Dieser Beitrag befasst sich ausschließlich mit den psychologischen Aspekten eines garantierten Einkommens, mit dessen Wert, seinen Risiken und mit den menschlichen Problemen, die dabei entstehen können. Für ein garantiertes Einkommen für alle spricht in erster Linie, dass die Freiheit des einzelnen auf diese Weise entschieden erweitert werden könnte. (Vgl. hierzu auch meine Ausführungen zu einem garantierten Existenzminimum in The Sane Society, 1955a, GA IV, S. 234-236.) Bisher war der Mensch während seiner gesamten Geschichte durch zwei Faktoren in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt: durch die Anwendung von Gewalt von Seiten der Herrschenden (besonders dadurch, dass diese in der Lage waren, Abweichler umzubringen) und – was noch wesentlicher war – dadurch, dass alle vom Hungertod bedroht waren, die nicht bereit waren, die ihnen auferlegten Bedingungen in Bezug auf ihre Arbeit und ihre soziale Existenz zu akzeptieren.
Jeder, der nicht bereit war, diese Bedingungen anzunehmen, sah sich der Gefahr, verhungern zu müssen, ausgesetzt, und zwar sogar dann, wenn keine anderen Gewaltmaßnahmen gegen ihn angewandt wurden. Das während des größten Teils der vergangenen und der gegenwärtigen Menschheitsgeschichte vorherrschende Prinzip lautet (im Kapitalismus genau wie in der Sowjetunion): „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“ Diese Drohung zwang den Menschen, nicht nur so zu handeln, wie von ihm verlangt wurde, sondern auch so zu denken und zu fühlen, dass er nicht einmal in Versuchung geriet, sich anders zu verhalten.
Dass die Geschichte auf dem Prinzip der Angst beruht, verhungern zu müssen, hat seine Ursache letzten Endes darin, dass der Mensch – von bestimmten primitiven Gesellschaften abgesehen – auf einem wirtschaftlich wie psychologisch niedrigen Existenzniveau lebte. Es waren niemals ausreichend materielle Güter vorhanden, mit denen man die Bedürfnisse aller hätte befriedigen können. Gewöhnlich war es so, dass eine kleine Führungsschicht alles an sich nahm, was ihr Herz begehrte, und dass man den vielen, die sich nicht an einen gedeckten Tisch setzen konnten, sagte, es sei Gottes Wille oder das Gesetz der Natur. Hierzu ist allerdings zu bemerken, dass das {176} Ausschlaggebende dabei nicht die Habgier der „Regierenden“, sondern das niedrige Niveau der materiellen Produktivität war. [310]
Ein garantiertes Einkommen, das im Zeitalter des wirtschaftlichen Überflusses möglich wird, könnte zum ersten Mal den Menschen von der Drohung des Hungertods befreien und ihn auf diese Weise von wirtschaftlicher Bedrohung wahrhaft frei und unabhängig machen.
Niemand müsste sich mehr nur deshalb auf bestimmte Arbeitsbedingungen einlassen, weil er sonst befürchten müsste, er würde verhungern. Begabte oder ehrgeizige Männer und Frauen könnten die Ausbildung wechseln, um sich damit auf einen anderen Beruf vorzubereiten; eine Frau könnte ihren Ehemann, ein Jugendlicher seine Familie verlassen. Die Menschen hätten keine Angst mehr, wenn sie den Hunger nicht mehr zu befürchten brauchten. (Dies trifft natürlich nur dann zu, wenn keine politischen Drohungen den Menschen am freien Denken, Reden und Handeln hindern.)
Das garantierte Einkommen würde nicht nur aus dem Schlagwort „Freiheit“ eine Realität machen, es würde auch ein tief in der religiösen und humanistischen Tradition des Westens verwurzeltes Prinzip bestätigen, dass der Mensch unter allen Umständen das Recht hat zu leben. Dieses Recht auf Leben, Nahrung und Unterkunft, auf medizinische Versorgung, Bildung usw. ist ein dem Menschen angeborenes Recht, das unter keinen Umständen eingeschränkt werden darf, nicht einmal im Hinblick darauf, ob der Betreffende für die Gesellschaft „von Nutzen ist“.
Der Übergang von einer Psychologie des Mangels zu einer des Überflusses bedeutet einen der wichtigsten Schritte in der menschlichen Entwicklung. Eine Psychologie des Mangels erzeugt Angst, Neid und Egoismus (was man auf der ganzen Welt am intensivsten in Bauernkulturen beobachten kann).
Eine Psychologie des Überflusses erzeugt Initiative, Glauben an das Leben und Solidarität. Tatsache ist jedoch, dass die meisten Menschen psychologisch immer noch in den ökonomischen Bedingungen des Mangels befangen sind, während die industrialisierte Welt im Begriff ist, in ein neues Zeitalter des ökonomischen Überflusses einzutreten. Aber wegen dieser psychologischen „Phasenverschiebung“ sind viele Menschen nicht einmal imstande, neue Ideen wie die eines garantierten Einkommens zu begreifen, denn traditionelle Ideen werden gewöhnlich von Gefühlen bestimmt, die ihren Ursprung in früheren Gesellschaftsformen haben.
Eine weitere Auswirkung des garantierten Einkommens in Verbindung mit einer wesentlich {177} verkürzten Arbeitszeit für alle wäre sicher, dass die geistigen und religiösen Probleme des menschlichen Daseins real und bestimmend würden. Bisher war der Mensch mit seiner Arbeit zu sehr beschäftigt (oder er war nach der Arbeit zu müde), um sich ernsthaft mit den Problemen abzugeben: „Was ist der Sinn des Lebens?“, „Woran glaube ich?“, „Welche Werte vertrete ich?“, „Wer bin ich?“ usw.
Wenn er nicht mehr ausschließlich von seiner Arbeit in Anspruch genommen ist, wird es ihm entweder freistehen, sich ernsthaft mit diesen Problemen auseinanderzusetzen, oder er wird aus unmittelbarer oder kompensierter Langeweile halb verrückt werden. Prinzipiell kann der wirtschaftliche Überfluss die Befreiung von der Angst vor dem Hungertod, den Übergang von einer vormenschlichen zu einer wahrhaft menschlichen Gesellschaft kennzeichnen. [311]
Um ein ausgeglichenes Bild zu bieten, sollte man aber auch einige Einwände gegen diese Vorstellung von einem garantierten Einkommen für alle und kritische Fragen nicht außer Acht lassen. Die nächstliegende Frage lautet, ob ein garantiertes Einkommen nicht die Arbeitsmotivation beeinträchtigen würde.
Ganz abgesehen davon, dass bereits heute für einen ständig wachsenden Teil unserer Bevölkerung überhaupt keine Arbeit vorhanden ist und dass daher die Frage der Arbeitsmotivation für diese Menschen nicht relevant ist, sollte man diesen Einwand trotzdem ernst nehmen. Meines Erachtens kann man zeigen, dass der materielle Anreiz keineswegs das einzige Motiv ist, um zu arbeiten und sich anzustrengen. Erstens gibt es auch noch andere Motive – wie z. B. Stolz, soziale Anerkennung, Freude an der Arbeit selbst usw.
An Beispielen hierfür fehlt es nicht. Am deutlichsten sieht man es an der Arbeit des Wissenschaftlers, des Künstlers usw., deren hervorragende Leistungen nicht vom finanziellen Gewinn, sondern von verschiedenen Faktoren motiviert sind: vor allem vom Interesse an seiner Arbeit, vom Stolz auf die eigene Leistung und dem Streben nach Anerkennung.
Aber so augenfällig diese Beispiele auch sein mögen, so sind sie doch nicht völlig überzeugend, weil man sagen könnte, diese Ausnahmemenschen seien zu solchen außergewöhnlichen Anstrengungen eben deshalb fähig, weil sie so außergewöhnlich begabt seien, und sie seien deshalb keine typischen Beispiele für die Reaktion des Durchschnittsmenschen.
Mir scheint dieser Einwand jedoch nicht stichhaltig, wenn wir uns die Antriebe zur Aktivität bei Menschen näher ansehen, welche diese Eigenschaften des außergewöhnlichen, kreativen Menschen nicht besitzen. Welche Anstrengungen werden im Bereich des Sports und vieler Hobbys aufgeboten, wo keinerlei materielle Anreize gegeben sind.
In welchem Ausmaß {178} das Interesse am Arbeitsprozess selbst ein Antrieb zur Arbeit sein kann, hat zuerst Professor Mayo in seiner klassischen Untersuchung in den Chicagoer Hawthorne-Werken der „Western Electric Company“ nachgewiesen (E. Mayo, 1933). Allein die Tatsache, dass man ungelernte Arbeiterinnen bei dem Experiment, das ihre Arbeitsproduktivität betraf, selbst heranzog und sie durch ihre Beteiligung zu interessierten, aktiven Teilnehmern wurden, führte zu einer höheren Produktivität, ja sogar zu einem besseren Gesundheitszustand.
Das Problem wird noch deutlicher, wenn wir uns ältere Gesellschaftsformen einmal genauer ansehen. Die Tüchtigkeit und Unbestechlichkeit der traditionellen preußischen Beamten war berühmt, obwohl sie sehr schlecht bezahlt wurden; in diesem Fall waren Begriffe wie Ehre, Treue und Pflichterfüllung die entscheidenden Antriebe zu guten Arbeitsleistungen. Betrachten wir vorindustrielle Gesellschaften (wie zum Beispiel die mittelalterliche europäische Gesellschaft oder die halbfeudalen Gesellschaften zu Anfang unseres Jahrhunderts in Lateinamerika), so taucht noch ein anderer Faktor auf. In diesen Gesellschaften wollte beispielsweise ein Zimmermann nur so viel verdienen, dass er sich das leisten konnte, was zu seinem traditionellen Lebensstandard gehörte. Er hätte sich geweigert, mehr zu arbeiten und zu verdienen, als er brauchte.
Ein zweites Argument dafür, dass der Mensch nicht nur aus materiellem Anreiz arbeiten und sich anstrengen will, ergibt sich aus der Tatsache, dass der Mensch unter den Folgen von Untätigkeit leidet und eben gerade nicht von Natur aus träge ist. Sicher [312] würden viele Leute gerne für ein oder zwei Monate nicht arbeiten. Die allermeisten würden aber dringend darum bitten, arbeiten zu dürfen, selbst wenn sie nichts dafür bezahlt bekämen. Erkenntnisse über die kindliche Entwicklung und über Geisteskrankheiten liefern eine Fülle Daten hierfür. Es sollte unbedingt eine systematische Untersuchung gemacht werden, bei der alle verfügbaren Daten unter dem Aspekt „Trägheit als Krankheit“ analysiert würden.
Wenn nun Geld nicht der Hauptanreiz ist, müsste doch die Arbeit in ihren technischen oder gesellschaftlichen Aspekten so attraktiv und interessant sein, dass man sie eher in Kauf nehmen würde als Untätigkeit. Der moderne, entfremdete Mensch ist (meist {179} unbewusst) apathisch und sehnt sich daher mehr nach Nichtstun als nach Betätigung. Diese Sehnsucht ist jedoch ein Symptom unserer „Pathologie der Normalität“.
Vermutlich würde der Missbrauch des garantierten Einkommens nach kurzer Zeit wieder verschwinden, genauso wie auch die Leute, wenn sie für Süßigkeiten nichts zu bezahlen brauchten, sich nach ein paar Wochen nicht mehr daran überfressen würden.
Ein weiterer Einwand lautet: Wird es den Menschen wirklich freier machen, wenn er keine Angst vor dem Verhungern mehr zu haben braucht, wenn man bedenkt, dass Menschen mit einem guten Einkommen vermutlich genausoviel Angst haben, ihre Stelle zu verlieren, die ihnen im Jahr 15.000 Dollar einbringt, wie die, welche hungern müssten, wenn sie ihren Job verlieren würden. Wenn dieser Eindruck richtig ist, würde das garantierte Einkommen die Freiheit der Mehrheit, jedoch nicht die Freiheit der oberen Schichten vergrößern.
Um diesen Einwand ganz zu begreifen, müssen wir bedenken, von welchem Geist unsere heutige Industriegesellschaft erfüllt ist. Der Mensch hat sich in einen homo consumens verwandelt. Er ist unersättlich und passiv und versucht seine innere Leere mit einem ständigen, stets wachsenden Konsum zu kompensieren.
Es gibt viele klinische Beispiele für diesen Mechanismus, bei dem übermäßiges Essen, Kaufen und Trinken eine Reaktion auf Depression und Angst ist. Konsumiert werden Zigaretten, Schnaps, Sex, Filme, Reisen, Bildungsgüter wie Bücher, Vorlesungen, Kunst. Der Mensch macht den Eindruck, als sei er aktiv und höchst angeregt, in seinem tiefsten Innern ist er jedoch erfüllt von Angst, ist er einsam, deprimiert und gelangweilt. (Langeweile kann als jene Art chronischer Depression begriffen werden, die man erfolgreich mit Konsum kompensieren kann.)
Die Industriegesellschaft des zwanzigsten Jahrhunderts hat diesen neuen psychologischen Typ, den homo consumens, in erster Linie aus wirtschaftlichen Gründen geschaffen, d. h. um des notwendigen Massenkonsums willen, der durch die Werbung stimuliert und manipuliert wird.
Aber der einmal geschaffene Charaktertyp beeinflusst seinerseits wieder die Wirtschaft und lässt das Prinzip der ständig zunehmenden Befriedigung vernünftig und realistisch erscheinen. Das Problem wird dadurch noch komplizierter, dass mindestens zwanzig Prozent der amerikanischen Bevölkerung in unzureichenden Verhältnissen leben, dass einige Länder Europas, vor allem die sozialistischen, noch keinen befriedigenden Lebensstandard erreicht haben und dass der größte Teil der Menschheit in Lateinamerika, Afrika und Asien kaum über dem Hungerniveau existiert.
Jedes Argument, das sich für einen geringeren Konsum einsetzt, wird mit dem Gegenargument [313] beantwortet, dass in den meisten Teilen der Welt der Konsum noch gesteigert werden müsse. Dies ist richtig; doch besteht die Gefahr, dass selbst in den heute noch armen Ländern das Ideal des maximalen Konsums richtungweisend für alle Anstrengungen wird, dass es den Geist der Menschen formen und daher auch weiterhin wirksam sein wird, wenn das optimale Konsumniveau bereits erreicht ist.
Der heutige Mensch hat einen grenzenlosen Hunger nach immer mehr Konsum. Das hat folgende Konsequenzen: Da die Gier nach Konsum keine Grenzen mehr kennt, und da in absehbarer Zukunft keine Wirtschaft genug produzieren kann, um einem jeden einen unbegrenzten Konsum zu ermöglichen, kann es (psychologisch gesehen) {180} niemals einen echten Überfluss geben, solange die Charakterstruktur des homo consumens vorherrschend ist.
Der Gierige wird immer Mangel leiden, da er nie genug bekommt, ganz gleich, wieviel er hat. Außerdem möchte er alles, was die andern haben, auch besitzen und sieht in ihnen seine Konkurrenten. Daher ist er im Grunde isoliert und voller Angst. Er kann Kunst und andere kulturelle Anregungen nie wirklich genießen, weil er immer mehr haben möchte.
Das bedeutet aber, dass die, welche auf dem Niveau des garantierten Einkommens leben würden, sich frustriert und minderwertig fühlten und dass die, welche mehr verdienen, Gefangene der Umstände bleiben würden, weil sie Angst hätten, die Möglichkeit zu einem maximalen Konsum einzubüßen.
Aus diesen Gründen glaube ich, dass das garantierte Einkommen nur gewisse (wirtschaftliche und soziale) Probleme lösen würde, dass es aber nicht die erwünschte radikale Wirkung hätte, wenn wir nicht gleichzeitig das Prinzip des maximalen Konsums aufgeben.
Was muss also geschehen, wenn wir das garantierte Einkommen einführen wollen? Allgemein gesagt, müssen wir unser System des maximalen Konsums in ein System des optimalen Konsums verwandeln. Das bedeutet:
Man müsste in der Industrie weitgehend von der Produktion von Gütern für den individuellen Verbrauch zur Produktion von Gütern für den öffentlichen Verbrauch übergehen – zum Beispiel Schulen, Theater, Bibliotheken, Parks, Krankenhäuser, öffentliche Verkehrsmittel und Wohnungsbau fördern.
Anders gesagt sollte man den Nachdruck auf die Produktion von Dingen legen, die der Entfaltung der inneren Produktivität und Aktivität des einzelnen dienen. Man kann nachweisen, dass die Gier des homo consumens sich hauptsächlich auf den individuellen Konsum von Dingen bezieht, die er ißt (sich einverleibt), während die Benutzung kostenloser öffentlicher Einrichtungen, die dem einzelnen die Möglichkeit bieten, sich seines Lebens zu freuen, keine Gier und Unersättlichkeit erzeugt.
Ein solcher Übergang vom maximalen zum optimalen Konsum würde drastische Veränderungen in den Produktionsmustern und außerdem eine radikale Verminderung der Werbung, die mittels Gehirnwäsche unsere Gier immer weiter treibt, erforderlich machen. (Eine solche Einschränkung der Werbung und vor allem die Steigerung der Produktion für den öffentlichen Bereich sind meines Erachtens kaum ohne staatliche Intervention denkbar.)
Außerdem müssten kulturelle Veränderungen geschehen: Es müsste zu {181} einer Renaissance der humanistischen Werte des Lebens, der Produktivität, des Individualismus usw. kommen, die den Materialismus des Organisationsmenschen, der so manipuliert wird, dass er wie ein Ameisenhaufen funktioniert, überwindet. [314]
Diese Erwägungen führen hin zu anderen Problemen, die ebenfalls zu untersuchen sind: Gibt es objektiv gültige Kriterien, nach denen man zwischen rationalen und irrationalen, zwischen guten und schlechten Bedürfnissen unterscheiden kann, oder hat jedes subjektiv empfundene Bedürfnis den gleichen Wert? (Als „gut“ werden hier Bedürfnisse definiert, die der Lebendigkeit, der Wachheit, der Produktivität und Sensitivität des Menschen förderlich sind; als „schlecht“ alle jene Bedürfnisse, die diese menschlichen Möglichkeiten schwächen oder lähmen.)
Es ist daran zu erinnern, dass wir alle diesen Unterschied bei Drogenabhängigkeit, Fettsucht und Alkoholismus bereits machen. Die Beschäftigung mit diesen Problemen würde zu folgenden praktischen Erwägungen führen: Wo liegt die untere Grenze der legitimen Bedürfnisse eines Menschen? (Man denke etwa an Bedürfnisse nach einem eigenen Zimmer für jeden, nach Kleidung, einer bestimmten Kalorienmenge, nach kulturellen Gebrauchsgütern wie Radio, Bücher usw.)
In einer relativ wohlhabenden Gesellschaft wie in der der Vereinigten Staaten dürfte es nicht schwer fallen festzusetzen, wieviel ein angemessener Lebensunterhalt kosten würde und welche Grenze maximaler Konsum haben soll. Es ließe sich eine progressive Besteuerung des Konsums jenseits eines bestimmten Schwellenwertes denken.
Auf alle Fälle müssten Lebensbedingungen wie in den Slums vermieden werden. All das bedeutete, dass wir Prinzipien eines garantierten Einkommens mit der Orientierung unserer Gesellschaft vom maximalen zum optimalen Konsum kombinieren müssten, und dass es zu einer drastischen Verschiebung von der Produktion für individuelle Bedürfnisse zu einer Produktion für öffentliche Bedürfnisse kommen sollte.
Es ist sehr wichtig, dass man außer der Idee eines garantierten Einkommens noch einen anderen Gedanken untersucht: den des kostenlosen Konsums gewisser Gebrauchswaren. Dazu würden zum Beispiel Brot, Milch und Gemüse gehören. Nehmen wir für einen Augenblick an, jeder könnte in irgendeine Bäckerei gehen und sich soviel Brot nehmen, wie er wollte. (Der Staat würde der Bäckerei alles von ihr hergestellte Brot bezahlen.)
Wie bereits erwähnt, würde der Gierige dann zunächst mehr nehmen, als er gebrauchen könnte, aber nach kurzer Zeit würde dieser „Konsum aus Gier“ sich ausgleichen, und die Leute würden sich nur soviel nehmen, wie sie wirklich brauchen. Ein solcher kostenloser Konsum würde meiner Meinung nach eine neue {182} Dimension im menschlichen Leben schaffen (sofern wir darin keine Wiederholung – wenn auch auf höherer Ebene – von Konsumgebräuchen in primitiven Gesellschaften sehen). Der Mensch würde sich dann von dem Grundsatz befreit fühlen: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“
Sogar schon Anfänge dieses freien Konsums könnten ein ganz neues Erlebnis- der Freiheit bedeuten. Selbst wer kein Wirtschaftswissenschaftler ist, wird leicht einsehen, dass die kostenlose Versorgung aller mit Brot leicht vom Staat bezahlt werden könnte, der diese Ausgabe mit einer entsprechenden Steuer decken würde.
Aber wir können noch einen Schritt weiter gehen. Es könnten nicht nur alle minimalen Bedürfnisse nach Nahrung mit Brot, Milch, Gemüse und Obst befriedigt werden, sondern auch die minimalen Bedürfnisse an Kleidung (nach irgendeinem System könnte jeder ohne Bezahlung etwa einen Anzug, drei Hemden, sechs Paar Socken usw. jährlich erhalten), und die Verkehrsmittel könnten kostenlos benutzt werden, was natürlich stark verbesserte Einrichtungen von [315] öffentlichen Verkehrsmitteln voraussetzen würde, während Privatwagen teurer würden.
Schließlich könnte man sich vorstellen, dass auch das Wohnungsproblem auf ähnliche Weise gelöst würde, etwa dass große Wohnungsbauprojekte mit Schlafsälen für die Jungen, einem kleinen Raum für ältere oder verheiratete Paare gebaut würden, die. jedermann nach Belieben kostenlos benutzen könnte.
Das bringt mich auf die Idee, dass man das Problem des garantierten Einkommens auch so lösen könnte, dass man alles zum Leben Notwendige – im Sinne eines festgelegten Minimums – kostenlos bekäme, anstatt es bar zahlen zu müssen. Die Herstellung dieser für das Existenzminimum notwendigen Dinge würde die Produktion ebenso in Gang halten wie bei dem Vorschlag eines bezahlten garantierten Einkommens für jeden.
Es lässt sich einwenden, dass diese Methode radikaler und daher weniger akzeptabel wäre als die von anderen Autoren vorgeschlagene. Dies trifft wohl zu. Doch man sollte andererseits nicht vergessen, dass diese Methode der kostenlosen minimalen Dienstleistungen theoretisch innerhalb unseres gegenwärtigen Systems durchzuführen wäre, während die Idee des garantierten Einkommens für viele nicht annehmbar sein wird – und nicht etwa, weil sie nicht durchführbar wäre, sondern wegen des psychologischen Widerstandes gegen die Abschaffung des Prinzips: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“
Ein weiteres philosophisches, politisches und psychologisches Problem ist noch zu untersuchen: das der Freiheit. Unser westlicher Begriff von Freiheit gründete sich weitgehend auf die Freiheit zu Privateigentum und seine Nutzung, solange nicht {183} legitime Interessen anderer davon bedroht waren.
Heute ist dieser Grundsatz in den westlichen Industriegesellschaften in vieler Hinsicht durch die Besteuerung durchbrochen, die eine Form der Enteignung ist, sowie durch Eingriffe des Staates in Landwirtschaft, Handel und Industrie. Gleichzeitig tritt an die Stelle des Privatbesitzes an Produktionsmitteln immer mehr ein halb-öffentlicher Besitz, wie er für große Konzerne typisch ist.
Das Prinzip des garantierten Einkommens würde zwar einige zusätzliche staatliche Reglementierungen bedeuten, doch sollte man bedenken, dass der Begriff der Freiheit für den Durchschnittsmenschen heute nicht sosehr gleichbedeutend mit der Freiheit ist, etwas zu besitzen und seinen Besitz (sein Kapital) nutzbringend anzulegen, als mit der Freiheit, alles, was das Herz begehrt, zu konsumieren.
Viele sehen es heute als einen Eingriff in ihre Freiheit an, wenn der unbegrenzte Konsum eingeschränkt wird, obgleich nur die ganz Reichen wirklich frei wählen können, was sie haben möchten. Der Konkurrenzkampf zwischen den verschiedenen Marken der gleichen Gebrauchswaren und den verschiedenen Arten von Gebrauchswaren erzeugt die Illusion persönlicher Freiheit, während der einzelne in Wirklichkeit das haben will, worauf er konditioniert wurde. (Auch hier bietet die totale Bürokratisierung des Verbrauchs in den sozialistischen Staaten ein schlechtes Beispiel für eine Konsumregulierung.)
Eine neue Sicht des Problems der Freiheit ist notwendig. Nur mit der Umwandlung des homo consumens in eine produktiv-tätige Persönlichkeit wird der Mensch Freiheit als echte Unabhängigkeit erleben und nicht als unbegrenzte Möglichkeit, unter den Konsumgütern zu wählen.
Eine volle Wirksamkeit des Prinzips eines garantierten Einkommens für alle ist nur [316] zu erwarten, wenn es gleichzeitig gekoppelt ist an (1.) eine Änderung unserer Konsumgewohnheiten, das heißt der Umwandlung des homo consumens in einen produktivtätigen Menschen (im Sinne Spinozas); (2.) die Herausbildung einer neuen geistigen Haltung des Humanismus (in theistischer oder nicht-theistischer Form) und (3.) eine Renaissance echter Demokratie (etwa in einem neuen Unterhaus, in dem die Entscheidung durch Integration der Beschlüsse von Hunderttausenden von kleinen Gruppen [face-to-face groups] zustande kommen, durch die aktive Beteiligung sämtlicher Mitarbeiter in allen Unternehmen und in jeder Art von Management usw. – vgl. meine Vorschläge am Ende von The Sane Society,1955a, GA IV, S. 224-239).
Der Gefahr, dass ein Staat, der alle ernährt, zu einer Muttergottheit mit diktatorischen Eigenschaften werden könnte, kann nur durch eine gleichzeitig Wirksame Vermehrung demokratischer Verfahren in allen gesellschaftlichen Bereichen begegnet {184} werden. (In Wirklichkeit verfügt ja heute der Staat bereits über außerordentliche Macht, ohne diese Möglichkeiten einzuräumen.)
Mit den ökonomisch orientierten Forschungsarbeiten auf dem Gebiet des garantierten Einkommens für alle müssen auch noch andere Forschungen betrieben werden: psychologische, philosophische, religiöse und erziehungswissenschaftliche.
Der große Schritt zu einem garantierten Einkommen wird meiner Meinung nach nur Erfolg haben, wenn Veränderungen in anderen Bereichen mit ihm Hand in Hand gehen. Wir dürfen nicht vergessen, dass das garantierte Einkommen nur zustande kommen kann, wenn wir aufhören, zehn Prozent unseres Gesamteinkommens für die wirtschaftlich nutzlose und gefährliche Rüstung auszugeben, wenn wir der Ausbreitung sinnloser Gewalttätigkeiten dadurch Einhalt gebieten, dass wir die unterentwickelten Länder systematisch unterstützen, und wenn wir Mittel und Wege finden, der Bevölkerungsexplosion Einhalt zu gebieten. Ohne diese Wandlungen wird kein Plan für die Zukunft gelingen, weil es keine Zukunft geben wird.
Literatur:
Fromm, E., 1955a: The Sane Society, New York 1955 (Rinehart and Winston, Inc.); Der moderne Mensch und seine Zukunft. Eine sozialpsychologische Untersuchung, Frankfurt/Köln 1960 (Europäische Verlagsanstalt); Wege aus einer kranken Gesellschaft, GA IV.
Mayo, E., 1933: The Human Problems of an Industrial Civilization, New York 1933 (The Macmillan Co.).
Bildlizenz CC0
Quelle: https://www.rubikon.news/artikel/rettet-das-grundeinkommen-die-welt