Diskussion Hamburger Rückblicke auf die G20-Proteste
Selbstbefriedigung statt Politik
Mal ehrlich, gern denken wir an die G20-Proteste nicht zurück. Gut, das Spektakel der Mächtigen ging nicht auf. Um die Welt gingen Bilder von Rauchwolken und brennenden Barrikaden. Tatsächlich brachte die Protestmobilisierung viele Menschen und Strukturen zusammen, die sonst wenig Berührungspunkte hatten. Der_die eine oder andere hat sich nach links politisiert und ist sogar einer der wenigen offenen linken Gruppen beigetreten. Was uns aber interessiert, ist die Frage: Wurden Kräfteverhältnisse verschoben, und wenn ja in welche Richtung? Das Fazit ist negativ. Die Proteste haben der lokalen Verankerung linker Politik nachhaltig geschadet. Angefangen damit, dass mangels kreativer Protestideen für den urbanen Raum das Block-G8-Konzept ein unwürdiges G20-Revival feierte. Später führten die Riots im Schanzenviertel und an der Elbchaussee zum Bruch mit den Anwohner_innen. Die Großdemonstration am Samstag fand in der Berichterstattung kaum statt. Der komplett auf Eskalation angelegte Polizeieinsatz und die nachfolgende Repression konnten niemanden außerhalb der linken Szene auf die Straße bringen. Die Wut über die Zerstörungen ist größer als die Wut auf die Regierung. Verschärfungen des Hamburger Polizeigesetzes könnten dank der »erfolgreichen« (ak 630) Gipfelproteste leichter durchgewunken werden. Die Proteste gegen G20 haben einmal mehr gezeigt: Der Ansatz, die eigene antagonistische Haltung bei Großevents zur Schau zu stellen, ist mehr Selbstbefriedigung als Politik. Protestereignisse, wie wir sie in Hamburg erlebten, sind keine notwendige Ergänzung lokaler Kämpfe, sondern schaden ihnen.
Florian und Jonas aus der IL Hamburg
Die besten Tage des Jahres
Aus den Erfahrungen, die ich während der Gipfelproteste gemacht habe, lautet meine Bilanz: Gegen eine fast militärische Besetzung Hamburgs haben wir es geschafft, ein von Tausenden Aktivist_innen geschaffenes alternatives Netz über weite Teile der Stadt aufzuspannen, in dem die Umrisse einer anderen, solidarischen Vergesellschaftung und einer kosmopolitischen Stadtentwicklung von unten aufgeschienen sind. In den sozialen Zentren, Camps, Infopoints, Schlafplatzbörsen, Medienzentren, Küfas, auf den Veranstaltungen, Demonstrationen, Performances und Festen sind sie als gelebte Utopie spürbar geworden. Der Widerstand gegen die herrschende Weltordnung hat sich verknüpft mit der Konstruktion neuer Formen des sozialen Lebens. Ohne diesen emanzipatorischen Kern wäre er sinnlos. Daran ist der Gipfel der Herrschenden gescheitert. Das war ihr wahrer Kontrollverlust. Deshalb waren diese Tage im Juli für viele – trotz der massiven Polizeirepression – die besten des Jahres. Diese Erfahrungen und Begegnungen nehmen wir mit. Aus ihnen ist neues Vertrauen zwischen den Bewegungsstrukturen entstanden. Unsere vielleicht größte Schwäche war, dass es uns lange nicht gelungen ist, unsere Perspektive auf die Ereignisse gegen den medialen Mainstream zu behaupten. Gegen diese Form der Enteignung bleibt es wichtig, unsere eigene Geschichte dieser Tage zu erzählen.
Theo Bruns, während G20 aktiv in der Freien Oase Gängeviertel.
Die Macht der herrschenden Erzählung
Das alternative Medienzentrum FC/MC im Millerntorstadion war ein temporäres Experiment und hat im Dezember 2017 eine letzte »anstiftende Abschlusserklärung« veröffentlicht, die wir mit Blick auf das Treffen der G20 im November 2018 in Buenos Aires zuerst ins Spanische übersetzt haben. Aber die Korrektur der Erzählung vom »nie dagewesenen Gewaltausbruch« ist kleinteilig und mühsam im Vergleich zu der Leichtigkeit, mit der diese Erzählung in die Welt gesetzt wurde. Möglicherweise ist in Hamburg selbst einiges passiert, wodurch diese Sicht ein paar Risse bekommen hat. Während hier die linken Strukturen eher gestärkt aus der Sache rausgekommen sind, vermute ich, dass es für linke Zentren anderswo nicht unbedingt lustiger geworden ist. Das FC/MC verstand sich als alternatives Medienzentrum, aber es hatte den Anspruch, das offizielle G20-Medienzentrum historisch abzulösen – ein Anspruch, der von vornherein sein Scheitern augenzwinkernd artikulierte, aber von seiner Legitimität und Dringlichkeit nichts verloren hat.
Maren Grimm, alternatives Medienzentrum FCMC (fcmc.tv)
Call me in case of revolution
Beim G20 war für alle was dabei: Während die Einen in Glitzer auf Demoraves tanzten, versammelten sich andere in schwarz zum unangemeldeten Abendball in der Schanze. Geeint hat den Protest ein – diffuses – Moment des Aufbegehrens. Dem wollten wir mit der Aktion »Shut down the Logistics of Capital« im Hamburger Hafen ein weiteres Element jenseits des ritualisierten Gipfelprotests und der verkürzten Kritik an den Charaktermasken des Kapitals hinzufügen. Wie zu erwarten war: Das Ende des Kapitalismus lässt auf sich warten. Der Hafen steht noch, und anders als die Hamburger SPD strahlt der geplünderte Rewe wieder in altem Glanz. Die Kassierer_innen bekommen weiterhin ihre elf Euro Brutto die Stunde. Die Kids in St. Pauli trinken Bier auf der Straße und hassen die Polizei vielleicht mehr als früher, was aber auch am Charterfolg der 187 Strassenbande liegen könnte. Die radikale Linke in Hamburg blieb seltsam sprachlos zurück. Heute verharrt die inhaltliche Bearbeitung des Gipfels bei der Skandalisierung von Cops und Justiz, die praktische bei Antirepressionsarbeit und Jahrestagsfolklore. Dabei treten die politischen Fragen und Ziele in den Hintergrund: Lag in den Feuern nun Emanzipation, oder waren sie – falls das ein Gegensatz ist – nur lustvolle Reaktion auf Cops und Kapitalismus? Kann ein Gipfel um ganzheitlichere Kritik am Bestehenden ergänzt werden, oder bindet das diffuse Aufbegehren zwangsläufig alle aktivistische und mediale Aufmerksamkeit? Und wie können wir die vielen wertvollen Erfahrungen kollektiv nutzen? Die Antworten darauf lassen sich nur gemeinsam finden.
Gruppe für den organisierten Widerspruch, Hamburg
Polizeistaat wird Alltag
Einerseits sind beim G20-Protest viele neue Kontakte entstanden. Andererseits geht für die meisten alles weiter wie gehabt. So auch im Flüchtlingsrat, wo der alltägliche Rassismus und die verschärfte Politik gegen Geflüchtete auf der Tagesordnung stehen. Am Thema G20 dran geblieben sind Zusammenschlüsse wie United We Stand, die als Antirepressionsgruppen die Solidarität mit den G20-Verfolgten organisieren, und der Außerparlamentarische Untersuchungsausschuss, eine Handvoll Leute, die die Ereignisse mithilfe einer digitalen Timeline aufarbeiten. Die Bürgeranhörung des G20-Sonderausschuss in der Altonaer Johanniskirche Ende Mai war eine Gelegenheit, die Deutungshoheit der Polizei und der Medien kurzzeitig zu durchbrechen und öffentlichkeitswirksam die Empörung darüber auszudrücken, dass das Polizei-Desaster keine politischen Konsequenzen hatte. Im Gegenteil wurden die Verantwortlichen wie Bürgermeister Scholz und Einsatzleiter Dudde noch befördert – Innensenator Grote sitzt ebenfalls weiter auf seinem Posten. Gleichzeitig blasen die Medien zur Treibjagd gegen vermeintliche Flaschenwerfer_innen, europaweit tritt die Polizei Wohnungstüren ein. Die Rücktrittsforderungen von Altona werden aber keine politische Konsequenzen haben. Im Gegenteil: Schärfere Polizeigesetze sollen den polizeistaatlichen Ausnahmezustand in den Alltag überführen.
Achim, aktiv im Hamburger Flüchtlingsrat und beim Außerparlamentarischen Untersuchungsausschuss zu G20.
Aufhören aufzugeben
Ach ja, der G20. Es gab so viel Grandioses! Die Demo von Geflüchteten und Migrant_innen am 24. Juni 2017, vor dem Gipfel; während der Gipfelwoche der Arrivati-Park mit der Urban-Citizenship-Karte; der Alles-Allen-Demo-Rave mit 20.000 Leuten und klaren antirassistischen Positionen; die Spontandemo Donnerstagabend mit 9.000 Leuten; die Barkassen-Aktion der Glasmoorgruppe, die seit den 1990er Jahren gegen Abschiebungen kämpft, und die Banner-Aktion der Seawatch; der internationale Recht-auf-Stadt-kennt-keine-Grenzen-Block auf der Großdemonstration am Samstag; das alternative Medienzentrum im Millerntorstadion! Die superleichten, schwebenden Black-Block-Würfel! Ich war beeindruckt, wie viele Refugees und Migrant_innen sich getraut und aktiv beteiligt haben. Die anschließende Diskursverschiebung nach rechts (auch innerhalb der Linken) wirkt immer noch nach, viele waren nach dem Gipfel erschöpft und ernüchtert, aber was soll ich sagen: We need to stop to give up!
Tanja Low, Schanzenviertelbewohnerin, beim Gipfel unterwegs mit dem Netzwerk Recht auf Stadt – never mind the papers.
Noch so ein Sieg, und wir sind verloren
Die Gipfelproteste in Hamburg waren wohl das, was man einen Pyrrhussieg nennt. Ja, die Bilder der Proteste haben die Berichterstattung bestimmt. Und ja, künftige Verantwortliche sind geheilt von der Idee, ein vergleichbares Treffen in einer Metropole durchführen zu können. Innensenator Grote hatte im Vorfeld das polizeiliche Konzept als »Schaufenster moderner Polizeiarbeit« bezeichnet und ein »Festival der Demokratie« angekündigt. Nun weiß man, dass moderne Polizeiarbeit u.a. in der Missachtung von Gerichtsurteilen, im Einsatz schwerbewaffneter Antiterroreinheiten besteht. Demokratie bedeutet in dieser Lesart die Außerkraftsetzung der Versammlungsfreiheit oder den rechtswidrigen Entzug von Presseakkreditierungen. Innerhalb der Linken aber haben brennende Barrikaden, Autos und geplünderte Geschäfte im Schanzenviertel kaum zu Debatten geführt. Die Frage, ob die Proteste Vorboten des kommenden Aufstandes waren oder Strohfeuer, ist nicht beantwortet. Eine politische Auseinandersetzung über die Versuche, eine Tankstelle und in Wohnhäusern befindliche Geschäfte in Brand zu setzen, wurde gemieden. Perspektiven einer gemeinsamen Politik über die Gegenproteste des G20 hinaus sind nicht erkennbar. Einen Analyseversuch stellt die Broschüre »Rauchzeichen« vom Herbst letzten Jahres mit Beiträgen autonomer und anarchistischer Gruppen dar. Dort ist die Bilanz der Gipfelproteste positiv. »Die Schönheit der Bewegung eines durch Metall verlängerten Körpers, der sich einem Schaufenster nähert« wird in einem Text beschrieben. Noch so ein Sieg, und wir sind verloren.
Andreas Blechschmidt, seit 30 Jahren aktiv in der Hamburger autonomen Szene.
Quelle: https://www.akweb.de/ak_s/ak639/42.htm