Die dem Sozialstaat immanente Repression gegen Erwerbslose wurde in Deutschland im Rahmen der »Agenda 2010« massiv verschärft. Und besonders miese Instrumente sind die als »Daumenschrauben« bezeichneten Zwangsmaßnahmen. Dass sowohl das Internetforum der Ausgebeuteten »chefduzen.de« als auch meine Sachbearbeiterin beim Jobcenter in diesem Zusammenhang auf den Namen eines mittelalterlichen Foltergerätes zurückgreifen, ist passend. Zwar gibt es durchaus Unterschiede zwischen den verschiedenen Trägern und Konzepten der Maßnahmen. Die eine oder andere mag für den einen oder anderen sogar hilfreich sein, aber es gibt eben auch jene Maßnahmen, deren zentrale Funktion ist, als Drohpotenzial für Erwerbslose und Beschäftigte zu dienen. Sachbearbeiter_innen der Jobcenter geben sich meist auch keine Mühe, dies zu verschleiern. Vielmehr drohen sie offen mit »Daumenschrauben«.
Ich selbst bin zur Strafe in einer solchen Maßnahme gelandet, nachdem ich beim Jobcenter denunziert worden war. Aus einer Bewerbung (zu der mich das Jobcenter gezwungen hatte) würde »kein ernsthaftes Interesse an der Stelle« zu erkennen sein, wurde dem Jobcenter vom Empfänger der Bewerbung mitgeteilt. Es reicht scheinbar nicht aus, seine Haut zum Markte zu tragen und seine Arbeitskraft zum Verkaufe anzubieten. Man muß vielmehr so tun, als wolle man das aus freien Stücken und unabhängig vom ökonomischen Zwang.
»Eine für alle« hieß die Maßnahme, als deren offizieller Zweck »Heranführung und Integration in den Arbeitsmarkt« genannt wurde. Für die meisten dauert diese Maßnahme 24 Wochen bei fünf Tagen pro Woche Anwesenheitspflicht. In den ersten zwölf Wochen vier Stunden pro Tag, in den restlichen zwölf Wochen Vollzeit. Ein inhaltlicher Unterschied zwischen den beiden »Modulen« war nicht erkennbar. Teilnehmer_innen waren vor allem »Langzeitarbeitslose«, »schwer Vermittelbare«, Leute, die zur Strafe dort gelandet waren, junge Leute, denen man zeigen will, wie schlimm die »Arbeitslosigkeit« ist, oder auch ältere, die so vermutlich zur Frühverrentung »motiviert« werden sollen.
Da einige Zeitarbeitsfirmen das Anwerben ihrer Zeitarbeitskräfte an diese vom Jobcenter finanzierten Klitschen ausgelagert haben, werden manchmal tatsächlich Leute »in Arbeit vermittelt«. Das läuft dann so ab, dass morgens jemand bei der Maßnahme anruft und eine Bestellung abgibt. Dort sammelt dann ein Mitarbeiter das gewünschte »Menschenmaterial« zusammen und schickt es zur gewünschten Adresse. Fragt jemand nach, um was für Arbeit es sich handelt, reagiert der Maßnahmen-Mitarbeiter barsch: »Arbeit! Bezahlt! Was gibt’s da noch zu fragen?«
Verrohung, Sadismus und Schikane
Rührt dieser schroffe Ton daher, dass der Mitarbeiter mit ihm verschleiern will, dass er selbst nicht weiß, um was für Arbeit es sich handelt? Oder daher, dass in der bloßen Nachfrage schon ein Ansatz von Widerstand gesehen wird? Das war für mich nicht zu erkennen. Ohnehin unterschied sich diese Barschheit kaum üblichen Umgangston.
Der Leiter dieser Maßnahme hat zum Beispiel kaum etwas anderes gemacht, als hinter seinem Schreibtisch zu sitzen und Leute fertigzumachen. Bei anderen Mitarbeitern hatte ich das Gefühl, dass sie cholerische Züge haben und/oder aufgrund ihrer beruflichen Aufgaben abgestumpft sind. Beim Chef scheint es jedoch andersherum zu sein: Er kann vermutlich nur in einem seiner sadistischen Charakterstruktur angepassten Job mit seinem persönlichen Elend zurechtkommen. Bei ihm war auch in banalen bürokratischen Gesprächen immer etwas Vorwurfsvolles, Erniedrigendes oder Beleidigendes herauszuhören. So hatte man mit dem Chef vor allem dann zu tun, wenn man in irgendeiner Form zurechtgewiesen werden musste. Seine Zurechtweisungen bezogen sich auch auf Fragen der Lebens- und Arbeitseinstellung oder auf das äußere Erscheinungsbild. Mehrfach forderte er mich auf, mir neue Klamotten zu kaufen; finanzieren wollte er das freilich nicht. Um seine Macht über den ihm Ausgelieferten auszudehnen, griff er auch auf dreiste Lügen zurück: Als ich ihm zu Beginn der Maßnahme trotz nachdrücklicher und lautstarker Aufforderung meine Telefonnummer nicht geben wollte, nannte er mir einen Paragrafen im Gesetzbuch, nach welchem ich dazu verpflichtet wäre.
Aber auch andere Mitarbeiter_innen legten Verhaltensweisen an den Tag, die von Verachtung und autoritärer Herrschsucht geprägt sind. Exemplarisch dafür eine Situation, in der ich von Mitarbeiter K. aufgrund eines Missverständnisses angeschrien und beschimpft wurde. Ich konnte ihn im Verlauf des Streits halbwegs überzeugen, dass seine Angriffe und Vorwürfe gegen mich ungerechtfertigt sind. K. kommentierte das dann so: »Vielleicht habe ich Sie jetzt vorschnell zusammengeschissen«. Und anstatt sich zu entschuldigen, fügte er hinzu: »Aber das schadet ja nicht.«
Das alles passierte in einem Großraumbüro ohne jegliche Anonymität. Das störte die Mitarbeiter_innen aber nicht, wenn sie sich untereinander über die »nicht vermittelbaren« Teilnehmer_innen beschwerten, die »nur Arbeit machen, aber kein Geld bringen« (für Leute, die in Arbeit vermittelt werden, bekommen sie Prämien). Die fehlende Anonymität hindert die Mitarbeiter_innen auch nicht daran, sich in zudringlichster Weise in das Privatleben der ihnen ausgelieferten Abhängigen einzumischen. So wurde beispielsweise versucht, einem an Depression erkrankten Teilnehmer in seine Medikation hineinzureden.
Potemkinsche Dörfer
Auch wenn ich vom Jobcenter nichts anderes erwartet hatte, war die Inhaltslosigkeit der Veranstaltung beleidigend. Zwar wird von Seiten der »Maßnahmeveranstalter« ständig betont, wie »erfolgreich« sie seien und wie viele Leute sie angeblich in Arbeit vermitteln würden. Allen war aber klar, dass diese Wichtigtuerei nicht nur lächerlich ist, sondern auch etwas Verzweifeltes hat.
»In zwei Wochen sind Sie hier raus und haben einen Job!«, wurde mir wie den meisten anderen am ersten Tag im persönlichen Gespräch versichert. Auch betonte man immer wieder, wie gut man doch über die Anforderungen des Arbeitsmarktes Bescheid wisse.
Das Betonen der eigenen »Erfolge und Kompetenzen« hatte mitunter abstruse Konsequenzen: Ein Bewerbungsschreiben, das ich vorlegen musste, weil geprüft werden sollte, ob ich weiß, wie man eine Bewerbung schreibt, wurde mir von dem Mitarbeiter weitgehend umformuliert. Dabei wurden meine Formulierungen nicht sachlich kritisiert, sondern mit einem autoritären »So schreibt man das nicht!« abgefertigt, d.h. mit einem Verweis auf formale Regeln. Als ich am nächsten Tag von einer anderen Mitarbeiterin aufgefordert wurde, ihr eine Bewerbung zu zeigen, wählte ich diese aus, schließlich war sie weitgehend von ihrem Kollegen formuliert. Doch es passierte das Gleiche wie am Vortag – nur mit dem Unterschied, dass es jetzt nicht mehr meine eigenen Formulierungen waren, die angeblich »falsch« oder »veraltet« sein sollten, sondern die des »Fachmannes«.
Zum Maßnahmen-Programm gehörten offiziell auch »mind. 45 Min. Einzelcoaching pro Woche« – allerdings nur auf dem Papier. Ernsthaft umsetzbar wäre dies ohnehin nicht gewesen: Von Seiten der Teilnehmer_innen fehlte jedes Vertrauen zu den Mitarbeiter_innen, um sich in irgendeiner Form zu öffnen; von Seiten der Mitarbeiter_innen bestand aber auch kein Interesse daran, sich auf die Teilnehmer_innen einzulassen.
Wer als »vermittelbar« galt, war zwar gelegentlich einer »Einzelbetreuung« ausgesetzt. Diese beschränkte sich jedoch ausschließlich darauf, die Leute unter Druck zu setzen und mit unpassenden Vermittlungsvorschlägen zu überhäufen.
Häufig fallende Sätze waren dabei: »Sie haben hier keine Fragen zu stellen, Sie machen das, was man Ihnen sagt!« oder »Ihre Interessen und Fähigkeiten sind irrelevant!« Wer als »nicht vermittelbar« galt, hatte zumindest das Glück, damit in Ruhe gelassen zu werden, und konnte seine Zeit mit dem Surfen im Internet absitzen.
Youtubevideos, Film- und Serienstreaming sowie Internetspiele waren während meiner Zeit in der »Maßnahme« die Hauptbeschäftigung. Offiziell wurde das »Stellenrecherche und Bewerbungsschreiben« genannt. Zudem gab es pro Tag eine Stunde Frontalunterricht, der darin bestand, dass der zuständige Angestellte – meistens K. – Halbwissen über zum Beispiel gesunde Ernährung oder ökonomische Zusammenhänge zum Besten gab. Beim Thema »Was ist eigentlich Geld?« zeigte sich K. als obskurer Zinskritiker. Als beim Thema »Schutz vor Diskriminierung/AGG« ein Teilnehmer die Frage »Begünstigen Bewerbungsfotos Diskriminierung?« aufwarf, antwortet K.: »Bewerbungsfotos sind gar nicht so wichtig – zumindest für Männer und für ältere Frauen. Hübsche junge Frauen sollten aber auf jeden Fall ein Bewerbungsfoto mitschicken.«
Symptomatisch für die Inhaltslosigkeit war auch das Ritual zu Beginn: Der »Coach« geht seine Liste durch, kontrolliert die Anwesenheit, lässt jeden unterschreiben und bekommt einen Wutausbruch, falls jemand ein paar Minuten zu spät kommt. Alle anderen müssen so lange still sitzen und warten. Das Ganze dauert rund 15 Minuten und danach ist erstmal 20 Minuten Pause, bevor der »Unterricht« dann »inhaltlich« losgeht.
Das Arbeitsmaterial fügt sich nicht so wie gewollt
Die interessanteste »Unterrichtseinheit«, die ich dort miterlebt habe, bestand ausschließlich aus einem mindestens halbstündigen Wutausbruch. Der Hintergrund: Eine größere Anzahl von Teilnehmer_innen an den Tagen vorher war zu einem »Arbeitgeber« zum Vorstellungsgespräch vorgeladen worden. Einige von ihnen gingen jedoch statdessen zum Arzt, ließen sich krankschreiben und meldeten sich krank. Soweit ich informiert bin, haben sie sich dabei formal korrekt verhalten und hatten dementsprechend auch keine negativen Konsequenzen zu befürchten. K. allerdings brüllte rum und drohte mit Konseqzenzen. Von »fehlender Mitwirkung« und »Sozialbetrug« (was für ihn offensichtlich das Gleiche zu sein schien) war die Rede. Aber das Interessanteste war: Er hat betont, er würde das »persönlich nehmen« und er lasse sich »von niemandem« die »Unternehmerkontakte«, für die er so hart und lange gearbeitet habe, »kaputt machen«.
Dass eine solche Widerständigkeit (falls es denn eine solche war und nicht nur eine Grippewelle) die logische Folge einer Arbeitsvermittlung ist, die meint, über persönliche Vorlieben, Interessen oder auch nur Qualifkationen und Fähigkeiten hinweggehen zu dürfen, kam K. freilich nicht in den Sinn.
Mir wurde von mehreren Mitarbeiter_innen direkt gesagt, dass meine persönlichen Interessen irrelevant seien. Auf jegliche Einwände gegen vorgeschlagene Stellen oder auch nur Nachfragen reagierten sie schroff. Als ich einmal darauf hinwies, dass mir die für einen Vermittlungsvorschlag erforderlichen Fremdsprachenkenntnisse fehlten, wurde ich angeschnauzt, ich solle machen, was man mir sagt, und »nicht diskutieren«.
Vermutlich ist es nicht die unwichtigste Aufgabe von solchen Einrichtungen, dem »Pöbel« Ansprüche jeglicher Art gegenüber potenziellen Arbeitgebern auszutreiben. Dementsprechend empfindlich reagieren Maßnahmen-Mitarbeiter_innen, wenn sie damit nicht recht erfolgreich sind. In einer solchen Situation warf eine Mitarbeiterin einem Teilnehmer voll ehrlicher Empörung an den Kopf: »Glauben Sie vielleicht, ich mache meinen Job hier gerne?!« Mit Ausnahme des Maßnahmen-Leiters hat sie damit vermutlich für das ganze Team gesprochen. Ich würde ihnen allen wünschen, dass sie ihren Job bald los sind! Wer wie K. meint: »Mit Menschen arbeiten ist nichts anderes als mit Metall arbeiten: Manchmal geht was schief, das wirft man weg!«, der sollte vielleicht doch lieber mit Metall arbeiten.
Epilog
Das Niederschreiben dieser Erfahrungen soll nicht dazu beitragen, die Angst vor dem Jobcenter oder vor dem Scheitern auf dem Arbeitsmarkt weiter zu vergrößern. Diese Angst führt zu nichts als Anpassung und Resignation. Damit läßt sich nicht vernünftig leben. Dagegen wäre den meisten Leuten heute eher ans Herz zu legen, das schlechte Leben mehr zu fürchten als den sozialen Abstieg. So schlimm die Schikanen des Jobcenters auch sein mögen: Ob es sich besser leben lässt, wenn man sein Dasein dermaßen an den Anforderungen des Arbeitsmarktes ausrichtet, wie dieser das fordert, wäre zu bezweifeln. Ohne die Abschaffung nicht nur solcher Maßnahmen, sondern auch der Gesellschaft, die sie hervorbringt, wird es kein Entkommen aus diesem Albtraum geben.
Sam Oht ist arbeitslos und lebt in Berlin.
Quelle: https://www.akweb.de/ak_s/ak640/08.htm