Vorabdruck. Der Ku-Klux-Klan hat auch in Deutschland Anhänger. Darunter befanden sich Kollegen der 2007 mutmaßlich vom NSU ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter
Bloß Bibelauslegung? Deutsche Polizisten bekannten sich im Aufnahmeritual eines baden-württembergischen Chapters des Ku-Klux-Klans zur »Vorherrschaft der weißen Rasse in einer christlichen Nation« (Zeremonie des KKK in Henry County, Virginia, im Oktober 2014)
Foto: Johnny Milano/ REUTERS
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Thumilan Selvakumaran ist Journalist und Redakteur der Südwest-Presse Hohenlohe.
Andreas Förster, Thomas Moser, Thumilan Selvakumaran (Hrsg.): Ende der Aufklärung. Die offene Wunde NSU. Klöpfer und Meyer, Tübingen 2018, 328 Seiten, 25 Euro
In den kommenden Tagen erscheint im Tübinger Verlag Klöpfer und Meyer der von Andreas Förster, Thomas Moser und Thumilan Selvakumaran herausgegebene Sammelband »Ende der Aufklärung. Die offene Wunde NSU«. Wir veröffentlichen daraus mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Herausgebern einen redaktionell gekürzten Beitrag von Thumilan Selvakumaran.(jW)Als die Meldung über den Funk kommt, sitzen Timo H. und Uwe B. im Ford Fiesta mit dem Tarnkennzeichen BB – VM 367. »Kollege Ex«, schallt es aus dem Lautsprecher. Polizeisprache für einen toten Beamten. Gerade noch haben die beiden Zivilpolizisten in der Subway-Filiale in Heilbronn gegessen. Nun hören sie auf zu denken, sagen sie später. Das ist in den Ermittlungsakten zum Heilbronner Polizistenmord nachzulesen. Die beiden Beamten funktionieren nur noch instinktiv, rasen mit dem Kleinwagen vom Heilbronner Bahnhof in Richtung Theresienwiese. Dort angekommen, versucht Timo H. die Zufahrtswege abzusperren, bemerkt, dass im Hintergrund neben einem silbernen Streifenwagen am Trafohäuschen Rettungskräfte dabei sind, einen Beamten zu reanimieren. Er sieht auch die mit einer dunklen Plane abgedeckte Polizistin neben der Fahrertür. Eine Hand schaut heraus, daneben liegt ein pinkfarbenes Handy. Erst vier Jahre nach der Tat wird Timo H. von der Soko »Parkplatz« ausführlich zu seinen ersten Minuten am Tatort vernommen.
Timo H. war an jenem 25. April 2007 Gruppenführer der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) 523 aus Böblingen, zu der auch Michèle Kiesewetter und Martin Arnold gehörten. H. war verantwortlich für die Einteilung, Ansprechpartner für die Vorgesetzten. Zu sechst waren sie an diesem Tag nach Heilbronn gefahren, zu viert kehrten sie am Abend zurück. Die beiden Schüsse, abgefeuert auf Kiesewetter und Arnold, löschten ein Leben aus, verletzten einen Beamten lebensgefährlich. Das waren die direkten, schmerzlichen Folgen. Jahre später sollte der Heilbronner Polizistenmord für H. aber weitere Konsequenzen haben. Mit dem Auffliegen des »Nationalsozialistischen Untergrunds« 2011 wurde Timo H. von seiner eigenen Vergangenheit eingeholt: sein Ausflug in die Abgründe des rassistischen Ku-Klux-Klans. Dort schwärmten die Geheimbündler kurz nach der Jahrtausendwende von der Überlegenheit der weißen Rasse, tauchten in eine Wahnwelt ein, in der es keine »Rassenvermischung« gibt. Das große Vorbild war der KKK im Ursprungsland USA, wo die Rassisten wegen der Lynchmorde an Dunkelhäutigen berüchtigt waren. Offiziell geht es aber nur um die Treue zum Christentum.
Die Affäre Ku-Klux-Klan ist zwar Teil des NSU-Komplexes, birgt für sich alleine aber schon reichlich politischen Sprengstoff. Nicht nur weil Polizisten, die auf die Demokratie schworen, unter weißen Kutten mit spitzen Kapuzen mitmischten. Die Landesbehörden in Baden-Württemberg klärten weder den Skandal auf, noch sanktionierten sie die Akteure. Die betreffenden Beamten sind noch immer im Dienst. Offiziell hat man ihnen abgenommen, dass sie nicht gewusst hätten, was wirklich hinter dem Klan steckt.
Höllenhunde und Kapuzenmänner
Rückblick: Bereits um die Jahre 1992/1993 gründete sich in Baden-Württemberg die Gruppe »International Knights of the Ku Klux Klan« (IK KKK). Chef der Organisation war der in Deutschland lebende US-Amerikaner Paul Joseph Emond aus Widdern. Um den sogenannten Grand Dragon, wie der Anführer in der KKK-Sprache heißt, scharten sich Rassisten vorwiegend aus dem Heilbronner und Haller Raum. Darunter war auch Achim Schmid, wie unter anderem aus einem Sachverständigenbericht des zweiten Berliner NSU-Untersuchungsausschusses hervorgeht. Der damalige V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) war in der NPD aktiv, versuchte sich aber auch als Sänger von Bands wie »Celtic Moon« und »Höllenhunde«. Im Ausland trat er zudem als Liedermacher der Band »Wolfsrudel« auf. In den Fokus der Ermittler rückte der Klan allerdings erst viel später. Zu den wenigen Dokumenten darüber gehört ein Fax des Schwäbisch Haller Staatsschützers Erich W., der auf das Treiben der Neonazis aufmerksam geworden war. W. informierte 1998 per Schreiben das LfV in Stuttgart, wie er im Juni 2015 vor dem baden-württembergischen NSU-Ausschuss aussagte. Doch im LfV war man mäßig interessiert. Der damalige Präsident Helmut Rannacher erklärte am 17. Juli 2015 vor dem Ausschuss, dass die Behörde erst ab 2001 vom KKK gewusst habe. Ein eindeutiger Widerspruch zum Fax von W. Dabei waren die Vorgänge innerhalb des Klans durchaus auch für das Landesamt für Verfassungsschutz von Bedeutung – die Schlapphüte schauten laut Rannacher aber nicht hin, auch, weil Klan-Strukturen damals generell keine Beobachtungsobjekte der Geheimdienste gewesen seien.
Sie wollen daher nicht bemerkt haben, dass es durch ihren V-Mann Achim Schmid zu Interessenkonflikten innerhalb des Klans gekommen war. Denn Schmid wollte sich abspalten, eine Führungsrolle übernehmen. Seine Ehefrau, Yvonne F., begründete diesen Schritt unter anderem damit, dass es sich bei den IK KKK durchweg um Alkoholiker gehandelt habe, die etwa im Suff Kaninchen mit Whiskey abgefüllt hätten. Das sagte sie ebenfalls im Juni 2015 vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Landtages aus. Zusammen mit den Klan-Männern Steffen B. und Thomas Richter gründete Schmid dann im Oktober 2000 sein eigenes Chapter: die »European White Knights of the Ku Klux Klan« mit Sitz in Schwäbisch Hall. Bei den »Mississippi White Knights of the KKK « in den USA ließ er sich kurz darauf zum Grand Dragon namens Ryan Davis schlagen. Fortan ließ er sich mit Revenant ansprechen. Er sei später in seiner Rolle »völlig durchgeknallt«, berichtete Yvonne F. in Stuttgart. Er habe zu seinen Anhängern gesagt: »Nennt mich Gott.«
Rund 20 Mitglieder soll der Schwäbisch Haller Klan gehabt haben, die aus Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern stammten. Das geht aus einer Mitgliederliste des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) hervor. Was aber Schmid nicht wusste: Nicht nur er spitzelte die rechte Truppe aus, sondern auch sein KKK-Gefährte Thomas Richter, V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) mit dem Decknamen »Corelli«. Der war vom BfV bereits auf Schmid angesetzt worden, als dieser noch Mitglied bei den »International Knights of the Ku Klux Klan« war.
V-Mann »Corelli« war vermutlich der Grund, wieso das Landesamt für Verfassungsschutz nicht auf das Fax vom Haller Staatsschutzbeamten W. reagierte. Schließlich hatte das übergeordnete Bundesamt für Verfassungsschutz einen eigenen Mann am Tisch sitzen – und diese Quelle galt es um jeden Preis zu schützen. So setzten die Nachrichtendienste den Deckel auf den Komplex und schwiegen eisern, auch als sich die baden-württembergische Polizei 2000 und 2001 beim LfV über den KKK erkundigen wollte. Der Verfassungsschutz erwiderte jeweils, es gebe keine Erkenntnisse. Freilich stimmte das so nicht.
Kontakt zu Mundlos
»Corelli« galt als Topquelle des BfV und war im gesamten Bundesgebiet mit rechten Gruppierungen vernetzt. Brisant wurde seine Tätigkeit im Kontext der NSU-Aufklärung, weil er auf einer Adressenliste von Uwe Mundlos auftaucht, die 1998 in einer Jenaer Garage gefunden, aber erst Jahre später nach dem Auffliegen des NSU ausgewertet wurde. Laut Jerzy Montag, Sonderermittler des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags, soll er mindestens einmal Mundlos persönlich begegnet sein. Dazu kommt, dass im Editorial des rechten Fanzines »Der weiße Wolf« im Jahr 2002 ohne weitere Erläuterung dem NSU ein Dank ausgesprochen wird – neun Jahre bevor die mutmaßliche Terrorzelle öffentlich bekannt wurde. »Corelli« soll ein Exemplar des Heftes auf Verlangen des BfV an das Bundesamt übergeben haben. Außerdem besorgte der V-Mann seinen Auftraggebern 2005 eine CD mit Bildern und Texten, die die Aufschrift »NSU/NSDAP« trug. Doch angeblich fiel niemandem im Bundesamt die Bezeichnung NSU auf – so beteuert es der Verfassungsschutz bis heute. Das Kürzel wurde dem Geheimdienst offiziell erst nach dem mutmaßlichen Selbstmord von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am 4. November 2011 in Eisenach bekannt.
Damals lebte der V-Mann allerdings bereits im Zeugenschutz, nachdem er zwei Jahre zuvor enttarnt worden war. Als Nebenklagevertreter im NSU-Prozess Beweisanträge vorbereiteten, um ihn zu befragen, starb »Corelli« plötzlich. Beamte fanden ihn tot in seiner Wohnung. Er soll einer nicht erkannten Diabeteserkrankung erlegen sein, heißt es im Obduktionsbericht von Werner Scherbaum, Medizin-Professor und Diabetes-Spezialist. Am 2. Juni 2016 erklärte er als Sachverständiger vor dem NSU-Untersuchungsausschuss in Nordrhein-Westfalen allerdings, dass er auch das Rattengift Vacor als Auslöser für den komatösen Zuckerschock nicht ausschließen könne.
Anfang der 2000er Jahre erfüllte der V-Mann seine Rolle beim Ku-Klux-Klan jedenfalls noch so gut, dass er zu Mitglied Steffen B. und auch Klan-Chef Achim Schmid eine scheinbar freundschaftliche Beziehung aufbauen konnte. Davon berichtete B. als Zeuge vor dem NSU-Ausschuss in Stuttgart. So gelangte die Nachricht, dass Schmid sein eigenes Chapter gegründet hatte, über das Bundesamt schnell auch an das Landesamt für Verfassungsschutz. Schmid selbst hatte den Stuttgarter Nachrichtendienst nicht informiert. Darüber war das Amt dermaßen erbost, dass es den neuen Klan-Chef kurzerhand als V-Mann abschaltete, wie Rannacher bei seiner Befragung vor dem Ausschuss erklärte. In jenem Jahr wurde der KKK dann offiziell von einem Verdachts- oder Prüffall zu einem Beobachtungsobjekt des Bundes und der Länder erhoben. So steht es zumindest in einem zusammenfassenden Bericht des Landespolizeipräsidiums vom 20. August 2012.
Die dafür nötigen Informationen besorgte weiterhin verlässlich Richter alias »Corelli«. Er nannte Namen von Neonazis, die im Geheimbund mitmischen wollten, berichtete von regelmäßigen Treffen im Haus von Achim Schmid im Schwäbisch Haller Stadtteil Gailenkirchen, von Kreuzverbrennungen und von mystisch anmutenden Aufnahmeritualen in Kellern und auf Burgruinen. Der Spitzel wusste mitzuteilen, dass etwa in der zweiten Jahreshälfte 2001 auch zwei Polizeibeamte aus Böblingen die Nähe zum Klan suchten: zuerst Jörg W., damals 31 Jahre alt, später dann Timo H., damals 21, der spätere Gruppenführer von Michèle Kiesewetter. Über Richter, der mindestens ein Mitglied des NSU kannte, entstand in diesem Moment eine indirekte Verbindung zwischen dem Opfer Kiesewetter und den mutmaßlichen Tätern in Heilbronn.
Doch was suchten Polizisten, die einen Treueeid auf die Verfassung der Bundesrepublik geschworen hatten, bei einer Rassistenvereinigung? Der erste Kontakt kam ganz banal zustande. Der Kollege und spätere Streifenpartner von Jörg W. war Jörg B., der Bruder von Steffen B., der mit Schmid die »European White Knights« gegründet hatte. Steffen B. soll der Sicherheitschef des Klans gewesen sein. Und er soll dazugekommen sein, als Jörg W. im Sommer 2001 seinen Kollegen Jörg B. in Schwäbisch Hall besuchte. Ziel war eine Sportsbar im Örtchen Gschlachtenbretzingen im Landkreis Schwäbisch Hall, vor der eine übergroße Deutschland-Flagge weht. Der Pächter ist auch heute noch ein bekennender Rassist, der NPD und AfD unterstützt. Die beiden Polizisten waren damals mit Steffen B. verabredet, der auch Achim Schmid mitbrachte. An diesem Abend wurde über vieles gesprochen, darunter auch über den Klan in Hall. »Er hat sich halt dafür interessiert, war halt Südstaatenfan«, erinnert sich Steffen B. vor dem NSU-Ausschuss. Sie tauschten Nummern aus, fortan kam es zu mehreren Treffen in Hall und Böblingen, zu denen Jörg W. später auch seinen Kollegen Timo H. mitbrachte. Die beiden waren zur damaligen Zeit eng befreundet.
Klar ist heute, dass es im Dezember 2001 zwei getrennte Aufnahmerituale für die beiden Beamten gab. Zuvor wurden sie mit verbundenen Augen durch den Wald zu Burgruinen bei Schwäbisch Hall geführt. Der Ablauf ist in einem Klan-internen Regelbuch strikt vorgegeben. Darin taucht unter anderem die folgende Formulierung auf: »Wir, der Orden der europäischen weißen Ritter des Ku-Klux-Klan, erkennen die Vorherrschaft der weißen Rasse in einer christlichen Nation an.« Die Beamten wurden demnach gefragt: »Seid ihr Weiße europäischer Abstammung und ohne jüdische Vorfahren?« Und sie mussten wiederholen: »Ich schwöre unserer heiligen Nation und der weißen Rasse die Treue.« Die Polizisten mussten die Mitgliedschaft zudem mit ihrem eigenen Blut besiegeln. Danach wurden sie mit einem Schwert zu Rittern des Klans geschlagen.
Chronik des Zeitschindens
Die Behörden wussten spätestens seit Mai 2002, dass zwei Polizisten im Klan mitmischten. Doch offenbar spielte das Innenministerium auf Zeit. Zumindest erfolgte kein direktes Eingreifen, wie das Landespolizeipräsidium (LPP) in dieser von ihm 2012 erstellten Chronologie des Verfahrens festgehalten hat:
31. Mai 2002: Das Landesamt für Verfassungsschutz unterrichtet das Innenministerium in einem persönlichen Treffen über die »gesicherte nachrichtendienstliche Identifizierung« der beiden Beamten.
6. Juni 2002: In einem Schreiben an das Innenministerium teilt das Landesamt für Verfassungsschutz mit, dass die beiden Beamten in »engem Kontakt zu dem rechtsextremistischen Beobachtungsobjekt EWK KKK stehen«.
16. September 2002: Beim LfV wird handschriftlich vermerkt, dass dem LPP an diesem Tag mitgeteilt wurde, dass »nunmehr Sicherheitsgespräche mit den Polizeibeamten geführt werden könnten« (2012 können sich die damals Zuständigen beim LPP an ein entsprechendes Gespräch allerdings nicht erinnern).
Nun folgt eine lange Pause von 15 Monaten, bis wieder Bewegung in die Sache kommt. Warum, lässt sich laut Erklärung des Landespolizeipräsidiums 2012 nicht mehr sagen: »Für den langen Zeitlauf bis zum nächsten Schreiben des LfV BW am 22. Dezember 2003 (…) haben die damals im Innenministerium zuständigen Personen keine Erinnerung oder Erklärung.«
22. Dezember 2003: In einem Schreiben des LfV an das Landespolizeipräsidium wird mitgeteilt, dass »nach internen Meinungsverschiedenheiten und dem Auseinanderbrechen der Gruppierung keine Aktivitäten des EWK KKK mehr festgestellt werden«. Es sei zudem der PC des einstigen Klan-Chefs vom damaligen Hausvermieter erworben worden, worauf Bilder der beiden Beamten entdeckt worden waren. Sie zeigten sie in der Wohnung von Achim Schmid vor Fahnen und Zeichen des KKK.
24. Mai 2004: Das Innenministerium wendet sich mit einem Schreiben an das Bereitschaftspolizeipräsidium (BPP) und die Landespolizeidirektion (LPD) Stuttgart II (jetzt Polizeipräsidium Stuttgart) mit der Bitte, disziplinarrechtliche Ermittlungen zu veranlassen und die Verfahren gegebenenfalls abzustimmen.
8. November 2004: Auf Nachfrage der LPD Stuttgart bestätigt das LfV schriftlich, dass die Einlassungen der Beamten »im wesentlichen der Wahrheit entsprechen«.
22. Januar 2005: Das LPP teilt dem Innenministerium mit, dass als Sanktion für Timo H., der zu dieser Zeit noch Beamter auf Probe ist, eine Zurechtweisung und explizit keine Disziplinarmaßnahme vorgesehen ist. Ein Mitarbeiter des Innenministeriums erinnert sich 2012, dass H. damals Naivität zugebilligt worden sei und man ihn als Mitläufer nicht härter sanktionieren wollte als den Beamten auf Lebenszeit, Jörg W.
8./16. Februar 2005: Das PP Stuttgart teilt dem Innenministerium mit, dass als Sanktion für Jörg W. ein Verweis beabsichtigt ist.
16. November 2005: Das PP Stuttgart erklärt gegenüber dem Ministerium, dass das Disziplinarverfahren gegen Jörg W. wegen Zeitablaufs eingestellt und ihm eine Rüge ausgesprochen wurde, was keine Disziplinarstrafe darstellt. Die beiden Beamten dürfen weiter als Polizisten arbeiten.
Der Stuttgarter NSU-Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler vermutet, dass die Behörden bewusst die Zeit verstreichen ließen, damit ein reguläres Disziplinarverfahren aufgrund abgelaufener Fristen nicht mehr möglich war.
Die milden Sanktionen waren auch Ergebnisse der Befragungen der beiden Beamten. Ein Blick auf die Vernehmungsprotokolle macht allerdings deutlich, dass deren Angaben nicht vollständig der Wahrheit entsprechen können, wie das LfV 2004 noch erklärt hatte. Bemerkenswert hierzu ist eine E-Mail, die am 28. Juni 2004 innerhalb des LPP versandt wurde. Darin heißt es: »Vorhin habe ich erneut mit Herrn (…) wegen den Vernehmungen der Polizisten im KKK gesprochen. Beide wurden durch dienstliche Weisungen zur Befragung geladen, ohne den Hintergrund zu kennen.« Timo H. habe »sehr kühl und gefasst auf den Vorhalt der Erkenntnisse« reagiert. »Er wollte zum Sachverhalt keine Auskunft geben, sondern sich erst beraten lassen.« Jörg W. sei dagegen »die Kinnlade runtergefallen«, als er die Vorhaltungen hörte und die Bilder sah. »Er war auf alles gefasst, aber darauf nicht. Da er in der Vergangenheit bereits eine Körperverletzungsanklage hatte (die KV beging er in einer Kneipe und soll dabei laut Aussage (…) rechtsradikale Lieder und Gedankengut kundgetan haben), hat er sich sogar seine damalige Stellungnahme noch einmal aus der Akte holen lassen, um zu sehen, was er damals gesagt hatte.«
Widersprüchliche Angaben
Timo H. ließ über den Deutschen Beamtenbund – seine juristische Vertretung – am 9. September 2004 erklären, dass er sich darüber im klaren gewesen sei, dass es sich beim KKK um eine Organisation gehandelt hat, »die sich nahe an der Verfassungswidrigkeit bewegt(e)«. H. betonte ausdrücklich »dass er weder antisemitisch, noch fremdenfeindlich oder rassistisch war oder ist oder sonst in irgendeiner Form Ziele verfolgt, die mit unserer Verfassung nicht im Einklang stehen«.
Auch sei während der »wenigen Treffen«, an denen H. teilnahm, »primär über Freundschaft, Bruderschaft und gegenseitige Fürsorge gesprochen« worden. Es möge »im nachhinein etwas naiv klingen«, aber für H. habe von Anfang an im Mittelpunkt gestanden, »neue Leute kennenzulernen und evtl. neue Freundschaften schließen zu können. Da die beteiligten Personen bei den Treffen sehr zuvorkommend und nett miteinander umgegangen sind, und auch viel über die Bibel und das Christentum gesprochen worden ist, unterstellte unser Mitglied der Organisation primär christliche Ansätze«, heißt es im Schreiben des Beamtenbundes an die Bereitschaftspolizei weiter. Aus den Ermittlungsunterlagen lasse sich zudem entnehmen, so der Vertreter des Beamtenbundes, dass es sich bei der EWK KKK zwar um eine extremistische Organisation handle, diese aber noch nicht verboten sei. »Selbst wenn man ausblendet, dass sich Herr H. in keiner Weise für die EWK KKK politisch engagiert und sich auch niemals mit deren Zielen identifiziert hat, bliebe bereits hier festzustellen, dass kein Verstoß gegen die politische Treuepflicht vorliegt. Die bloße Mitgliedschaft in einer verfassungsgerichtlich nicht verbotenen politischen Partei, die für eine andere Verfassungsordnung eintritt (sog. radikale oder extremistische Parteien) ist nicht pflichtwidrig. In einer freiheitlich demokratischen und parlamentarischen Demokratie ist es nicht nur erlaubt, sondern für deren Bestand geradezu unerlässlich, dass erlaubte politische Überzeugungen in der Form des Eintritts in eine nicht verbotene politische Partei und der Betätigung in ihr verfolgt werden.«
Der Anwalt von Jörg W. äußert sich mit einem Schreiben am 14. Oktober 2004 gegenüber der Dienststelle und stellt in Frage, ob der Polizist mit dem Aufnahmeritual überhaupt eine echte Mitgliedschaft eingegangen ist, »da der Mandant keinen Mitgliedsbeitrag zahlen« musste. Entgegen den Ermittlungsergebnissen sei W. zudem »nur wenige Wochen« im Klan »hängengeblieben«. Als Beweggründe nennt der Anwalt, dass es für seinen Mandanten wie eine »nette Runde« wirkte, dass er dort »nette Frauen kennenlernen könnte«. Außerdem habe der KKK »auch etwas Geheimes, Mystisches an sich. Er stellte für unseren Mandanten eine Art Kirchenersatz dar (…) Die Bibelauslegung war für unseren Mandanten spannend, da sie so ganz anders war, als die Auslegung durch die christlichen Kirchen.«
Unbeachtet ließ der Anwalt allerdings, dass W. im Vorfeld des Klan-Eintritts ausdrücklich erklärt hatte, Mitglied werden zu wollen, und dass er vor und nach seiner Klan-Zeit keine Berührungspunkte mit dem Christentum hatte, wie Jörg W. 2015 als Zeuge im Stuttgarter Untersuchungsausschuss zugab.
Bibelstunde im Rassistenklub?
Das Flugblatt des Schwäbisch Haller KKK, auf dem ein dunkelhäutiger Mann mit einer hellhäutigen Frau und der Aufschrift »Rassenvermischung – nein, danke!« abgedruckt ist, soll W. zwar gesehen haben, er habe damit aber »überhaupt nichts anfangen« können. Auf der damaligen Homepage des Klans, gespickt mit rassistischen Äußerungen, hätten W. »vor allem die Fotos interessiert. Alles andere hat er, so äußerte er sich in unserem Besprechungstermin, wenn überhaupt gelesen, nicht verstanden«, so der Anwalt weiter. Zudem habe der Klan-Chef Schmid die »rechtsradikalen und rassistischen Inhalte der Internetseite verharmlost bzw. relativiert«. Dort stand laut Protokoll des Verfassungsschutzes unter anderem: »Wenn du eine weiße, patriotische, ehrliche Person mit gesunder Moral und gesundem Charakter bist, wenn du daran glaubst, dass die Reinhaltung der Rassen das Beste für alle Rassen der Erde ist, wenn du mit unserem Glauben übereinstimmst, dann kannst du Mitglied werden.« Der Anwalt von W. erklärt hierzu: »Unser Mandant stand nie auf rechtsextremem oder rechtsradikalem oder rassistischem Boden, was dadurch bewiesen wird, dass er viele ausländische Freunde hat und mit Ryan Davis lediglich Gespräche und Diskussionen führte, die ihm erklären sollten, wie die Bibel auszulegen ist.«
Der einstige Sicherheitschef des Klans, Steffen B., widersprach bei seiner Vernehmung vor dem NSU-Untersuchungsausschuss den, wie er meint, »Schutzbehauptungen« von Jörg W. Zum Beispiel habe man im Klan nicht wirklich Frauen kennenlernen können. »So viele Frauen hatten wir jetzt ja gar nicht (…). Und die beiden Frauen waren vergeben.« Der Ausschussvorsitzende Drexler konfrontierte B. auch mit der Frage nach dem Vorwissen der Beamten: »Der Achim Schmid hat ja mal im Interview (…) gesagt, die beiden – gemeint waren die beiden Polizeibeamten – seien nicht doof genug gewesen zu erkennen, dass der KKK eine rassistische Vereinigung sei (…). Das hat jeder bemerken können. Oder war das nicht so?« B.: »Also ich wusste schon vorher, was das ist.« Steffen B. verortet den Beamten W. »ein wenig rechts der Mitte«. Rechte Tendenzen seien vorhanden gewesen. Timo H., der zweite Klan-Beamte, ging aber noch weiter und sagte den Ermittlern über Jörg W.: »Er hatte ein Problem mit Schwarzen. Er äußerte sich auch ausländerfeindlich. Dass er ein Problem mit Ausländern hatte, das wissen auch andere Kollegen aus unserer damaligen Einheit.«
Jörg W. beharrt bei seiner Vernehmung vor dem Ausschuss aber darauf, naiv gewesen zu sein. »Glauben Sie mir eines: Über meine Blödheit mache ich mir selber genug Gedanken.« Die Vorwürfe seines damaligen Freundes und Kollegen wertet er als Versuch, »sich selber einfach aus dem Dings rauszuziehen«. Timo H. habe sich »selber oft genug damit gebrüstet, hier sein Uropa, Onkel wäre der damalige Hitler-Stellvertreter gewesen«. Er sei früher schon Skinhead gewesen. »Also ich sage mal, ich denke, dass es einfach Schutzbehauptungen sind.« H. widersprach dem vor dem Ausschuss und erklärte, er sei nicht mit Rudolf Heß verwandt. Alexander Salomon von den Grünen konfrontierte Timo H. mit der Bemerkung des ehemaligen Polizeipräsidenten Wolf-Dietrich Hammann, dass grenzenlose Naivität in der Polizei ebenso wenig zu suchen habe wie Rechtsradikalismus. »Was sagen Sie denn zu der These?« Die Antwort des Polizisten: »Da hat er recht damit.«
Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/336343.beamte-mit-kapuze.html