Die Medien verbreiten willfährig die Kriegslügen vermeintlicher Experten.
Der blinde Fleck
von Jonathan Cook
Der Investigativjournalist Gareth Porter hat zwei Exklusivberichte veröffentlicht, die weit wichtiger sind, als auf den ersten Blick ersichtlich. Sie betreffen die israelische Bombardierung einer vermeintlichen Nuklearanlage, die – nach dem eigennützigen Narrativ der USA und Israels – angeblich von Syriens Staatschef Bashar Assad heimlich gebaut wurde.
Auch wenn der Angriff auf den „Nuklearreaktor“ bereits vor zehn Jahren erfolgte, enthält er eine dringende Lehre für diejenigen, die die aktuellen Ereignisse in Syrien untersuchen.
Porters Recherchen sind ein deutlicher Hinweis darauf, dass das Gebäude, das damals bombardiert wurde, gar kein Atommeiler gewesen sein kann – und dass das den Experten von der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) zu dem Zeitpunkt auch bewusst war, als die Story auf unkritische Weise groß in den westlichen Medien gebracht wurde.
Politisch opportun
Doch – und das ist die entscheidende Information Porters – die IAEA hat nicht preisgegeben, dass sie sich sicher war, dass das Gebäude eben keine kerntechnische Anlage war. Auf die Weise hat die Organisation zugelassen, dass das erfundene Narrativ unwidersprochen Verbreitung fand. Sie hat die Wissenschaft preisgegeben und sich damit politischer Opportunität gebeugt.
Das Bekanntmachen der gefälschten Story von einem Atomreaktor durch Israel und Schlüsselfiguren der Bush-Administration sollte als Vorwand für einen Angriff auf Assad dienen. Dies würde, so die Hoffnung, seine Präsidentschaft beenden und die Hauptzielscheibe – den Iran – in die Auseinandersetzung verwickeln. Der syrische „Nuklearreaktor“ sollte eine Wiederauflage des Betrugs mit den Massenvernichtungswaffen sein, den man 2003 benutzt hat, um einen anderen Feind der USA und Israels zu vertreiben, nämlich Saddam Hussein im Irak.
Es ist bemerkenswert, dass der fingierte Beweis für einen Atomreaktor im Jahr 2007 veröffentlicht wurde, ein Jahr, nachdem Israel damit gescheitert war, die Hisbollah im Libanon zu besiegen. Der Libanonkrieg von 2006 selbst war dazu vorgesehen, auf Syrien überzugreifen und Assad zu stürzen, wie ich in meinem Buch „Israel and the Clash of Civilisations“ erläutert habe.
Es ist wichtig daran zu erinnern, dass dieser israelische-Neocon-Komplott gegen Syrien älter ist als der Bürgerkrieg im Jahr 2011– und ihn sogar in vielerlei Hinsicht ankündigte. Dieser Krieg verwandelte sich rasch in einen Stellvertreterkrieg, in welchem die USA zum wichtigen, wenn auch meist verdeckt handelnden Akteur wurden.
Der Hexenjäger der Linken
Die Bedeutung des Atomreaktorbetrugs wird verständlich, wenn man die letzten Bemühungen des Guardian-Kolumnisten George Monbiot (und vielen anderen) heranzieht, prominente Linke für ihre Zurückhaltung bei der Bewertung deutlich aktuellerer Ereignisse in Syrien zu diskreditieren, darunter Noam Chomsky und John Pilger. Monbiot greift sie an, weil sie sich ihm nicht angeschlossen haben in seiner Unterstellung, dass Assad im letzten April für den Sarin-Angriff auf Khan Sheikhoun, eine Alkaida-Hochburg in der Provinz von Idlib, verantwortlich war.
Verständlicherweise hüteten sich viele Linke instinktiv davor, vorschnell über einzelne Vorkommnisse im Syrien-Krieg und die Narrative, die in den westlichen Medien präsentiert werden, zu urteilen. Die Behauptung, dass Assads Regierung in Khan Sheikhoun und früher schon in Ghouta chemische Waffen benutzt hat, war ein offensichtlicher Segen für diejenigen, die mehr als ein Jahrzehnt darauf verwandt haben, einen Regimewechsel in Syrien zu erzielen.
Monbiot hat inzwischen die hässliche Angewohnheit, die mir schon früher aufgefallen ist, sich als Hexenjäger zu betätigen. Jegliches Infragestellen von Beweisen, jeglicher Skeptizismus oder einfach nur Anzeichen einer offenen Herangehensweise reichen offensichtlich schon aus, Vorwürfe zu rechtfertigen, man sei ein Anhänger Assads oder Verschwörungstheoretiker. Wer den Zweifeln von Ballistik-Experten wie Ted Postol vom MIT oder einem erfahrenen internationalen Waffenexperten wie Scott Ritter oder einem berühmten Investigativ-Journalisten wie Seymour Hersh oder einem früheren CIA-Analysten wie Ray McGovern Raum gibt, erweist sich damit offenbar als Leugner von Gräueltaten oder noch Schlimmeres.
Weg mit unbequemen Fakten
Seinen jüngsten Angriff lancierte Monbiot zu einem Zeitpunkt, an dem er offensichtlich das Gefühl hatte, auf festem Grund zu stehen. Eine UN-Einrichtung, die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), veröffentlichte im letzten Monat (Oktober 2017, A. d. Ü.) einen Bericht, der zu dem Schluss kam, dass die 100 Menschen, die in Khan Sheikhoun im letzten April getötet, und die 200 Menschen, die dort verletzt wurden, dem Nervengas Sarin ausgesetzt waren. Monbiot behauptet, der Beweis sei nun unwiderlegbar erbracht, dass Assad verantwortlich war – eine Position, die er, natürlich, von Beginn an eingenommen hatte – und dass alle anderen Theorien von der OPCW nunmehr widerlegt worden seien.
Es gibt Gründe anzunehmen, dass Monbiot die Beweiskraft der Erkenntnisse der OPCW falsch wiedergibt, wie einige Kommentatoren beobachtet haben. Allen voran Robert Parry, ein weiterer führender Investigativ-Journalist. Er weist darauf hin, dass die Beweise im Anhang des Berichts – dort, wo unpassende Fakten oft vergraben werden – ein riesiges Loch in die offizielle Story zu reißen scheinen.
Parry stellt fest, dass der Zeitpunkt, den die UN auf dem Foto des Chemiewaffenangriffs dokumentiert, mehr als eine halbe Stunde nach dem Zeitpunkt liegt, an dem rund 100 Opfer bereits in fünf verschiedene Krankenhäusern aufgenommen worden waren, manche von ihnen befanden sich sogar eine längere Autofahrt vom angeblich betroffenen Standort entfernt.
Noch wichtiger als solche störenden Unstimmigkeiten sind unter Umständen die Schlussfolgerungen von Gareth Porters separater Untersuchung der israelischen Bombardierung des nicht-existenten syrischen Nuklearreaktors. Das bringt uns zum Kern der Sache und an den Punkt, an dem Monbiot und viele andere in ihrer Gewissheit bezüglich der Ereignisse in Syrien gründlich danebenliegen.
Äußerste Naivität
Monbiot war nur allzu willig, Behauptungen aus äußerst fragwürdigen und unzuverlässigen westlichen Quellen und von angeblichen angesehenen und unabhängigen Organisationen wie internationalen Menschenrechtsgruppen und UN-Einrichtungen zum unumstößlichen Faktum zu machen. Wie viele andere nimmt er an, dass die letzteren den Abstand zu westlichen Interessen wahren und deshalb bedingungslos vertrauenswürdig sind.
Daraus spricht eine extreme Naivität oder möglicherweise völlige Unerfahrenheit hinsichtlich aufgeladener Konflikte, die westliche Interessen zentral berühren.
Ich lebe seit bald zwanzig Jahren in Israel und habe mir bereits mehrmals die Organisation Human Rights Watch (HRW) vorgeknöpft, eine der weltweit anerkanntesten Menschenrechtsorganisationen. Ich konnte zeigen, dass diverse Einschätzungen des HRW ganz offensichtlich nicht auf Beweisen fußten oder auch nur auf glaubhaften Interpretationen des Völkerrechts, sondern auf geopolitischen Erwägungen.
Dies traf insbesondere zu auf den Fall der Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hisbollah im Jahr 2006, die sich über einen Monat erstreckten. Meine Bedenken hinsichtlich der Arbeit von HRW, so erfuhr ich später von Insidern, wurden in ihrer New Yorker Zentrale geteilt, aber von den Führungskräften der Organisation unter der Decke gehalten.
Der Nuklearanlagen-Betrug
Doch Porter trägt dazu bei zu erhellen, wie selbst die angesehensten internationalen Einrichtungen schließlich ein Drehbuch befolgen, das in Washington geschrieben wurde und das rücksichtslos über Beweise hinweggeht, insbesondere wenn die Interessen der einzigen Supermacht der Welt auf dem Spiel stehen. In diesem Fall wurden die Täuschungen von einer der führenden wissenschaftlichen Organisationen der Welt fortgesetzt: Der Internationalen Atomenergie Organisation, die die Nuklearaktivitäten von Staaten überwacht.
Porter deckt auf, dass Yousry Abushady, der führende IAEA-Experte für nordkoreanische Nuklearreaktoren, die Luftbild-Belege sofort entkräftete, wonach das Gebäude, welches Israel 2007 bombardierte, ein Atomreaktor sei. (Höchstwahrscheinlich handelte es sich um eine stillgelegte Raketen-Lagerhalle.)
Die syrische Atomanlage, so vermerkte er, konnte gar nicht unter Anwendung nordkoreanischen Knowhows gebaut worden sein, wie es die USA behaupteten. Sie wies keine der Hauptmerkmale eines nordkoreanischen gasgekühlten Reaktors auf. Die Fotos, die die Israelis vorlegten, zeigten ein Gebäude, das unter anderem zu wenig Raum einnahm und nicht annähernd hoch genug war. Es verfügte über keine der notwendigen haltgebenden Strukturen und keinen Kühlturm.
Abushadys Bewertung verschwand in den Schubladen der IAEA. Die Organisation zog es vor, dass CIA und Israelis ihr Narrativ unhinterfragt verbreiten konnten.
Das Schweigen der Atombehörde
Dies war kein einmaliger Ausrutscher. Im Sommer 2008 besuchte die IAEA das Gebiet, um Proben zu nehmen. Hätte es sich hier tatsächlich um eine Atomanlage gehandelt, hätte man dort überall nuklearreine Graphitpartikel finden müssen. Sie fanden aber keine.
Dennoch beging die IAEA erneut eine Täuschung in dem Versuch, das fiktive US-israelische Narrativ zu stützen.
Routinemäßig sandten sie Proben an eine Reihe von Labors, um sie dort analysieren zu lassen. Keines davon konnte eine nukleare Kontamination nachweisen – bis auf eines. Es identifizierte Menschen-gemachtes Uran. Die IAEA veröffentlichte einen Bericht, der diese aus der Reihe fallende Probe besonders hervorhob, und das, obwohl die IAEA mit dieser Vorgehensweise ihren eigenen Kodex verletzte, so Parry. Nur in dem Falle, dass alle Proben übereinstimmten, hätte die IAEA zu so einem Schluss kommen dürfen.
Tatsächlich stammte die Uranprobe, wie einer der drei IAEA Inspektoren, der an der Anlage gewesen war, später berichtete, nicht von der Anlage selbst, die sauber war, sondern aus einem Umkleideraum in der Nähe. Ein ehemaliger leitender IAE-Inspektor, Robert Kelley, teilte Parry mit, eine „sehr wahrscheinliche Erklärung“ sei, dass die Uranpartikel durch Kreuzkontamination von der Kleidung der Inspektoren stammte. Dieses Problem kannte die IAEA schon von früher in anderen Zusammenhängen.
In der Zwischenzeit verschwieg die IAEA in neun späteren Berichten, dass sie zwei Jahre lang keinerlei nuklearreinen Graphit finden konnte. Zum ersten Mal erwähnte sie diesen kritischen Aspekt im Jahr 2011.
Krieg mit dem Iran?
Mit anderen Worten: Die IAEA hat eine fiktive, völlig unwissenschaftliche Bewertung der Geschichte vom syrischen „Nuklearreaktor“ mitgetragen, eine Story, die den geopolitischen Interessen der USA und Israels bestens gedient hat.
Porter hebt hervor, dass Vizepräsident Dick Cheney “hoffte, den angeblichen Reaktor dazu zu benutzen, Präsident George W. Bush dazu zu bewegen, Syrien aus der Luft anzugreifen, in der Hoffnung, so das syrisch-iranische Bündnis zu erschüttern“.
Tatsächlich wollte Cheney weit mehr Orte in Syrien treffen als die falsche Nuklearanlage. In seinen Memoiren schrieb Robert Gates, der damalige Verteidigungsminister, dass Cheney „nach einer Gelegenheit suchte, einen Krieg mit dem Iran zu provozieren“.
Die Bush-Regierung wollte eine Möglichkeit finden, Assad zu stürzen, die Hisbollah im Libanon zu vernichten und den Iran isolieren und schwächen, um so den sogenannten schiitischen Halbmond zu zerstören.
Dieses Ziel verfolgen die USA heute aktiv, und Israel und Saudi Arabien weisen den Weg. Dan Shapiro, ein früherer US-Botschafter in Israel, warnte kürzlich davor, dass die Saudis, nachdem ihr Vorhaben, Assad zu stürzen, fehlgeschlagen ist, nunmehr versuchen, den Kampf in den Libanon zu verlagern, in der Hoffnung, so eine Konfrontation zwischen Israel und der Hisbollah anzufachen, die den Iran mit hineinzerren würde.
Preisgabe der Wissenschaft
Damals im Jahr 2007 trug die IAEA, ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern, ihren Teil dazu bei, US-Bemühungen zu unterstützen – oder jedenfalls nicht zu behindern – politische Gründe für eine Militäraktion gegen Syrien und, gut möglich dann auch gegen den Iran, zu befördern.
Wenn die IAEA ihren Auftrag und das Anliegen der Wissenschaften einfach links liegen lassen konnte, um der Politik im Namen der USA zur Seite zu springen, was bringt Monbiot dazu anzunehmen, dass es um die OPCW, eine politisch noch stärker vereinnahmte Organisation, heute besser stehen sollte?
Damit will ich nicht sagen, dass Assad oder zumindest Teile der syrischen Regierung den Angriff auf Khan Sheikun nicht ausgeführt haben könnten. Sehr wohl aber will ich geltend machen, dass die Beweise in einer derartigen Angelegenheit, bei der so viel auf dem Spiel steht, gründlich untersucht werden müssen, und dass die Linken Kritiker, insbesondere Fachleute, die Gegenbeweise anbieten, angehören müssen.
Es ist doch so, dass Skepsis mehr als angebracht ist, wenn sich die Anklage gegen Assad so nahtlos in ein altes und eigennütziges westliches Narrativ fügt. Es geht darum darzulegen, dass Fakten, so unumstößlich sie auch scheinen mögen, selbst von Expertengremien manipuliert sein können. Deshalb müssen die Umstände gebührend gewürdigt werden, die Abschätzung von Motiven eingeschlossen.
Das ist kein unmäßiger „Hang zum Leugnen“, wie Monbiot behauptet. Sondern eine rationale Strategie, die von jenen verfolgt wird, die etwas dagegen haben, sich erneut – wie schon im Falle Iraks und Libyens – im Hauruckverfahren in katastrophale Regimechange-Operationen hineintreiben zu lassen.
Unterdessen sollte die Entscheidung Monbiots und anderer, den Kopf in den Sand eines offiziellen Narrativs zu stecken und gleichzeitig alle zu denunzieren, die ihren Kopf zu heben versuchen, um besser sehen zu können, als das verstanden werden, was es ist:
Das Leugnen von intellektueller und moralischer Verantwortung für jene Menschen weltweit, die nach wie vor Opfer der westlichen Militärübermacht sind.
Foto: Sergey Nivens/Shutterstock.com
Quelle: https://www.rubikon.news/artikel/blindes-vertrauen