko und kein anderes nordafrikanisches Land als Partner fungieren soll, hat nachvollziehbare Gründe. Benötigt werden dafür „stabile“ politische Verhältnisse. Diese hat Marokko in der Tat zu bieten. Seit Jahrzehnten hat Marokko die angrenzende Westsahara völkerrechtswidrig besetzt und ist damit neben Israel (mit dem Westjordanland) der einzige Staat weltweit, der offen ein fremdes Territorium (neo)kolonial besetzt hält. Nachdem dieses Ende letzten Jahres als eines der letzten Amtshandlungen von Donald Trump auch noch von den USA abgesegnet wurde, steht jetzt konsequenterweise auch eine direkte Anbindung an die NATO auf der Tagesordnung. Bereits jetzt gehört Marokko neben Algerien, Ägypten, Mauretanien und Tunesien zu den wenigen afrikanischen Ländern, die offiziell als NATO-Partnerstaaten gelistet sind.[4] Wesentlicher Bestandteil der globalen Militarisierung ist schließlich, dass sich der „Nordatlantikpakt“ längst zum globalen Interventionsbündnis entwickelt hat.
Da natürlich die von Deutschland und Frankreich geführte EU vor allem in Westafrika eigene Interessen verfolgt, wird parallel zur NATO-Globalerweiterung auch die EU-Militarisierung (ohne die USA) voran getrieben. Dies verspricht keine guten Perspektiven für Afrika. Dass der Africom-Kommandant Townsend bei der von den USA vorangetriebenen globalen Militarisierung von einem „Schnäppchenpreis“ spricht, dürfte aber nur dem Umstand geschuldet sein, dass verglichen mit dem Gesamtbudget des Pentagons und der vor allem auf den Pazifikraum konzentrierten Aufrüstung das Africom-Budget tatsächlich im Schatten steht. Die von den afrikanischen Ländern zunehmend gewünschte wirtschaftliche Präsenz von China und Russland wird von den USA und dem Africom-Kommando als Hauptbedrohung auf dem Kontinent angesehen, was sich als weitere Triebkraft für die westliche Militarisierung durch USA, NATO und EU erweist.
Nachhaltigkeitsstrategien
Der Zusammenhang ist deshalb eindeutig: Die globale Ökonomie mit Import-Export-Fixierung, wie sie besonders von Deutschland unbeirrt betrieben wird, verhindert global eine nachhaltige Entwicklung, nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich und sozial.
Die globalen Menschheitsprobleme sind mittlerweile eine komplexe Gemengelage von Ressourcenverschwendung durch die globalisierte Ökonomie und damit unweigerlich gekoppelter Militarisierung. In der Konsequenz steuert diese Entwicklung in die kaum noch aufzuhaltende globale Erwärmung und parallel dazu anschwellende Atomkriegsgefahr. Aufzuhalten ist eine solche Entwicklung nur durch eine Wende auf mehreren Ebenen zugleich:
Regionale Wirtschaftskreisläufe – wie sie inzwischen auch von China parallel zur globalen wirtschaftlichen Präsenz gesehen wird – mit einer Abkehr von Großprojekten, die nur für Großkonzerne lukrativ sind, ermöglichen eine Abkehr von der globalen Militarisierung. Gerade die Gegenmaßnahmen der Bundesregierung zur wirtschaftlichen Abfederung des Corona-Lockdowns im letzten Jahr haben aber gezeigt, dass die eingesetzten Geldmittel vor allem als Stütze der großindustriellen Exportindustrie und nur vergleichsweise gering für mittelständische Unternehmen mit Orientierung auf den Binnenmarkt eingesetzt wurden. Ein wichtiger Ansatz wäre dafür ein Lieferkettengesetz, das diesen Namen verdient. In der derzeitigen Fassung (Stand April 2021) ist jedoch vom Bundestag nur ein stark verwässertes Gesetz im Sinne der Industrie-Lobby zu erwarten.
Sackgasse Wasserstoffstrategie
Beispielhaft für den exportfixierten Irrsinn steht die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung. Stattdessen müsste die zwischenzeitlich abgewürgte regionale Energiewende mit Wind- und Solarstrom entschieden wiederbelebt werden, da in dieser Branche bereits ein dramatischer Verlust von Arbeitsplätzen (in der Binnenökonomie) erfolgt ist. Nur am Rande sei hier erwähnt, dass das BMWi auch eine Strategie zur Förderung der deutschen Rüstungsindustrie mit definierten „Schlüsseltechnologien“ verfolgt, was tendenziell eine Ausweitung der Rüstungsexporte bedeutet.
In der Klimakrise war Deutschland bis vor einigen Jahren noch weltweit Schrittmacher in der Einführung Erneuerbarer Energien. Profitiert haben davon nicht nur das Klima, sondern in Deutschland vor allem lokal und regional tätige kleinere und mittlere Unternehmen. Warum eine solche Entwicklung abgewürgt wurde, hat die Energieexpertin Claudia Kemfert bereits 2017 in ihrem Buch mit dem Titel „Das fossile Imperium schlägt zurück“ umschrieben. Darin heißt es:
„Alles schien auf einem guten Weg: Die Energiewende schafft Wohlstand, macht unabhängig von geopolitischen Konflikten, schützt das Klima und stärkt die Demokratie. Doch die ‚alten‘ Energien und die Klimaskeptiker gehen nicht kampflos vom Platz. Sie nutzen keine Armee, sondern Propaganda und ‚Fake News‘“.
Die für den Klimaschutz notwendige Energiewende in Deutschland müsste mit einem Vielfachen der derzeitig aufgewendeten Ressourcen lokal und regional erfolgen. Jedoch ist regionale Wertschöpfung durch mittelständische Firmen politisch nicht förderungswürdig.
Anzumerken ist: Für die Energiewende und den notwendigen Ausbau Erneuerbarer Energien wird Wasserstoff künftig zweifellos eine wichtige Rolle als Speichermedium spielen. Technologische Förderprogramme sind deshalb prinzipiell sinnvoll. Allerdings gehört zur Energiewende und der notwendigen CO2-Reduktion auch eine drastische Absenkung des Ressourcenverbrauchs, wozu vor allem die industrielle Stahlproduktion und u.a. auch die Rüstungsproduktion gehören. Mit einem umfassenden Programm zur Energieeffizienz und weitestgehender Versorgung aus dezentral erzeugten Erneuerbaren Energien entfällt damit auch der Bedarf für ressourcenverschlingende neue Pipeline-Netze.
————— Kastenbeitrag: Wasserstoff
Der sogenannte „Grüne Wasserstoff“ wird durch Elektrolyseverfahren gewonnen, d.h. durch elektrischen Strom. Dieser soll künftig weitestgehend direkt durch Wind- und Solarenergie erzeugt werden, aber vorzugsweise direkt in das Stromnetz fließen und sofort verbraucht werden. Da Wind- und Solarstrom starken Schwankungen unterliegen, muss zeitweise überschüssiger Strom durch Speichermedien aufgenommen werden. Dies kann vor allem durch Elektrolyse zu Wasserstoff und ggf. weitergehenden chemischen Umwandlungen erfolgen. Das heißt, dass der elektrische Strom hierbei die Primärenergie ist und Wasserstoff die umgewandelte Sekundärenergie mit Wirkungsgradverlusten. Um massenhaft „grünen“ Wasserstoff zu erzeugen, bedarf es eines Einsatzes von Windkraft- und Solarstromanlagen, die um ein Mehrfaches über den Bedarf hinausgehen, der für eine Abdeckung des Stromnetzes mit erneuerbaren Energien notwendig wäre. Daraus folgt, dass Wasserstoff im Wesentlichen nur in einem Systemverbund mit gleichzeitiger Stromerzeugung und drastischer Reduzierung des Energieverbrauchs ökologisch nachhaltig zum Einsatz kommen kann.
Fazit
Überfällig ist, dass die globale Erwärmung von der deutschen Politik als wesentliche Konfliktursache anerkannt wird, auch als Verursacher von Fluchtbewegungen nach Europa.
Die ungebrochene Exportfixierung wird sich früher oder später als Sackgasse für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands erweisen. Als Kollateralschaden dieser politisch geförderten Industriestrategie muss man auch die damit einhergehende Militarisierung der Außenpolitik bezeichnen.
Nachhaltigkeit im Sinne der 2015 von allen UN-Mitgliedsstaaten beschlossenen 17 Nachhaltigkeitsziele (Agenda 2030) muss als Messlatte für regionales und globales Handeln eingefordert werden. Propagandistisch gibt es zwar eine nationale Umsetzung als deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, jedoch ohne Bezug zur Realität. Dazu muss man sich vergegenwärtigen, dass die Bundeswehr als größte Institution des Bundes mehr als 50% der Dienstleistungen von Bundesbehörden erbringt, gemäß der Funktionsgruppe „Allgemeine Dienste“ im Bundeshaushalt. Demgegenüber sind die entsprechenden Budgets der Ministerien für Umwelt sowie für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geradezu mickrig.
Letztlich zeigt auch die sich als langwierig erweisende Coronapandemie, dass eine einseitig ausgerichtete Globalökonomie und die damit verbundene Militarisierung der für die Menschheit überlebensnotwendigen Kooperation entgegen stehen, die für nachhaltige Entwicklung notwendig ist.
Anmerkungen
[1] Handelsblatt vom 14.2.2020
[2] www.africom.mil/2020-posture-statement-to-congress, Originalzitat: „A secure and stable Africa is an enduring American interest.“ Oder bezüglich der Arbeit des Africom: „U.S. Africa Command’s operations are a bargain for America… an ‚ounce of prevention‘ that is just pennies on the defense dollar.“
[3] ww.wbgu.de/de/publikationen/publikation/welt-im-wandel-sicherheitsrisiko-klimawandel
[4] siehe dazu: https://www.nato.int/cps/en/natohq/51288.htm (NATO‘s Mediterranean Dialogue)
Quelle: http://www.imi-online.de/2021/05/06/globale-oekonomie-militarisierung-und-nachhaltigkeit/