Hausdurchsuchungen wegen Facebook-Posts von YPG-Fahnen; Demonstrationsverbote, Prügel und Anzeigen wegen des Zeigens von Bildern des PKK-Vorsitzenden Öcalans
Um 6 Uhr morgens bekam der Münchner Kommunikationswissenschaftler Kerem Schamberger heute ungebetenen Besuch. Die Münchner Polizei führte eine Hausdurchsuchung wegen des Postens von YPG/YPJ-Fahnen auf Facebook durch und beschlagnahmte seinen Rechner, sein Mobiltelefon und USB-Sticks.
Schamberger informiert regelmäßig über die politische Entwicklung in der Türkei, Syrien und dem Irak. Da er, wie viele andere Journalisten auch, z.T. auf kurdische Medien angewiesen ist, die Fotos von PYD, YPG und YPJ-Symbolen enthalten, erscheinen diese zwangsläufig auf den Posts. Auch Facebook scheint den Journalisten im Visier zu haben, denn seit Wochen verschwinden auf seiner Facebook-Seite massenhaft Follower auf mysteriöse Weise.
Die Veröffentlichung „verbotener Symbole“
Die Münchner Justiz scheint im Gegensatz zur Berliner Justiz, die über zu viel Verfahren und Überlastung klagt, nicht ausgelastet zu sein: Auf Betreiben der Münchner Staatsanwaltschaft laufen deutschlandweit Ermittlungsverfahren gegen 190 weitere Facebook-Nutzer, die Posts von Schambergers Seite geteilt haben und auf denen Symboliken der YPG/YPJ zu sehen waren.
Schon Mitte August hatte die Münchner Polizei mehrere Wohnungen wegen eines vergleichbaren Deliktes durchsucht und dabei vor allem Kommunikationsmittel beschlagnahmt. Ende Oktober wurde in München ein Verfahren gegen einen 17 jährigen(!) syrischen Kurden eröffnet, weil er ebenfalls „verbotene Symbole“ über Facebook veröffentlicht hat.
Seit März diesen Jahren verfügte Innenminister de Maizière ein Verbot der Fahnen und Symbole der syrischen Kurden, obwohl die Volksverteidigungseinheiten YPG und die Frauenverteidigungseinheiten YPJ in den multiethnischen Syrian Democratic Forces (SDF) gemeinsam mit den USA erfolgreich gegen den IS kämpfen. Selbst der deutsche Geheimdienst arbeitet mit den SDF zusammen. Bei der Befreiung von Rakka führte eine Kommandantin der Frauenverteidigungseinheiten YPJ sogar das Kommando.
Am 22.8.2017 entschied das Verwaltungsgericht Frankfurt/M., dass die Auflage, bei einer Veranstaltung zum „Internationalen Solidaritätstag für Kobane“ im November 2016 keine Flaggen, Kennzeichen, Embleme oder Symbole der Organisationen PYD, YPG und YPJ zu zeigen sowie in Redebeiträgen oder durch Sprechchöre in Wort, Schrift und/oder Bild oder in sonstiger Weise für diese zu werben, rechtwidrig sei.
Die Rechtsgrundlage für die erteilte Auflage sei § 15 VersG. Danach könne eine Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet werden könnte. Mit umfasst würden auch Verbotstatbestände des Vereinsgesetzes gegen eine Betätigung für einen verbotenen oder einen mit einem Betätigungsverbot belegten Verein. Es sei nicht festzustellen, dass zum Zeitpunkt der angemeldeten Versammlung mit dem Ziel, an die Befreiung der in Nordsyrien befindlichen Staat Kobane durch die kämpfenden Einheiten der PYD zu erinnern, eine unmittelbare Gefahr durch Verwendung von Fahnen und Symbolen dieser Partei vorgelegen habe.
VG Frankfurt am Main: PYD-Fahnenverbot bei Versammlung zum „Internationalen Tag für Solidarität mit Kobane“rechtswidrig
Doch die Meinung des Verwaltungsgerichtes in Frankfurt teilen manche Polizeibehörden überhaupt nicht. Am 4. November gab es in Düsseldorf eine Demonstration von ca. 10 000 überwiegend kurdischen Teilnehmern. Die Demonstration wurde abgebrochen, weil die Demonstranten die „verbotenen“ Symbole der YDG/YPJ und Bilder von Öcalan zeigten und die Polizei massiv mit Pfefferspray gegen überwiegend Frauen und Kinder vorging.
Am 9. November wurde das Bild von Öcalan von einem Bus entfernt, der zurzeit durch Europa tourt, um auf seine unmenschliche Lage auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali aufmerksamer zu machen. Die Polizei nahm sogar Menschen fest, die Öcalans Portrait auf ihrer Kleidung trugen. In anderen deutschen Städten wie zum Beispiel Berlin, konnte der Bus ungehindert passieren.
Weltweit wurden mittlerweile 10,3 Millionen Unterschriften von Menschen gesammelt, die in Öcalan ihren politischen Repräsentanten sehen und die Aufhebung der Isolationshaft fordern. Dies ist ein Weltrekord, noch nie wurden für eine inhaftierte Person so viele Unterschriften gesammelt. Seit 1999 sitzt Abdullah Öcalan in der Türkei im Gefängnis, die längste Zeit davon in Isolationshaft.
„Strenge Erdogan-Fans“ unter Berliner Polizeischülern
Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Ulla Jelpke, bezeichnete das Vorgehen der Polizei als „beschämenden Dienst für den Diktator Erdogan“. In der Tat hat die Polizei derzeit ein Imageproblem. türkische MIT-Spitzel auch in oberen Etagen von Polizeibehörden; glühende Erdogan-Anhänger auf den Polizeiakademien; eine Praktikantin, die vertrauliche Daten eines arabischen Clans vom Polizeicomputer abfotografiert und ins Netz stellt…
Die Berliner Morgenpost berichtete über antidemokratische Einstellungen und türkischen Nationalismus unter den Polizeischülern. „Keine Ahnung, wie lange es gut geht, wenn harte Erdogan-Fans auf kurdischen Demonstrationen im Einsatz sind“, berichtete ein Ausbilder. Ein Beamter, der namentlich nicht genannt werden möchte, sagte gegenüber der Morgenpost: „Es ist eine Tatsache, dass wir unter unseren türkischen Auszubildenden strenge Erdogan-Anhänger haben. (…) Ich persönlich sehe das sehr kritisch, aber in der Behörde wird das als Meinungsfreiheit geduldet.“
Die Berliner Polizeiführung wiegelt ab: alles nur Verdachtsfälle, alles halb so schlimm. Muss es erst zu Konfrontationen türkischer Nationalisten in Polizeiuniform kommen, bis unsere Behörden aufwachen? Schon im April 2016 kursierte ein Foto eines Berliner Polizisten, der den Wolfsgruß der faschistischen „Grauen Wölfe“ zeigte. Ein Ring mit einem osmanischen Abzeichen deutet ebenfalls darauf hin, dass es sich nicht um das Kindersymbol „Leisefuchs“ handelt.
Quelle: http://www.imi-online.de/2017/11/14/pesco-historischer-ruestungsschub/