Dies ist das wichtigste Foto meines zwanzigjährigen Journalismuslebens. Aber nur in meinem Kopf. Hätte ich ein Bisschen Talente gehabt zu zeichnen, dann hätte ich das Bild mir gemalt. Dann hätte ich die Polizistin gebeten das Bild zu fotografieren, die in die Zelle Schokoladenkreme gebracht hatte, um ihr Gewissen zu beruhigen, vorausgesetzt Maral hätte mir erlaubt. Vergebens. Ich habe Wasser tropfenden Kinderbekleidung in dieser Zelle nicht fotografieren können, die an den Fenstergitter hingen. Weißen Pullover mit Seifengerüche, die Armen an Gitter gebunden, ausbesserte Pyjamas, die ebenfalls an den Beinen an Gitter gebunden waren, in der dunklen Ecke soweit ich vernehmen konnte, lagen zerrissene Decken, auf denen zwei Frauen mit nackten Füßen lagen, deren lange schwarze Haare rankten über Köpfe ihrer Kinder. Das Bild werde ich wohl in mein Gedächtnis malen müssen.
Dies ist das zweite Erdgeschoss des Zentralgebäudes der Polizeibehörde von Ankara. Diese Gebäude gehörte zur Universität. Die Universität wurde mit einem besonderen Beschluss geschlossen und zur Abteilung Terrorbekämpfung übergeben.
Ich wurde Montagabend hierher gebracht. Niemand weiß, warum ich hierher gebracht wurde. Der Name der Abteilung heißt „Täter unbekannt“. Dieser Name entspricht wiederum meine Situation, welche Tat sollte ich mich schuldig gemacht haben!
Lass dich von diesen Namen nicht irritieren. Auch ich kam zuerst auf den Gedanken, dass diese Abteilung dazu da ist, um unaufgeklärte Morde zu untersuchen, zu aufklären. Ein Irrtum.
Dies ist eine neue Abteilung in der Aufnahmezustand, für Menschen, die als verdächtig erscheinen oder gelten, die aber nicht genau identifiziert werden können oder konnten, zu welche Organisation sie gehören; Menschen, die als Journalist, als Schriftsteller oder als Intellektuelle, als Künstler tätig sind, oder als Menschenrechtsaktivisten unterwegs sind, um rauszubekommen zu welche Organisation diese „Verdächtigen“ gehören.
Ich wurde von der Polizeibeamten, die dieser Abteilung gehören, in diese Abteilung gebracht mit der Anschuldigung Mitglied einer unbekannten Organisation zu sein und unidentifizierten Propaganda, eine Propaganda, die man nicht genau definieren kann, zu welchem Zweck dienlich sein soll, gemacht zu haben. In den Tagen, wo ich in dieser Abteilung untergebracht war, konnte mir weder eine Organisation vorgelegt werden, zur welche ich angehören soll, noch irgendwelche Propaganda, die nicht identifiziert werden konnte. Ich gehöre zur keine Organisation und mache ich auch keine Propaganda, sondern bin nur Journalistin. Ich war jetzt nun offiziell ein Fall „Täter unbekannt“. Ich bin kurz davor mich in einer Dunkelheit zu verlieren, in einer Gleichung, deren Größen vielfache Art und Weise in der Tat unbekannt sind, wie der Name dieser Abteilung.
Vor mir ist nur eine weiße Wand, in meinem Kopf eine Reihe von Tricks, wie ich dieses Bild fotografieren kann, eine Zelle, in der kaum Luft zum atmen gibt.
Fürs Erste ist das Einzige, was als Lebenszeichen gelten kann, die Stimme der Kinder, deren Köpfe auf den Boden liegen, die aus den verstopften Nasen beim Atmen herrühren. Als erfahrene Mutter weiß ich, dass diese Kinder gewiss unter Fieber leiden. Wenn sie weiterhin durch den Mund atmen, werden sie durch trockenen und schmutzigen Luft noch kränke. Diese drei Babys machen mir Sorgen; außer den zwei Babys, die ich zu Hause gelassen habe.
Dann werden wir plötzlich mit Verdächtigen „Täter unbekannt“ überfüllt, die von der gleichnamigen Abteilung hierher gebracht sind. Wir versuchen, auf den drei Holzbänken, die in Längsrichtung auf aufgereiht sind, eng zu sitzen. Hier ist die Journalistin Seda Taskin, die mit ihrem winzigen Körper den kleinsten Platz einnimmt. Sie lachte und sagte: „Man hat mich dabei erst vor kurzem festgenommen und freigelassen“.
In solch einem dunklen, schmutzigen, stickigen Loch ist das Beste, was einem passieren kann, mit der Stimme eines Kindes zu erfahren, dass es Morgen ist. Mit der Zeit verliert man das Gefühl für Zeiten. Es ist möglich, zu erfahren, dass es Morgen ist, von Gurgeln von Babys, von den Röcheln wiederum, dass es Abend ist.
Marals Beharren hatte Erfolg; die Tür der Seitenzelle öffnete sich unter der Bedingung, dass nur die Kinder aus und eingehen. Das ist ein 1 Meter breite und 7 Meter langen Gang, wo die Kinder ein und ausgehen können. Mit dem Öffnen dieser Tür wurde alsbald die Holztür unseres Korridors geschlossen. Dann erscheint hinter Zwischengitter ein paar lächelnde Augen, mit neugierigen Blicken. Es ist ein zwei Jahre altes Kind mit gelbem lockigem Haar und dicken Wangen. Sein Name ist Ayşe. Hinterher kommt ein anderes, versucht gerade zu laufen. Beim ersten Schritt nach vorne, wackelt zuerst, wenn es merk, dass es gerade stehen kann, dann lächelt mit breitem Mund und macht zweiten Schritt. Das ist ein jährige Suheyla. Dann kommt hinterher krabbelnd ein anderes Kind. Der heißt Ali. Sieben Monate alt. Der Ausdruck in seinem Lächeln ist größer als sein Alter. Man konnte vor diesem Ausdruck sitzen ohne ein Wort zu sprechen sein ganzes Leben Revue passieren lassen.
Im Namen des Morgenfrühstücks gibt es ein altes Brot mit einer dünnen Scheibe Schafskäse. Der ist so dünn, wenn man ihn hochheben würde, würde man die Rückseite sehen. Keiner isst es davon. Man merk es, dass sie ein paar Tage im Voraus vorbereitet und im Kühlschrank aufbewahrt wurden, da sie mittlerweile ein seltsames Geruch anhatten. Auch das Mittagsessen wurden von keinem eingenommen. Ayse streckt die Hand durch Gitter und möchte Brotlaibe haben. Dann öffnet sie die Holztür, die uns von den anderen Zellen trennt und im Inneren entweicht, und sammelt das Brot von den anderen Stationen.
Ayse spaziert ganze Zeit, bis zu dem Moment, an dem sich die Zellentüren schließen und sammelt alles, was weicher ist, als ein Stein. Wenn sie die Polizisten sieht, die auf sie zukommen, wirft sie Brotlaibe in die Zelle und lachend läuft davon. Ich gehe auf die Toilette und schaue auf die Eisenstangen, versuche herauszufinden, wie diese Kleider dort hängenbleiben. Erst später habe ich erfahren müssen, dass wenn Kleider trocknen, beginnen sie auf den Boden fallen und Seral meckert darüber.
Um Mitternacht atmeten die Kinder so schwer, dass wir Nachtdienst stören müssten, bis ein Arzt kommt. Und in der Tat kommt ein Arzt und sagte nur, dass es normal ist unter diesen Umständen, dass Kinder krank werden und geht. Hier ist alles normal und die Kälte. Eine eisige Kälte herrscht in den Zellen. Die Gesichter der Kinder, die Füßen der Mütter und die Hände der Ärzte von Kälte überzogen. Alles ist normal hier und üblich, gewöhnlich, es kann alles passieren.
Das Tohubawohu in der Nacht zeigt seine Wirkung. Die Tür zum Gang wurde zwar geschlossen aber die Zellentür der Kinder ist jetzt ganz offen. Maral und Seral hockten vor unseren Eisengitter und Maral stillte Suheyla und erzählte, dass ihr Schwester Seral und sie hierher gebracht wurden, da sie keine Identitätspapier besaßen.
Eine „Täter unbekannt“ verdächtige und zwei Personen, die keine Identitätspapier besitzen.
Wir sind im dunkelsten Loch von Ankara TEM.( Zweigstelle Antiterror Einheit der Polizei Ankara)
Drei Frauen, neun Kinder…
Sie konnten nur Ayşe, Ali und Suheyla mitnehmen; andere sind zu Hause in Tuzluçayır Göbek. Das ist alles an Adresse, es ist ein vierstöckiges Haus im Tuzlucayir Göbek. Maral hat zwei Kinder, eine ist Suheyla, die sie jetzt stillt, das andere ist ein Sohn, den sie zuletzt, bevor sie in den Polizeiwagens einstieg, gesehen hat. Ihr Sohn soll aus Angst abgehauen sein. Seral hat fünf Kinder im Alter 13, 9, 8, Ali und Ayse. Die Polizei soll nicht erlaubt haben alle Kinder mitzunehmen. Sie nahm nur Ali und Ayse mit. Ich habe zwei Kinder.
Ayse bringt alles mit, was sie aufsammelt und beißt ein Stück vom Brot ab und steckt sie in meinem Mund. Ich bin in der Zelle, sie sind „draußen“. Wir spielen spontan Hoppe-Hoppe-Reiter. Ich strecke meine Füße durch die Eisenstangen so dass Ayse darauf steht und sie meine Hände festhielt. Dann kommt Suheyla.
Seral und Maral kommen aus Mosul.
Sie sind die Turkmenen aus Mosul.
Seral und ihr Mann entschließen sich Mosul zu verlassen, als die Häuser in der Straße, in der sie lebten durch Bomben einstürzten. ISID Milizionäre verhindern den Flucht. Sie hielten ihr Mann und schickten Seral mit Kindern wieder nach Hause. Am nächsten Tag nahm sie die Kinder mit und verlässt sie diesen Ort. Und sie laufen weg. „Wie habt ihr geschafft von dort abzuhauen?“, frage ich sie. „Über Berge“ lautet die Antwort. „Ein Tag hatten wir vielleicht Brot, zwei Tage nichts…“ Dann bekam ich ein Gefühl davon, warum Ayse alles so sammelt und in der Zelle versteckt.
Sie schaffen bis in die Türkei und von der Grenze werden sie nach Antep geschickt. Wenn ich mich jetzt richtig erinnere, werden sie in einem Camps Namens Mohnblume untergebracht. Viele Frauen und Kinder im Mohnblume. Eines Tages kommen Leute und bringen Papiere, die von der Campbewohner unterschrieben werden soll, erzählt Seral. Frauen sprechen miteinander, um diese Papiere nicht zu unterschreiben. „Aber sie schlagen diejenigen, die nicht unterschreiben“, sagt Seral. „Was hast du getan?“, fragte ich sie. „Ich habe Angst gehabt und unterschrieben“ antwortete sie. Und genau zweihundert Frauen, zusammen mit ihren Kindern, wurden in dieser Nacht in ein Flugzeug gesetzt und nach Bagdad geschickt. Die Reise für Seral beginnt vom Neuen. Da sie wusste, dass ihr Bruder in Tuzlucayir Göbek lebte, kam sie diesmal mit Kindern hierher.
Seral und ich reden seit Tagen miteinander und ich ließ ihr immer gleichen Geschichte erzählen. Ich schließe meine Augen und schreibe die Geschichte in meinem Gedächtnis, da manchmal Lücken entstehen, lass ich sie noch einmal erzählen. Andere Zellengenossen haben die Geschichte mittlerweile überdrüssig wegen ständige Wiederholung. Dann kam ein andere Journalist in die Nachbarzelle, Hayri Demir. Dann fing Hayri Demir an, Fragen zu stellen. Die Frauen erwidern „Sibel hat das Gespräch schon längst geführt, du bist zu spät dran“. Dann lachen wir. Seral fragt uns, ob wir über sie lachen würden, da sie meinen Namen inzwischen vergessen hatte. Man vergisst hier alles sehr schnell.
Maral war lange vor Seral unterwegs, um hierher zu kommen. Ihre Fluchtgeschichte beginnt mit der Tötung ihres Mannes, der ein Händler auf dem Markt ist, durch die Einschlagung einer Bombe auf dem Marktplatz. Sie ist schwanger für Suheyla, hält die Hand ihres Sohnes und macht sich auf den Weg. Als IŞİD Truppen ihr nicht erlauben zu gehen, flieht sie zunächst nach Syrien. Nachdem sie drei Monate in Syrien geblieben ist, kommt sie an die türkischen Grenze. An dem Tag, als sie an die Grenze kam, beginnt ihre Geburtswehen. Man bringt sie in ein Krankenhaus (in Syrien), sie bringt das Kind auf die Welt und drei Stunde nach dem Geburt entlässt man sie aus dem Krankenhaus. Als sie die Grenze nicht passieren kann, findet sie einen Menschenhändler. Vier, fünf, sechs. Verhandlungen, Geld. Auf dem Schoss Suheyla. Sie ist fünf bis sechs Stunden alt. Wer weiß es, vielleicht seit diesen Tag dieses blasses Gesicht von Suheyla..
Jetzt sind sie hier. Ich verstehe so, dass man Seral und Maral denunziert habe, sie seien illegal hier oder so.
Seral ist wütend darüber, dass die Babybekleidung, die sie an Gitter gehängt hatte, sobald sie trocknen, runter fallen. Schließlich finden wir eine Lösung. Serals Kopftuch wird wie eine Leine an Gitter gebunden und die gewaschene Kinderwäsche wird darüber gelegt. Und sie werden in ein paar Tagen wohl abgeschoben. Ein Anwalt kümmert sich darum, dass sie nicht abgeschoben werden…
In der benachbarten Zelle erhebt sich in der Nacht eine kurdische Klagelied. Das sind die Stimmen von Didar und Hajar, die sich seit acht Tage im Hungerstreik befinden … Seral schlägt erneut an die Wand und fragt: „Schwester, werden sie uns zurückschicken?“ Ich antworte „Ich arbeite daran Seral, ich hoffe, dass ihr nicht abgeschoben werdet.“ Dann singt Saral ein Lied auf Arabisch. Irgendwann versuchen alle zu schlafen. Suheylas Nase ist verstopft, das Röcheln der Nase hört man von hier.
Die Taten von Didar und Hacer sind unbekannt. Die einzige illegale Aktivität, die sie während des Tages machen, ist, uns zu grüßen, wenn keine Polizei auf dem Weg zum Eingang der Toiletten ist. Die einzige ungesetzliche Handlung, die wir tun, ist, Ayşe auf der Station jedes Mal zu umarmen, wenn sie die Tür der Zelle öffnet, um Aslis Medikamente zu bekommen. Die einzige illegale Aktion, die Ayse macht, besteht darin, alles, was essbar ist, aufzusammeln und irgendwo in der Zelle zu verstecken. Letztendlich resultieren diese fortdauernden Handlungen, so dass Ayse in unsere Zelle untergebracht wird. Frauen machen aus den Decken, die man uns überlässt, Kissen. Ich schaukele Ayşe auf meinem Fuß, ich streichele Ayses Bauch und sie hält meine Hand fest und versucht mit aller Kraft Augen offen zu halten aber schläft sie kurz danach vor lauter Müdigkeit ein.
Vom Abend zu Abend kommen immer mehr Menschen hierher. Auch Hacer und Didar kommen zu uns in die Zelle. Hacers Problem das Studium. „Ich werde alle meine Prüfungen bestehen, sobald ich hier raus bin“, sagt Hacer. Sie bieten Ayse und mir Zucker an, den sie für den Hungerstreik bekommen haben, den sie machen. Eine offizielle Stimme unterbricht dieses: „Es ist verboten, Zucker andere Personen zu geben!“
Vom Tag zu Tag wird immer schwieriger Kinder hier zu alten, beschämt von den Weinen der Kinder, sagt Seral hilflos, den Kopf an Eisengitter angelegt, Augen auf den Boden gerichtet: „Wir sind hier, um dem Krieg zu entkommen.“ Und die Frauen in dieser Zelle springen zugleich und riefen:“ Wir sind hier, da wir nein zum Krieg sagen“ …
Aus dieser Abteilung „Täter Unbekannt“ werde nach vielen Tagen entlassen. Ich umarme Maral, Seral, ich umarme Ayse.
Seda muss in die U-Haft während ich freikomme. Ich fahre dann nach Tuzlucayir Göbek, in die genannte Adresse hin. Niemand öffnet mir die Tür.
Der Name der Geschichte wird von anderen gesetzt, aber die Frauen, die dem Krieg widerstehen, schreiben den Inhalt. Wir sind inmitten einer unbekannten Geschichte.
Eine Geschichte, die vielleicht in einem Ort ist, zwischen dem Brotstück, das vom Ayse unter der Pullover auf ihrem Brust versteckt wurde, Ayse, die vom Krieg geflogen ist, und im Hunger, der durch Hungerstreiks entstanden ist, von Didar, die dem Krieg nein sagte.
Das Bild von Valery Rybakow
Quelle:
http://www.birikimdergisi.com/guncel-yazilar/8734/faili-mechul-bir-gozalti-hikayesi#.WndMMuHkSM9
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